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Thread: oxdeT05989 Message: 145/187 L35 [In index]
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Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?



Holger Weiss schreibt:
ad 
Irgendjemand hat mal die Paradoxie auf den Begriff gebracht: Man kann,
darf und *muß* wollen. Anders funktioniert man nicht als Subjekt der
Warengesellschaft. Auch wenn man gar nix zu melden hat.

Das ist doch schlichtweg absurd. Man hat nix zu melden, insofern man
Objekt der Warengesellschaft ist (bei Marx: Subjekt/Objekt-Verkehrung,
die Verhaeltnisse bestimmen uns, nicht wir sie). Das Subjekt muss aber
ueberhaupt nix wollen. Wenn der Laden ein warenfoermiges Bewusstsein
vermittelt, kann ich mich prinzipiell fuer Kritik desselben entscheiden.
Oder leitest Du Dein "Wollen" auch aus der Wertform ab?

Zunächst mal: das ist gar nicht so einfach zu beantworten.

Du erinnerst Dich sicher an die Passage, wo Marx lange vor der Behandlung
der Oberfläche
des Kapitals die Willensform als ökonomische Formbestimmung einführt:

Karl Marx - Friedrich Engels - Werke, Band 23, "Das Kapital", Bd. I,
Erster Abschnitt, S. 99
Dietz Verlag, Berlin/DDR 1968
ZWEITES KAPITEL
Der Austauschprozeß
<99> Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst
austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den
Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den
Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren
Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn,
müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen
in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also
jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die
fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher
wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis,
dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein
Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt.
Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das
ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die Personen existieren hier nur
<100> füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer.
Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die
ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der
ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.

Das heißt, daß das bürgerliche Subjekt sehr wohl unter den objektiven
Zwang gestellt ist, sich als die Personifikation seiner eigenen
ökonomischen Mittel aufzuführen, gerade auch auch wenn diese nichts
taugen. Das Subjakt muß daher pausenlos etwas wollen: ein Geld für die
eigene Arbeitskraft, eine rechtliche Anerkennung als Vertragspartner etc.
- das setzt sich dann in der politischen Sphäre fort, in der ein
prinzipiell zustimmendes Verhalten zur Politik gefordert ist,
institutionalisiert in der demokratischen Wahl. Der Begriff des Interesses
ist eigentlich genau diese Verdinglichung des Bedürfnisses - und er hat
tatsächlich etwas objektiv Zwanghaftes. Zugleich kommt so etwas wie
selbstbezüglicher Materialismus überhaupt erst vermittels der bürgerlichen
Willensform in die Welt!!  

Was ich bei Dir angegriffen habe, soweit ich mich erinnere, war nicht die
Konstatierung des freien Willens. Es war lediglich die Formulierung, daß
ein simpler Wille in der Lage wäre, gesellschaftliche Verhältnisse
aufzuheben oder zu zerstören. Das habe ich im Kern mit "Willensillusion"
gemeint und dabei nicht gemeint, daß der Mensch keinen Willen hätte. Zum
Kern der Willensillusion in der Politik ist von der Krisis einiges erklärt
worden, was anderswo fehlt.

Laut obigem Zitat koennen wir nirgens weg wollen, sondern muessen uns
tatsaechlich in guter alter MLer-Manier zuruecklehnen und auf die
notwendige "Selbstaufhebung" warten, um vielleicht danach den Laden in
die Hand zu nehmen.

nein, tun wir nicht; ganz im Gegenteil zerbrechen wir uns hier laufend den
Kopf, welche 
aufhebenden Handlungsmöglichkeiten den Verhältnissen entspringen, die in
sich selbst
so etwas wie eine objektive Dynamik haben. ("Keimform"). Dann setzen sich
von uns doch
manche tatsächlich auch noch dafür ein, das Zustandekommen dieser
Handlungsmöglichkeiten
aktiv zu unterstützen, machen Konferenzen. Projekte, sogar Vorträge und
Flugblätter.
Andere nehmen sie einfach wahr, machen freie Musik oder freie
Bildungsmaterialien.

Eines tun wir allerdings nicht: wir trauen keinen Automatismen,
"objektiven Interessen"
oder vorgezeichneten Bahnen eines beleidigten und enttäuschten
Materialismus.
So sehe ich das zumindest.

Ich bin allerdings nicht sicher, ob das tatsaechlich von Dir gemeint
war. Vorher hattest Du ja die Existenz von "Kreativitaet" betont und
sogar Indianer bemueht, um die Theorie des freien Willens anzureichern.
Was m.E. schlicht denselben Punkt meint, den ich gerade von den
Vermittlungen der Warengesellschaft unterscheiden wollte:
Undeterminiertheit. Dann waeren wir uns aber prinzipiell einig, dass
objektiv determinierte Formen von Subjektivitaet unterscheidbar sind
(und wuerden uns hoechstens ueber das Verhaltnis von beidem streiten).

Ich bin mir eben nicht sicher, ob dieser Streit so rasend viel bringt.
"Objektiv determiniert"
bist Du auch irgendwie durch die Logik der GPL Gesellschaft, und
"Selbstentfaltung" hat eben
auch ein zutiefst objektives Element (habe ich bei den Indianern zu zeigen
versucht).

Anders gesagt: Ich hab' nach wie vor nicht begriffen, was genau Du an
meiner Unterscheidung angegriffen hast. Zum einen sei meine "Theorie des
freien Willens" nicht so "reich" wie besagte indianische Theorie (welche
die undeterminierte Kreativitaet offenbar als Ausgangspunkt allen
Willens nimmt, der erst _danach_ mit der ihm aeusserlichen Realitaet
konfrontiert wird).

Wenn Du so möchtest, ist das eine Abstraktion. Im Indianischen Medizinrad
gehts zu wie in
einer Spirale, und die Energie "Kreativität" ist immer dann gefragt,
 wenn der letzte Durchlauf nicht zu voller Zustimmung geführt hat. 
DAher steht der kreative Gedanke auch immer am Ende 
eines Zyklus, und dennoch haben sie recht, wenn sie ihn mal prinzipiell
als Anfang nehmen.

Zum anderen betonst Du die Determiniertheit des
Willens in warenproduzierenden Gesellschaften. Entweder gibt's nur eins
von beidem, oder die Unterscheidung, die Du als "typisch deutsch"
bezeichnet hast, macht Sinn.

Ach, es gibt auch den Gegenkalauer "Freiheit ist Einsicht in die 
Notwendigkeit" und der ist nicht weniger typisch deutsch ;-)
Zuerst in die Wolkenreiche des Subjekts klimmen, eine faustische
Freiheitsapotheose mit Weltschmerz und Pathos, und dann bei den
täglichen Pflichten und der ganz banalen Realität landen: das ist die
deutsche Ideologie. Natürlich will man immer und prinzipiell alles
wohl unterschieden und begründet haben....darüber hat sich Marx schon
in der gleichnamigen Schrift lustig gemacht.

Dagegen habe ich einfach angemahnt, daß uns diese Willenshuberei nicht
sehr viel hilft. Um noch eins draufzusetzen: es ist das Fähnlein des
beleidigten Materialismus, der sich sogar mitunter in eine richtige 
Gegnerschaft zur bürgerlichen Gesellschaft hineinphantasiert, um dann
plötzlich festzustellen, daß im Grunde sowieso nur wenige dagegen sind.

Da schaue ich mir schon lieber Strukturen an, die Menschen tatsächlich
die Möglichkeit geben, sich aus der falschen Form der Vergesellschaftung
herauszuarbeiten. Und freie Software / digitale Kreativität / Prosumerism
ist vielleicht die erste Vorbotin einer Struktur, die dieser Anforderung 
wirklich standhält.

Franz






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