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Zur Keimform-Diskussion (was: Re: [ox] Konferenz-Beitrag: Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann - aber vielleicht trotzdem etwas mit)



Hi Benni, Sabine, StefanMz, alle!

Last week (9 days ago) Benni Bärmann wrote:
Zunächst mal, schön dass diese Diskussion wieder in Gang kommt. Ich hatte
nach dem Kongress ein wenig das Gefühl, dass das einschläft. Was ich schade
fände, da ich denke, dass da immer noch für "beide Seiten" ein
Erkenntnisgewinn drin ist. Zumindest wirkt es für mich, der den ganzen
Disput ja quasi mehr oder weniger von "aussen" mitkriegt, so. Kann mich
natürlich auch täuschen.

Ja, du scheinst da eine Zwischenposition zu haben. Vielleicht ganz
hilfreich.

Ich beschränke mich mal auf ein paar Anmerkungen zum Thema ob Keimform als
Denkfigur an sich sinnvoll ist unabhängig davon, ob jetzt FS eine ist, oder
nicht. Ich glaube nämlich auch, dass das tatsächlich das Wichtigste an
dieser Diskussion ist.

Klar, wenn Keimform als Denkfigur abgelehnt wird, dann ist das
natürlich alles Quatsch. Warum die Denkfigur sinnlos sein kann,
darüber sprechen wir hier wohl gerade.

On Sun, Aug 26, 2001 at 10:44:55PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Ich versuch's mal mit Bildern.

Stell dir die Keimform als Küken vor, [...]

Auf ähnliche Weise steckt die Freie Software als Keimform noch voll im
Alten, ja sie könnte ohne dessen Rahmenbedingungen nicht mal
existieren. Gleichzeitig glauben ich und einige andere hier, daß sie
mindestens schon begonnen hat, die Schale anzupicken.

Das ist ja ein mieser rhetorischer Trick hier mit kleinen harmlosen Tierchen
zu kommen ;-)

Da kommt mensch mal nicht hochabstrakt und dann wird es einem gleich
als mieser rhetorischer Trick ausgelegt ;-) .

Aber mal davon abgesehen versuch ich mal meine Probleme mit dem
Keimformbegriff zu beschreiben. Manches von dem was Sabine geschrieben hat,
hab ich da nämlich wieder erkannt.

Stefan Mz. beschreibt "Keimform" immer als eine Denkweise, die ein wenig von
hinten durch die Brust ins Auge daherkommt.

Dazu sollte StefanMz besser selbst was schreiben. Steeeeefaaaaan!

"Keimform" beinhaltet
so viele vorweggenommene Annahmen - speziell auf die Zukunft
bezogen - das ist eine Denkweise, die ich nicht teile, egal, worauf
das nun bezogen ist. Was werden wird, kann niemand mit
Gewissheit sagen, im Umkehrschluss kann man auch keine
Keimform behaupten, weil die schon beinhaltet, was werden wird.

Das heißt aber dann zu Ende gedacht, daß du über Zukunft gar nichts
mehr sagen kannst und in deinem Fall auch nicht mehr sagen willst.
Damit ist politisches *Handeln* aber nicht mehr drin, weil sich
politisches Handeln letztlich immer auf die Zukunft bezieht.

Das nun ist schlicht falsch. Die Abwehr ganz konkreter Zumutungen ist nicht
auf die Zukunft gerichtet und trotzdem wichtig.

Aber sicher ist das auf die Zukunft gerichtet. Du kannst nichts
abwehren, was schon geschehen ist, sondern höchstens das, was du
befürchtest. Zukunft pur.

Versteige ich mich, wenn ich sage, daß jedes Nachdenken über noch
nicht geschehenes Handeln zukunftsgerichtet ist? Wohl nicht.

Siehe Dämmebauer und
Schiffebauer. Ich denke aber schon - wahrscheinlich anders als Sabine, oder?
- dass eine "zukunftsgewandte" Komponente dazugehört.

Bei Dir, Stefan, hab ich oft das Gefühl, dass Du vor lauter Schiffebauen die
Sintflut nicht sehen willst.

Ich sehe die Sintflut schon - keine Sorge. Mehr als mir lieb ist :-/ .

Ich habe lediglich für mich die Entscheidung getroffen, daß es genug
Dämmebauer gibt, daß ich mit meinen Kräften jedenfalls die Dämme
weniger entscheidend verbessern kann als die Schiffe, für die wir in
Oekonux Freie Baupläne entwerfen. Dammbau ist wichtig - habe ich auf
dem Workshop bestimmt auch gesagt. Ich habe für mich nur die Rolle als
Schiffebauer gewählt.

Gegen irgendwelche Wolkenschlösser bin ich auch - siehe meine teils
recht harsche Kritik an Joytopia, PanokratInnen, Demokratica, etc.

Allerdings verletzt es mich schon ein wenig, wenn du unser nun
wirklich nicht unanalytisches Bemühen mit diesen doch sehr windigen
und meist steinalten Konzepten praktisch in einen Topf wirfst - was du
letztlich ja nicht tust, sonst wärest du wohl kaum noch hier.

Naja, aber sie ist ja nun schon deutlich weniger hier, als vor einiger Zeit,
nicht wahr? Und das liegt nach meiner Sicht auch mit daran, dass "ihr" ihre
Kritik nicht so recht verstehen wollt.

Wollen schon. Und ich glaube in Sabines Antworten auch was verstanden
zu haben. Allerdings befürchte ich, daß die Gräben zwischen den
Extremstandpunkten wirklich tief und fundamental sind.

Irgendwie ist in dieser Keimform-Diskussion auch ziemlich der Wurm drinnen,
da werden ganz oft relativ unwichtige Detaildiskussionen geführt und die
eigentlichen Probleme gehen dabei unter und am Ende bleibt bei beiden Seiten
der Eindruck zurück, dass man ja in allen Detailfragen Recht hat und das
Gesamtbild wurde garnicht thematisiert. So ging es mir zumindestens auf der
Konferenz.

Ein Zeichen für schlechte, (für mich: polemische) Kommunikation.

Ich hoffe sehr, dass es diesmal anders läuft.

Me too.

Und dann bin ich noch der Ansicht, dass
Kritik (im Sinne von Dekonstruktion der Verhältnisse und nicht
Konstruktion neuer Verhältnisse, die an der Realität vorbeigehen)
der erste und wichtigste Schritt ist, der zweite kann sich nur aus
der Kritik ergeben und wie der aussieht kann ich solange nicht
genau sagen, solange die Kritik nicht durch exerziert ist und in
weiten Teilen Verbreitung gefunden hat.

Da widerspreche ich dir vollständig. Gerade seit Oekonux habe ich wie
nie zuvor gelernt, wie eine neue Sichtweise auf die Dinge eine doch
erheblich veränderte Weltsicht hervorbringt. Insbesondere der Fokus
richtet sich plötzlich auf Phänomene, die ich vorher gar nicht
wahrgenommen habe.

Da muss ich jetzt wieder mal Stefan recht geben

(Seht ihr, ich versuche das
ganz gerecht mal hier und mal da zu verteilen ;-).

Du bist manchmal wirklich einfach eine Wucht :-) :-) .

Und gleich noch zu Sabine.

6 days ago sabine nuss wrote:
On Sun, Aug 26, 2001 at 10:44:55PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Benni wrote:
Das ist ja ein mieser rhetorischer Trick hier mit kleinen harmlosen
Tierchen zu kommen ;-)

Na, dieses Bild ist ja eigentlich ganz niedlich, aber es fügt dem,
wie ich Keimform verstehe nichts Neues hinzu. Ich glaube dann
doch, dass ich das richtig verstehe. Aber um bei der Küken-
Analogie zu bleiben: Ich würde sagen, Küken und Schale sind
beidermaßen Kapitalismus - zumindest ist es das, was ich
beobachten kann.

Was ist außerhalb der Schale? Um mal im Bild zu bleiben: Was ist mit
dem Licht, das nach dem Durchpicken der Schale plötzlich auch von
innerhalb der Schale zumindest erahnbar wird? Im Ei war's auch schon
nicht ganz dunkel, aber gegen jetzt doch ein deutlicher Unterschied.

Alles andere ist Projektion - in meiner
Perspektive.

Ja, das habe ich verstanden und da gebe ich dir im Grunde genommen
auch Recht. Der Punkt ist aber, daß du - so hatte ich dich verstanden
- jegliche solche Projektion schlicht für - tja - unseriös hältst.
Damit beraubst du dich m.E. entscheidend wichtiger Mittel um politisch
zu handeln.

Aber mal davon abgesehen versuch ich mal meine Probleme mit dem
Keimformbegriff zu beschreiben. Manches von dem was Sabine geschrieben
hat, hab ich da nämlich wieder erkannt.

Stefan Mz. beschreibt "Keimform" immer als eine Denkweise, die ein
wenig von hinten durch die Brust ins Auge daherkommt. Also, das man
sie nur in der Vergangenheit erkennen kann, das man sie aber trotzdem
heute schon als Denkfigur für die Zukunft einsetzen kann um daran
seine eigene Wahrnehmung zu schärfen. Das an sich in dieser wilden
Vermischung der Zeitformen finde ich schon zumindestens schwer zu
schlucken, aber es hat mir ja auch niemand einen theoretischen
Rosengarten versprochen, also kann ich das ja erstmal so hinnehmen.

Was mich dann aber doch etwas stutzen läßt, ist die ebenso wilde
Vermischung von normativen und deskriptiven Momenten in diesem Begriff
(was ja auch mit der zeitlichen Vermischung einhergeht).

Ja, genau. Das sehe ich auch so. Aber wahrscheinlich würde
Stefan Mn. das abstreiten und sagen: Die Freie Software als
Keimform *ist* deskriptiv: Sie _ist_ Keimform. Nicht: sie _soll_
Keimform sein.

Du hast mich verstanden :-) .

Es ist hier schlechterdings nicht zu widerlegen,
weil sich die Keimform-Aussage auf die Zukunft bezieht, also auf
etwas, was noch nicht ist, und dazu kann man nichts sagen,
außer man lehnt solche Zukunftsaussagen eben generell ab.

Ja, ich lasse mich auf diese Unsicherheit ein, weil sie produktiv ist.
Wie ich glaube muß ich das, um etwas verändern zu können.

Daß ich die Unsicherheit verkleinern will - indem ich die Realität
analysiere (und natürlich auch im Rahmen der Keimform versuche zu
interpretieren) - geht aber hoffentlich nicht ganz unter. Und ehrlich
gesagt: Mir ist bisher noch keine Utopie/Vision untergekommen, die
einerseits so nahe am Heute ist, andererseits so klar die dialektische
Aufhebung des Heute postuliert und noch dazu doch ein (m.E.)
erhebliches analytisches Fundament aufzuweisen hat.

Daher
gibt es hier keine Einigung und ich denke, dabei belasse ich das
auch jetzt.

Ja, die Gräben scheinen mir da wirklich tief. Aber von mir aus ist das
völlig ok.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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