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Re: [ox] Entwicklungsbegriff



Hi Benni und alle, die sich noch erinnern können,

jetzt habe ich die Mail zum Entwicklungsbegriff, auf die ich noch nicht
geantwortet hatte, gefunden.

Benni Bärmann wrote:

> Nochmal ein paar Nachfragen zur Keimform:
>>>Dieser Keimform-Fünfschritt, gilt der IYO nur für "neue Systeme" also
>>>für den Kapitalismus oder die nach-Kapitalistische Gesellschaft oder
>>>gilt der allgemein für gesellschaftliche Entwicklungen also auch
>>>innerhalb des Kapitalismus?
>>>
>>Nein, der gilt IMHO ganz generell für Entwicklungsprozesse (also auch
>>nicht nur gesellschaftliche).
>
> Hups? Also auch psychologische, biologische und physikalische?

Btw: Das mit dem *logische ist schwierig: Das meint die jeweilige
Wissenschaft und nicht den Gegenstand der Wissenschaft. Deswegen:
psychisch statt psychologisch, biotisch statt biologisch.

Die Frage ist also: welche Prozesse können Entwicklungsprozesse sein?
- psychische: ja, die Ontogenese z.B.
- biotische: ja, die Phylogenese z.B.
- physikalisch: ja, die Genese des Universums (nur eine Vermutung)

Die Antwort hört sich zirkulär an, aber sie lautet: Überall, wo es um
die Werdensgeschichte in einem bestimmten Gegenstandsbereich geht, also
um Entwicklung im Sinne einer zeitlichen Herausbildung, da macht es Sinn
den Fünfschritt zu verwenden.

>>>Könnte man zum Beispiel also auch den Übergang vom traditionellen >>>Alienismus (Fordismus) zum progressiven Alienismus (Postfordismus)
>>>so fassen? Dann hätte man ein etwas zeitnäheres Beispiel und die 68er
>>>wären dann möglicherweise die dazugehörige Keimform.
>>>
>>Macht Sinn. Ich habe das aber nicht durchgespielt. Die Frage ist für
>>mich hier: Ist "Alienismus" die wesentliche Entwicklungsdimension und
>>was ist genau das "System", das du dir anguckst? Wenn du das klar
>>hast, wird es klappen.
>
> Also definiere ich mir "System" und "wesentliche
> Entwicklungsdimension" so lange hin bis es passt? Das kann es ja wohl
> nicht sein, oder?

Doch, das ist es. Das findet nämlich in Wissenschaft "eigentlich"
sowieso immer statt. Der Fünfschritt macht das alles nur ganz explizit.
Damit liegt es offen, ist kritisier- und weiterentwickelbar.

Wenn bürgerliche Wissenschaft anfängt mit Nachdenken, ist meistens schon
alles gelaufen: sprich der kategoriale Bezugsrahmen steht fest. Der
kommt irgendwo her, aus der Anschauung, der Erfahrung, der Tradition
etc. Die Kategorien sind meist nicht Gegenstand der Wissenschaft selbst.
Deswegen verläuft die Geschichte der wissenschaftlichen Revolutionen
so diskontinuierlich: die Vertreter alter Paradigmen müssen erst
aussterben (die Sache von Kuhn, auf den sich inzwischen allerdings alle
berufen). Das gilt aber nicht überall gleich, in der Physik ist es noch
ganz ok, in der Gesellschaftstheorie kannst du es meist knicken (siehe
das RL-Beispiel mit dem Begriff Ökonomie hier in ox).

> Ausserdem geht der Streit ja bei gesellschaftlichen
> Entwicklungsprozessen meist genau darum, was die wesentlichen
> Entwicklungsdimensionen sind.
>
> Du erhebst ja mit dem Keimformbegriff den Anspruch, dass er
> erkenntnisleitend sein soll. Hier klingt es aber jetzt eher so, als
> sei er Ziel der Erkenntnis.

Wieso das, verwechselst du was? Die Entwicklungsdimension ist die der
Produktivkraftentwicklung, also die Art und Weise wie Menschen ihr Leben
produzieren. Der Gegenstandsbereich ist die gesellschaftlich-historische
Entwicklung aka Gesellschaftsgeschichte (hier in dieser Debatte).

>>Meine Erfahrung ist, dass ich mit dem Fünfschritt auf
>>Entwicklungsprozesse geguckt sehr viel mehr "sehe" als ohne.
>>Vielleicht einfach nur deswegen, weil das "Hingucken" auf die
>>wesentlichen Dinge geschärft wird und man nicht im unendlichen Wust
>>der Einzelfakten den Überblick verliert.
>
> Du hast also ein halbes vergangenes und ein möglicherweise zukünftiges
> Beispiel für "Keimform" untersucht und postulierst dann, dass _alle_
> Entwicklungsprozesse so verlaufen? Ziemlich dünne Grundlage wie ich
> finde.

Nicht alle. Sondern die für den jeweiligen Gegenstandbereich bezüglich
der ausgewiesenen Entwicklungsdimension. Ich habe mich mit dem o.g.
beschäftigt, andere mit anderen. Alles andere als dünn.

>>Ja, stimmt aber, ist ein theoretischer Hammer - aber das ist halt mein
>>Ding, meine individuelle Selbstentfaltung:-)
>
> Ja, aber damit andere das nachvollziehen können, braucht es da wohl
> schon noch ein wenig Unterfütterung fürchte ich.

Ja, ist jetzt einfach zu dünn, in einer Mail ein paar Sätze hinzustellen. Das ist einfach nicht so einfach;-)

> Generell hab ich auch meine Probleme mit einem so abstrakten Prinzip,
> dass alle (auch nur gesellschaftlichen) Entwicklungsprozesse über
> einen Kamm schert. Wer sagt denn, dass es da überhaupt
> "Gesetzmäßigkeiten" geben soll?

Wer sagt dir, in welchem Film du bist? Ist es ein Film oder die
Wirklichkeit? Oder ist das das Gleiche? Na, und so weiter. Das sind
Grundfragen der Philosophie. Und weisst ja: Da halte ich mich an meine
spezielle Variante materialistisch-historischer Dialektik - stets das
Beste von allem;-)

Ciao,
Stefan

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