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Lohnarbeit am Ende (was: Re: [ox] Drittes Viertel Paper GPL-Gesellschaft)



Hi Listige,

mal sehen ob ich die Antworten zu den "wenns" zusammenkriege...

Berd Binder schrieb:
Das Nichtende der Loharbeit keonnte durch folgendes Marxsches Argument
bezweifelt oder besser eingeschraenkt werden:

In Laufe der Geschichte veraendern sich Beduerfnisse. Sie steigern sich
nach einer gewissen Zeit. Und zwar wenn die Ausgebeutete Klasse sich mehr
oder
weniger gut organisiert (Z.B. Gewerkschaft bei der Arbeiterklasse in den
Wirtschafswunderzeiten) schlaegt sie mehr Lohn und Freizeit heraus fuer
die Angehoerigen der Klasse. Heute gehoert schon ein Farbfernseher und
noch einiges mehr ueber die Nahrunsmittel hinausgehendes zu den
Grundbeduerfnissen (Jedenfalls nach der Definition von Grundbeduerfnis
nach dem Sozialamt). Von Marx wir dieser Teil der Beduerfnisse
"Historisches Moment" genannt.

Die Bedürfnisse der Menschen interessieren den Kapitalisten nur
insoweit, als das er Produkte verticken kann. Dafür muss Geld her. Das
Geld kriegen die PM-losen von der Lohnarbeit. Wenn die abnimmt, nimmt
ihr Geld ab. Das nennt man zu niedrige "Kaufkraft". Es können die
Bedürfnisse sich ausweiten wie sie wollen - ist kein geld da,
interessiert das nicht. Guck dir die Bedürfnisse in dreivierteln der
Welt an. Daraus schliesse ich: Mit Bedürfnissen kann man die Lohnarbeit
nicht retten.

Sabine Nuss schrieb:
die "wenns", die Du da oben aneinandergerreiht hast, würden auf ein
Aussterben der Lohnarbeit hinauslaufen, wenn [und hier wieder ein
"wenn"... ;-)... ] die gesamte Ökonomie von dieser Entwicklung 
betroffen wäre. Es ist aber nicht allen Betrieben gleichermaßen die
Rationalisierung über die Freisetzung möglich. Es wird zwar weniger
industrielle Arbeit geben, aber im gleichen Zuge mehr Service-Arbeit.

Das hatten wir auch mal beim Wickel: Schafft Service-Arbeit,
Dienstleistung etc. Wert? Wenn nein, dann muss die Dienstleistung von
der Wertmasse der werthaltigen Produkte miternährt werden. Wenn dort
aber der Wert sinkt, dann haut auch das nicht hin. Bliebe die These, das
Dienstleistung Wert schafft... (die teile ich nicht).

Der Arbeitsmarkt oder sagen wir, das Arbeitsverhalten der Leute 
reagiert ja seit einiger Zeit gegen das Aussterben der Lohnarbeit 
wegen Rationalisierung: Die klassische Form der angestellten Lohnarbeit 
wird zunehmend ersetzt von den indivualisierten Selbständigen, die dann 
den Gegensatz Kapital-Arbeit eben in sich vereinen. 

Das sehe ich auch so. Aber es handelt sich doch nur um eine
Verschiebung. Statt "angestellt" eben "selbstangestellt". Das ändert
nichts am Sinken der Gesamtarbeitsmasse...

Ein Dienstleistungsproletariat entsteht (und ersetzt das
Industrieproletariat), dass sind beispielsweise die Leute, die in 
einem alten Transporter den Leuten die Getränke nach Hause 
transportieren gegen einen Appel und ein Ei, das sind die 
Windschutz-Scheibenwischer an der Straße, die Tüteneinpacker im 
Supermarkt, usw. usw. 

Das sind doch alles überdeutliche Beispiele für Arbeitsformen, die von
der _vorhandenen_ Wertmasse (hier: in Lohnform) mitversorgt werden. Die
These vom Verfall der Lohnarbeit fusst auf der Abnahme der Wertmasse. Wo
Wert nur umverteilt wird, handelt es sich um ein Nullsummenspiel.

Was ich damit sagen will: Es mag eine bestimmte Form der Lohnarbeit 
aussterben, aber nicht die Lohnarbeit als solche. Die findet neue 
Formen.

Genau das hast du für mich nicht deutlich gemacht.

Rainer Fischbach schrieb (ich kürze mal):

Die Rede vom Ende der Arbeitsgesellschaft
ist zwar gerade sehr populär, doch steht sie
auf einem schwachen Fundament:

- empirisch: gegenwärtig ist weltweit zu
beobachten, dass der Umfang der Lohnarbeit
zunimmt. Das beste Beispiel dafür sind die USA

Der Schein trügt. Wer vorher mit 15 Dollar die Stunde von einem
(Teilzeit-)Job leben konnte, braucht heute drei Jobs für 5 Dollar die
Stunde und dreifacher Zeit. Der Umfang der Lohnarbeit hat zugenommen,
weil der Wert der Ware Arbeitskraft gesunken ist. Ähnliches kann man für
Holland zeigen.

- systematisch: wenn die Produktion von Mehrwert
(und nicht etwa nur von Tauschwert) das Ziel
kapitalistischen Wirtschaftens ist und dies
wiederum Lohnarbeit voraussetzt, dann werden
die Kapitalisten uns nicht den Gefallen tun,
die Lohnarbeit abzuschaffen (siehe oben..).

Das Argument ist doch, dass es sich um einen selbsterzeugten
Systemwiderspruch zu tun hat. Wenn das stimmt, dann können die
Kapitalisten sich selbst nicht den Gefallen tun, Lohnarbeit weiter zu
vernutzen, selbst wenn sie es wollten. Um "uns" geht's überhaupt
nicht...

Die Minimierung der eingesetzten Arbeit ist
keinesfalls ein intrinsisches Ziel kapitalistischen
Wirtschaftens. 

Bezogen auf das einzelne Kapital doch. Arbeit minimieren bedeutet Kosten
senken, bedeutet billiger sein, bedeutet Konkurrenten ausstechen. Und
vice versa.

Wenn es den Profit steigert, kann
durchaus auch das Gegenteil geboten sein, wie man
am Revival der Sweat shops (in denen die
Textilbranche ganz bewußt hinter den erreichten
Stand der Rationalisierung zurückgeht) sieht.

Das ist ein ganz wichtiges Argument! Warum ist das so, warum macht das
Kapital sowas? Unter globalisierten Bedingungen werden Produkte global
miteinander verglichen. Steckt in einem Produkt 5 Min Arbeit, ist es 5
Min Arbeit wert. Steckt im sweat-shop-produzierten Produkt 1 Stunde
Arbeit, ist es trotzdem nur 5 min Arbeit wert, denn es gilt nicht mehr
wie früher der nationale Produktivitätsmassstab, sondern der globale.
Das bedeutet - und das muss man sich mal mit aller Deutlichkeit klar
machen -, dass normaler Welthandel unter globalisierten bedingungen
(vorher auch schon, aber abgeschwächt) einen realen Werttransfer aus den
sweat-shop-Ländern für selbige bedeutet. Gerechter Welthandel ist eine
Schimäre. Die High-tech-Länder saugen also Arbeitsvolumen aus den
sweat-shop-Ländern ab. "Wir hier" leben auf Kosten der armen Länder -
aber das wussten wir ja schon immer. Sinkende Arbeitsvolumina hier
werden mit aufgesaugten Arbeitsvolumina von dort aufgefüllt. Das wäre
also ein stichhaltiges Gegenargument - IMHO. Nur mit welcher Tendenz?
(von den Folgen ganz zu schweigen...)

- normativ: einmal abgesehen vom Hunger des
Kapitals nach Mehrwert gäbe es ja durchaus
viel Sinnvolles zu tun, was oft nicht profitabel
ist: [gekürzt]
wo im humanen Interesse eben nicht
Rationalisierung sondern das Gegenteil
angesagt wäre.

Nur das humane Interesse interessiert das Kapital kein bisschen. UNd
keine Politik kann die Wertmaschine von der Exekution ihrer Gesetze
abbringen - deswegen ist der Keynesianismus tot.

Ganz allgemein: wenn die Produktivität (der Output
pro Arbeitsstunde)  um den Faktor f steigt, dann
eröffnet das Spielraum für unterschiedliche
Szenarien: [gekürzt]
... oder man einigt sich auf eine Mischung
von Arbeitszeitverkürzung und Mehrproduktion.
... Grundsätzlich führt Produktivitätsfortschritt 
nicht automatisch zum Abbau von Arbeit. 

Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnzuwachs (Ausgleich wäre zu wenig) bringt
gar nichts. Selbst AZV ohne Lohnausgleich ist kaum drin. AZV ist nur
Lohnabhängigen-interne Umverteilung. Die produzierte Wertmasse ist davon
nicht betroffen.

Die Rede von unerhörten Produktivitätsfortschritten
z. B. in der Automobilindustrie abstrahiert
meist von Faktoren wie Fertigungstiefe, Outsourcing
und indirekter Arbeit. (...)

Richtig, das Ergebnis ist per Saldo nicht so gigantisch wie die Zahlen
der Grossen zeigen (sprich: die erreichen die zahlen auf Kosten der
Kleinen). Aber die Tendenz ist dennoch: Zunahme der Produktivität
allerorten bei Abnahme der Wertmasse.

Der Übergang zur "Dienstleistungsgesellschaft" ist
übrigens zum großen Teil ein mit diesen Prozessen verbundenes
statistisches Artefakt: (...)

Sehe ich auch so: ein ideologischer Begriff.

Bis in die 70er Jahre wuchs die Produktivität
der industrialisierten Volkswirtschaften wesentlich
stärker als heute -- und zwar bei wachsender
Beschäftigung. 

Richtig. Die quantitative Expansion war größer als die
Rationalisierungseffekte.

Rationalisierung bietet _keine_
Erklärung für Arbeitslosigkeit. 

Doch, denn obiges Verhältnis hat sich umgekehrt.

Arbeitslosigkeit bildet vielmehr einen integralen Bestandteil
der kapitalistischen Produktionsweise. Sie diszipliniert 
die Arbeit und drückt ihren Preis.

Vielleicht ein gewünschter Nebeneffekt, aber nicht Ziel
mikroökonomischen Handelns. Jegliche Agententheorie gehört auf den
Müll...

Heute sorgt schon die Politik der Zentralbanken dafür, daß 
ein Aufschwung nicht in Vollbeschäftigung ausartet...

Das ist lustig - vielleicht sollte man denen mal ein Tip geben?

Der Kapitalismus wird nicht zusammenbrechen
weil ihm etwa die Arbeit ausginge. Die
Analyse der Kurzianer greift hier zu kurz.

Ja, kommt mir auch spanisch vor. Deswegen die von mir angezettelte
Wenn-wenn-wenn-Debatte. Aber bis auf das "Arbeit-aufsaugen"-Argument,
fand ich keines plausibel genug, die Kurzianische Logik zu unterbrechen.
Im übrigen finde ich den Schluss vom Ende der Lohnarbeit zum Ende des
kapitalismus nicht zwingend. Das sind nochmal zwei Paar Schuhe...

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
  maintaining: http://www.hbv.org
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