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Re: Zeit (was: Re: [ox] WOS2 -- Wohlstand)



Hallo Stefan u.a.

On Fri, Nov 09, 2001 at 09:57:44AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
Eine wichtige Dimension, die ich schon öfter gebracht habe;-), fehlt da
aber: die der Gründe. Die Leute, jeder Mensch, entscheidet sich, etwas
zu tun oder zu lassen, und dafür hat er/sie individuelle Gründe. Die
Menschen sind also weder bloß innen- noch aussengetrieben, sondern sie
verhalten sich zu ihrem "Innern" und dem "Außen" und entscheiden sich dann.

Viel passiert aber auch unbewusst. Genau dieses mangelnde Bewusstsein drückt
sich IMHO immer wieder in der Redewendung "keine Zeit" aus. Deswegen ist
sich bewusst zu machen, dass man selbst es ist, der sich Zeit nimmt, ein
wichtiger Schritt. Ging mir zumindestens so.

Die Frage lautet also nun: Warum entscheiden sich die Leute immer
wieder, ihre Lebenszeit als "zugerichtete Zeit" zu verausgaben?

Eine naheliegende Antwort wäre: In dieser Gesellschaft kann der Einzelne
sein/ihr Leben nicht anders erhalten als über Verausgabung von
zugerichteter Zeit (Hirn, Nerv etc. lasse ich mal weg, hängt da aber
unmittelbar dran). Aber warum dann aber bei vielen in einem derartig
extensiven Maße? Nach meinem Eindruck: Weil die Anforderungen auch so
sind. Die Anforderungen haben in den letzten 20 Jahren unglaublich
angezogen. Es gibt immer weniger Nischen, in denen die Zeit nicht
zugerichtet ist. Wenn ich mein Niveau halten will, muss ich mitziehen.
Sonst droht Absturz. Und Absturz ist sehr relativ, für einen Manager
kann das schon eine Versetzung sein.

Für viele geht es aber auch darum ihr Niveau (oder vielmehr dass, was sie
dafür halten) zu erhöhen. 

Ein weiterer wichtiger Grund ist: Nur arbeitend, also nur in den
Strukturen zugerichteter Zeit, kann ich meine Gesellschaftlichkeit
leben. 

"Nur" finde ich falsch. Es ist dort am einfachsten. Es ist der Standardweg.
Der Weg des geringsten Widerstandes (zumindestens dann, wenn es nicht so wie
bei mir ist, dass arbeiten bei einem Pickel hervorruft). Ich lebe meine
Gesellschaftlichkeit ja auch mit dieser Mail z.B.

Das hatte StefanMn irgendwann mal so nett dargestellt: Nicht erst
wenn die Individuen zu einem Haufen zusammenkommen, entsteht
Gesellschaft, sondern die Gesellschaftlichkeit ist Teil jedes
Individuums. Die Frage ist nur wie es diese Gesellschaftlichkeit
entfalten kann, wie es sich vergesellschaften kann. Und da ist derzeit
nichts anderes möglich als eben in den Formen der zugerichteten Zeit. Je
mehr ich meine Gesellschaftlichkeit entfalten will, desto stärker die
Zurichtung.

Im Freizeitbereich ist diese Zurichtung deutlich geringer. Natürlich gibt es
auch da Phänomene wie Kulturindustrie und ähnliches. Nur einfach zu sagen
das alles ist nur zur Reproduktion der Arbeitskraft finde ich zu einfach. Da
gibt es überall Anknüpfungspunkte und Möglichkeiten seine Zeit selbst zu
gestalten. Das gilt noch im spiessigsten Kleingärtnerverein. Und auch in der
Arbeit gibt es gelegentliche Nischen. Dort werden sie sogar eher mehr, würde
ich sagen. 

Was nämlich fehlt, ist die Vorstellung, das und wie es anders gehen
kann. Der Verweis auf die Freie Software ist wirklich das einzige reale
Beispiel. 

Finde ich nicht. Wenn es wirklich um persönliche Zeisouveränität geht und
nicht um die abstrakte Frage, wie ich mich reproduziere, hat man immer noch
erstaunlich viele Freiräume. Sicher, es werden weniger und selbst viele
scheinbare Freiräume sind gar keine. 

Grüße, Benni
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Organisation: projekt oekonux.de


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