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Re: [ox] Konferenz-Beitrag: Warum Freie Software dem Kapitalismus nicht viel anhaben kann - aber vielleicht trotzdem etwas mit



Hallo Sabine, Stefan und alle anderen!

Zunächst mal, schön dass diese Diskussion wieder in Gang kommt. Ich hatte
nach dem Kongress ein wenig das Gefühl, dass das einschläft. Was ich schade
fände, da ich denke, dass da immer noch für "beide Seiten" ein
Erkenntnisgewinn drin ist. Zumindest wirkt es für mich, der den ganzen
Disput ja quasi mehr oder weniger von "aussen" mitkriegt, so. Kann mich
natürlich auch täuschen.

Ich beschränke mich mal auf ein paar Anmerkungen zum Thema ob Keimform als
Denkfigur an sich sinnvoll ist unabhängig davon, ob jetzt FS eine ist, oder
nicht. Ich glaube nämlich auch, dass das tatsächlich das Wichtigste an
dieser Diskussion ist.

On Sun, Aug 26, 2001 at 10:44:55PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Ich versuch's mal mit Bildern.

Stell dir die Keimform als Küken vor, [...]

Auf ähnliche Weise steckt die Freie Software als Keimform noch voll im
Alten, ja sie könnte ohne dessen Rahmenbedingungen nicht mal
existieren. Gleichzeitig glauben ich und einige andere hier, daß sie
mindestens schon begonnen hat, die Schale anzupicken.

Das ist ja ein mieser rhetorischer Trick hier mit kleinen harmlosen Tierchen
zu kommen ;-)

Aber mal davon abgesehen versuch ich mal meine Probleme mit dem
Keimformbegriff zu beschreiben. Manches von dem was Sabine geschrieben hat,
hab ich da nämlich wieder erkannt.

Stefan Mz. beschreibt "Keimform" immer als eine Denkweise, die ein wenig von
hinten durch die Brust ins Auge daherkommt. Also, das man sie nur in der
Vergangenheit erkennen kann, das man sie aber trotzdem heute schon als
Denkfigur für die Zukunft einsetzen kann um daran seine eigene Wahrnehmung
zu schärfen. Das an sich in dieser wilden Vermischung der Zeitformen finde
ich schon zumindestens schwer zu schlucken, aber es hat mir ja auch niemand
einen theoretischen Rosengarten versprochen, also kann ich das ja erstmal so
hinnehmen.

Was mich dann aber doch etwas stutzen läßt, ist die ebenso wilde Vermischung
von normativen und deskriptiven Momenten in diesem Begriff (was ja auch mit
der zeitlichen Vermischung einhergeht). Mag sein, dass kritische Theorie
nicht ohne eine solche Vermischung auskommt, aber irgendwie hätte ich es
gerne einfach etwas besser aufgedröselt. Ich hab ja auch schon mal versucht
das mit Stefan Mz. zu klären, bin aber dran gescheitert. Seufz. Ich wär so
gern klug ;-)

"Keimform" beinhaltet 
so viele vorweggenommene Annahmen - speziell auf die Zukunft 
bezogen - das ist eine Denkweise, die ich nicht teile, egal, worauf 
das nun bezogen ist. Was werden wird, kann niemand mit 
Gewissheit sagen, im Umkehrschluss kann man auch keine 
Keimform behaupten, weil die schon beinhaltet, was werden wird. 

Das heißt aber dann zu Ende gedacht, daß du über Zukunft gar nichts
mehr sagen kannst und in deinem Fall auch nicht mehr sagen willst.
Damit ist politisches *Handeln* aber nicht mehr drin, weil sich
politisches Handeln letztlich immer auf die Zukunft bezieht.

Das nun ist schlicht falsch. Die Abwehr ganz konkreter Zumutungen ist nicht
auf die Zukunft gerichtet und trotzdem wichtig. Siehe Dämmebauer und
Schiffebauer. Ich denke aber schon - wahrscheinlich anders als Sabine, oder?
- dass eine "zukunftsgewandte" Komponente dazugehört.

Bei Dir, Stefan, hab ich oft das Gefühl, dass Du vor lauter Schiffebauen die
Sintflut nicht sehen willst.

Aber dennoch denke ich, sollte die Kritik auf einem 
analytisch festen Sattel sitzen und nicht auf Moral, Verklärung, 
Wunschdenken, usw.

... ohne kommt sie aber auch nicht aus. Aber das hatten wir ja schon
mehrfach.

Gegen irgendwelche Wolkenschlösser bin ich auch - siehe meine teils
recht harsche Kritik an Joytopia, PanokratInnen, Demokratica, etc.

Allerdings verletzt es mich schon ein wenig, wenn du unser nun
wirklich nicht unanalytisches Bemühen mit diesen doch sehr windigen
und meist steinalten Konzepten praktisch in einen Topf wirfst - was du
letztlich ja nicht tust, sonst wärest du wohl kaum noch hier.

Naja, aber sie ist ja nun schon deutlich weniger hier, als vor einiger Zeit,
nicht wahr? Und das liegt nach meiner Sicht auch mit daran, dass "ihr" ihre
Kritik nicht so recht verstehen wollt. 

Irgendwie ist in dieser Keimform-Diskussion auch ziemlich der Wurm drinnen,
da werden ganz oft relativ unwichtige Detaildiskussionen geführt und die
eigentlichen Probleme gehen dabei unter und am Ende bleibt bei beiden Seiten
der Eindruck zurück, dass man ja in allen Detailfragen Recht hat und das
Gesamtbild wurde garnicht thematisiert. So ging es mir zumindestens auf der
Konferenz.

Ich hoffe sehr, dass es diesmal anders läuft.

Und dann bin ich noch der Ansicht, dass 
Kritik (im Sinne von Dekonstruktion der Verhältnisse und nicht 
Konstruktion neuer Verhältnisse, die an der Realität vorbeigehen) 
der erste und wichtigste Schritt ist, der zweite kann sich nur aus 
der Kritik ergeben und wie der aussieht kann ich solange nicht 
genau sagen, solange die Kritik nicht durch exerziert ist und in 
weiten Teilen Verbreitung gefunden hat.

Da widerspreche ich dir vollständig. Gerade seit Oekonux habe ich wie
nie zuvor gelernt, wie eine neue Sichtweise auf die Dinge eine doch
erheblich veränderte Weltsicht hervorbringt. Insbesondere der Fokus
richtet sich plötzlich auf Phänomene, die ich vorher gar nicht
wahrgenommen habe.

Da muss ich jetzt wieder mal Stefan recht geben (Seht ihr, ich versuche das
ganz gerecht mal hier und mal da zu verteilen ;-).

Das ist doch im Prinzip die alte Frage von Theorie und Praxis. Und ist es
inzwischen nicht Allgemeingut, dass die nur gemeinsam Sinn machen? Erst die
Theorie und dann die Praxis ist doch etwas zu kurz, oder?

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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