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[ox] Konferenz-Beitrag: Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann - aber vielleicht trotzdem etwas mit Kommunismus zu tun hat



Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann
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Sabine Nuss [sabine.nuss gmx.de], Michael Heinrich
[prokla zedat.fu-berlin.de]

- aber vielleicht trotzdem etwas mit Kommunismus zu tun hat
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I. Freie Software als `Anomalie'
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Die Herausbildung weltweiter Verknüpfung von Computern und
Computernetzen stellt nicht nur selbst eine neue
Kommunikationstechnologie dar, sondern bringt auch sukzessive neue
Informationsprodukte, Produktions- und Distributionsformen hervor.
Musik, Literatur, Software oder Filme gab es zwar schon vor dem
Internet, aber mittels der Digitalisierung können die "Netzinhalte"
(Text, Klang, Bild, Algorithmen) als Bits ohne größeren Aufwand und
verlustfrei (das Original "leidet" nicht) vervielfältigt und direkt an
die computerisierten Nutzer verbreitet werden. Ein Zwischenhändler
oder ein Distributor, der zugleich das Monopol auf die
Verwertungsrechte der Inhalte hat, wird damit obsolet. So kann ein
Musiker sein neues Stück direkt ins Netz stellen, ein Schriftsteller
seinen Text, ein Programmierer seine Software. Weiterhin kann an einem
Informationsprodukt, wie beispielsweise Software, weltweit und
dezentral gearbeitet werden, vorausgesetzt die technische
Infrastruktur und das Know-How sind gegeben.



Dieses Charakteristikum des Internet (Digitalisierung + weltweiter
Transfer) stellt die Frage nach den kapitalistischen
Verwertungsmöglichkeiten von Informationsprodukten neu. Zur Verwertung
benötigt man nicht nur ein Produkt, welches auf ein zahlungswilliges
und zahlungsfähiges Bedürfnis stößt, sondern auch die Gewißheit, dass
dieses Produkt nirgendwo anders ohne großen Aufwand quasi umsonst zu
haben ist: Verwertung braucht Knappheit. Das Internet bietet jedoch
zumindest im gegenwärtigen Zustand einen "Überfluss" an Daten, oder
besser: Die Abschliessung von Daten im Netz unter dem exklusiven Titel
des privaten Eigentums ist technisch noch nicht umfassend
realisiert.[1] So schwirren und flirren von Rechner zu Rechner quer
über Ländergrenzen hinweg Informationsprodukte in Form von Bits und
Bytes und tun so, als hätten sie mit der Warenform nichts am Hut.



Während Unternehmen versuchen, die traditionellen Intellectual
Property Rights (IPR) mittels technischer Sicherungsinstrumente
(Kopierschutz) auch im Cyberland durchzusetzen und damit eine Art
virtueller Enclosures[2] (Aneignung von Datenland) initiieren, während
zugleich die Staaten Nutzer und Anbieter von frei zugänglichen
digitalen Inhalten illegalisieren, um auch das Cyberland der
herrschenden Rechtsordnung zu unterwerfen, entstehen andererseits
Produkte und Produktionsformen, die sich diesen Enclosures und der
Verwertung (zu) entziehen (meinen?): Die Freie Software.



Freie Software ist Software, die sich von kommerzieller Software im
wesentlichen dadurch unterscheidet, dass ihr Quellcode[3] bei
Weitergabe des Programms mitgeliefert, einsehbar und veränderbar ist.
Die Nutzung Freier Software ist kostenlos (das heißt nicht, dass ihre
Träger, wie z.b. CD-ROM, kostenlos sind). Die Produktion Freier
Software erfolgt im wesentlichen dezentral (via Internet, örtlich
ungebunden) von unterschiedlich organisierten Entwicklerteams und
zumeist ohne finanzielle Entlohnung. Die Entwickler befinden sich mit
dieser Tätigkeit (in der Regel) in keinen eigens dafür zweckbestimmten
Lohnarbeitszusammenhängen, sondern programmieren in der Freizeit,
während der regulären Arbeitszeit oder nach Feierabend; und bei
Studenten im Rahmen oder während des Studiums. Der Zweck der
Programmierarbeit ist nicht der Tauschwert, sondern der Gebrauchswert:
Es wird gearbeitet, um ein Produkt herzustellen, nicht um zu tauschen.
Das Produkt, die Freie Software, wird ins Netz gestellt; zum einen
kann so jeder Programmierer weltweit an der Entwicklung mitarbeiten,
zum anderen können Anwender sich so ebenfalls weltweit das Produkt auf
ihre Festplatte laden - ohne dafür zu bezahlen.





Privateigentum an Freier Software gibt es nicht. Das bekannteste
rechtliche Instrumentarium, welches Freie Software vor einer
Reprivatisierung schützen soll, ist die GNU General Public License
(GPL) - auch "Copyleft" genannt[4]. Neben GPL entstanden und entstehen
allerdings zahlreiche Lizenzen, die die strikten Regelungen der GPL
aufweichen (vgl. ausführlich zu Freier Software: Grassmuck 2000[5]).
Zu den bekanntesten Freien Software-Programmen zählen u.a. das
Betriebssystem Gnu/Linux, der Internet-Server Apache, der Compiler
Gcc, die Programmiersprache Perl, das Desktop KDE, das
Bildbearbeitungsprogramm Gimp, usw.

Auf neue technische Entwicklungen folgen in der Regel theoretische
Reflexionen, die das Neue einordnen, interpretieren und begreifen
wollen. Oftmals werden auf der gefundenen Deutung aufbauend Prognosen
über die zukünftigen Konsequenzen des Neuen abgegeben. Bei der Freien
Software sind die reflektierenden Publizisten, Wissenschaftler,
Politiker, Künstler, Journalisten, Techniker usw. mit einer "Anomalie"
konfrontiert, wie sie - in ganz anderen Zusammenhängen - von dem
Wissenchaftshistoriker Thomas Kuhn ("Die Struktur wissenschaftlicher
Revolutionen", 1962) beschrieben wurde. Kuhn betonte, dass die
wissenschaftliche Entwicklung nicht einfach in einer Abfolge
bestätigter oder falsifizierter Theorien besteht, sondern dass der
Theoriebildung `Paradigmen' zugrunde liegen, Muster, nach denen
Theorien überhaupt gebildet werden und in denen sich eine bestimmte
Weltsicht niederschlägt. Paradigmen können durch Erfahrung nicht ohne
weiteres widerlegt werden, da sie die Verarbeitung von Erfahrungen
ganz wesentlich organisieren. Eine `Anomalie' ist ein Phänomen, das
sich der üblichen Verarbeitung entzieht, es passt irgendwie nicht so
richtig in das herrschende Paradigma hinein. Kuhn beschreibt
verschiedene Arten, wie die wissenschaftliche Community auf solche
Anomalien reagieren kann. Die Anomalie kann von vorneherein ignoriert
werden (mitunter auch, weil sie gar nicht als Anomalie wahrgenommen
wird). Wird sie wahrgenommen, dann wird normalerweise versucht, sie
mit Hilfe zusätzlicher Annahmen doch irgendwie in das herrschende
Paradigma zu integrieren. Wenn dies mißlingt, wird sie meistens als
"ungelöstes Problem" zur Seite gelegt, in der Hoffnung, dass künftige
Forscher das Problem lösen werden. Ein besonderer Fall liegt jedoch
vor, wenn diese Anomalie in ein neues Paradigma paßt, das mit dem
herrschenden Paradigma konkurriert. Dann wird die Anomalie von den
Anhängern des neuen Paradigmas begierig als "Bestätigung"
aufgegriffen.

Zu den paradigmatischen Grundlagen der bürgerlichen Ökonomie gehört
die Auffassung, dass nur Privateigentum für die Einzelnen eine
ausreichende Anreizfunktion habe und daher auch nur Privateigentum zu
(wirtschaftlicher) Effizienz führen könne. Dieser Gedanke hat eine
lange ideengeschichtliche Tradition. Schon Aristoteles machte ihn
gegen die Staatsutopie Platons (die für die herrschende Klasse eine
auf Gemeineigentum beruhende Gemeinschaft vorsah) geltend. Mit John
Locke (1632-1704) - der zentralen Gestalt der frühen bürgerlichen
Sozialphilosophie - erfährt dieser Gedanke dann die für die
bürgerliche Ökonomie entscheidende Zuspitzung. Er betrachtete die
`eigene Arbeit' (zu der er allerdings immer schon auch die Arbeit des
eigenen Knechtes rechnete) als Grundlage des Eigentums: was ich mit
eigener Arbeit `vermischen' kann, wird zu meinem Eigentum.
Gemeineigentum ist automatisch unproduktiv, denn wenn es wirklich
Gemeineigentum bleiben soll, darf es niemand bearbeiten.
Privateigentum, Arbeit und Produktivität wird damit sowohl funktional
(produktive Arbeit nur möglich auf der Grundlage von
Privateigentumsverhältnissen) wie auch normativ (Arbeit begründet das
Eigentumsrecht) zusammengeschlossen. Im 20. Jahrhundert wurde dieser
Gedanke von dem Ökonomen und Nobelpreisträger Douglass North mit dem
Ziel, die Neoklassik zu ergänzen, quasi "modernisiert" ausformuliert.
North, der "Pionier der Neuen Institutionenökonomik" vertrittt die
Kernthese "je gesicherter die (privaten) Eigentumsrechte, desto größer
der Anreiz, desto effizienter die Wirtschaftsleistung" und versuchte
damit den Verlauf der Wirtschaftsgeschichte von der Jungsteinzeit bis
zur Gegenwart zu erklären.

Die Freie Software steht jedoch quer zu diesen Auffassungen: nicht nur
verzichten ihre Entwickler auf ihre Eigentumsrechte (ein solcher
Verzicht ist auch in anderen Bereichen, etwa bei ehrenamtlichen
Tätigkeiten nicht unbekannt), dieser Verzicht auf die Eigentumsrechte
ist hier jedoch die Vorbedingung einer weltweiten Kooperation, durch
die das Produkt überhaupt hervorgebracht und verbessert wird. Ohne
Privateigentum existieren hier sowohl Arbeitsanreiz als auch
Effizienz. Freie Software bricht den normativen wie auch den
funktionalen Zusammenhang von Arbeit, Eigentum und Effizienz auf.
Insofern ist Freie Software eine "Anomalie" für das
Privateigentumsparadigma der bürgerlichen Ökonomie.

II. Reaktionen
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Von der herrschenden, bürgerlichen Ökonomie wird die Anomalie `Freie
Software' schlicht ignoriert. Zumindest ist uns kein Werk bekannt,
welches Effizienz und Arbeitsanreiz bei Freier Software zu erklären
versucht, wo doch die "Früchte" der Arbeit Gemeineigentum sind und
bleiben.

Kritiker des herrschenden Paradigmas haben sich dagegen ausführlich
mit Freier Software beschäftigt. Dabei lassen sich sehr grob zwei
Gruppen unterscheiden. Die einen, wir nennen sie mal
"Keimform-Theoretiker", meinen in der "Anomalie" Freie Software einen
subversiven Gehalt zu entdecken: Die Freie Software wird als "Chance"
gesehen, den Kapitalismus zu überwinden. Freie Software fungiert in
diesem Verständnis als "Keimform" einer künftigen
nicht-kapitalistischen Gesellschaft.

Auch die zweite Gruppe, wir nennen sie mal die "Reformisten",
betrachtet Freie Software als Chance, allerdings nicht zur Überwindung
des kapitalistischen Systems, sondern zu seiner systemimmanenten
Verbesserung. Mittels Freier Software sollen die Ausschlussmechanismen
des Marktes zumindest im Bereich des Wissens zurückgedrängt oder
wenigstens abgemildert werden.

Wir beschäftigen uns in unserem Beitrag mit den beiden letztgenannten
Positionen, da sie exemplarisch für einen Teil der Veranstaltungen der
ersten Oekonux-Konferenz in Dortmund stehen.

II a) Freie Software als Keimform einer zukünftigen nicht-kapitalistischen Gesellschaft
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Dass Freie Software Arbeitsanreize schafft und effizient ist, ohne
dass sie jedoch Privateigentum wäre, wird von den
`Keimform-Theoretikern' mit ihren spezifischen Produktionsbedingungen
erklärt: Die Art und Weise, wie Freie Software entwickelt wird, sei
eine im Gegensatz zur kapitalistisch organisierten Lohnarbeit nicht
entfremdete Arbeit. Die Abwesenheit von Zwang (frei von
Verwertungszwang, von Konkurrenzdruck, von Leistungs- und Termindruck,
usw.) führe zu individueller Selbstentfaltung: Spass und Lust an der
Tätigkeit und das Interesse an der Nützlichkeit des Produkts (nicht am
Tauschwert) seien der treibende Motor und die Motivation der (in der
Regel unbezahlten) Programmierung von Freier Software. "Nur in freien
Projekten, in denen sich Einzelne nicht wie in Kommerzprojekten nur
auf Kosten anderer durchsetzen können, sondern nur in Kooperation mit
ihnen, steht das eigene Interesse nicht im Widerspruch zu den
Interessen anderer. Diese Form der eigenen Entfaltung in einer
kooperativen Form meine ich mit dem Begriff der Selbstentfaltung."
(Meretz 2000:9). Die Möglichkeit der Selbstentfaltung in einem
anspruchsvollen Tätigkeitsbereich schafft einerseits den
Arbeitsanreiz, andererseits soll gerade diese vom Konkurrenzdruck
freie Selbstentfaltung neue Produktivitätspotentiale freisetzen, die
für die Effizienz freier Software verantwortlich ist und die von
kapitalistischen Unternehmen nicht im selben Maße erreicht werden
könne. Dies - zusammengenommen mit der neuen Technologie, also der
einfachen Reproduzierbarkeit und Verbreitung von Wissen - stelle den
Kapitalismus grundsätzlich in Frage: "Ist diese Technik an sich schon
revolutionär genug, ... so hat die digitale Kopie in Verbindung mit
Freier Software und deren Selbstentfaltung erst wirklich
systemsprengendes Potential" (Merten 2001)[6].

Dieses systemsprengende Potential wird vor allem in einer weiteren
Eigenschaft Freier Software gesehen: Freie Software befinde sich
außerhalb der "Verwertungs-Maschine" des Kapitalismus: Zwar sei das
Kapital auch daran interessiert, mit Freier Software Geld zu verdienen
und tut es auch, stosse dabei jedoch an Grenzen: "Sie [die GNU General
Public License, die Verf.] stellt sicher, daß Software dauerhaft frei
bleibt oder ökonomisch formuliert: Sie entzieht Software dauerhaft der
Verwertung". (Meretz 2001). In diesem Zusammenhang wird auch auf den
"Community-Geist" der Freien Software-Bewegung verwiesen, der eine
Verwertung Freier Software zusätzlich erschwere. So habe die Firma
Corel eine GNU/Linux-Distribution vermarkten wollen, ohne jedoch den
Quellcode offenzulegen und sei damit gescheitert: "Sehr schnell haben
sie (Corel, die Verf.) eingesehen, daß sie sich besser nicht mit der
Freien-Software-Bewegung anlegen, die bei Bekanntwerden dieser Fakten
empört aufgeschrien hat." (Merten 2001).



Die Rede von der `Keimform' impliziert, dass sich aus der Freien
Software etwas entwickelt: "Die Freie Software da herausgeholt zu
haben [aus dem Verwertungszusammenhang, die Verf.], war eine
historische Tat. Jetzt geht es darum, sie draußen zu behalten, und
nach und nach weitere Bereiche der kybernetischen Maschine
abzutrotzen" (Meretz 2001).[7] Anscheinend soll Freie Software so eine
Art nicht-kapitalistischer Brückenkopf innerhalb des kapitalistischen
Terrains sein, von dem ausgehend dann immer neue Gebiete erobert, d.h.
der Verwertung entzogen werden, bis für das Kapital schließlich nichts
mehr übrig bleibt. Das Ergebnis dieses Prozesses wäre eine neue
Gesellschaft, die "GPL-Gesellschaft" (Merten in Anlehnung an die
General Public License): "Die Freie Software mit ihren Prinzipien
jenseits der Verwertung, die das Wort von der Informationsgesellschaft
auf den Begriff bringt, scheint die lange gesuchte Keimform zu sein,
die eine Vergesellschaftung auf dem Stand der
Produktivkraftentwicklung aber jenseits der Tausch- und
Arbeitsgesellschaft erstmals aufscheinen läßt" (Merten 2001).

Zwar sei heute nicht klar, wie so eine "GPL-Gesellschaft" genau
aussehen würde, es könne allerdings auf Basis der gemachten
Erfahrungen mit Freier Software erörtert werden, auf welchen
Grundlagen eine solche Gesellschaft beruhen müsste. Diese seien
charakterisiert von frei zur Verfügung stehenden Gütern und Wissen. Es
wird genommen, was gebraucht wird und nicht gegen Geld getauscht. Die
Produktionsmittel müssten "Selbstentfaltung auf breiter Basis"
ermöglichen, es müsse Spass machen, an diesen Produktionsmitteln tätig
zu sein. Es gäbe keine Arbeit mehr im herkömmlichen Sinne, es würde
nicht mehr für einen Markt produziert werden, sondern aus "konkreten,
menschenbezogenen Gründen" (vgl. Merten 2000). Kurz: Es gäbe kein
Geld, keine Ware, keine (Lohn)Arbeit, kein Tausch und die wichtigste
Produktivkraft der Menschheit wäre die menschliche Selbstentfaltung.
In diesem Zusammenhang wird auf bereits bestehende freie Projekte im
Internet verwiesen, wie beispielsweise "freie Musik", "freie
Literatur", aber auch auf "freie materielle Güter" wird verwiesen, wie
die Planung eines Autos (OSCar) oder die Entwicklung elektronischer
Schaltungen (hier wird allerdings angemerkt, dass die Realisierung
dieser Pläne eine kommerzielle Firma übernehmen kann, ihr Vorteil
liege darin, dass sie die Kosten für Entwicklung nicht selbst tragen
müsse). Außerdem seien Entwicklungen zu beobachten, in denen Firmen
ihre normalerweise streng gehüteten Designs "beFreien", um von den
Vorteilen "Freier Entwicklungsprozesse" zu profitieren.



Wie sich aus der Freien Software als Keimform die "GPL-Gesellschaft"
entwickelt, bleibt uneindeutig. "Keine neue Gesellschaft löst die alte
ohne Widerstand ab. Zunächst entwickeln sich Keime des Neuem in den
Nischen des Alten. Schließlich wird das Neue so mächtig, dass die
Verwalter des Alten Konzessionen machen müssen und das Neue
gleichzeitig bekämpfen und verhindern wollen. Das Neue wird sich dann
durchsetzen, wenn es effektiv besser ist als das Alte. Dabei ist es
klüger, nicht auf dem ureigenen Terrain des Alten zu kämpfen, sondern
die Spielregeln zu ändern und sich auf neuem Terrain zu behaupten."
(Meretz 2000)[8]. Einerseits klingt hier ein gewisser technischer
Determinismus an, andererseits ist aber auch von Kämpfen die Rede.
Faszinierend für die `Keimform-Theoretiker' scheint der Gedanke zu
sein, dass man eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung
erreichen kann, nicht in dem man den Kampf mit dem Alten direkt
aufnimmt, sondern indem man das Neue bereits praktiziert. Dabei hat
man dann vielleicht mit einigen Widerständen zu tun, das Terrain des
Neuen, so die Überzeugung wird sich aber allein schon deshalb
ausdehnen, weil es `effektiv besser' als das Alte ist - ein Gedanke,
bei dem unterstellt ist, das altes und neues immerhin noch so nah
sind, dass sie die Maßstäbe (wie zum Beispiel für Effektivität)
teilen.

II b) Freie Software als Chance: versus soziale Ungleichheit im Informationskapitalismus
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Ist die oben skizzierte "Keimform-Theorie" Freier Software darauf
ausgerichtet, den Kapitalismus zu überwinden, verfolgen andere Denker
eher "reformistische" Ansätze. Der Grundkonsens dieser Richtung liegt
darin, dass eine zunehmende Verwissenschaftlichung der Arbeit
konstatiert wird. Information und Wissen werden demnach in der Zukunft
eine zentrale Rolle spielen, von einem "Informationskapitalismus" ist
die Rede. Diese Entwicklung wird aus verschiedenen Perspektiven
beobachtet. Krämer (2000)[9] konstatiert, dass die Spezifik der
digitalen Information - ohne nennenswerte Kosten reproduzierbar und
verteilbar zu sein - zu der ökonomischen Form der "Informationsrenten"
führe. So würden die eigentlich frei verfügbaren und jedermann
zugänglichen Informationsprodukte als kapitalistisches Eigentum
produziert: "Das Eigentumsrecht bezieht sich auf das ideelle Produkt,
die Urheberschaft der Idee bzw. des ursprünglichen Produkts, das den
folgenden Kopien oder Anwendungen zugrunde liegt. Als solches ist es
ein Monopol, und damit eine potenzielle Basis für Renteneinkommen"
(Krämer 2000). Der Begriff der Informationsrenten ist an die Marx'sche
Untersuchung der Grundrente angelehnt. So sei "Wissen" eine Art
Rohstoff, bzw. Produktionsmittel, auf das die Kapitalisten einerseits
angewiesen sind, womit sie andererseits aber überdurchschnittliche
Profite erzielen können. Die monopolistische Position der
Privateigentümer von spezifischen Informationen ermögliche
Renteneinkommen, die nicht dem Ausgleich der Profitraten unterliegen,
sondern dauerhaft und in großer Höhe bestünden. Das Hauptinteresse des
Informationskapitalimus läge nun darin, die technisch mögliche billige
Verbreitung und Nutzung von Informationsprodukten zu verhindern
(ebd.). Bisher, so Krämer, erfülle der Informationskapitalismus seine
"historische Mission", "zum Zwecke der Aneignung von
Informationsrenten in gewaltigem Tempo die informationstechnische
Erschließung und Durchdringung der Welt voranzutreiben" (ebd.). Die
Kehrseite dieser Entwicklung sei die fortschreitende Privatisierung
und Kapitalisierung der Medienwirtschaft und -infrastruktur bis hin
zum Bildungswesen sowie der Polarisierung der Einkommen und Vermögen.
Hier gegenzusteuern sei keine technische, sondern eine
gesellschaftliche Angelegenheit, wobei Krämer auf
Regulierungsmöglichkeiten mittels des Tarifrechts, des Arbeitsrechts,
des Urheberrechts, der Sozialpolitik und des Steuersystems verweist.
`Sozialistische Potentiale' würden überall dort durchscheinen, wo sich
Wissenschaft, Kultur und Politik ihrer Unterwerfung unter die Logik
des Kapitals widersetzten. Es ginge nun darum, gegen die Kürzungs- und
Privatisierungsbestrebungen des Kapitals zu kämpfen. Dabei kommt die
Freie Software als Hoffnungsträger ins Spiel. Mit ihr sei die
Möglichkeit gegeben, dass sich das "sozialistische Prinzip"
durchsetze, sie schlage die Monopolisten auf dem eigenen Feld (bessere
Software) aber ohne, dass es dabei um Kapitalverwertung gehe.



Auch Gräbe (2000)[10] konstatiert als Problem, dass Information,
Wissen und Kompetenz zunehmend marktgängig gemacht werden sollen, um
sie in kapitalistische Verwertungszusammenhänge einzubinden. Dabei
werde wenig Rücksicht genommen auf Traditionen im Umgang mit Wissen,
das jahrtausendelang als freizügig zugängliches gesellschaftliches
Gemeingut galt. In einem Akt ursprünglicher Akkumulation solle diese
"Wissensallmende" (Grassmuck) parzelliert und damit Gemeineigentum an
Wissen durch Privateigentum abgelöst werden, um in Zukunft nicht nur
fremde Arbeit, sondern auch fremde Gedanken ausbeuten und die
entsprechenden "Informationsrenten" einstreichen zu können.

Gräbe unterscheidet in seiner Analyse die Infrastrukturarbeit von der
produktiven Arbeit, wobei erst genanntes die Arbeit sei, "deren
Früchte auch das Kapital verwertenmöchte, welche es allein aus einem
marktwirtschaftlichen Kalkül heraus aber nicht zu organisieren
bereitist, weil es sich um Dienste für die Allgemeinheit handelt, die
nicht unmittelbarkonkreten einzelnen Marktteilnehmern verkauft werden
können" (Gräbe a.a.O., Hervorhebung im Orig.). Im weitesten Sinne
beinhaltet die Infrastrukturarbeit also Wissensarbeit (Bildung,
Forschung, Entwicklung). Auch die Infrastrukturarbeit würde jedoch
Ressourcen verbrauchen, die auf "geeignete Weise" zu allozieren seien.
Die gegenwärtige Gesellschaft, so die Kritik Gräbes, sei aber nicht in
der Lage, diese Mittel in ausreichendem Maße sicherzustellen.

Im Gegensatz zur Infrastrukturarbeit sei produktive Arbeit
profitbringende Arbeit, an der allein das Kapital unmittelbares
Interesse habe. Das Kapital setze die für produktive Arbeit notwendige
Infrastrukturarbeit schlicht voraus. Das Ringen um angemessene
Ressourcen für diese Bereiche sei also stets mit dem Kampf um die
Zurückdrängung von Profit- und Eigennutz-Kalkülen als primäre
ökonomische Leitmotive zu verbinden und daher bräuchte es ein neues
Effizienzprinzip, welches die Ökonomie der Zeit ergänzen und
überlagern müsse. Langfristig, so Gräbe weiter, wenn sich das Zentrum
menschlicher Arbeit in den Infrastruktursektor, in die Vorbereitung
von Produktion, verschoben haben wird, quasi mit dem Übergang zur
Wissensgesellschaft, werde dieses neue Effizienzprinzip schließlich
das gesellschaftlich dominierende werden, ohne das alte Prinzip der
Marktwirtschaft gänzlich zu verdrängen. Eine solche
Wissensgesellschaft unterliege aber spezifischen Mechanismen, so
funktioniere sie nur in einem Miteinander ihrer einzelnen Teile, nicht
in ihrem Gegeneinander, sie könne sich also nur in solidarischer
Interaktion entfalten. Dies sei auch heute im Wissenschaftsbetrieb zu
beobachten.

An dieser Stelle nun kommt Gräbe auf eine ähnliche
Keimform-Konstruktion zu sprechen, wie wir sie bereits oben bei den
Anhängern der "Keimform-Theorie" erläutert haben. Gräbe zufolge
entspringe den "modernen technisch-technologischen Bedingungen" ein
"Solidargedanke", der als Keim bereits in der heutigen Gesellschaft
vorhanden sei. Er "trägt damit eine immense gesellschaftsverändernde
Sprengkraft in sich" (ebd.). Der Gedanke (der Solidarität) sei als
solcher zwar alt, werde aber nun "von der Vision zur unabdingbaren
Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Menschheit". Die
Entwicklung hin zu der von Gräbe erläuterten Wissensgesellschaft
schließe dabei - und hier unterscheidet er sich von den radikaleren
Anhängern der "Keimform-Theorie" - den Wettbewerb, auch auf
marktwirtschaftlicher Grundlage (!), ein. Die Förderung der
Infrastrukturarbeit seitens des Staates könne den Wettbewerb dort
"zähmen", wo er beginnt, sich gegen diese solidarische Grundlage
selbst zu richten: "Instrumente und Ansätze für eine solche Zähmung
gibt es bereits heute, gerade auch im Bereich Wissenschaft und
Bildung, mehr als genug. Diese Ansätze selektiv verstärken zu helfen
sollte deshalb als roter Faden alternative Politikangebote
durchziehen" (ebd.).

III. Entgegnungen
=================

Bei aller Unterschiedlichkeit der genannten Konzepte gibt es einen
gemeinsamen Nenner: Der positive Bezug auf Freie Software. Sei es
Freie Software als Keim einer künftigen nicht-kapitalistischen
Gesellschaft, oder als Keim einer künftigen Wissensgesellschaft mit
kleinem Marktanteil oder freie Software als "sozialistisches Prinzip"
- in allen Überlegungen taucht sie als Hoffnungsträger für eine
irgendwie "bessere" Welt auf. Wie kommt es, dass der Freien Software
eine solch wichtige Vorreiterrolle zuerkannt wird? Erst mal ist Freie
Software nichts als ein Produkt mit spezifischen Anwendungsprofilen
zur Ausführung und Regulation von Arbeitsprozessen (oder Spielen).
Freie Software ist also als fertiges Produkt, in seinen technischen
Eigenschaften von proprietärer Software in nichts zu unterscheiden.
Daß es mir als Benutzer möglich ist, die Software zu verändern (weil
der Quellcode aufgrund der GPL offen und nicht wie bei proprietärer
Software geschützt ist), hat nur für die kleine Minderheit von Nutzern
Bedeutung, die sowohl über die technischen Fähigkeiten als auch über
die Zeit für solche Eingriffe verfügen. Die Masse der Nutzer geht mit
Freier Software auch nicht anders um als mit proprietärer.

III a) Entzieht sich Freie Software der Verwertung?
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Dass sich "Freie Software" der Verwertung entziehen würde, ist ein oft
gehörtes Argument bei jenen, die der Freien Software systemsprengendes
Potential beimessen: Die Tatsache, dass die GPL den privaten
Eigentumsanspruch verhindert, so das Argument, führe zu einem
"Überfluß" an Freier Software, sie ist jedermann frei zugänglich und
verunmögliche daher die künstliche Verknappung als Voraussetzung für
kapitalistische Verwertung - etwas, was alle haben können, ist
natürlich schwer verkäuflich. In dieser Wahrnehmung wird
offensichtlich "Verkauf" mit "Verwertung" gleichgesetzt. Nun ist aber
mit den Schwierigkeiten beim Verkauf nur eine Seite des
Verwertungszusammenhangs `verwundet' und zwar jene, die in der
Zirkulation stattfindet. In der Produktionssphäre kann Freie Software
aber ohne weiteres eingesetzt und zum Bes,tandteil des
kapitalistischen Verwertungsprozesses werden. Dies ist in zweifacher
Hinsicht möglich. Zum einen kann Freie Software als kostenloses
Produktionsmittel genutzt werden, was im Vergleich zur Verwendung
proprietärer Software, die bezahlt werden muß, die Profitrate erhöht.
Zum anderen kann Freie Software aus dem Netz gezogen und unter Zusatz
von zusätzlicher Arbeit, wie Support oder der Erstellung von
Handbüchern, verkauft werden. Verwertet hat sich dann das
vorgeschossene Kapital für die Arbeitskraft und die Produktionsmittel
für Handbücher oder/und CD-ROMs. Die Freie Software hat sich zwar
nicht verwertet, weil kein Kapital dafür aufgewendet wurde, sie
bildete in diesem Fall aber die Grundlage dafür, dass ein
Verwertungsprozeß überhaupt in Gang kam. Freie Software wird bereits
auf beide Weisen seit längerem verwendet, Tendenz steigend.[11] Werner
Winzerling machte in seinem Vortrag bei der Oekonux-Konferenz noch
einen weiteren Grund für das Interesse gerade von Computerherstellern
an Linux deutlich: da Microsoft ein Quasi-Monopol für
PC-Betriebssysteme besitzt, sei Linux ein willkommenes Gegengewicht.
In diesem Fall wäre das Interesse an Linux weder in seinen besseren
Produkteigenschaften noch in seinem `freien' Charakter begründet,
sondern schlicht und einfach darin, dass es überhaupt eine Alternative
zu Windows darstellt.

Freie Software kann als kostenloser Rohstoff angeeignet werden, wie
Luft oder Sonne - mit dem einzigen Unterschied, dass menschliche
Arbeitskraft darin steckt. Somit kann man folgern: Die völlig
kostenlose Aneignung fremder Arbeit (nicht einmal Lohn ist zu zahlen)
dient als Mittel für einen ganz normal kapitalistischen
Verwertungsvorgang. Hier dreht sich der positive Bezug auf Freie
Software gewissermaßen um: Die unbezahlte Aneignung von fremder Arbeit
wird hier von der GPL legitimiert ("allen frei zugänglich"). Der
"Überfluss" an Freier Software stellt für die Kapitalverwertung
überhaupt kein Problem da, weder in der Zirkulationssphäre, noch in
der Produktionssphäre. Dass sich Freie Software der Kapitalverwertung
prinzipiell entziehen würde, ist eine Illusion.

III b) Keimform
---------------

Über Freie Software als `Keimform' einer neuen Entwicklung wurde im
Rahmen von Oekonux schon viel debattiert (siehe
http://www.oekonux-konferenz.de/, Subjekt Keimform). Wenn wir diese
Debatten richtig verstanden haben, ist dabei mit `Keimform' ein neues
Prinzip gemeint, das zum einen mit dem bestehenden System prinzipiell
unverträglich ist und das zum anderen zum Ausgangspunkt einer
Unterminierung und schließlich einer Überwindung des alten Systems
werden kann. Dass Freie Software zwar einerseits eine `Anomalie' für
das Privateigentumsparadigma darstellt, dass sie aber mit dem alten
System - der Kapitalverwertung - keineswegs unverträglich ist, haben
wir oben zu zeigen versucht. Wie steht es aber nun mit der Ausbreitung
der `Anomalie'? Als Ansatz dafür, wie man der "kybernetischen
Maschine" weitere Bereiche "abtrotzen" könne, wird auf freie Projekte
im Internet verwiesen, wie z.B. freie Literatur, freie Musik, eine
freie Enzyklopädie, usw. Interessant wird es dann aber beim Hinweis
auf "Freie materielle Güter", dort gäbe es auch schon Projekte, die
versuchen, die Prinzipien Freier Software auf die Produktion
materieller Güter umzusetzen: "Zunächst scheint dies eine
unüberwindliche Hürde, da materielle Güter nicht den Bedingungen der
digitalen Kopie unterliegen." (Merten a.a.O.) Dennoch seien einige
interessante Entwicklungen zu beobachten. Als Beispiel wird OSCar, die
Entwicklung eines Autos, oder die Entwicklung von Entwurfsplänen für
elektronische Schaltungen genannt. In diesem Zusammenhang wird dann
aber wieder darauf verwiesen, dass zur Realisierung dieser Ideen
kommerzielle Firmen den Vorteil hätten, Entwicklungskosten zu sparen:
"So gibt es inzwischen mehrere Projekte, die sich mit dem Design
materieller Güter befassen. Sie entwerfen dabei ein Gut, das dann von
kommerziellen Firmen hergestellt werden kann. Der Vorteil für eine
Herstellerfirma liegt darin, daß sie die Kosten für eine
Produktentwicklung nicht selbst aufbringen muß." (Merten a.a.O.). Von
dem befremdlich wirkenden Umstand abgesehen, dass hier die
Kostenersparnis eines kapitalistischen Unternehmens als "Vorteil" der
Freien Software gepriesen wird, erscheint uns die von Merten als nur
"zunächst" unüberwindlich bezeichnete Hürde vielmehr konstant
unüberwindlich zu sein.

Dass Freie Software auf (relativ) breiter Basis produziert werden
kann, hat zur Voraussetzung, dass ihre Produktionsmittel - PC und
Netzzugang - in den entwickelten kapitalistischen Ländern billig zu
haben sind (in den meisten Entwicklungsländern sieht dies erheblich
anders aus). Dass die Produktionsmittel für Freie Software so billig
sind, liegt letzten Endes daran, dass es sich hier um
`Informationsprodukte' handelt: das eigentliche Produkt ist die
Information (das Programm, oder auch der Plan eines Autos), materiell
ist lediglich der Träger der Information. Die Bearbeitung, Speicherung
und das Kopieren von Information sind aber relativ einfach, mit wenig
Material- und Arbeitsaufwand durchführbar und dadurch billig geworden.
Ganz anders sieht es aber bei materiellen Produkten aus. Ein Auto zu
bauen erfordert erheblich "mehr" Aufwand an Produktionsmitteln (und
damit auch an Kosten), als ein Software-Tool zu programmieren: ein PC
steht auf vielen Schreibtischen, eine Montagehalle mitsamt den
entsprechenden Maschinen kann sich nur eine Autofirma leisten.
Insofern findet die `Keimform' an der Welt der kostenaufwendigen und
arbeitsintensiven materiellen Produkte ihre Schranke. Von einer
Unterminierung kapitalistischer Verhältnisse ist nichts zu sehen.

III c) Selbstentfaltung
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Als Besonderheit der Produktion Freier Software wird schließlich noch
geltend gemacht, dass hier Menschen kooperieren, deren Tätigkeit durch
`Selbstentfaltung' charakterisiert sei: es ist nicht die Orientierung
am Tauschwert der Produkte oder am Lohn, sondern das inhaltliche
Interesse am produzierten Gebrauchswert und der Spaß an der
Kooperation mit anderen, welche die einzelnen motivieren, ihre Zeit in
die Produktion Freier Software zu stecken.

In der Tat ist es beeindruckend, wie es dabei gelingt, dass Menschen
weltweit zusammenarbeiten und komplexe Produkte hervorbringen, nicht
nur ohne die Motivation des Tauschwerts, sondern auch unter
weitgehendem Verzicht auf eine hierarchische Leitungsstruktur. Einer
grundsätzlichen Alternative zum Kapitalismus, einer Gesellschaft also,
die ohne Geld, Tausch und staatlichen Zwangscharakter der Reproduktion
auskommt, einer Gesellschaft, die man als `kommunistisch' bezeichnen
kann (und die mit den in Osteuropa untergegangenen `kommunistischen
Staaten' offensichtlich nichts gemein hat), wird gerne vorgeworfen,
sie könne es nicht geben, denn `der Mensch' sei eben gar nicht so:
ohne äußeren Druck einerseits und materiellen Anreiz andererseits
laufe gar nichts und das Ganze müsse außerdem noch durch fähige
Leitungspersonen an der Spitze gesteuert werden. Dazu stellt die
Produktion freier Software tatsächlich ein Gegenbeispiel dar. Sie
macht deutlich, dass selbst unter den Bedingungen des Kapitalismus
eine andere Form der Produktion möglich ist - und zwar nicht nur in
dem beschränkten Rahmen eines kleinen Projektes, das überschaubar ist
und bei dem sich alle kennen, sondern innerhalb eines weltweiten
Verbundes. Insofern ist die Produktion Freier Software ein wichtiges
Beispiel für die Möglichkeit anderer Kooperationsformen - aber auch
nicht mehr. Weder kann sich dieses Beispiel dem kapitalistischen
Zugriff entziehen, noch stellt es eine `Keimform' dar.

Auch dieses Beispiel ist in den kapitalistischen Kontext integriert.
Dies gilt nicht nur für ihre Produkte, die keineswegs jenseits des
kapitalistischen Verwertungszusammenhangs stehen, dies gilt auch für
die auf `Selbstentfaltung' beruhenden Produktionsbedingungen. Dass
Menschen im Kapitalismus in dieser Weise kooperieren können, hat zur
Voraussetzung, dass einerseits ihr Lebensunterhalt gesichert ist
(entweder indem sie Lohnarbeit leisten oder z.B. als Studenten
staatlich alimentiert werden) und dass ihnen die Sicherung ihres
Lebensunterhaltes andererseits genügend Zeit läßt, sich mit Freier
Software zu beschäftigen. Betrachtet man die kapitalistischen
Verhältnisse weltweit, dann gehören diejenigen, die Freie Software
entwickeln, zu einer kleinen, privilegierten Gruppe, innerhalb der
entwickelten kapitalistischen Länder. Diese Privilegierung läßt sich
unter kapitalistischen Bedingungen wohl kaum verallgemeinern. Aber
auch für diejenigen, die diese Privilegierung heute genießen können,
besteht immer die Gefahr, dass sich ihre Situation aufgrund von
Krisenprozessen ändert: dass sie arbeitslos werden oder die
Arbeitsintensität steigt, dass Ausbildungsförderung gestrichen oder
der Druck in den Ausbildungsinstitutionen erhöht wird. Insofern liegen
auch die ProduzentInnen Freier Software lediglich an der (im Moment
recht langen) Leine des Kapitals.



Aber selbst die angesprochene `Selbstentfaltung' entzieht sich nicht
gänzlich der Verwertung. "Selbstentfaltung" ist eine Produktivkraft,
die auch das Kapital seit einiger Zeit für sich entdeckt. So hat
Norbert Bensel, verantwortlich für Human Resources der DaimlerChrysler
Services AG, jüngst bei einem Vortrag auf der Konferenz "Gut zu
Wissen" der Heinrich-Böll-Siftung neue Arbeitskonzepte vorgestellt,
die in ihrem nicht nur sprachlichen Habitus sehr den
Selbstentfaltungsaspekten, die der Freien Software zugeschrieben
werden, ähneln. Er verwies auf das Modell OpenSource als Vorbild und
beschrieb das neue Arbeitsmodell mit folgenden Stichworten: "Spass
haben" (statt Geld verdienen, als Motivation...), "Freiwillige
motivieren", "Anerkennung für cool code", "Kunden zu Mitarbeitern
machen", "Bedürfnis der Mitarbeiter nach Entfaltung" usw. Im Abstract
zu seinem Vortrag heißt es unter anderem: "....Gängige Strukturmodelle
mit einer festen Befehlshierarchien von oben nach unten spiegeln die
betriebliche Realität nicht mehr wieder....." (Bensel 2001).[12]

Auch den Anhängern der "Keimform-Theorie" ist dieser Sachverhalt
bekannt. So schreibt Stefan Meretz: "...die Sachwalter des Kapitals
als Exekutoren der Wertverwertungsmaschine haben erkannt, dass der
Mensch selbst die letzte Ressource ist, die noch qualitativ
unentfaltete Potenzen der Produktivkraftentwicklung birgt. In seiner
maßlosen Tendenz, alles dem Verwertungsmechanismus einzuverleiben,
versucht das Kapital auch diese letzte Ressource auszuschöpfen"
(Meretz 2000). Allerdings stoße das Kapital dabei an Grenzen: eine
wirklich freie Selbstentfaltung sei nicht möglich, da in einem
kapitalistischen Unternehmen letzten Endes doch die Verwertungsaspekte
und die Konkurrenz der Mitarbeiter untereinander dominieren würden.
Daher sei es dem Kapital gar nicht möglich, die in der
Selbstentfaltung steckende Produktivkraft wirklich auszuschöpfen.

Wie die Idee der Freien Software, bzw. die damit zusammenhängende
"Selbstentfaltung" von der real existierenden Welt vereinnahmt wird,
ist aber unserer Ansicht nach nicht wegzuwischen mit dem Argument,
dass Diskussionen über die Kompatibilität von Freier Software und
Kapitalismus an der Sache vorbeigingen und dass man vorwiegend darüber
reden müsse, wie überhaupt "die Arbeit beschaffen sein muß, damit sich
in ihr der Mensch als Subjekt voll entfalten kann" (a.a.O.). Dies ist
eine Form von Utopismus: Es wird unter Absehung der realen
Entwicklungen ein Gegenbild entworfen, ein nettes Märchen erzählt,
darüber wie es aussehen würde, wenn das Rotkäppchen nicht zum Wolfe
rennen würde. Derweil aber ist der Wolf gerade dabei, das Rotkäppchen
zu fressen.

Unsere Antithese ist: Es gibt keinen unüberwindlichen Gegensatz
zwischen Kapitalismus und Freier Software. Im Gegenteil: Die
Digitalisierung wie auch die Entstehungsbedingungen Freier Software
scheinen eher einer Modernisierung Vorschub zu leisten, bzw. sind
selbst Antrieb der Modernisierung der gegenwärtigen Produktionsweise,
die sich in flexibleren, dezentralisierten, globalisierten und
atomisierten Arbeits- und Produktionsbedingungen niederschlägt, die
der einzelnen Arbeitskraft mehr Verantwortung für das Produkt
überträgt: "Ein global erfolgreiches Unternehmen, das sich
ausschließlich auf den Grundlagen einheimischer Werte aufbaut,
verschließt sich einem Reichtum an Talenten, Ideen und
unterschiedlichen Sichtweisen. 'Managing Diversity' wird damit zur
zweiten großen Herausforderung an die Führung eines Unternehmens".
(Bensel, DaimlerChrysler, a.a.O.)

Tatsächlich zu beobachten ist ein Wandel der Eigentumsverhältnisse.
Mittels der Digitalisierung und der Computerisierung der Individuen
befinden sich einige der entscheidenden Produktionsmittel nicht mehr
ausschließlich im Privateigentum der Unternehmen, sondern auch im
Privateigentum der Arbeiter. Dies führt aber nicht zur Aufhebung des
Kapitalismus, sondern zu einer tendenziell anderen Qualität des
Kapitalismus: Es ist nicht mehr allein das Produkt, das gekauft oder
verkauft wird und dessen inkarniertes Wissen geheim gehalten werden
muss, sondern es ist der ganze Mensch, den das Unternehmen benötigt.
Das Wissen, in digitalisierter Form, kann zunehmend schwerer
eingegrenzt, bzw. künstlich verknappt werden, als Rohstoff kann es
frei zugänglich bleiben: "Die Bedeutung des Mitarbeiters, der 'Human
Ressources', hat sich für Unternehmen entscheidend gewandelt:
Information und Wissen sind der Motor der modernen
Dienstleistungsgesellschaft. Dabei ist jedoch der effiziente Zugriff
auf Information letztlich nicht der entscheidendeWettbewerbsfaktor. Es
sind die Menschen, die Mitarbeiter, die mit ihrem Wissen aus der
Information neues Wissen erzeugen." (ebd., Herv. d. Verf.). Die
Unternehmen reagieren auf diese Entwicklung entsprechend: "Generell
ist ein Trend weg vom geregelten Arbeitstag mit Anwesenheitspflicht
hin zur Vertrauensarbeitzeit zu verzeichnen. Entsprechend halten
Arbeitszeitkonten, Langzeit- und Lebensarbeitszeitmodelle Einzug in
Unternehmen. Die Leistung des Einzelnen wird zunehmend nicht mehr an
der Anwesenheitszeit im Unternehmen, sondern an den erreichten Zielen
und der Qualität der Ergebnisse gemessen. Das Angebot von
Telearbeitsplätzen oder die Vereinbarung von Teilzeitverträgen sind
heute in vielen Unternehmen schon Realität." (ebd.)

Die Unternehmen sind also schon längst dabei, die Potentiale der
`Selbstentfaltung' auszunutzen. Wenn es dabei Grenzen gibt, könnte
dies Freie Software zusätzlich attraktiv machen: vielleicht dauert es
nicht mehr lange bis Unternehmen die Produktion Freier Software durch
Stipendien oder ähnliches fördern: ganz selbstbestimmt könnte dann
Freie Software produziert werden, was lediglich den bisherigen
Software-Monopolisten wie etwa Microsoft weh tun würde, der
Unternehmenssektor als Ganzer könnte aber gerade von der GPL
profitieren. Die Mehrzahl derjenigen, die Freie Software entwickeln,
dürfte damit kein Problem haben: es ist ja nicht nur so, dass ihre
Arbeitsmotivation aus dem Interesse am Produkt stammt, bei vielen
Mitgliedern der Freien-Software-Gemeinde beschränkt sich das
politische Interesse auch auf die möglichst ungestörte Produktion, mit
der Kompatibilität von Freier Software und Kapitalismus haben sie kein
Problem.

Vor diesem Hintergrund hat dann auch die GPL nichts Revolutionäres
mehr und der Satz von Stefan Meretz: "Linux als Entwicklungsmodell
nimmt einiges der neuen Gesellschaft vorweg" könnte, überspitzt
formuliert, dann auch anders gelesen werden: Die "neue Gesellschaft"
ist der modernisierte Kapitalismus.

Diskussion auf der Oekonux-Liste
[http://www.oekonux.de/liste/archive/threads.html#02874]

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[1] Der Fall Bertelsmann/Napster zeigt, wie schwer es ist, die
richtige Technik zu entwickeln. Angesichts der vielgerühmten
"Hacker-Phantasie" werden die digitalen Zäunchen möglicherweise auch
nie richtig wasserdicht werden.

[2] In den `Enclosures' (Einhegungen) des früheren Gemeindelandes, die
einerseits Produktionsmittel zu Privateigentum machten und
andererseits die früheren Nutzer dieser Produktionsmittel zu `freien'
Arbeitern, denen nichts anderes übrig blieb als ihre Arbeiskraft zu
verkaufen, sah Marx den zentralen Prozeß der `ursprünglichen
Akkumlation' in England, der Geburtsstätte des modernen Kapitalismus.

[3] Der Quellcode ist in einer menschenlesbaren Sprache geschrieben.
Dieser Code muss erst von einem "Compiler" übersetzt werden, damit der
Computer ihn versteht. Der Quellcode ist nach der Übersetzung für den
Ablauf des Programms nicht mehr notwendig, man kann ihn weglassen.
Eine Rückübersetzung von einem maschinenlesbaren in einen
menschenlesbaren Code ist dann aber wieder nahezu unmöglich, man
braucht den Quellcode, wenn man etwas am Programm ändern will.

[4] Die Lizenz gewährt das Recht zur freien Benutzung des Programms,
das Recht, Kopien des Programms zu erstellen und zu verbreiten, das
Recht, das Programm zu modifizieren und das Recht, modifizierte
Versionen zu verteilen. Die GNU GPL schreibt vor, dass der Quelltext
frei, jederzeit verfügbar sein und bleiben muß, dass die Lizenz eines
GPL-Programms nicht geändert werden darf und dass ein GPL-Programm
nicht Teil nicht-freier Software werden darf. Sie verbietet es,
GPL-Programme in proprietäre Software zu überführen.

[5] Grassmuck, Volker: Freie Software, Geschichten, Dynamiken und
gesellschaftliche Bezüge. September, 2000. Quelle:
http://mikro.org/Events/OS/text/freie-sw.pdf

[6] Merten, Stefan (2001): Freie Software für eine Freie Gesellschaft.
Bringen Gnu/Linux und Co uns einer neuen Gesellschaft näher? Quelle:
http://www.oekonux.de/texte/neuegesellschaft/index.html

[7] Meretz, Stefan (2001): "GNU/Linux ist nichts wert - und das ist
gut so!" Quelle: http://www.oekonux.de/texte/wertlos/index.html

[8] Meretz, Stefan (2000): "LINUX & CO. Freie Software - Ideen für
eine andere Gesellschaft." Quelle:
http://www.kritische-informatik.de/index.htm?fsrevo.htm

[9] Krämer, Ralf: "Kapital und Informationsrenten, Cyberlords und
modernen Sozialismus", SPW 115, 05/2000, Quelle:
http://www.linksnet.de/artikel.cfm?id=115&t=11, download 07.11.00

[10] Gräbe, Gert: Zur Zukunft der Arbeit, in: "Information in Natur
und Gesellschaft", Texte zur Philosophie,Heft 8,
Rosa-Luxemburg-Siftung Sachsen, 2000, S. 75 - 84. Quelle:
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/infopapers/arbeit1.html

[11] Anwender von freier Software sind z.B. Lehmanns Buchhandlung, die
tageszeitung, Babcock-BSH, Individual Network. Mit Freier Software
verbundene Dienstleistungen verkaufen Firmen wie SuSE, Lunetix,
innominate, New Technologies Management GmbH (vgl. Grassmuck a.a.O.,
S. 131 ff.).

[12] Bensel, Norbert: "Arbeitszeit, Weiterbildung, Lebenszeit - neue
Konzepte." Kongress "Gut zu Wissen", Links zur Wissensgesellschaft,
4.-6. Mai 2001, Berlin, aus: Plenarbeiträge, S. 10 ff.


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