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Re: Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?



Hallo Joost!

Ref.: 	«Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?»
 		Joost Klüßendorf (2003-06-01, 12:06:23 [PHONE NUMBER REMOVED], KW 22/2003)

da habe ich mir ja was eingebrockt, aber mal sehen, vielleicht geht
es gut :-)

Also mir hat Deine Antwort "geholfen" :-)
(...und sie war mir auch nicht zu lang ;-)

Es interessiert einfach nicht mehr das exakte Verhalten eines
individuellen Apfelbaumblattes an einem lauen Herbsttag des Jahres
1512 in Venedig...

Mit Verlaub, da muss ich widersprechen. Gut, Das Apfelbaumblatt in
Venedig ist zugegeben wirklich nicht sonderlich spannend. Aber wenn
ich zur Universität fahre, dann interessiert mich tatsächlich der
konkrete Elektromotor der indivuduellen U-Bahmn, die um 09:05 von
Hansaplatz richtung Rathaus Steglitz fährt. Und in der Psychologie
interessiert mich möglicherweise genau Karl-Heinz und kein
anderer. Praktisch relevant ist immer der Einzelfall, dass sich die
Wissenschaft mit Gesetzen beschäftig, liegt daran, dass Gesetze
häufig den Einzelfall erklären können.

Also: «Praktisch relevant ist immer der Einzelfall» -- da kann ich
nicht widersprechen, und verstehe also auch nicht, worin Du mir
widersprichst! "Praktisch relevant" ist doch eben was ganz anderes als
"theoretisch relevant", oder?  Wissenschaft ist immer mit Theorie
verbunden. Und die durch Theoriebildung gewonnen Ergebnisse der
Wissenschaft kann man (hoffentlich) im praktischen Einzelfall
anwenden.  Nur andersrum wirds schwierig! 

Etwas weiter radikalisiert würde ich sagen, daß nicht nur «Gesetze
häufig den Einzelfall erklären können», sondern daß eine *Erklärung*
ohne Abstraktion überhaupt unmöglich ist.  Einsicht kann ich
mglw. auch in einen einzelnen Einzelfall erlangen, aber nicht
"Erkenntnis" -- und schon gar nicht "Wissen", oder gar ein
nachvollziehbares System theoretischer Erkenntnisse aka Wissenschaft.

Für Elektromotoren mag es nun eine schlaue Idee sein, von einem
allgemeine Gesetz auf den speziellen Fall zu schließen. ...

Weiß ich nicht. Für schlauer halte ich es, die jeweils relevanten
allgemeinen Gesetze in die Untersuchung des speziellen Falles von
Elektromotor einzubeziehen. 

... In der Psychologie geht das gerne mal schief. Es haben schon so
viele Leute allgemeine Gesetze aufgestellt, dass man gar nicht
weiß, welches man anwenden soll. Zudem ist es bei den meisten
Gesetzen unklar, unter welchen Bedingungen sie angewendet werden
können. 

Dann sind es aber keine Gesetze sondern schlampig formulierte
Verallgemeinerungen, unwissenschaftliche Hypothesen über mögliche
Zusammenhänge.  Außerdem würd ich hierzu noch sagen, daß man aus
Fehlern lernen sollte: und zwar nicht unbedingt gleich, daß "das alles
einfach nicht paßt".  Daß etwas schwierig ist, heißt doch noch nicht,
daß es falsch ist, oder?

Und dann gibt es ja noch den freien Willen.

Was ist nun Psycho*logie*, wenn die Anwendung von allgemeinen Gesetzen
nicht wirklich funktioniert ?
Nun zum einen finde ich diese Erkenntnis an sich schon einmal relativ
wertvoll. Zum anderen aber bleibt m.E. als einzige Möglichkeit den
Vorgang des Schlusses vom Allgemeinen auf das Konkrete zu überdenken.
Der übliche Modus ist, die Bedingungen zu messen, daraus zu schließen,
welches Gesetz zutrifft, und fertig ist die Lauge. Dies geht nun bei der
Psychologie nicht.

Nein ;-), der übliche Modus ist, das konkrete im Kopf abzubilden --
was ohne Abstraktion gar nicht geht (außerhalb der sogenannten
"mystischen Erfahrung") -- und das so gewonne Sammelsurium von
Abstraktionen solange zu bearbeiten, bis man aus ihnen das Konkrete
wieder nachvollziehbar und wirklichkeitsadäquat "zusammenbauen" kann.

Die Psychologie hat aber den Vorteil, dass ihre "Untersuchungsobjekte"
der Sprache mächtig sind, und dass sie so etwas wie eine
Selbstwahrnehmung besitzen, dass sie also zumindest im Prinzip erkennen
können, welche Vorgänge "an ihnen" wirken (oder, um das ganze ein wenig
aktiver auszudrücken: aus welchen Gründen sie so und nicht anders
handeln). 

Das scheint mir eher ein Nachteil in sofern zu sein, als daß es
dadurch leichter wird zu vergessen, daß auch die Selbstwahrnehmung
nicht ohne die oben beschriebene Abstraktion funktioniert, welche dann
aber in aller Regel nicht methodisch sondern eher spontan
weiterverarbeitet und wiedergegeben wird.

Die Erkenntnisse Kritischer Psychologie bestehen in dem Sinne aus zwei
Teilen. Zum einen aus einem Methodenkanon, der angibt, wie Erkenntnis zu
gewinnen ist (nämlich nur durch das Untersuchen, welche
Gesetze/Begründungen im konkreten Einzelfall wirksam sind). Zum anderen
aus einer Menge von "Gesetzen" (oder in ihren eigenen Worten
"Begründungsmustern"), die dem Individuum helfen sollen, seine eigene
Position zu begreifen. 

Hieraus leite ich also ab, daß das Anliegen der kritischen Psychologie
die praktische Hilfe für den (je) einzelnen Menschen in einer (je)
konkreten Situation ist.  

Verallgemeinerung läuft dabei nicht über die
Aufstellung von Gesetzen allgemeiner Gültigkeit, sondern über das genaue
Beschreiben von Situationen, welches anderen Individuen dabei helfen
soll, ihre je eigene Situation besser zu verstehen.

Da sehe ich aber schon wieder den Unterschied zwischen konkreter
praktischer Anwendung und theoretischem Interesse (als Vorarbeit, die
erstmal das Schaffen muß, was denn da konkret praktisch angewandt
werden soll).  Der Psychologe kann also als solcher zwei Rollen
spielen: die des "Seelenklempners" und die des Wissenschaftlers.

Wenn ich das richtig verstanden habe, wird aber eingefordert, daß die
Methoden der praktischen Anwendung auch der Kanon für die
Erkenntnisgewinnung sein sollen... -- ? 


Gruß,
El Casi.


p.s.

P.S: Falls das Posting hier eher unverständlich bleibt, bitte ich um
Nachsicht, verständlicher konnte ich es beim besten Willen nicht
formulieren.

Das mußt Du jetzt selber beurteilen ;-)

 Anliegen / Gegenstand der kritischen Psychologie ...
Kannst Du das vielleicht in kurzen Worten umreißen?

Das mit den kurzen Worten ist mir vermutlich mißlungen, aber ich habe
mein bestes gegeben ...

Doch doch ;-) noch kürzer wäre vermutlich zu kurz gewesen ;-)
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