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[ox] Freie Kooperation & Wertkritik



                  Warum genau Arbeit Scheiße ist 
                              oder 
            Freie Kooperation, Oekonux und Wertkritik

Ich gebe es offen zu: Ich hasse Arbeit. Ich hasse es, mir für fremde
Interessen den Arsch aufzureissen, ich hasse es mir sagen zu lassen, was ich
zu tun oder zu lassen habe, ich hasse es meine Zeit zu verkaufen, ja ich
hasse es _mich_ zu verkaufen, denn nichts anderes bedeutet es für mich zu
arbeiten.

Weil das so ist und weil es so offensichtlich ist, dass man ohne zu arbeiten
nicht viel tun kann in dieser Welt habe ich mich begonnen damit
auseinanderzusetzen, was das ist ``Arbeit'' (und was es nicht ist), wieso
man das braucht, wie es dazu kam, dass alle arbeiten und ähnliche Fragen. Im
Zuge dieser Auseinandersetzung bin ich auf zwei sehr interessante Texte
gestoßen: Das ``Manifest gegen die Arbeit'' der Gruppe Krisis und ``Die
Aliens sind unter und - Herrschaft im demokratischen Zeitalter'' von
Christoph Spehr.

Da ich, wenn ich denn mal wieder arbeiten mußte, meist als
Softwareentwickler gearbeitet habe, bin ich auch fast zwangsläufig auf die
Oekonux-Mailingliste gestoßen, in der es um Freie Software und ihre
Auswirkungen auf Ökonomie und Gesellschaft geht.

Im Manifest wird sehr elaboriert das Konzept von Arbeit auseinandergenommen,
historisch kritisiert, in Zusammenhang mit dem umfassenden totalitären
Wertsystem gebracht und mit aller Schärfe offengelegt und diskreditiert.
Doch beim Lesen bleibt eine Frage offen: Und nun? Was sollen wir tun?
Sicher, das war vielleicht nicht Thema des Textes und nicht Ziel der
Autoren, doch blieben also manche meine Ausgangsfragen weiter offen.

Im Alienbuch und im nachfolgenden ``Gleicher als Andere'' in denen das
Konzept der Freien Kooperation vorgestellt wird, geht es zunächst um was
anderes, es geht um das allgemeine Konzept von Emanzipation, um die Frage
was erzwungene von freien Kooperationen unterscheidet und vor allem immer
wieder darum, was wir tun sollen.

Die beiden genannten Texte bzw. genauer die wertkritische Position der
Krisis-Gruppe und das Konzept der Freien Kooperation von Christoph Spehr
spielen in der Diskussion auf der Oekonux-Mailingliste beide eine große
Rolle. So begann also langsam eins zum anderen zu finden ...

Ich habe mir nun das Konzept Freier Kooperation angeschaut um meine
ursprünglichen Fragen an das Arbeiten erklärt zu bekommen. Auf den ersten
Blick ist es offensichtlich: Lohnarbeit ist erzwungene Kooperation, da der
Scheidungspreis nicht stimmt. Wenn ich kündige, bin tendenziell immer ich
der Gelackmeierte, weil meine Arbeitsergebnisse weiter Profit abwerfen aber
ich nicht weiter meinen Lohn erhalte. Diese einfache Sichtweise stimmt auch
heute sicherlich immer noch für einen Großteil aller
Lohnarbeitsverhältnisse, nur beginnt sich im Zeitalter der immateriellen
Arbeit einiges zu ändern. Da ein immer größerer Anteil der Produktivkräfte
in den Subjekten selbst steckt, nehmen sie auch einen immer größer werdenden
Anteil davon mit, wenn sie kündigen. Das gilt natürlich zunächst mehr für
hochqualifizierte Arbeit als für niedrigqualifizierte zunächst mehr im
Norden als im Süden. Dennoch ist es ein Trend.

Für mich als Softwareentwickler zeigt sich dieser Trend auch schon ganz
gegenständlich und nachvollziehbar: Es gibt den Fall, dass ich in einem
Lohnarbeitsverhältnis Freie Software produziere. Was dann? Jetzt stimmt der
Scheidungspreis. Wenn ich gehe kann ich zumindestens große Teile meiner
Arbeit mitnehmen, nämlich den Sourcecode meiner Programme, da das Ergebnis
meiner Arbeit von Begin an als Freie Software der Algemeinheit zu Gute
kommt. Solche Jobs sind zwar noch rar, aber das Freie Software auch
innerhalb von Firmen produziert wird, greift immer weiter um sich.

Dummerweise war ich selbst in diesen Fällen immer noch unzufrieden.
Eigentlich hat sich an der konkreten Arbeitssituation wenig geändert. Mein
Chef sagt mir immer noch, was ich zu tun und zu lassen habe. ``Das ist ja
auch kein Wunder'' spricht die Freie Kooperation, ``die Regeln in der
Kooperation sind ja auch sakrosankt.

Nun wäre es denkbar - ich schreibe ab jetzt im konjunktiv, weil meine Praxis
noch nicht so weit ist - dass die Firma selbst sich nach den Prinzipien
Freier Kooperation organisiert und somit keine sakrosankten Regeln mehr
gelten würden. Alle wären ab sofort ihr eigener Chef. Wenn das in der
bestehenden Firma nicht funktioniert, kann man ja eine eigene aufmachen, die
natürlich auch weiterhin nur Freie Software produziert (nennen wir die Firma
mal GnuOp). Nun ist leider absehbar was dann passiert: Neben sicherlich
vielen Verbesserungen im Kleinen, wird sich nichts grundlegendes ändern.
Anstatt dem Chef sagt mir und den anderen GnuOpianern jetzt nur der Markt,
vertreten durch den Kunden, was ich zu tun und zu lassen habe.

Tja, nun guckt die Freie Kooperation zunächst etwas zweifelnd aus der
Wäsche. Die unsichtbare Hand hat sie fest im Griff, so scheint es. Doch nach
kurzem Nachdenken fällt ihr die Lösung ein: Freie Kooperation ``strebt eine
plurale Konkurrenz von Marktbetreibern an und fördert diejenigen, die
Erzeugern und Verbrauchern in höherem Maße die Voraussetzungen freier
Kooperation verschaffen können.'' (Gleicher als Andere, S.54) Statt einem
Markt hätten wir dann also viele zwischen denen wir uns entscheiden könnten.

Nun, was ist mit mir und meinem Unbehagen an der Arbeit? So langsam wird es
natürlich reichlich spekulativ, und es ist nicht mehr so einfach
vorstellbar. Was einem solchen Szenario an existierenden Alternativen am
nächsten kommt findet sich wohl in der Tauschringszene. GnuOp könnte also
versuchen, sich vermehrt an solchen Tauschringen zu beteiligen und dort
vielleicht Software gegen Brötchen tauschen und so die Abhängigkeit vom
kapitalistischen Markt zu verringern. Doch ein Problem bleibt bestehen:
Immer noch entscheiden andere über meine Werke. Nicht meine Selbstentfaltung
entscheidet, sondern das abstrakt bleibende Bedürfnis von anderen. Tausch
statt Geld ändert nichts an der grundsätzlichen Funktionsweise der
Wertvergesellschaftung und damit auch nichts an meinem grundlegenden
Unbehagen mit der Arbeit, dass die Krisisleute ja schon ganz richtig
analysiert hatten.

So langsam steht die Freie Kooperation wirklich mit dem Rücken gegen die
Wand. Eine einfache Lösung sich aus der Affäre zu ziehen, wäre, sich am Ende
doch auf angebliche Naturnotwendigkeiten, ala ``wer nicht arbeitet, soll
auch nicht essen'' zurückzuführen. Nun, für mich und den Rest der Zielgruppe
wäre sie damit natürlich unten durch und deswegen orientiert sie sich hier
lieber an ``sozialen Sicherungssystemen''. Doch wenn mir das auch für eine
Übergangszeit eine durchaus gangbare Lösung scheint, die auch eine positive
Dynamik im emanzipatorischen Sinn entfalten kann (aber nicht muß), so ist es
für mich doch keine dauerhafte Lösung, denn auch diese ändern nichts an der
grundlegenden Wertvergesellschaftung. Denn auch solche sozialen
Sicherheitssysteme funktionieren abstrakt, ein Überschuß wird irgendwie
``umverteilt''. Dabei interessieren die konkreten Bedürfnisse der Einzelnen
notwendig nicht mehr, denn was zählt ist nur das umverteilte Geld (oder
wahlweise auch Land).

Wenn nun also die Wertvergesellschaftung letzten Endes die Ursache meines
Arbeitsunwilens ist, dann scheint Freie Kooperation da auf den ersten und
auch auf den zweiten Blick nur an den Symptomen rumzudoktorn. Das ist nicht
das, wonach ich suche.

Dennoch denke ich, dass Freie Kooperation, wenn man sie denn zu Ende denkt,
auch hierfür einen Weg zeigen kann oder zumindestens mal einen Kompaß, damit
wir die ungefähre Richtung rausfinden. Denn: Sind denn diese
Schlußfolgerungen nichts anderes als die Erkenntnis, dass unter den
Bedingungen der Wertvergesellschaftung zwangsläufig alle Kooperationen
erzwungene sind?

Was also für mich ansteht ist eine Überarbeitung Freier Kooperation um
diesen ``blinden Fleck'' zu überwinden. Für mich böten sich da vor allem
folgende Ansatzpunkte an:

* Wer ist das eigentlich, der oder die Freie Kooperationen eingeht? Was
  unterscheidet ihn oder sie vom ``bürgerlichen Subjekt''. In der
  Ökonuxdiskussion ist in diesem Zusammenhang oft von ``Selbstentfaltung''
  die Rede. In Gleicher als andere heisst es, die einzige Möglichkeit
  ``jemand zu sein'', sei es in Freien Kooperationen zu sein. Das geht auch
  in die Richtung.

* Die Marktkonkurrenz durch eine Konkurrenz der Märkte zu ersetzen reicht
  nicht aus. Da müssen ganz neue Modelle jenseits des vergesellschafteten
  Tausches her. Auch hier bietet Freie Software und die Oekonux-Diskussionen
  darüber eine Inspirationsquelle.

* Soziale Sicherungssysteme sind eine Möglichkeit auf dem Weg Freier
  Kooperation, aber sie taugen nicht für den letzten notwendigen Schritt:
  Die Abschaffung des Wertsystems. Insbesondere ist darauf zu achten, dass
  diese Systeme einerseits Emanzipation fördern, was nicht
  selbstverständlich ist, und andererseits das Wertsystem nicht noch
  verfestigen.

* Was genau sind die Eigenschaften der Wertvergesellschaftung im vokabular
  Freier Kooperation? Eine erste Formulierung könnte so aussehen: 

    Die Wertvergesellschaftung ist eine gesamtgesellschaftliche verdeckte
    Kooperation mit Zwangsmitgliedschaft unter existentiellen Bedingungen
    mit verselbstständigten Regeln. 

  Das genauer anzugucken wäre vielleicht eine Möglichkeit Wertkritik mit
  Freier Kooperation ins Gespräch zu bringen

Soweit meine vorläufigen Ergebnisse auf meinen Streifzügen durch die
Arbeitswelt. Ich hoffe es finden sich noch ein paar andere faule Hunde, die
Lust haben, daran weiterzuarbeiten. 

Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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