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[ox] Re: Zeit



Hi Benni, StefanMz, Liste!

3 weeks (21 days) ago Stefan Meretz wrote:
warum nehmen sich die Leute nicht die Zeit?

Benni Bärmann wrote:
Es gibt aber keinen Grund Zeit so sehen zu müssen - vor allem nicht
ausschließlich unter diesem Blickwinkel. Vielleicht liegt hier ein
wichtiger Knackpunkt, daß wir uns noch viel stärker auch mental von
den Zumutungen der vorherrschenden Produktionsweise befreien müssen
und schauen müssen, wo tiefere Bedürfnisse liegen, die uns vielleicht
weniger krank machen, in jedem Fall aber mehr befriedigen. Bei Zeit
fällt es mir allerdings auch besonders schwer ;-) .

"Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich." Damit ist schon viel
gewonnen, finde ich, wenn man sich das wirklich mal zu Ende denkt.
Seit dem kommt mir die am häufigsten verwendete Ausrede "Keine Zeit"
nur noch deutlich schleppend von den Lippen, was tatsächlich schon
zu einer anderen Wahrnehmung von Zeit führt, finde ich.

Ja, da gebe ich dir recht. Ich habe für mich auch ziemlich klar, daß
ich mich sehr bewußt für dies oder jenes entscheide und ich sage daher
auch nur selten "keine Zeit" - am ehesten noch im Beruf ;-) .

Na ja, es ist ja nicht so, dass die Leute sich nicht Zeit für dies uns
das nehmen würden. Selbst die megagestressten, bedauernswerten
Manager/innen racken ja nicht rund um die Uhr. Sie nehmen sich auch Zeit
für das Fitnessstudio, das Luxusrestaurant und den Kurzurlaub auf Barbados.

Da wäre für mich schon die Frage, ob die sich das wirklich *nehmen* im
engeren Sinne. Irgendwie habe ich mehr den Eindruck, daß sie auch da
durchaus Getriebene sind.

Vielleicht hängt es damit zusammen, daß in den leeren Köpfen, die bei
solcher Lebensweise entstehen, nichts Sinnhaftes mehr aufkommen kann.
Und dann wird die (relative) Freiheit in der (relativen) Freizeit
schnell zur Bedrohung - denn was gibt es Schlimmeres als massenhaft
Zeit und nichts Sinnhaftes damit anzufangen? Es gibt ja auch die
Phänomene, daß Leute, die durch schwere Krankheiten o.ä. zur
plötzlichen Untätigkeit gezwungen sind, eine andere Sicht der Dinge
entwickeln.

Muße wäre hier wohl das richtige Stichwort - aber die habe ich für
mich auf die GPL-Gesellschaft verschoben ;-( .

Aber das alles ist "zugerichtete Zeit". Sie ist zugerichtet auf einen
Zweck: In der Wertmühle zu funktionieren. Und dazu gehört Erholung aka
Reproduktion der Arbeitskraft.

Nach meinen obigen Gedanken wäre hier dann von "Erholungsarbeit" zu
sprechen. Klingt irgendwie absolut nicht abwegig ;-)-: .

Eine wichtige Dimension, die ich schon öfter gebracht habe;-), fehlt da
aber: die der Gründe. Die Leute, jeder Mensch, entscheidet sich, etwas
zu tun oder zu lassen, und dafür hat er/sie individuelle Gründe. Die
Menschen sind also weder bloß innen- noch aussengetrieben, sondern sie
verhalten sich zu ihrem "Innern" und dem "Außen" und entscheiden sich dann.

Die Frage lautet also nun: Warum entscheiden sich die Leute immer
wieder, ihre Lebenszeit als "zugerichtete Zeit" zu verausgaben?

Na ja das mit den Gründen würde ich ähnlich Benni dann aber auch auf
unbewußte Gründe beziehen - die ja durchaus auch individuelle Gründe
sind. Es bedeutet für ganz viele ja schon einen heftigen Schritt, aus
dem ganzen Normenkorsett auszusteigen - und sei es nur die Flugreise
um den halben Planeten für zwei Wochen Strand, die sich durch nichts
von zwei analogen Woche auf Mallorca unterscheiden. Es ist ja ganz
vielen gegenwärtig, daß sie dann eben von Kollegen etc. seltsam
angeschaut werden und ich nehme an, daß diejenigen, die den üblichen
gesellschaftlichen Normen noch nicht ganz Ade gesagt haben, wissen,
wovon ich spreche.

Auch hier würde ich mit dem Begriff der hegemonialen Kultur operieren.
In der momentanen Hegemonialkultur ist Leistung eben eminent wichtig
und damit eben auch die Leistung in der Freizeit. Die Fitness-Welle
würde ich z.B. auch in exakt diesem Kontext sehen: Jetzt muß auch noch
der Body jederzeit leistungsbereit sein - oder zumindest so aussehen.

Was nämlich fehlt, ist die Vorstellung, das und wie es anders gehen
kann.

Ja. Und noch dazu, daß es anders gehen sollte. Die normative Kraft der
Verwertung würde ich hier nicht unterschätzen. D.h. wir brauchen eine
neue Hegemonialkultur - allerdings bin ich auf dem Feld der Zeit
selbst reichlich ratlos :-( .

Der Verweis auf die Freie Software ist wirklich das einzige reale
Beispiel.

Hmm... Wenn ich mich an die Zeiten erinnere, während deren ich schon
mal so etwas ähnliches gemacht habe - das war phänomenologisch nicht
unbedingt das Gegenmodell z.B. zu einer (gut laufenden, Spaß
machenden) selbständigen Tätigkeit. Da habe ich auch ziemlich
geschuftet - ich mußte halt nicht sondern wollte es nur.

Also irgendwie habe ich es noch nicht so richtig klar.

Freie Software entwickeln kann ich auch mit hoher Energie und
dementsprechend viel Zeit da reinstecken. Ich würde vermuten, daß
einige EntwicklerInnen das auch tun. Ok, ich kann jederzeit damit
aufhören, muß allerdings bereit sein, den Scheidungspreis zu bezahlen,
der sich ergibt: Daß ich dann nicht mehr (aktiver) Teil des
entsprechenden Projekts bin - was individuell sicher unterschiedlich
schwer wiegt.

Gut, vielleicht sollte ich betonen, daß ich Freie Software eben auch
mit weniger Zeitaufwand entwickeln kann. Wenn das Projekt eben ein
eher gemächliches Tempo hat, dann mag das sogar recht gut
funktionieren.

Nee, irgendwie macht's das auch nicht wirklich klarer :-( .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Organisation: projekt oekonux.de


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