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Re: [ox] Re: Kooperation



Hallo Stefan und alle

 > Weiterer wichtiger Punkt ist mir, dass auch über die Ökonomie hinaus der
 > "dynamische Kern", konkret: Wert und Kapital, zwar dominiert, aber es 
weiter
 > andere Vermittlungsformen gibt mit Eigendynamiken und -gesetzmßigkeiten 
gibt
 > und konkrete historische Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen nötig 
ist.
 >
 > Neben der vom Kapital dynamisierten Wertvergesellschaftung, also ökon. 
Tausch
 > als 1., gibt es als Modi der Vergesellschaftung weiterhin (zufällige
 > Reihenfolge):
 > 2. unmittelbare Kommunikation und Kooperation (das ist ja nicht nur 
Utopie,
 > sondern findet in vielen Bereichen des Zusammenlebens durchaus statt, hat
 > aber seine Grenzen, allgemeine und im Kapitalismus noch besondere)
 > 3. kulturell internalisierte Normen
 > 4. Zwang, letztlich mit Gewalt sanktioniert (wobei wenn das von einem
 > demokratisch noch etwas kontrollierbaren Staat ausgeht, es allemal 
besser ist
 > als von einem diktatorischen Staat oder von irgendwelchen Banden oder
 > Einzelpersonen).
 
 Völlige Zustimmung, und mir fallen noch mehr ein. 

Welche denn? Mir fallen nämlich keine ein, die ich nicht unter eine der 
genannten subsumieren könnte. Würde mich interessieren.

 Ich behaupte nur, dass
 die Wertvergesellschaftung bestimmend ist. "Bestimmend" meine ich im
 Sinne eines allgemeinen "Mediums", in dem sich alle Vermittlungsformen
 bewegen (müssen). Das heisst nicht, dass sie durch den Wert
 "determiniert" sind, sondern sich andauernd zur Tatsache des Werts und
 seiner Dynamik etc. verhalten müssen. Das ist entscheidend - auch für
 das Verstehen meiner danach folgenden Überlegungen.

So formuliert könnte ich vielleicht folgen, aber weiter unten schreibst du 
über die gen. 4 Vergesellschaftungsmodi etwas anderes, nämlich:

 Sie sind für mich nicht voneinander unterschieden - wie dargestellt. Es
 sind unterschiedliche Aspekte ein-und-desselben "Modus". Aber das ist
 nur Sprachspiel.

Ich meine schon, bei aller Prägung durch und Dominanz der kapitalistischen 
Wertvergesellschaftung, dass die anderen eben andere sind und nicht nur 
unterschiedliche Aspekte des selben und hatte oben verstanden, du würdest das 
teilen. Was denn nun?
  
 > Tausch ist zunächst
 > symmetrisch und entspricht - Fetischismus hin oder her, das ist 
demgegenüber
 > zweitrangig, aus der Perspektive der Beteiligten selbst - Bedürfnissen 
beider
 > Beteiligter, die so Eigentum und damit Zugang zu etwas bekommen, das sie
 > brauchen und vorher nicht hatten und dafür etwas weggeben, was sie nicht 
oder
 > nicht so nötig brauchten. Das bedeutet noch keineswegs ein sich 
Durchsetzen
 > auf Kosten anderer. Dazu wird es erst unter den og. sozial polarisierten,
 > kapitalistischen Bedingungen.
 
 Dein Tauschbeispiel liegt auf der unmittelbar kooperativen Ebene. So
 kannst du Tausch auf der gesellschaftlichen Ebene nicht denken (wie die
 bürgerliche VWL). Um die gehts mir aber. Und auf dieser Ebene geht es
 andauernd um das Durchsetzen auf Kosten anderer, das geht einfach nicht
 anders. 

Aber diese gesellschaftliche Ebene ist eben nicht angemessen zu begreifen nur 
oder primär als geprägt durch Tausch, sondern spezifischer als 
kapitalistische Gesellschaft. Und auch dann gilt noch der genannte Aspekt, 
dass der Tausch auch ein Verfahren ist, sich Mittel zur Befriedigung von 
Bedürfnissen zu verschaffen und eben nicht durch Raub, sondern auf einer 
gewissen Basis von Äquivalenz und Freiwilligkeit. Sicher gibt es soziale 
Zwänge, muss man kaufen, um Leben zu können und (die meisten ihre 
Arbeitskraft) verkaufen, um kaufen zu können und hängt in der ganzen 
Konkurrenz drin etc. Dennoch: ich kaufe eine Ware, weil sie mir ein Bedürfnis 
befriedigt und niemand zwingt mich dazu. Ich verkaufe meine Ware (ggf. meine 
Arbeitskraft), damit ich etwas kaufen kann, was mir ein Bedürfnis befriedigt. 
Als Lohnabhängiger schade ich damit nicht unmittelbar anderen, sondern nütze 
dummerweise zusätzlich und ungewollt denen, deren Kapitalverwertung ich damit 
voranbringe. Und dieser Prozess führt dann wiederum zu allen möglichen 
Schäden etc. Aber beides bedingt sich doch gegenseitig und man kann nicht so 
tun, als wäre die Gebrauchswertseite irrelevant, sonst gäbe es in der Tat 
keine Erklärung dafür, warum die Leute das mitmachen. Sie machen das mit, 
weil sie (nur) so ihre Bedürfnisse wenigstens halbwegs befriedigen können, 
jedenfalls besser als ohne Tausch. Und gesellschaftlich hat es sich 
durchgesetzt, weil es nicht nur irgendwie, sondern trotz aller damit 
verbundenen Schäden und Deformationen und Fetischismen etc. effizierter 
funktionierte und ein höheres Niveau an Reichtum und Bedürfnisbefriedigung 
ermöglichte als die vorher gewesenen Gesellschaften und die bisher 
durchgesetzten Alternativen es konnten - jedenfalls aus der Sicht der 
Mehrheit der Menschen in diesen Gesellschaften. Wir sind uns dabei wohl 
einig, dass die damit verbundenen destruktiven Tendenzen nicht und immer 
weniger akzeptabel sind und eine bessere, sozialere, humanere, ökologischere 
Gesellschaft entwickelt werden muss. Aber wie die funktionieren könnte, das 
sehen wir unterschiedlich und ist mir bei dir nicht nachvollziehbar.

 > Materielle Güter sind nicht nur (wie ggf. Informationsprodukte) künstlich
 > knapp gehalten, sondern tatsächlich knapp. Ich kann sie nicht einfach 
ohne
 > Aufwand kopieren bzw. runterladen. Und auch nicht weggeben, denn wenn ich
 > mein Brot weggebe, kann ich es nicht selber essen. Gesellschaftliche
 > Arbeitsteilung und Austausch (muss nicht zwingend ökonomischer Tausch 
sein, 
 > sondern allgemein Geben und Nehmen) von Tätigkeiten und Produkten sind
 > ständig notwendig und eben nicht jederzeit und von allen frei 
verhandelbar
 > und aufkündbar.
 
 Andere haben dazu schon Nützliches geschrieben. Nichts ist "an sich
 knapp". Menschen stellen ihre Lebensbedingungen gesellschaftlich her, wo
 liegt darin die Knappheit? Darin liegt unbeschränkter Reichtum. Wenn du
 jetzt entgegnest: aber die arme Erde..., dann sage ich dir, dass dieses
 Denken aus dem "Partial-Interessen-Denken" kommt. Nur, wenn man annimmt,
 dass sich Produktion stets auf Kosten von Menschen oder Naturgrundlage
 abspielt, sieht man die Zerstörung als Folge.

Wie ich schon auf Franz schrieb: Mit "knapp" geht es mir darum, dass sie 
nicht einfach vorliegen und nur genommen werden können, sondern immer wieder 
Arbeit nötig ist, und zwar nicht nur zur Selbstentfaltung, sondern um 
bestimmte Produkte herzustellen, die dann konsumiert und damit vernichtet 
werden sollen (was bei Informationsprodukten eben nicht so ist), auch wenn 
man das nicht als Selbstentfaltung empfindet.

 > gesellschaftlichen Arbeitsprozesses hinreichend aufbauen könnte. Aber 
"Das
 > Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das 
durch Not
 > und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört" (Marx, MEW 25, 828). 
Diese
 > Notwendigkeit gibt es noch, wird es m.E. immer geben und einen 
erheblichen
 > Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen. Aber auch wenn man glaubt, das 
wäre
 > irgendwann nicht mehr so, kann die Menschheit darauf nicht warten.
 
 Die Möglichkeiten sind als Potenz vorhanden. Diese kann man nicht
 umstandslos "übernehmen" (Trenkle-Kritik!), aber sie sind Grundlage, um
 sie in eine Form zu bringen, die den Teil der (Zwangs-)Arbeit minimiert.
 Du hast Recht: die Menschheit kann eigentlich nicht warten, die Wertform
 endlich zu verlassen. Es ist das Einfache, das schwer zu machen ist.

Ich sehe weiterhin jetzt und in absehbarer Zukunft die Notwendigkeit von 
Arbeit, auch ohne Wertvergesellschaftung. Mir geht es um die alternative 
Gesellschaftsform, die die notwnedige Arbeit so weit möglich reduziert, bei 
gleichzeitiger Entfaltung der Bedürfnisse und Fähigkeiten der Menschen. In 
Letzterem sind wir uns wohl einig. Aber ich sehe nicht, dass völlige 
Beseitigung von Warenproduktion und Tausch dafür eine hilfreiche Perspektive 
wäre und dass dazu unter dem Label "herrschaftsfreie personal-konkrete 
Vergesellschaftung" eine überzeugende und realisierbare Vorstellung vorliegt.

 > und soweit dazu ein
 > gesellschaftlicher Plan nötig, muss der - das ist die Natur eines Plans -
 > jedenfalls im Groben vor der Produktion stehen. Und es stellt sich dann 
die
 > Frage, 1. wie die Gesellschaft (nicht jeder seinen/ihren eigenen) ihren 
Plan
 > erstellt, dazu wird es nach der Kommunikation auch Entscheidungen geben
 > müssen, und 2. wie er umgesetzt wird. Auch dabei können nicht alle 
solange
 > miteinander reden, bis allen alles klar ist und alle sich einig sind, 
wenn
 > man nicht vorher verhungern will.
 
 Ja, sehe ich genauso. Passiert aber - nur zur Erinnerung - in der FS
 nicht. Ist im "Allgemein-Interessen-Modus" nicht nötig, über alles
 Bescheid zu wissen.
 
In der FS braucht es keinen Plan, in der Gesellschaft insgesamt schon. In der 
FS ist ok., wenn jede/r einfach das beiträgt, was er/sie möchte. Für 
gesellschaftliche Reproduktion insgesamt reicht das nicht. Mein Probem ist 
doch, dass ich nicht sehe, wie ein"Allgemein-Interessen-Modus" in 
gesellschaftlichem Maßstab funktionieren soll außer über demokratische 
gesellschaftliche Planung und Steuerung unter Einsatz der verschiedenen 
genannten Vergesellschaftungsmodi.

 > Stellt sich also die Frage der
 > Vergesellschaftsformen, und außer den og. 4 Modi fallen mir keine ein, 
denn
 > Selbstentfaltung ist eben keine Vergesellschaftungsform.
 
 Auch Zustimmung. Wenn du Inhalt-Form-Dialektik kennst, dann ist die
 "Selbstentfaltung" als bestimmendes Moment der Produktivkraftentwicklung
 einer freien Gesellschaft _Inhalt_, während ich - hilfsweise, besser
 kann ich es nicht - die _Formseite_ als "herrschaftsfreie
 personal-konkrete Vergesellschaftung" bezeichne (ausführlicher siehe
 z.B. Gegenbilderbuch: http://www.opentheory.org/proj/gegenbilder).
 
Ich hab mir das da noch mal angeguckt, hilft mir aber nicht weiter. Da werden 
fein Wörter hingesetzt wie "freie Gesellschaft", "freie Vereinbarung", 
"allgemeine Interessen", "freie Kooperation" etc. und durch gegenseitigen 
Verweis aufeinander erläutert, aber m.E. auch nicht ansatzweise plausibel 
gemacht, wie dabei eine hoch ausdifferenzierte gesellschaftliche und globale 
Arbeitsteilung und Austausch ihrer Produkte funktionsfähig und effizient 
organisiert werden kann.

 Wenn ich die der bürgerlichen Form geschuldeten Verhaltensweisen
 (Achtung: nicht als Determinationsresultat, sondern als ein "Bewegen im
 Medium der Wertform") mal "abziehe", weiss ich nicht, "wie die Menschen
 so sind". Den der Gesellschaftlichkeit entkleideten Menschen gibt's
 nicht, und die heutige Form ist nun mal die bürgerliche. Wie also
 Menschen unter freien Bedingungen sind, kann doch keiner wissen. Wieso
 also ich?

Einverstanden. Ich habe aber den Eindruck, z.B. in og. Gegenbilder-Text, dass 
implizit das eben doch zugrundeliegt. Z.B. in der Vorstellung, dass dann 
nicht mehr instrumentelle, sondern (nur noch?) "Subjektbeziehungen" 
existieren würden, die dann m.E. normativ und mit Bezug auf Leerformeln (oder 
sagen wir freundlicher: inhaltlich unbestimmte Begriffe wie etwa "allgemeine 
Interessen") bestimmt werden. 
 
 Das Problem scheint mir zu sein, dass du Gesellschaft als Summe der
 Individuen denkst - trotz aller Zustimmung zu meinen Behauptungen des
 verselbständigten Systemcharakters. Auf so eine für mich komische Sicht
 kannst Du nur kommen, wenn du annimmst, die Gesellschaft sei so-und-so,
 weil die Menschen so seien. Ich brauche keine Annahme irgendwelcher
 Voraussetzungen wie Menschen zu sein haben, um eine freie
 Vergesellschaftung zu denken. Gerade das nicht. In einem anderen
 "Medium" bewegen sich die Menschen auch anders. Wie, das weiss ich
 nicht.

Du missverstehst mich. Ich sehe nicht Gesellschaft als Summe der Individuen, 
sondern als System, das allerdings aus der Wechselwirkung der Tätigkeiten 
menschlicher Subjekte sich entwickelt und Eigengesetzlichkeiten hervorbringt, 
die wiederum die Entwicklung der Individuen prägen. Es besteht aber die Frage 
der Vermittlung, die Frage, wie sich die Systemlogiken aus den Tätigkeiten 
der Individuen ergeben und andersrum in konkrete Anforderungen an und Motive 
der Individuen transformieren, also wie die Tätigkeiten die Strukturen 
hervorbringen und die Strukturen die Tätigkeiten determinieren. Das kann ich 
für die bisherigen Gesellschaftn und mit og. 4 Vergesellschaftungsmodi 
erklären. Aber ich sehe wie gesagt nicht, wie das mit der "herrschaftsfreien 
personal-konkreten Vergesellschaftung" funktionieren soll.
 
 Und wenn du Näheres über Motivation wissen willst, kannst ich dir nur
 wärmstens die Kritische Psychologie ans Herz legen.

Damit ist es keineswegs getan, das löst mein Problem nicht.
  
Viele Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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