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Knappheit und Notwendigkeit (war: Re: [ox] Re: Kooperation)



Hallo,

entschuldigt, daß ich ein paar Tage hinterher bin, aber ein wenig einhaken
möchte ich doch noch...
(wobei ich die laufende Diskussion total spannend finde und Ralf stellt
genau die richtigen Fragen! Trotzdem reibe ich mich natürlich genau daran.)

"Gesellschaftliche
Arbeitsteilung und Austausch (muss nicht zwingend ökonomischer Tausch sein,
sondern allgemein Geben und Nehmen) von Tätigkeiten und Produkten sind
ständig notwendig und eben nicht jederzeit und von allen frei verhandelbar
und aufkündbar."

Hier verstehe ich das "und eben nicht" nicht. Kein ökonomischer Tausch, kein
anderer Zwang (mal vorausgesetzt), "sondern allgemein Geben und Nehmen"...
und dieses allgemeine Geben und Nehmen soll "nicht jederzeit und von allen
frei verhandelbar und aufkündbar" sein?

Die dahinterliegende Sorge, die materielle Knappheit wäre nicht nur eine
Lüge der VWL, sondern ein ewiger Begleiter menschlicher Zivilisation kann
ich allerdings schon nachvollziehen. Und wir haben zwar schon viel dazu
argumentiert, aber wir werden damit leben müssen, daß es immer wieder
Zweifel daran gibt. Wie schon bemerkt, eigentlich müßten gerade gelernte
DDR-Bürger hier sehr skeptisch sein, weil wir die Allgegenwart einer
Mangelwirtschaft erlebt haben (und ich das auch nicht nur auf Fehlplanungen
oder falsche oder unangemessene Anwendung des Wertgesetzes zurückführen
kann). Grad in der landwirtschaftlichen Versorung hat die
landwirtschaftliche Nutzfläche der DDR wirklich gerade so ausgereicht, um
die Grundbedürfnisse an hierwachsenden Pflanzen- und Tierprodukten zu
erfüllen. Und das aber auch nur mit harter Arbeit der Leute dort (ich hab
das ja eine Weile mitgemacht). Ich hätte auf Anhieb auch wenig Vertrauen
drauf einfach zu hoffen, daß jeden Morgen genug Milch und Butter im Laden
ist...
Trotzdem ist das für mich kein Killer-Argument, sondern ein Anlaß drüber
nachzudenken, WIE wirs denn dann machen könnten. (Ich würde z.B. echt gern
täglich ein paar Stunden Landarbeit als Ausgleich zur Computersitzerei
machen - aber eben nicht als Erwerbsarbeit oder wie jetzt in Kommunen
ausschließlich...).

"Mit "knapp" meine ich doch eigentlich nur, dass sie nicht einfach vorliegen
und nur genommen werden können, sondern immer wieder Arbeit nötig ist, und
zwar nicht nur zur Selbstentfaltung, sondern um bestimmte Produkte
herzustellen, die dann konsumiert und damit vernichtet werden sollen (was
bei
Informationsprodukten eben nicht so ist), auch wenn man das nicht als
Selbstentfaltung empfindet."

Hier wieder: wieso soll es ein Widerspruch sein: "nicht nur zur
Selbstentfaltung, sondern um bestimmte Produkte herzustellen". Hast Du noch
nie eine Tätigkeit erlebt, wo Du Dich selbst entfalten konntest und "quasi
nebenbei" auch sinnvolle Produkte rausgekommen sind? So was gibts! Auch wenn
man sich das in der sinnentleerten Tretmühle der heutigen Jobs wirklich fast
nicht mehr vorstellen kann. Ich will ja nun auch nicht immer auf der Freien
Software rumhacken, aber grad in der Landwirtschaft  - wenn die
Arbeitsbedingungen okay sind - konnte ich auch eine wahre Befriedigung
empfinden: etwas Angenehmes tun/ mit Tieren umgehen (meine Selbstentfaltung)
und ein Milchhaus voller Milch abliefern nach der Schicht.
Die Arbeit im "Unterrichtstag in der Produktion" als Schülerin in der DDR
war mir eigentlich immer ein Horror: aber eigentlich deswegen, weil wir nur
Rädchen im planerfüllenden Getriebe zu sein hatten. Die Tätigkeit selbst:
eine Dreh- oder Fräsmaschine bedienen zu können, am Ende ein schönes
Werkstück in den Händen zu halten und so hätte durchaus so etwas sein können
wie Verbindung von Selbstentfaltung und Produkt herstellen. Es gibt ja nicht
umsonst auch so was wie den "Facharbeiterstolz" und ich denke, da sind viele
Komponenten drin, die wir in der Liste auch in Bezug auf die Motivation der
Programmierer an ihrer Arbeit besprochen hatten. Das kann also im
materiellen Bereich genauso funktionieren. Unter welchen Bedingungen,
darüber sollten wir weiter diskutieren...

Vielleicht kannst Du Dir immer noch nicht vorstellen, daß im Begriff
"Selbstentfaltung" die gesellschaftliche Natur des Menschen schon mit drin
ist. Ich jedenfalls würde es todlangweilig finden, immer nur meinen eigenen
Jux- und Dollereien nachgehen, sondern mich drängts von selber danach, das
(was ich grad mache) ins Leben, in die Gesellschaft hinaus zu geben. Im
Moment sinds meine Webseiten und Gesprächsrunden - früher gabs diesen Anteil
auch in der Arbeit in der Landwirtschaft. Alle Jobs, die ich seit 1990
hatte, haben dem allerdings wirklich überhaupt nicht  mehr entsprechen
können.

"Aber "Das
Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch
Not
und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört" (Marx, MEW 25, 828). Diese
Notwendigkeit gibt es noch, wird es m.E. immer geben und einen erheblichen
Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen. Aber auch wenn man glaubt, das wäre
irgendwann nicht mehr so, kann die Menschheit darauf nicht warten. "

Genau diese Meinung war wohl auch der Grund, den Sozialismus noch mal vor
den eigentlich angestrebten Kommunismus reinzuschieben. In ihm sollten erst
die Bedingungen dafür geschaffen werden, daß sich im Kommunismus schließlich
alles nur nach Bedürfnissen regelt. Dafür hat Marx dann wenig Konkretes
geschrieben, aber ich hab aus seinen Schriften rausgelesen, daß er schon
dachte, daß sich dort einiges grundlegend ändert - auch das Verhältnis zur
Notwendigkeit. Es war zumindest bis in die 70er Jahre in der DDR immer
mitgedacht, daß es mal Zeiten geben wird, wo  das Arbeiten grundsätzlich
nicht mehr durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist. (Das weiß die
Generation meiner Eltern noch und auch wir habens in der Pionierorganisation
so gelernt) Dann begann das Hinterherhecheln hinter den vom Westen
abgeguckten Bedürfnissen (vorher hofften viele Leute, wie mein Vati, darauf,
nie Auto fahren lernen zu müssen, sondern auf die versprochenen
kostengünstigen Taxis an allen Straßenecken) und da wirds dann tatsächlich
so. Wenn wir drauf warten wollen, bis jedes Familienmitglied seinen eigenen
Hubschrauber hat und jede Wäsche nach jedem Tragen recycelt wird etc.,
kommen wir nie dazu zu sagen: Genug, Reichtum ist Freie Zeit und nicht
Verschwendung von Selbstentfaltungspotenzen in der Tretmühle der Erzeugung
angeblich notwendiger Güter...

Wieso Du meinst, die Erzeugung der notwendigen Güter werde immer "einen
erheblichen Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen", ist mir wirklich ein
Rätsel... Als Gewerkschafter müßtest Du doch die aktuellen Zahlen des immer
noch rapide absinkenden Bedarfs an lebendiger Arbeit(-zeit) gut kennen. Auch
wenn wir einen beträchtlichen Anteil ökologisch nicht verträglicher
Technologien ausschalten, bleiben diese Potenzen in großem Maß erhalten und
es wäre wirklich dämlich, selber immer noch weiter an der Schraube der
Notwendigkeiten zu drehen, anstatt auch mal "Stop" zu sagen. Das hat gar
nichts damit zu tun,daß ich anderen Leuten ihre materiellen Bedürfnisse
verbieten würde - aber inzwischen artikulieren sich genügend Leute mit ganz
anderen Bedürfnissen ("Glückliche Arbeitslose", "Recht auf Faulheit" etc.)
und wo ich meine Kräfte in die Waagschale werfe, kann ich immer noch selber
entscheiden, statt mich von scheinbaren abstrakt hergeredeten
Notwendigkeiten hemmen zu lassen. Irgendwann (unter anderen
gesellschaftlichen Bedingungen) werden sich die Leute, die partout einen
Hubschrauber wollen, eben überlegen müssen, wie sie sich ihn basteln. Sie
werden dann aber keine anderen Leute im Namen irgendeiner Notwendigkeit mehr
zwingen können, dafür Reichtum/Zeit zu verschwenden.
Was wirklich notwendig sein wird, z.B. ökologische Zusammenhänge zu
beachten, werden die Leute selber auch rauskriegen und es wird zu ihrer
Selbstentfaltung gehören, sich auch zu kümmern. Und wenn sie es nicht
machen, haben sie eben Pech gehabt - aber auch hier steht es mir nicht zu,
von einer Außenposition her ihnen ihre Notwendigkeiten vorzuschreiben.
Notwendig wird das sein, was die Menschen für sich als notwendig sehen und
anerkennen. Nichts, was ich mir jetzt und hier ausdenken kann. Für mich ist
es aber langsam sehr notwendig, aus den Tretmühlen sinnloser Jobs
rauszukommen...

". Aber ich sehe nicht, dass völlige
Beseitigung von Warenproduktion und Tausch dafür eine hilfreiche Perspektive
wäre "

Die Beibehaltung ist es aber aus der Erfahrung mit zwei
Gesellschaftssystemen heraus gleich gar nicht!
Naja, behalten wir mal etwas historische Gelassenheit. Viele Leute konnten
sich einst auch nie vorstellen, wie es ohne Sklaven funktionieren sollte...
Ich glaube Aristoteles hat dann sogar eine Ahnung davon gehabt,daß - wenn es
automatische Webschiffchen gäbe - man auf sie verzichten könnte.

"Das geht m.E. bei der FS nur, weil es kein besonderes Problem ist, wenn
viel
überflüssige und Mehrfacharbeit gemacht und andererseits Vieles sinnvolle
oder sogar notwendige da eben auch nicht gemacht wird "

Von welchem Standpunkt aus kannst Du denn sagen, was überflüssige und was
sinnvolle und notwendige Arbeit ist???
Entscheidet sich das nicht im Prozeß selbst?? Vielleicht war die doppelte
Erstellung eines Programmcodes nicht überflüssig, weil der zweite
Programmierer total Spaß daran hatte, weil es für ihn vielleicht das
erstemal ein Stück Programm dieser Schwierigkeit war? (Ich erleb grad bei
unsrer Tochter, wieviel Spaß sie daran hat, in Mathe Knobeleien
rauszukriegen, die vor ihr schon viele tausende Leute gelöst haben...)
Und was nicht gemacht wird, wurde halt von niemandem als genügend notwendig
anerkannt. Da hat es keinen Zweck von außen zu sagen: Dies und jenes wäre
aber notwendig. So einen Außen- oder zentralen Standpunkt gibts hier nicht!

"Gesellschaftliche Produktion
erfordert aber, dass alles notwendige und zum richtigen Zeitpunkt etc. und
möglichst effizient (um freie Zeit für anderes zu haben) getan wird"

Wieso erfordert sie das???
Wenn das so wäre, würde sie im Moment ja überhaupt gar nicht funktionieren.
Es wird nicht das Notwendige getan - es wird in den ökologisch blödesten
Zeitzyklen getan, die man sich ausdenken kann und effizient (Nutzen-Aufwand)
ist wohl kaum noch irgendetwas davon, was heute offizielle
"gesellschaftliche Produktion" ist. Das Ganze ist nur deshalb noch nicht
auseinandergeflogen, weil völlig unnötigerweise und völlig uneffektiv auf
Kosten der Menschen alles mit ziemlichem Krampf am sinnlosen Laufen gehalten
wird. Alles, was ich in der real existierenden kapitalistischen Wirtschaft
erlebe (und es ist durch ABM und so ganz schön vielfältig) ist pures
Hinterherhetzen und auf-Kosten-der-Freizeit-Reparieren und völlig
ineffektives Agieren. Diese ganze Flexibilisierung, Mobilisierung,
Kreativisierung, Teamisierung ist nur die nachträgliche Erhebung dieses
täglichen Chaos in die scheinheilige Würde neuer "Change-und
Chaosmanagementkonzepte".
In den realsozialistischen Ländern wiederum haben wir im Unterschied dazu
erfahren müssen, daß sich komplexe Systeme eben nicht von vornherein planen
lassen. (wobei hier einerseits das Primat der Politik zelebriert wurde,
andererseits auch die sozialistische Warenproduktion so was wie ein
Wertgesetz haben wollte...Also nein, das war noch nichtmal  theoretisch
irgendwann in sich stimmig).

Von dieser Machbarkeit mal noch abgesehen:
Wozu sind den gesellschaftliche Systeme und Menschen da? Sind die Menschen
dazu da, die Systeme aufrecht zu erhalten (alles Notwendige zum richtigen
Zeitpunkt und möglichst effizient zu tun), oder sind die Systeme nur dann
überhaupt sinnvoll, wenn sie den Menschen ihre Freiheit ermöglichen, d.h.
auch die Freiheit, selbst zu entscheiden was notwendig, wann der richtige
Zeitpunkt ist und mit welchem Aufwand sie welchen Nutzen erreichen wollen?

Es gab in Nachkriegszeiten diesbezüglich einige Erfahrungen. Es war wohl
immer erstaunlich, wie schnell sich die Menschen selbst organisiert hatten,
um das zu tun, was für sie notwendig war und auf eine Weise zu tun, wie es
für sie alle am Besten war. Im Osten kam dann ein gewisser Ulbricht aus der
Sowjetunion, der als erstes dafür sorgte, daß die führende Rolle der
Kommunisten eingeführt wurde, damit schließlich alles nach perfekten
kommunistischen Plänen laufen kann... (Ich glaub ja wirklich auch daran, daß
die meisten Kommunisten wirklich ernsthaft daran geglaubt haben, nur so dem
menschlichen Fortschritt dienen zu können. Machtgeilheit kam vielleicht
später hinzu und wird ihnen heute von Leuten angedichtet, die sich wirklich
keinen anderen Antrieb politisch tätig zu sein, vorstellen können).

Ahoi Annette








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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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