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Re: [ox] WOS2 -- Wohlstand



Hi Dirk und Liste!

Ich antworte mal auf alle deine Mails in diesem Thread hier zusammen.

5 days ago Dirk Herrmann wrote:
Genau dieses PRODUKTIONSMUSTER suche ich nun schon eine ganze Weile, aber
Fragen, wie dann in der neuen Gesellschaft auch materielle Produkte erzeugt
werden, konnten noch nicht beantwortet werden.

Das gibt mit Anlaß, darüber nochmal nachzudenken :-) .

Nun, ich schätze, daß auch während des Übergangs vom Feudalismus zum
Kapitalismus diese Frage noch nicht beantwortet werden konnte - oder
ähnliche gelagerte Fragen des feudalistischen Systems, die einE
HistorikerIn sicher besser angeben kann als ich. Will sagen: Daß es
heute noch nicht endgültig angegeben werden kann, ist zunächst mal
kein Kill-Kriterium.

Um es von der anderen Seite her aufzuzäumen würde ich sagen, daß
theoretisch eine Welt ja grundsätzlich vorstellbar wäre, in der die
Menschen sich um die materielle Güterproduktion aus anderen Gründen
sorgen als der Profitmaximierung bzw. des strukturellen Zwangs zum
Gelderwerb. Die Frage wäre "nur", welche "Anreize" - besser vielleicht
welche Gründe - es dafür jenseits des abstrakten Zwangssystems
Kapitalismus geben könnte.

Historisch hat es solche Systeme gegeben, den bekanntlich ist der
Kapitalismus ein historisches Phänomen und vorher haben Leute auch
schon materielle Produkte erzeugt. Ihre vorherigen Gründe waren - so
würden wir wohl vermuten - vor allem Notwendigkeit. Mühe wurde auf
sich genommen, um den blanken Lebensunterhalt zu erzielen. Auf dem
damaligen Stand der Produktivkraftentwicklung konnte sich nur ein
kleiner Bruchteil der Bevölkerung dieser Mühsal entziehen - im
wesentlichen Adel und Teile der Kirche.

Es dürfte nun klar sein, daß wir *diese* Sorte Gründe heute nicht mehr
wollen.

Hier kommt ein Zitat aus einer anderen deiner Mails gelegen:

5 days ago Dirk Herrmann wrote:
Aber der Vergleich mit einer zum damaligen Zeitpunkt eher reinen
Zweckgemeinschaft und der Assoziation dieser mit Ökonmie scheint mir etwas
weit hergeholt. Arbeitsteilung und Spezialisierung dienten zum damaligen
Zeitpunkt wohl kaum der Ausbeutung der Menschen und dem Gewinnstreben
Einzelner. Dass diese Entwicklung letztendlich zu "Arm und Reich" führte, ist
eine historische Entwicklung, die so gekommen ist, aber nicht hätte so kommen
MÜSSEN. Schliesslich hätten die Leute diese Form der freiwilligen
Arbeitsteilung ja auch schon damals in einer Art GPL-Gesellschaft münden
lassen können. Aber ich denke, dass es zu DIESEM ZEITPUNKT effektiver war,
die Form der Produktion in dieser Art und Weise zu organisieren.

Das denke ich in der Tat auch. Für die - in StefanMz' Schema: die
Mittelepoche - war der Kapitalismus mit seinem strukturellen
Zwangssystem die effektivste Methode, die allgemeine Mühsal zu
verringern, das Reich der Notwendigkeit zurückzudrängen - zumindest
potentiell.

Meine - und wohl auch anderer Leute hier - These lautet nun, daß diese
Phase der menschlichen (genauer gesagt: westlichen) Entwicklung
abgeschlossen ist. Das strukturelle Zwangssystem wird zunehmend
ineffizienter was die Produktion nützlicher Güter betrifft. Freie
Software, die sich in weiten Teilen jenseits dieses strukturellen
Zwangssystems befindet und das noch dazu auf einem gesellschaftlich
relevanten Niveau, Freie Software zeigt, in welche Richtung die
Produktivkraftentwicklung gehen könnte / sollte.

So hat auch bis heute, trotz der Erkenntnis der vorhandenen Nachteile, eine
Hierarchie sowohl innerhalb eines Unternehmes als auch eines Staates,
Gemeinschaft usw. immer noch auch Vorteile. Wenn eine Hierarchie so
ineffizient wäre, wäre sie längst ausgestorben. Gerade im Zusammenhang mit
dem Teilfach Organisation werden die Vor- und Nachteile einer Hierarchie
(bezogen auf die Unternehmensstruktur) immer wieder kontrovers diskutiert.

Hierarchien und andere strukturelle Zwangssysteme sind sinnvoll, wenn
es darum geht, menschliche Maschinenfortsätze zu organisieren. Da
Menschen keine Maschinen sind und sich auch nicht sonderlich gut als
deren Fortsätze eignen, mußt du sie zu solchem Dasein zwingen.

Wenn die Produktivkraftentwicklung allerdings einen Punkt erreicht
hat, an dem der Mensch als Maschinenfortsatz zunehmend verzichtbarer
wird - wie uns die Arbeitsplatzentwicklung in der produzierenden
Industrie zeigt -, dann werden auch Hierarchien und andere
strukturelle Zwangssysteme zunehmend verzichtbarer. Wenn die
Kreativität der Menschen gefragt ist, dann werden solche Systeme sogar
kontraproduktiv. Denn Menschen sind dann am kreativsten, wenn sie
durch möglichst wenig äußere Zwänge beschränkt sind und sich auf das
eigentliche Ziel je ihrer Kreativität beziehen können.

Das kapieren auch die KapitalistInnen und versuchen, diese Kreativität
den Menschen zu entlocken und dafür werden sogar Hierarchiesysteme
geschliffen - gerade auch in der Computer-Branche mit ihren oft
anderen Umgangsformen. Der strukturelle Zwang zur Verwertung ist aber
*im Kapitalismus* unhintergehbar. Das markiert die endgültige Grenze
aller solcher Bemühungen.

Auch kommerziell hergestellte Freie Software unterliegt grundsätzlich
diesem Problem. Auch dort entwickeln Menschen nicht mehr für ihre je
eigenen Zwecke, sondern fügen sich dem Willen von anderen. Das ist -
wenn das bis hierher Gesagte stimmt - auch dort eine Kreativitäts- und
damit auch eine Qualitätsbremse.

Um auf die Frage nach der Produktion Freier materieller Güter
zurückzukommen: Wenn wir gerade in der historischen Phase ankommen, in
der die Selbstentfaltung der Einzelnen die Bedingung für eine
effizientere Produktion, für eine Minimierung von Mühsal wird, dann
gibt es keinen Grund, daß nicht auch die materielle Produktion dieser
Gesetzmäßigkeit unterliegt. Jedenfalls sehe ich bisher keinen.

Na, das ist alles jetzt nicht wirklich neu, aber vielleicht ganz gut,
es mal wieder so darzustellen.

5 days ago Dirk Herrmann wrote:
Am Dienstag, 30. Oktober 2001 21:34 schrieben Sie:
ich schlage vor hier die frage der "KNAPPHEIT" zu hinterfragen:
sind zeit, öl, raum knapp?

Ja, alle drei. Zum Thema kann ich sogar ein aktuelles Bsp. anbringen. Da ich
meine begrenzte Ressource Zeit , die ja bekanntermassen beim Menschen
einerseits natürlich begrenzt ist, anderseits es auch keinen Sinn macht,
diese nicht in einem zur momentanen effektiven Verwertung bereit stehendem
Rahmen zu betrachten. Ich kann nur einen sehr geringen Teil meiner Zeit in
diese Mail investieren, da ich nicht unbegrenzt Zeit zur Verfügung habe, denn
diese wird begrenzt durch natürliche Restriktionen (Zeit für Schlaf, Essen,
Toilette,usw.), persönliche Präferenzen (Sport, Linux&Co., Freunde,usw.) und
externe Zwänge (Studienende, Abgabetermin der Diplomarbeit, Klausuren,
berufliche Verpflichtungen,usw.). Daraus ergibt sich ein verbeliebendes
Restfeld an Zeit, dass ich MOMENTAN für den Zweck der Mail aufwenden bzw.
verwerten kann. Aufgrund der Möglichkeit einer Alternativinvestition dieser
Zeit in andere Dinge ist dies auch nicht wertfrei, denn sie "raubt" mir
andererseits die Wahrnehmung eben dieser Alternative. Dies ist in etwa wie
ein Verlust in Form eines entgangenen Gewinns in der BWL.

Die Zeit als solche ist demzufolge nicht knapp, und kann auch nicht verknappt
werden, aber die effektive Verwendung bezogen auf einen bestimmten zeitraum
ist in jedem Fall knapp und bedarf auch keiner künstlichen Verknappung.

Hier liegt vielleicht ein Problem in der Betrachtung des Menschen.
Sabine hat es wohl mit der Prämisse des nutzenmaximierenden Menschen
angesprochen. Du - und wohl die meisten anderen - betrachtest Zeit als
eine ökonomische Größe - bis hinein in dein Privatleben. Du stückelst
sie zur Nutzenmaximierung.

Nun ist aber auch dies nur eine von vielen möglichen und historisch
halt so gewachsenen Zeitbegriffe. In vorkapitalistischen Zeiten hat
z.B. gegenüber dem heute bei uns gebräuchlichen linearen Zeitbegriff
ein zirkulärer Zeitbegriff gegolten. Dieser war natürlich angelehnt an
die Rhythmen der Natur - klar in der StefanMz'schen Naturepoche.

Es gibt aber keinen Grund Zeit so sehen zu müssen - vor allem nicht
ausschließlich unter diesem Blickwinkel. Vielleicht liegt hier ein
wichtiger Knackpunkt, daß wir uns noch viel stärker auch mental von
den Zumutungen der vorherrschenden Produktionsweise befreien müssen
und schauen müssen, wo tiefere Bedürfnisse liegen, die uns vielleicht
weniger krank machen, in jedem Fall aber mehr befriedigen. Bei Zeit
fällt es mir allerdings auch besonders schwer ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
--
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