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[ox] Re: Lohnarbeit am Ende



Hi Rainer und alle!

Zunächst mal bin ich dankbar, daß jemensch auch mal richtig harte
Kritik äußert - und damit offenbar nebenbei einigen KritikerInnen den
Mund bzw. die Tastatur geöffnet hat. Wie soll sich denn sonst der
Gedankengang weiterentwickeln?

Zu dem Thema "Lohnarbeit am Ende" bzw. "Kapitalismus am Ende", zu
denen diese Mail hier noch mal gehen soll, habe ich eine etwas
ambivalente Position. Für mich ist diese Debatte nicht die zentrale
für unser Thema - auch wenn ich das hier Geäußerte für wertvoll und
nachvollziehbar halte.

Nichtsdestotrotz würde ich es bedauern, wenn diese Debatte hier andere
Überlegungen wegdrücken würde. Gerade die letzten paar Abschnitte in
meinem Paper fand ich persönlich am spannendsten - vor allem
wahrscheinlich, weil sich so herrlich viele Analogien zum Übergang von
Feudalismus zu Kapitalismus finden lassen ;-) . Leider hat sich dazu
bislang kaum jemensch geäußert.

Nun noch einige Bemerkungen zu Rainer, die andere bislang nicht
gebracht haben.

4 days ago Rainer Fischbach wrote:
1. Ende der Arbeitsgesellschaft?
...
Ganz allgemein: wenn die Produktivität (der Output
pro Arbeitsstunde)  um den Faktor f steigt, dann
eröffnet das Spielraum für unterschiedliche
Szenarien: die Arbeitszeit kann bei konstantem
Produkt im Verhältnis 1/f sinken oder das Produkt
kann bei konstanter Arbeitszeit um den Faktor f
zunehmen oder man einigt sich auf eine Mischung
von Arbeitszeitverkürzung und Mehrproduktion.
Wer wieviel wovon bekommt, ist letzten Endes
eine Frage der Interessen und deren
Durchsetzungsfähigkeit, sprich: der
Machtverhältnisse.

Wie wahr. Aber wie die Machtverhältnisse momentan stehen, ist doch mit
einem Blick auf die Gewerkschaften schnell erledigt. Die sind ja noch
nicht mal mehr in der Lage, den Flächentarifvertrag, den sie in
Sonntagsreden noch hochhalten, in der Praxis gegen ihre eigenen
Betriebsräte durchzusetzen.

Wenn dein Argument ist, daß dieser Spielraum auch anders genutzt
werden könnte - sogar im Kapitalismus -, dann müßtest du aber schon
zumindest Hinweise angeben können, wie sich diese Machtverhältnisse
(wieder) ändern lassen. Ich sehe da jedenfalls tiefschwarz. Im übrigen
ist m.E. dies genau ein Element der Prekarisierung (prekär ~
notdürftig) des Kapitalismus.

Grundsätzlich führt
Produktivitätsfortschritt nicht automatisch
zum Abbau von Arbeit. Im übrigen war der auch
in diesem Jahrhundert nicht so groß, daß der
Arbeitsaufwand für einen Ford T und für ein
heutiges Auto sich um mehrere Größenordnungen
unterscheiden würden.

Nun, ich hatte da mal Zahlen über die notwendige Anzahl menschlicher
Arbeitsstunden gelesen, die tatsächlich Größenordnungen
auseinanderlagen. Aber klar: Jede Zahl ist gefälscht. Dann ist es
allerdings mit der Empirie ganz aus und deine empirischen
Gegenargumente sind genauso falsch wie meine Proargumente.

Ich sag mal so: Wenn wir auf dieser Ebene weiterdiskutieren wollen,
dann sollten wir klare Zahlen und deren Erhebungsmethode dazu haben.
Liegt jenseits meiner Möglichkeiten. Und auch meiner Interessen - wie
bemerkt halte ich die Krisis-Position für stimmig.

Der Übergang zur "Dienstleistungsgesellschaft" ist
übrigens zum großen Teil ein mit diesen Prozessen verbundenes
statistisches Artefakt: Wenn ein Fertigungsunternehmen
seine eigene Putzkolonne, EDV- oder Buchhaltertruppe
auflöst und stattdessen Externe beauftragt, dann
verschwinden Arbeitsplätze, die zuvor unter "Industrie"
auftraten, und tauchen unter "Dienstleistung" wieder
auf. An der Sache ändert sich dabei nichts, wohl aber
an der Bezahlung und sozialen Absicherung der
Betroffenen. Zum Teil ist das auch die Realität
hinter dem sagenhaften Job-Boom durch
Kleinunternehmen. Zum anderen basieren entsprechende
Behauptungen auch schlicht auf methodischen Fehlern.

Das Phänomen, das du hier beschreibst ist aber geschätzt zehn,
vielleicht fünfzehn Jahre alt. Die Rede von der
Dienstleistungsgesellschaft gibt es aber schon sehr viel länger - und
im übrigen auch die zugrunde liegende Faktenbasis auf Grundlage der
Aufteilung in Agrar-, Industrie- und Dienstleistungsbereich.

Natürlich können wir auch hier sagen, daß diese Begriffe alle viel zu
unscharf und daher nicht brauchbar sind - meinetwegen.

Was der mir wichtige Punkt im Paper war: Den Trend weg von der
Lohnarbeit, die direkt für ein vermarktbares, handgreifliches Produkt
verausgabt wird, existiert schon länger - auch kapitalismusimmanent.
Ob du das jetzt mit Dienstleistung oder sonstwie bezeichnet ist mir
letztlich egal. Wichtig war mir - ich sag mal: die Überwindung des
Stofflichen.

Der Kapitalismus wird nicht zusammenbrechen
weil ihm etwa die Arbeit ausginge. Die
Analyse der Kurzianer greift hier zu kurz.

Na ja, es ist natürlich auch die Frage wie dieser Zusammenbruch
aussieht. Ich hatte es zwar auf der Liste schon mal gesagt, aber ich
wiederhole gerne noch mal was ich meine.

In der Blütezeit des Kapitalismus - in den 60er, 70er Jahren - galt
der Kapitalismus immer noch als Heilsversprechen. So hat er sich
selbst gesehen und so wurde er sowohl hier als auch in der III. Welt
gesehen.

Diese Zeiten sind aber gründlich vorbei. JedeR dürften die permanenten
Gürtel-enger-schnallen-Parolen bekannt sein, die aus dem
Arbeitgeberlager kommend mittlerweile von (auch sog.
sozialdemokratischer) Politik geechot werden. Und auch wenn ganze
Staaten - wie Indonesien - zusammenbrechen, würde ich das nicht gerade
für einen Hinweis auf die ungebrochene Heilskraft des Kapitalismus
deuten. Ganz zu schweigen von der nachhaltigen Schädigung des
Ökosystems.

Das der Kapitalismus heute also nicht mehr als Heilsversprechen
wahrgenommen wird - und aufgrund der Faktenlage auch immer weniger so
wahrgenommen werden kann - ist m.E. klar und ein wichtiger Hinweis auf
seine innere Verfaßtheit.

Punkt eins. Punkt zwei.

Daß der Kapitalismus in einer tiefen Krise steckt, die ich immer noch
mit "universeller Prekarisierung" als am besten beschrieben finde,
heißt natürlich zunächst mal nicht, daß das was mit seiner
strukturellen Grundlage - nämlich der Verwertung von Arbeitskraft - zu
tun hat. Könnte ja auch sein, daß alle, die was zu Sagen haben, einer
Art kollektivem Wahn unterliegen und einfach nur das Richtige getan
werden müßte und schwupps wäre der Wohlstand für alle erreicht.

Da traue ich "dem Kapitalismus" jetzt aber mehr zu. Ich denke schon,
daß "er" dazu in der Lage wäre, evt. vorhandene Reformkräfte und
-möglichkeiten zu aktivieren. Daß "er" es nicht tut ist für mich ein
Hinweis darauf, daß es sie nicht gibt - momentan zumindest.

Gleichzeitig sehe ich halt, wie die verwertbare Arbeitsmasse abnimmt -
glaubwürdige Empirie könnte mich da durchaus eines Anderen belehren,
allein ich sehe keine. Und für mich ist es nun mal das Naheliegende,
wenn ich die Marx'sche Kapitalismusanalyse zur Hilfe nehme, eins und
eins zusammenzuzählen und die oben geschilderte Krise als eine
fundamentale zu deuten. Mögliche Auswege und über deren
(Un)möglichkeit wird ja auch debattiert.

Punkt drei.

Daß der Zusammenbruch eben auch in einer Fortführung der
Prekarisierung enden kann,

* in der dann (bestenfalls) noch einige hochproduktive Inseln sich
  gegen die verarmten Massen einmauern müssen - auch ein Phänomen
  übrigens, das nun wirklich schon deutlich sichtbar ist -,

* in der nur noch die Reichen sich vor den Folgen der Umweltzerstörung
  schützen können - noch ein Phänomen, daß angesichts z.B. von
  Flutkatastrophen und deren höchst unterschiedlicher Wirkung schon
  gut entwickelt ist -,

das kann natürlich passieren. Mensch muß das auch dann noch nicht
Zusammenbruch nennen. Aber eins bleibt festzuhalten: Vom Wohlstand für
alle, was ja mal das Banner war - z.B. auch für die Ex-DDR! -,
entfernen wir uns immer weiter. Und daher bleibe ich dabei, daß wir
den Zusammenbruch schon erleben, auch wenn die meisten auf dieser
Liste vermutlich noch eine Weile von den unmittelbaren Folgen
verschont bleiben dürften.

Um diese Horrorvision eben nicht Wirklichkeit werden zu lassen, suche
ich persönlich halt nach Alternativen. Und - auch hier folge ich
Marx'schen Spuren - ich persönlich sehe sie halt auch bereits
heranwachsen. Das habe ich ja versucht, in dem Paper zu bündeln. Und
wenn ich deren Durchsetzung für einen Automatismus halten würde, dann
hätte ich Besseres zu tun, als mir für dieses Projekt meine Freizeit
um die Ohren zu schlagen...

Vielleicht sollte ich hier auch auf die kritische
Auseinandersetzung mit den Thesen der Krisis-Gruppe
hinweisen, die in letztewr Zeit in Periodika wie
Konkret und Jungle World stattfand.

Dieses gehört hier endgültig nicht mehr her ;-) : Die Kritiken, die
ich bisher an der Krisis-Position gesehen habe, haben vor allem eins
gemeinsam: Sie wissen nicht wovon sie reden. Ganz besonders extrem ist
dies bei den Kritiken am "Manifest gegen die Arbeit". Praktisch alle
KritikerInnen sitzen genau dem Phänomen auf, was die Krisis gerade
kritisiert - und schlimmer noch: Das auch noch völlig unreflektiert!
Da ist mir inzwischen nicht mal mehr zum Lachen zumute :-( .

Das finde ich übrigens auch deswegen problematisch, weil die Krisis
eben einfach keine Kritik bekommt, die ihr das Wasser reichen könnte.
Das führt eben auch dazu, daß sie sich nicht weiterentwickeln :-( .

Und daß du ausgerechnet diese beiden (Hetz)blättchen anführst, ist für
mich eigentlich eher der Gegenbeweis... Fehlt nur noch die junge
welt...

Daß gerade (sog.?) Linke sich so am Kapitalismus festkrallen und
permanent seine Verewigung herbeischreiben wollen, finde ich im
übrigen ein interessantes Phänomen, das zu diskutieren hier aber
endgültig den Rahmen sprengt.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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http://www.oekonux.de/



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