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[ox] Drittes Viertel Paper GPL-Gesellschaft



Liebe Leute,

ich habe mittlerweile das dritte Viertel meines Papers zu dem
geplanten LinuxTag-Vortrag in einer ersten Version fertig. Darin wird
es dann m.E. langsam spanned. Am mehr visionären Teil mit
Übergangsüberlegungen arbeite ich gerade.

Ich möchte euch bitten, mir und unserem Thema zu helfen, indem ihr
einen kritischen Blick auch auf diesen Text werft und nicht sparsam
mit Kommentaren seid. Besonders wichtig wäre mir wiederum, wenn ihr
Punkte findet, die da eurer Meinung nach noch reingehören.

Danke übrigens für die (auch privaten) Reaktionen auf die erste
Hälfte. Ich habe mich entschlossen, erstmal eine erste Version fertig
zu stellen, damit ich dann den Kopf frei habe, um euren Kommentaren
die nötige Aufmerksamkeit schenken zu können.

Wahrscheinlich wird das Paper nach der Fertigstellung einer ersten
Version übrigens auch ein Open-Theory-Projekt werden.


						Thanx

						Stefan

PS: In der Originalversion sind übrigens auch noch einige Links
enthalten, die ich momentan in das Text-Format für die Mail nicht
reinkriege.

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init 3: Das Besondere an Gnu/Linux
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...

Was ist Gnu/Linux dann eigentlich?
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Nachdem wir also jetzt wisse, daß Gnu/Linux weder Hobby-Produkt noch
Ware ist - was ist es denn dann? Es ist ein Produkt - soviel ist wohl
klar. Allerdings ist es ein spezielles Produkt, dessen Art und Weise
der Produktion über die hinlänglich bekannten Produktionsweisen
hinausweist. Genau diese Eigenschaft ist es, mit der Gnu/Linux uns das
Tor zu einer neuen Welt öffnet.

Nach der bisher negativen Abgrenzung möchte ich jetzt noch einmal kurz
herausstellen, was das Positive an Gnu/Linux ist.

Freiwillige Tätigkeit statt Arbeit für den Chef
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Wie keine Ware entsteht Gnu/Linux auf freiwilliger Basis. Niemand sagt
den Gnu/Linux-EntwicklerInnen was sie zu tun haben oder entlohnt sie
in irgendeiner Form [23] für ihre Tätigkeit. Alles was diese Menschen
tun, tun sie aus freien Stücken und aus durchaus individuellen
Gründen. Kein Chef befiehlt ihnen was sie zu tun haben. Auch wenn sie
sich einer Projektkoordination unterordnen, so geschieht auch dies auf
freiwilliger Basis und aus Einsicht in deren Notwendigkeit.

Diese Freiwilligkeit ist ein entscheidender Unterschied zu entlohnten
Tätigkeiten, bei denen diese Freiwilligkeit höchstens als willkommener
Nebeneffekt auf Seiten des Arbeitgebers vorkommt, nie aber Zweck der
Veranstaltung ist. Diese Freiwilligkeit hebt die in der Lohnarbeit
übliche Entfremdung der ProduzentIn gegenüber ihrer Tätigkeit auf. Die
ProduzentInnen gewinnen eine Macht über ihr eigenes Tun [24], die sie
in Lohnarbeit prinzipiell nicht haben können.

Lustprinzip statt sinnentleertem Schuften
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Daß auf dieser freiwilligen Basis ein nützliches Produkt entsteht,
kann demnach nur daran liegen, daß die EntwicklerInnen Lust haben,
Gnu/Linux herzustellen. Diese Lust kann sich auf vielfältige Bereiche
erstrecken. Die Lust am Programmieren [25] wie dürfte für alle
EntwicklerInnen ein Grund sein, aber auch Lust an der Kommunikation
mit anderen EntwicklerInnen und die Kooperation mit ihnen, auf die
Verantwortung für ein wichtiges Projekt, darauf anderen Nützliches
schenken zu können - die individuellen Gründe sind ausgeprochen
vielfältig [26].

Diese Lust am Tun ist in der Lohnarbeit aber genausowenig vorgesehen
wie die Freiwilligkeit [27]. Lohnarbeit ist nach ihrer Definition
dadurch gekennzeichnet, daß die Entlohnten weder nach dem Inhalt ihres
Tuns noch nach den Arbeitsbedingungen [28] fragen. Da der Lohn der
entscheidende Antrieb für die Tätigkeit ist, ist es auch nicht nötig,
die Arbeitsinhalte oder die Arbeitsbedingungen besonders angenehm zu
gestalten. Es reicht für Lohnarbeit völlig aus, daß die Arbeitenden
[29] vor Unwillen nicht grob unproduktiv werden.

Für die einzelne EntwicklerIn ist diese Lust am eigenen Tun der
Antrieb, für andere Nützliches zu schaffen, und gleichzeitig die
Quelle für die eigene Befriedigung. Eine darüber hinaus gehende
Entlohnung ist also in der Art und Weise dieser Tätigkeit nicht
angelegt und also - und das ist wirklich wichtig - das Tauschprinzip
überwunden.

Selbstorganisation statt Befehlston
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Auch wenn es eigentlich nach dem Gesagten auf der Hand liegt, soll
trotzdem nochmal herausgehoben werden, daß die Tätigkeit für Gnu/Linux
selbstorganisiert ist. Die EntwicklerInnen von Gnu/Linux können nicht
nur, sie müssen dabei sogar Formen finden, in denen sie ihre
kollektive Tätigkeit organisieren [30]. Es ist dabei offensichtlich
möglich, daß Menschen ohne Anleitung von außen über Kultur- und
Staatsgrenzen hinweg gemeinsam tätig werden, gemeinsam Spaß
miteinander haben und dabei sich auch noch gemeinsam nützlich machen.

Nützlichkeit statt Marktchancen
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Da Gnu/Linux von den EntwicklerInnen nicht verkauft wird, entfallen
also alle monetären Gründe für die Entwicklung für Gnu/Linux.
Betrachten wir jetzt einmal nicht die ProduzentInnen sondern das
Produkt, so bleibt also allein der Nutzen des Produkts [31] als Motiv
für seine Herstellung übrig. Nur unter diesen Bedingungen ist es
möglich, daß Qualität in vielen Facetten zum zentralen Kriterium wird
[32].

Wird eine Ware produziert, so muß diese eine Qualität erreichen, die
gerade ihren Absatz nicht verhindert [33] - also eine relative
Qualität. Es ist unter Marketing-Gesichtspunkten ja sogar hinderlich
z.B. Langlebigkeit in ein Produkt einzubauen. Produktion für einen
Markt hat also überhaupt keinen Anlaß so etwas wie eine absolute
Qualität herzustellen.

Solche absolute Qualität kann aber aus den Gründen, die zu Gnu/Linux
führen, durchaus entstehen, da die Lust daran, etwas möglichst Gutes
herzustellen sicher eines der wichtigeren Antriebe für die
EntwicklerInnen ist.

Kooperation statt Konkurrenz
----------------------------

Alle diese Aspekte führen dazu, daß in Gnu/Linux Konkurrenz nur in
sehr beschränktem Umfang sinnvoll ist. Während in der Warenwelt eine
unüberschaubare Anzahl mehr oder weniger gleicher Produkte künstlich
unterscheidbar gemacht werden müssen [34], ist es in der
Gnu/Linux-Szene eher unüblich, daß eine breite Konkurrenz entsteht. In
vielen Fällen verschwinden gleichartige Konkurrenzprodukte nach und
nach [35] - und sei es nur dadurch, daß sie nicht mehr weitergepflegt
werden [36].

Dies ist kein Zufall, denn auch die EntwicklerInnen untereinander
stehen ja nicht in einem Konkurrenzverhältnis. Im Gegenteil ist es
vorteilhafter für alle Beteiligten, wenn die EntwicklerInnen
zusammenarbeiten und sich gegenseitig befruchten - mithin die Vorteile
von Kooperation nutzen.

NutzerInnen statt KonsumentInnen
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Aber selbst der Charakter der NutzerInnen ist ein anderer als das bei
Waren übliche Konsumverhältnis. Dadurch, daß die NutzerInnen wissen,
daß sie sich nicht grundsätzlich von den EntwicklerInnen
unterscheiden, sind auch ihre Ansprüche tendenziell andere [37]. Wenn
sie wissen, daß das Produkt auf freiwilliger Basis hergestellt wurde,
werden sie eher nicht in die Anspruchshaltung gehen, die sie von einem
gekauften Produkt her kennen. Stattdessen werden sie vielleicht sogar
versuchen, bei der Weiterentwicklung mitzuhelfen - und sei es durch
die Beschreibung von Fehlern, die ihnen aufgefallen sind, oder auch
dadurch, daß sie sich neue Features wünschen.

Fazit
-----

Die genannten Aspekte grenzen Gnu/Linux positiv von anderen Produkten
ab. In ihrer Summe ergeben sie eine völlig andere Produktionsweise als
die aus der Warenwelt gewohnte. Wie wir gesehen haben, hat dies
weitreichende Auswirkungen sowohl auf die ProduzentInnen, als auch auf
das Produkt, als auch eingeschränkt auf die NutzerInnen.

Wichtig ist auch, daß alle diese Aspekte eng miteinander verwoben und
nicht voneinander trennbar sind. Dadurch ist es nicht möglich
Gnu/Linux in die Warenwelt zu reintegrieren ohne seinen Erfolg zu
zerstören.

Zusammengenommen ist dies schon sehr spannend. Der Erfolg, den
Gnu/Linux gegenüber klassisch hergestellten Produkten hat, macht
Gnu/Linux aber zu einer ernsthaften Alternative zu der klassischen
Produktionsweise FN. Damit ist Gnu/Linux ein Meilenstein auf dem Weg
in eine neue Gesellschaft - die GPL-Gesellschaft!

...

Version: $Id: vortrag.sdf,v 1.8 2000/03/16 00:08:08 stefan Exp $

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...

[23] Die vielzitierte Anerkennung kann nicht als Lohn betrachtet
werden, da sie sich nicht in materielle Lebensmittel verwandeln läßt.
Auch die Hoffnung durch in der Szene der freien Software erzielte
Meriten besser bezahlte Jobs zu finden, ist für die allermeisten kein
realistisches Ziel. Darauf soll hier nicht näher eingegangen werden.

[24] In der Arbeitsgesellschaft ist diese Macht über das eigene Tun in
die sogenannte Freizeit verlegt. Allerdings ist auch diese Freizeit
durch berufliche Vorgaben stark eingeschränkt, so daß eigentlich nur
eingeschränkt von freier Zeit gesprochen werden kann.

[25] Es ist kein Zufall, daß die Programmiertätigkeit eine ist, die
offenbar viel mehr Lust erzeugen kann als Tätigkeiten, die in der
industriellen Produktion entstanden sind. Auch dies ist ein Hinweis
darauf, daß die Entwicklung der Produktionsmittel inzwischen in ein
Stadium getreten ist, daß die Veränderung des gesellschaftlichen
Überbaus möglich macht und angezeigt erscheinen läßt.

[26] Ähnliche Prinzipien gibt es in der Wissenschaft und in der Kunst.
Auf die nicht uninteressanten Parallelen kann hier nicht näher
eingegangen werden.

[27] Neuere Management-Methoden versuchen allerdings in der Tat gerade
diese Freiwilligkeit und deren Produktivitätsreserven in die
kapitalistischen Produktionsprozesse hineinzutragen. Da Lohnarbeit
aber per Definition für andere geleistet wird, besteht hier eine
absolute strukturelle Schranke, die auch noch so geschickte
Management-Methoden nicht überwinden können.

[28] Daß in den Industriestaaten für viele erträgliche
Arbeitsbedingungen überhaupt geschaffen wurden, ist langdauernden
sozialen Kämpfen zu verdanken.

[29] Menschen müssen sich also auf diese Zumutungen des Arbeitslebens
einlassen. Um dazu überhaupt in der Lage zu sein, werden in unseren
Gesellschaften Menschen von Kindesbeinen an auf dieses Funktionieren
gedrillt. Es ist aber Anlaß zur Hoffnung, daß trotz dieses Drills
Menschen noch in der Lage sind, selbstbestimmt tätig zu werden. Daß
diese Menschen übrigens eher die (technische) Avantgarde der
Gesellschaft bilden, ist ebenfalls kein Zufall.

[30] Diese Aufgabe ist auch dadurch erschwert, daß die EntwicklerInnen
auf keine Vorbilder zurückgreifen können, sondern buchstäblich alles
von der Pike auf neu erfinden müssen. Um so bemerkenswerter ist es,
daß die Organisation so schnell so gut funktioniert.

[31] Genaugenommen spielt es für die EntwicklerIn zunächst einmal
keine Rolle, ob das eigene Produkt für andere nützlich ist - ihr
persönlicher Lustgewinn kann sich ja auch einstellen, ohne daß andere
einen Nutzen aus ihrem Tun ziehen können. Für sie ist allein die
Nützlichkeit für sie selbst von Belang. Dies hindert sie aber
andererseits nicht daran ihre Entwicklung zu veröffentlichen. Dies ist
vermutlich der innere Grund dafür, daß manche freie Software von
schlechter Qualität ist.

[32] Das beste und bekannteste Beispiel für den hohen und
facettenreichen Qualitätsstandard dürfte der GCC sein. Einerseits ist
der GCC schon lange als zuverlässiger Compiler bekannt, andererseits
hat aber seine breite Verfügbarkeit auf praktisch jeder bekannten
Plattform und die damit verbundene Uniformität seiner Benutzung dazu
geführt, daß er zur Basis für die gesamte Gnu-Bewegung geworden ist.
Kein nach Marktkriterien entwickelter Compiler war dazu auch nur
ansatzweise in der Lage.

[33] Plastisches Beispiel dafür ist das 3-Liter-Auto, daß technisch
längst machbar und ökologisch höchst sinnvoll wäre. Da über die
niedrigeren Betriebskosten sogar für die KäuferInnen ein echter Gewinn
zu erzielen wäre, hätte ein solches Fahrzeug sogar sicher
Absatzchancen. Trotzdem wehrt sich die Autoindustrie seit Jahren
konsequent und erfolgreich gegen Bau und Vermarktung und verkauft
lieber ihre Flotte von Spritfressern.

[34] Jeder von uns kennt die zahllosen Versuche an sich völlig
uniforme und austauschbare Produkte wie Waschmittel oder auch PCs
durch ein besonderes Design künstlich zu etwas Besonderem zu machen.
Dies spiegelt sich auch in der Werbung, die nicht die nicht mehr
vorhandenen besonderen Qualitäten eines Produkts bewirbt, sondern ein
bestimmtes Image mit einem Produkt verbindet.

[35] Als ein Beispiel von vielen sei MHonArc genannt. Dieses Tool
archiviert Mail auf HTML-Seiten - eine Aufgabe, die sich vielen Leuten
stellt. Die MHonArc-Leute wissen aber selbst von nur einem
nennenswerten Produkt (Hypermail), das (inzwischen wieder) gepflegt
wird.

[36] Dabei kann die langfristige permanente Pflege einer freien
Software übrigens durchaus als Qualitätsmerkmal genommen werden - vor
allem wenn sich die ErstentwicklerIn mittlerweile zurückgezogen hat.
Denn nur Software, die den Aufwand lohnt wird im Zweifelsfall von
anderen EntwicklerInnen übernommen.

[37] Daß dies von einigen NutzerInnen allerdings erst noch gelernt
werden muß, darf allerdings auch nicht verschwiegen werden.


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http://www.oekonux.de/



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