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Re: [ox] Wieder ausgegraben



Hallo Hans-Gert,

Hans-Gert Graebe schrieb:

Hallo Ingo,

Ich gehe davon aus, dass dieser "Maschinenpark", seine Existenz und
seine Struktur, auch sehr stark die Art und Weise und die Formen
(mit)bestimmt, in denen sich der Mensch als Gesellschaftswesen
organisiert. Also doch eher _bestimmt_ als _bedingt_.

Ich gehe davon aus, dass die gesellschaftlichen Formen, in welchen sich
der Mensch als gesellschaftliches Wesen organisiert, ein Produkt seiner
Tat sind. Das heißt, er bestimmt diese Formen. Dass er dies nur unter
den gegebenen Bedingungen, sowohl nichtmenschliche Natur als auch
menschliche Natur, nämlich der Maschinenpark, kann, ist klar. 
Deshalb bleibe ich dabei: die vorgefundenen als auch die
selbstproduzierten Lebensmittel bedingen die Formen der
gesellschaftlichen Produktion, seine eigene Tat bestimmt diese Formen.

Allerdings
liegen wir da wohl wirklich nicht weit auseinander, wie Deine weitere
Mail zeigt. Die Komplexität dieser Wechselwirkung kann man
wahrscheinlich nicht in einem Wort festmachen. Ich hatte hier schon
mehrfach auf Fortiers Aufsatz und seine "Discourse of Machines and
Machines of Discourse" hingewiesen. So etwa wie dort gefordert stelle
ich mir einen ordentlichen Ansatz vor.

Leider habe ich diesen Aufsatz bisher nicht gefunden. Kannst Du mitr die
Quelle nennen?

Es geht auch darum, dass die "Maschinerie" selbst einerseits
menschengeschaffen ist, andererseits aber als Teil der "materiellen
Bedingungen ihrer Produktion" nicht nur werkzeugförmig auf der
Mittel-Seite, sondern auch als scheinbar unabänderliche
Rahmenbedingung auf der Naturseite des Arbeitsprozesses auftaucht.
Damit stimmst Du mir doch zu, dass die Maschinerie wie die in der nicht
vom Menschen geschaffenen Natur "Teil der "materiellen Bedingungen ihrer
Produktion"" werden.
Nichts anderes habe ich doch gesagt. 
Der Mensch hat als Bedingung seiner Produktion sowohl die "äußere Natur"
(die in der vormenschlichen Natur vorhandenen Resoursen) als auch die
"innere Natur" (d. h. die durch ihn geformte Natur, als da sind: der
Maschinenpark und die Gesellschaftsformen (auch die sind vom Menschen
geschaffene Natur)).
Das
weitere Stichwort wäre für mich "Kulturlandschaft" als die durch
menschliche Tätigkeit veränderte "Naturlandschaft", die ihren
Kulturcharakter (positiv wie negativ) nur durch die weitere Tätigkeit
des Menschen erhalten (reproduzieren) kann. Sonst "verwildert" sie und
wird wieder reine "Naturlandschaft". 

Du stellst hier Naturlandschaft und Kulturlandschaft nebeneinander. Für
mich gibt es nichts außerhalb der Natur, daher ist alles
Naturlandschaft. Kulturlandschaft ist daher immer Naturlandschaft.
Kulturlandschaft ist Naturlandschaft, allerdings eine besondere.
Kulturlandschaft ist vom Menschen geprägt, während Naturlandschaft auch
ohne den Menschen da sein kann. Und sie war es auch, bis der Mensch in
der letzten Sekunde der Evolutionsuhr auf der Erde aufgetaucht ist. Seit
es den Menschen gibt, findet neben der bisherigen Naturveränderung auch
eine Naturveränderung durch den Menschen statt, was Du mit dem Begriff
der Kulturlandschaft beschrieben hast.

Wenn wir Elemente dieser
Kulturlandschaft abschaffen oder umbauen wollen, dann hat das auch
große Auswirkungen auf den Menschen als Gesellschaftswesen. Selbst
wenn wir dieses (kap) System reformieren/abschaffen/überwinden wollen.
Das muss mE mitgedacht werden, also wie sich einerseits diese
Kulturlandschaft durch menschliche Tätigkeit verändert und
andererseits menschliche Tätigkeit in dieser Kulturlandschaft
stattfindet.

Dem will ich in dieser Allgemeinheit nicht widersprechen.

PS.: Ich habe mal die Marx-Werke, welche ich digital auf Scheibe
habe, mal nach Wissenschaft durchsucht. Ich konnte keine Stelle
finden, in welcher Marx dezidiert von Produktivkraft Wissenschaft
schreibt. Das ist meines Wissens nach eine Erfindung der Apologeten.

Mit dem Wort 'Apologeten' bin ich in dem Zusammenhang vorsichtig, denn
das Thema "Produktivkraft Wissenschaft" kommt mE stark aus den
Überlegungen der 60er Jahre, den Marx unter modernen Gesichtspunkten
weiter zu entwickeln.
Ich weiß nicht, was Du mit vorsichtig einst, ich verwende den Ausdruck
jedenfalls nicht als Schimpfwort. Ich sehe das auch so wie Du, dass
diese Konzeption aus der Diskussion um die Zeitschriften Prokla, Das
Argument und anderen hervorging. 
Aus diesen Diskussionszusammenhängen kenne ich nur zwei Positionen,
welche sich kritisch mit Marx auseinandesetzen.
Dies ist einmal die Frage des Geschlechterverhältnisses.
Die andere Position ist die von Werner Loh, der vorsichtig formuliert
vermutet, dass Marx einen Konkretionsreduktionismus von Produktion auf
Arbeit vorgenommen hat. 
Jedenfalls habe ich das so verstanden. Das
zentrale Problem des Begriffs "Wissenschaft als Produktivkraft" sehe
ich in der dabei vorgenommenen Verkürzung des Wissensbegriffs auf
"nützliches Wissen".
Zuerst mal eine Frage: gibt es anderes als nützliches Wissen? Was wäre
überhaupt Wissen, welches nutzlos wäre?
Also damit kann ich momentan nichts anfangen.

Bei Fuchs-Kittowski wird klar herausgearbeitet,
dass das für die Menschheit wirklich relevante Wissen im Zeitpunkt
seiner Kreation gerade _nicht_ in diese Kategorie fällt.  Und was das
Thema "nützliches Wissen" betrifft, da sind wir ja wohl hier und heute
(in diesem System) auch nicht viel weiter.
Leider hast Du zu Fuchs-Kittowski keine Literaturangabe gemacht. 
Welches das für die Menschheit "wirklich relevante Wissen" ist, ob das
so einfach aufgelistet oder angegeben werden kann? Da habe ich meine
Zweifel.

Ich habe zu dem Thema vor einigen Jahren mal einige Stichpunkte aus
dem Philosophischen Wörterbuch (DDR) von 1974 synoptisch
aufgearbeitet, die die Ansätze dieser 'Apologeten', glaube ich, recht
gut wiedergeben.  Steht als "Informationsgesellschaft und
Arbeitsgesellschaft" auf
http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/Texte

Die Seite ist sehr informativ, aber so schnell kann ich mich da nicht
durchlesen.
 
--
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe

Mit freundlichen Grüßen,
Ingo Heer.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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