Re: [ox] WOS2 -- Wohlstand
- From: Dirk Herrmann <dirk.herrmann UniBw-Hamburg.DE>
- Date: Sat, 3 Nov 2001 00:42:15 +0100
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Am Sonntag, 28. Oktober 2001 17:28 schrieben Sie:
Hi Gregor und alle,
da ich einige Zeit offline war, erst jetzt meine Antwort.
Gregor Zeitlinger wrote:
>>Begriff selbst. Wenn du VWL studierst, dann steht der Ökonomiebegriff
>>vermutlich nicht zur Disposition, er wird vermutlich eher die
>>Grundlage der VWL sein.
>
> VWL heißt ja Volkswirtschatfslehre, eine Definitions (wohlgemerkt
> _eine_) dazu habe ich mal aus einem Einführungbuch (Economics von
> Samuelson/Nordhaus) rausgesucht:
>
> Volkswirtschaftslehre ist die Wissenschaft vom Einsatz knapper
> Resourcen durch die Gesellschaft zur Produktion vertvoller
> Wirtschaftsgüter und von der Verteilung dieser Güter unter ihren
> Mitgliedern.
Mir fällt zweierlei auf: Nach der Produktion handelt es sich nicht um
Produkte, sondern um Wirtschaftsgüter; Resourcen sind knapp,
Wirtschaftsgüter sind wertvoll. Diese umgangssprachliche Definition
mündet in die ökonomischen Dogmen, die wir alle kennen:
- Produkte sind Wirtschaftsgüter und haben Warenform
(das steht da nur implizit: ein Gut nicht für mich oder dich,
sondern für die "Wirtschaft" ist notwendig eine Ware);
- ugs. "wertvoll" sind nur "werthaltige" Güter, also Güter in
Warenform;
- nicht nur Ressourcen sind knapp, sondern Güter in Warenform
_müssen_ knapp sein und ggf. gemacht werden, weil sie sonst
ihre Warenform verlieren (auch das eine Implikation).
Hier möchte ich doch noch mal etwas hinzuügen:
Nicht alles, was in einem betrieblichen Leistungsprozess (Produktion)
erstellt wird, ist zwangsläufig ein Produkt, dass ja der Definition nach im
Wesentlichen der Vermarktung (Man beachte die Tatsache, dass es auch eine
kostenlose, aber dennoch nicht wertfreie Vermarktung gibt !) dient. Nur ein
Produkt ist auch ein Wirtschaftsgut, ich weiss, wo Du da den Unterschied
siehst, denn so wie ich gelernt habe, ist ein Produkt ein Ergebnis
betrieblicher Leistungserstellung, dass zu dem Zweck der
Bedürfnisbefriedigung auf dem Markt angeboten wird. Produktion als Bindeglied
zwischen Beschaffungs- und Absatzmarkt ist längst nicht mehr der einzige Sinn
und Zweck, zuviel Produktion verbleibt ausschliesslich innerhalb des
Unternehmens, dient nicht der Vermarktung. Die Kosten, die bei der Erstellung
innerbetrieblicher Leistungsprozesse dennoch anfallen, werden zusätzlich zu
den reinen Produktionskosten (Kosten der Transformation eines oder mehrerer
Güter in ein anderes Gut), auf den Absatzpreis aufgeschlagen (vgl. hierzu
M.Porters Wertschöpfungskette), ein Fakt, der hier immer wieder
vernachlässigt wird, wenn die Rede davon ist, dass verschiedene Produkte
stark überteuert angeboten werden, was es natürlich auch gibt, insbesondere
bei Monopolpositionen (MS).
Güter in Warenform (=Produkte?) sind tatsächlich knapp, denn wer soll denn
alternativ die anfallenden Kosten des Unternehmens decken, dass diese bereit
stellt ? Wovon soll MS seine Programmierer bezahlen, wenn keiner mehr eine
müde Mark für MS-Software bezahlt, nur weil die Grenzkosten der
Verfielfältung bei digitalen Produkten nunmal Null sind ?
Das nenne ich Ideologie. Sie steht in der Def. nicht wörtlich drin, ist
aber dort impliziert. Das ist bei Ideologien übrigens immer so: Der
ideologische Charakter liegt nicht auf der Hand, sondern wird erst
offenbar, wenn man die ganzen ungenannten und unhinterfragten
Rahmensetzungen hinzunimmt.
Zum Thema "Ideologie" möchte ich noch mal auf die Theorie der Asymetrie von
Falsifikation und Verifikation von Karl Popper. Es ist einfach das Gegenteil
zu behaupten, man muss es nur beweisen. Ich hoffe immer noch, dass einer mir
ein neues Denkmodell anbietet dass vielleicht genauso einfach, unzureichend,
verblendet und unwahr ist wie die BWL , aber immerhin doch einen
Modellcharakter aufweist und die aufgeworfenen Fragen / Prolemstellungen
ausreichend zu erklären versucht bzw. sogar beantwortet.
Nur am Rande als Frage an alle: Gibt es überhaupt eine Denkform, die
nicht-ideologisch ist? Klar scheint mir, dass die Behauptung einer
Ideologiefreiheit selbst in jedem Fall ideologisch ist. Darin steckt
nämlich stets der Versuch, etwas als "rational", "normal", "evident",
"objektiv" zu deklarieren, um es sakrosankt zu machen. Es ist der
Versuch, auf etwas Drittes, Quasi-Naturhaftes, Unhinterfragbares zu
rekurrieren.
Für mich persönlich sind mathematische Funktionen und Modelle zumindest
WENIGER ideologisch als schön formulierte Sätze.
Du kannst ja mal spassenshalber versuchen, eine Ökonomie jenseits der
Warenform (=Wertform) zu denken. Und wenn dir das gelingen sollte und du
erzählst es jemandem, dann wird der dich für verrückt erklären
(wenigstens in der VWL und BWL). In Oekonux geht es dagegen genau darum
(jedenfalls mir).
Das habe ich im Zusammenhang mit dieser Liste sogar versucht, aber leider
existieren da ziemlich eng gesteckte Grenzen (Sind es vielleicht meine
Scheuklappen?) Aber immerhin schreibe ich eine Diplomarbeit, die so Pi mal
Daumen zum Thema hat: Die traditionellen ökonomischen Modelle lassen sich auf
die Softwarebranche NICHT MEHR anwenden, sie sind veraltet und nicht an die
technologische und gesellschaftliche Entwicklung angepasst.
> Danach würde sie sich zwar nicht mit per se nicht-knappen Resourcen
> auseinandersetzen, das ist aber natürlich nicht so. Ein Ansatz besteht
> darin, die nicht-knappheit zu leugnen (Intellectual Property Rights).
> Ich finde es aber nützlicher, den Begriff auf knappe und nicht-knappe
> Güter zu erweitern. Dadurch werden nämlich nicht alle ökonomischen
> Theorien über den Haufen geworfen, aber die Unterscheidung erlaubt
> eine systematischere Einordnung von knappen und nicht-knappen Gütern.
> Ich glaube historisch wurde den knappen Gütern mher Aufmerksamkeit
> geschenkt, weil man dachte, daß man sich um die anderen nicht kümmern
> brauchte, da sie ja alle haben können, es also kein Allokationsproblem
> gibt. Es ist natülich falsch, daß es deshalb uninteressant wäre, sich
> damit zu beschäftigen.
Dazu würde mich interessieren, wie denn das knappe Wissen, das ja danach noch
künstlich verknappt wird, überhaupt zustande kommt.
Hier kippst du übrigens von den (nicht-)knappen Ressourcen in die Rede
von den (nicht-)knappen Gütern um. Ist das für dich das Gleiche? Was ist
dann aber der Unterschied zwischen "Ressource" und (Wirtschafts-)Gut?
> Vielleicht können wir so etwas unideologischer einen gemeinsamen
> Nenner finden, was wir unter Ökonomie verstehen (wir können natürlich
> auch gerne ein anderes Wort nehmen, was nicht so vorbelastet ist).
Gut, lass uns ein anderes Wort nehmen und die Probleme
gesellschaftlicher Produktion und Verteilung jenseits der Warenform
diskutieren. Das ist IMHO auch der Sinn dieser Liste, die per Def.
gucken will, ob und wie sich die Prinzipien Freier Software
gesellschaftlich verallgemeinerbar ist, ob sie als Schnittmuster für
eine andere gesellschaftliche Produktionsweise taugen.
Genau dieses PRODUKTIONSMUSTER suche ich nun schon eine ganze Weile, aber
Fragen, wie dann in der neuen Gesellschaft auch materielle Produkte erzeugt
werden, konnten noch nicht beantwortet werden.
>>Begründung und Ineffizienznachweis: Es sterben
>>jeden Tag 100000 Menschen an Unterernährung (FAO-Weltbericht 2001),
>>also an der Ökonomie weltweit (andere ökonomische Folgen nicht
>>eingerechnet).
>
Das habe ich nun wirklich schon zu oft gehört. Dazu frage ich erst einmal,
warum überhaupt eine solche Ungerechtigkeit zustande gekommen ist, warum es
ein "hier" und ein "da" gibt. Wenn es das "hier" in einer anderen Form
gegeben hätte, dann wäre "hier" vielleicht "da" oder umgekehrt. Wer weiss das
genau ? Wenn man das herrschende Produktionssystem nicht anerkennt,aber doch
dessen Folgen als selbstverständlich erachtet, dann fehlt da in meinen Augen
etwas.
> Natürlich ist es das. Aber sie sterben nicht an Ökonomie, sondern an
> den Folgen des bestehenden politischen, miltärischen und ökonomischen
> Systems weltweit. Es stirbt ja auch keiner an Politik.
Du stimmst mir also zu: Die Menschen sterben an den Folgen des
polit-militär-ökonomischen Systems. Bingo! Das ist genauer formuliert,
denn Ökonomie bedeutet notwendig Staat, Militär, Politik usw. Das sind
verschiedene Regulationsinstanzen, die auch ihre relative Eigendynamik
entwickeln können. Auf was sie regulierend einwirken, ist die Ökonomie.
Die ist schon deshalb sakrosankt, weil es ohne Ökonomie die
Regulationsinstanzen nicht gäbe.
Das fällt mir nun wirklich etwas schwer zu verstehen. Dann wäre Ökonomie ja
schon vor Militär und Politik entstanden, ein Fakt, den ich doch bezweifeln
möchte. Zumindest in ihrer ausgereiften Perversion kam die hiesige Ökonomie
erst, als SIE SELBST zur Regulierungsinstanz wurde, sich über Politik und
auch über Militär hinwegzusetzen begann.
Ciao,
Stefan
MfG Dirk
P.S.: Das bietet wohl wieder genug Zündstoff, ich entschuldige mich schon mal
im Voraus für den hier gewählten Ton, ich bin und bleibe ein Hitzkopf.
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