Re: [ox] Re: Kooperation
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Thu, 17 May 2001 09:40:35 EDT
Hallo allerseits,
Stefan Meretz schrieb und ich will etwas ausführlicher antworten:
Noch grundsätzlicher fällt mir dazu ein: Der wesentliche Unterschied
von Tier und Mensch ist die Gesellschaftlichkeit des Menschen. Tiere
sind zwar in der Lage, unmittelbare Sozialstrukturen aufzubauen, die
aber niemals ein verselbständigten Systemcharakter erreichen. Geht
die soziale Gruppe ein, ist die Struktur weg. Erst die Gesellschaft
hat diesen verselbständigten Systemcharakter, d.h. sie ist eine sich
selbsterhaltende eigenständige Sphäre zwischen dem Individuum und
der Welt. Nur aufgrund dieser Eigenständigkeit gibt es überhaupt für
die Individuen Möglichkeiten. Je mein Leben ist nurmehr mittelbar
(vermittelt) an die Gesellschaft geknüpft. Und btw. macht eine
Gesellschaftswissenschaft nur Sinn, wenn man von einer solchen
relativen Eigenständigkeit mit einer eigenen Entwicklungslogik
ausgeht.
Nicht Abstraktion ist Mist, sondern die gesellschaftliche Form.
Nicht Vergesellschaftung ist Mist, sondern die Form. Nicht
Gesellschaft ist Mist, sondern ihre Form.
Das sehe ich auch so und sollte in der Tat der Ausgangspunkt der Diskussion
sein.
> Ich bezweifle sehr, daß irgendeine bessere Maschine, irgendein
automatisches
> Subjekt diese Aufgabe übernehmen könnte, besser gesagt, ich halte es für
> ausgeschlossen. Karl Marx hat ja schon überzeugend nachgewiesen, daß der
> Kapitalismus das gerechteste aller Systeme ist -gerecht nämlich jetzt im
> Sinne von Äquivalenz, anders läßt läßt sich Gerechtigkeit logisch nicht
> ausdrücken- bloß bringt uns das wenig.
Johannes, so habe ich Marx nicht verstanden. Er zeigt doch gerade, dass das
im Kapitalismus nur so zu sein scheint, aber hinter diesem Schein von
Gleichheit sich die kapitalistische Ausbeutung verbirgt. Kapitalismus ist
eben nicht nur Wertvergesellschaftung, sondern eine spezifische solche (wenn
auch Warenproduktin immer eine immanente Tendenz in diese Richtung hat),
nämlich hat zur Grundlage "die Expropriation der Arbeiter von den
Arbeitsbedingungen, die Konzentration dieser Bedingungen in den Händen einer
Minderheit von Individuen, das ausschließliche Eigentum an Grund und Boden
für andre Individuen" (MEW 25, 886). Auf dieser Basis wird die Arbeitskraft
der "doppelt freien" LohnarbeiterInnen zu einer eigentümlichen, Mehrwert für
die Kapitalisten produzierenden Ware, vollzieht sich in der kapitalistischen
Produktionsweise auf der Basis persönlicher Freiheit und Gleichheit und ohne
formelle Verletzung der Prinzipien des Äquivalententausches die Ausbeutung
der Arbeitenden.
Diese "Gerechtigkeit" würde ich in Anführungsstrichen setzen. Anyway,
nun zum Blick nach vorne. Ein solcher Blick ist super schwer. Es gibt
viele Versuche, sich die freie Zukunft "konkretistisch" auszumalen. Das
wurde (IMHO zurecht) als Utopismus kritisiert. Jede Ausmalung ist
normativ (Benni?), je konkreter, desto normativer. Das andere Extrem ist
der völlige Verzicht auf Aussagen. Da ist mir Ebermann und Co im
Gedächtnis, die die neue Gesellschaft, so die alte erstmal gestürzt ist,
in 15 Minuten skizzieren können (was dann nicht weniger normativ wäre).
Meine Alternative ist die bewußte Verwendung von Kriterien. Kriterien
sind relativ allgemeine (möglichst nicht-normative) verdichtete
Einschätzungen oder Bestimmungen, an denen ich mein Handeln und
Nachdenken ausrichte. Die Kriterien sind stets in diesen Prozess
einbezogen, also veränderbar. Ziel ist, sie im kollektiven Prozess auf
Tauglichkeit zu überprüfen, zu verwerfen oder zu konkretisieren. Das
"Konkrete" ist dann Resultat und nicht Voraussetzung.
> Und damit wären wir wieder bei Christoph Spehr: sosehr sein Konzept auch
> theoretisch angreifbar ist, wenn wir es nicht hinkriegen, daß Kooperation
> auf Kommunikation, d.h. auf jederzeit frei verhandelbaren Absprachen
> besteht, werden emanzipative Projekte immer wieder auf den Exorzimus des
> Teufels durch den Beelzebub hinauslaufen.
In diese Falle sollte man sich m.E. nicht begeben. Allerdings sollte man sich
darüber klar werden, dass der "Exorzismus des Teufels" ein langwieriger und
vielleicht nie 100% erfolgreicher Prozess wird und dass danach weder Teufel
noch Beelzebub, aber auch nicht das Paradies da ist, sondern immer noch
reichlich Probleme und Auseinandersetzungen zu bewältigen und zu regeln sein
werden. So wird Gesellschaft jedenfalls auch in Zukunft nie langweilig.
Freie Menschen in freien Vereinbarungen - so haben wir ja auch das
Gegenbilderbuch genannt. Aber das ist ungenau. Ich finde folgende
Bestimmungen (Kriterien) wichtig:
- gesellschaftliche Vermittlung ist Charakteristikum jeder
Gesellschaft (sui generis)
- gesellschaftliche Vermittlung lässt sich nicht als auf das Große
ausgedehnte unmittelbare Kooperation denken (a la Spehr)
So ist es.
- gesellschaftliche Vermittlung hat stets eine "dynamischen Kern",
einen "selbstreproduktiven Fokus", ein "Auge des Hurrikans", einen
"Attraktor" (Begriff aus der Chaostheorie) - ich weiss nicht, wie
ich das Ding nennen soll. [Nein, Benni, nicht "Hauptwiderspruch"].
- dieser "dynamische Kern" - hier und heute die Verwertung von Wert
auf stets erweiterter Stufenleiter - "schafft sich" seine
gesellschaftliche Vermittlungsformen, die "er" für seinen Erhalt
braucht (heisst immer: die Menschen reproduzieren sich in diesen
Formen und reproduzieren damit gleichzeitig die Form selbst).
- was wir brauchen, ist ein "anderer dynamischer Kern", also andere
Vermittlungsformen, in denen sich die Menschen und die Form
reproduzieren können. [btw hat das nur sekundär mit den beliebten
'Eigentumsverhältnissen' zu tun: VEB nutzt gar nix, wenn die
Vermittlungsformen die gleichen bleiben - es ist aber auch nicht
egal wie die Freie Software zeigt]
Ich würde es mit Marx (aus der Einl. zur Kritik der Pol. Ök.) so sehen: "In
allen Gesellschaftsformen ist es eine bestimmte Produktion, die allen
übrigen, und deren Verhältnissen daher auch allen übrigen, Rang und Einfluß
anweist. Es ist eine allgemeine Beleuchtung, worein alle übrigen Farben
Farben getaucht sind und [welche] sie in ihrer Besonderheit modifiziert.
(...) Das Kapital ist die alles beherrschende ökonomische Macht der
bürgerlichen Gesellschaft. Es muß Ausgangspunkt wie Endpunkt bilden" (der
Analyse).
Das heißt aber auch: es gibt auch im Kapitalismus weiter andere Formen der
Produktion, deren Rolle vom Kapital als dominierenden Verhältnis geprägt
werden, die aber dennoch etwas anderes sind und eigene Prinzipien haben.
Woraus man übrigens für die Zukunft zu der Aufassung kommen kann, das das
dann auch so sein wird, nur dass im Sozialismus nicht mehr das Kapital,
sondern die freie gesellschaftliche Kommunikation und der auf dieser Basis
demokratisch entwickelte Plan und die diesem Plan verpflichteten Produktionen
das sind, was den anderen Produktionen Rang und Einfluss zuweist, u.a. der
als nicht dominante weiter in gewissem Umfang existierenden Warenproduktion.
Weiterer wichtiger Punkt ist mir, dass auch über die Ökonomie hinaus der
"dynamische Kern", konkret: Wert und Kapital, zwar dominiert, aber es weiter
andere Vermittlungsformen gibt mit Eigendynamiken und -gesetzmßigkeiten gibt
und konkrete historische Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen nötig ist.
Neben der vom Kapital dynamisierten Wertvergesellschaftung, also ökon. Tausch
als 1., gibt es als Modi der Vergesellschaftung weiterhin (zufällige
Reihenfolge):
2. unmittelbare Kommunikation und Kooperation (das ist ja nicht nur Utopie,
sondern findet in vielen Bereichen des Zusammenlebens durchaus statt, hat
aber seine Grenzen, allgemeine und im Kapitalismus noch besondere)
3. kulturell internalisierte Normen
4. Zwang, letztlich mit Gewalt sanktioniert (wobei wenn das von einem
demokratisch noch etwas kontrollierbaren Staat ausgeht, es allemal besser ist
als von einem diktatorischen Staat oder von irgendwelchen Banden oder
Einzelpersonen).
Also bin ich jetzt - Reduktion - bei der Frage, wie die neue
Kern-Dynamik aussehen kann. Wie kann eine Vermittlung - deren Witz
ja gerade darin besteht, das ich sie unmittelbar nicht mehr ändern
kann - beschaffen sein, dass sie sich nicht gegen meine Interessen
richtet? Beim Wert ist die Sache klar: Diese Dynamik basiert auf
Knappheit und Ausschluss vieler zugunsten des Einschlusses weniger.
Hier ist die Struktur so beschaffen, dass ich mich nur auf Kosten
anderer durchsetzen kann (ob ich das will oder nicht).
Es ist schon widersprüchlicher: Tausch setzt Privateigentum voraus und damit
die Möglichkeit des Ausschluss anderer von dem Gegenstand, klar. Aber
Privateigentum kann es auch ohne Tausch geben. Tausch ist zunächst
symmetrisch und entspricht - Fetischismus hin oder her, das ist demgegenüber
zweitrangig, aus der Perspektive der Beteiligten selbst - Bedürfnissen beider
Beteiligter, die so Eigentum und damit Zugang zu etwas bekommen, das sie
brauchen und vorher nicht hatten und dafür etwas weggeben, was sie nicht oder
nicht so nötig brauchten. Das bedeutet noch keineswegs ein sich Durchsetzen
auf Kosten anderer. Dazu wird es erst unter den og. sozial polarisierten,
kapitalistischen Bedingungen.
Erhellend war für mich ein alter Artikel von Klaus Holzkamp von 1980:
"Individuum und Organisation" (geschrieben in der damaligen
Klassendiktion). Darin geht es um das Verhältnis von Allgemein- und
Partialinteressen. Klar wurde mir damit, dass das ausschliessliche
Denken in Partialinteressen, also der Kurzschluss, meine Interessen
seinen immer _bloss_ meine (also nicht die von wem anderes), selbst
Widerspiegelung der bürgerlichen Verhältnisse ist. Kürzer: Es ist kein
"Naturding", nix "Normales", dass eigene Interessen sich nur auf Kosten
anderer Interessen realisieren lassen. Ja, mehr noch: Das ist eigentlich
ganz und gar abstrus, dass wir uns schaden müssen, um uns durchzusetzen.
Oder individuell formuliert: Dass ich mir selbst schaden muss, um mich
zu behaupten, indem ich eine Struktur reproduziere, in der mir andere
(gleich mir) schaden. Darin liegt eine _unterhintergehbare_
Selbstfeindschaft - na gut, das ist jetzt psychologisch abgedriftet.
Daraus, dass es unter bürgerlichen Verhältnissen Interessengegensätze und
Herrschaft gibt, folgt nicht der Umkehrschluss, dass es bei Abschaffung der
bürgerlichen Verhältnisse es keine Interessengegensätze zwischen Menschen und
Gruppen mehr gäbe, weil sich dann ein tatsächliches Allgemeininteresse
entwickeln würde, das alle Einzelinteressen einschließt. Menschen werden auch
dann noch in vielfältiger Weise unter unterschiedlichen Bedingungen leben und
unterschiedliche Lebensgeschichten haben und daraus unterschiedliche
Interessen artikulieren und diese durchzusetzen versuchen, in
Auseinandersetzung mit anderen. Es kommt darauf an, dies nicht
wegzubehaupten, sondern davon auszugehen und das in möglichst rationalen und
demokratischen Formen auszutragen.
Holzkamps Position kann (auch weiter hinten in dem Aufsatz, wo es um
Organisation geht, und hat sich z.T. darin realisiert, wie reale
Organsiationen sich darauf stützend damit umgegangen sind) dogmatisch und
autoritär verwendet werden dergestalt, dass Menschen, die abweichende
Positionen artikulieren, vorgehalten wird, diese wiedersprächen dem
Allgemeininteresse und damit auch dem eigenen und seien deshalb falsch und
nicht zu berücksichtigen. Läuft dann auf eine besonders perfide Art hinaus,
diejenigen Interessen durchzusetzen gegen andere, die (von wem? auf welcher
Basis?) als Allgemeininteressen behauptet werden.
Der Witz der Freie Software ist nun, dass sie - so sie ihren wertfreien
Kern bewahrt - eine Idee einer anderen Vergesellschaftung gibt. Das
Prinzip dieser anderen Vergesellschaftung ist ziemlich einfach: Ich
setze mit meinem individuellem Interesse gleichzeitig die
Allgemeininteressen durch. Das geht deswegen, weil strukturell es eben
genau umgekehrt zur Verwertungslogik läuft: Wenn die anderen sich
entfalten - und coole Software und Zeugs drumherum produzieren - ist das
genau in meinem Interesse, denn ich kann deren Produkte ja nutzen. Statt
Knappheits- ein Reichtumsparadigma. Damit sind viele Handlungen
entlastet: Von meinem Tun hängt nicht mehr meine Durchsetzung ab, das
heisst, ich handle nicht mehr (sachlich) gezwungen, sondern nach meinem
Gusto - anders geht Selbstentfaltung auch nicht. Ich kann entspannt im
Besten Sinne "tun und lassen, was ich will" - und das ist tendenziell ok
für alle.
Diese Position abstrahiert von den realen materiellen und sozialen
Bedingungen. Voraussetzung ist, dass diese irgendwoher gegeben sind (sie sind
aber weiter knapp). In Bezug auf die Software ist diese freie
Selbstentfaltung möglich, ist Kooperation deshalb frei, weil sie gerade nicht
nötig ist für die konkrete Tätigkeit. Ich kann den vorliegenden allgemeine
und nicht knapp gehaltenen Reichtum an Infomationen, konkret Software,
nutzen, ohne etwas dafür geben zu müssen. Ich kann meine Infomations-Produkte
geben, ohne etwas zu verlieren (höchstens potenziell, wenn kommerzielle
Verwertung möglich wäre, auf die ich verzichte, und je nachdem, wie hoch
dieser Anreiz ist, bröckelt es dann auch schon), gewinne höchstens
Anerkennung etc., muss das aber auch nicht tun. Aber insgesamt funktioniert
Gesellschaft so nicht und kann nicht so funktionieren.
Materielle Güter sind nicht nur (wie ggf. Informationsprodukte) künstlich
knapp gehalten, sondern tatsächlich knapp. Ich kann sie nicht einfach ohne
Aufwand kopieren bzw. runterladen. Und auch nicht weggeben, denn wenn ich
mein Brot weggebe, kann ich es nicht selber essen. Gesellschaftliche
Arbeitsteilung und Austausch (muss nicht zwingend ökonomischer Tausch sein,
sondern allgemein Geben und Nehmen) von Tätigkeiten und Produkten sind
ständig notwendig und eben nicht jederzeit und von allen frei verhandelbar
und aufkündbar. Und wenn das so ist, wird die Auffassung, die für den
gesellschaftlichen Lebensprozess der Menschen notwendigen Qualitäten und
Quantitäten der verschiedenen Arbeiten und Verteilung der Produkte würde sich
irgend wie von selbst auf Grundlage freier Selbstentfaltung der Einzelnen
ergeben, schlicht Wunderglaube.
Stefan betonte oben die Notwendigkeit von Vergesellschaftung,
gesellschaftlicher Vermittlung. Aber rein von Selbstentfaltungsbedürfnissen
gesteuerter Zugriff auf Ressourcen und Abgabe von Produkten funktioniert bei
Freier Software eben nur aufgrund genannter Besonderheiten, weil es sich um
Tätigkeiten im "Reich der Freiheit" handelt. Es ist eben keine neue, andere
Vergesellschaftung, auf der die Organisation des notwendigen
gesellschaftlichen Arbeitsprozesses hinreichend aufbauen könnte. Aber "Das
Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not
und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört" (Marx, MEW 25, 828). Diese
Notwendigkeit gibt es noch, wird es m.E. immer geben und einen erheblichen
Teil der Lebenszeit in Anspruch nehmen. Aber auch wenn man glaubt, das wäre
irgendwann nicht mehr so, kann die Menschheit darauf nicht warten.
So wie in der FS ja nicht nur FS geschrieben wird, sondern eine ganze
Infrastruktur entstanden ist, also ein ganzes Netzwerk von notwendigen
Tätigkeiten, die erst zusammen FS ausmachen, so denke ich werden in
einer freien Gesellschaft auch Infrastrukturen funktionieren. So wie bei
der FS Leute meinetwegen eine Website zur Koordination von z.B.
irgendwelchen Übersetzungsaktivitäten machen, so wird es Leute geben,
die z.B. Güterverteilprobleme lösen. Oder sonstwas. Das bedeutet: Es
gibt keine zentrale Instanz, die die Gesellschaft plant, sondern die
Gesellschaft plant sich selbst. Wie sie das tut, können wir weder wissen
noch vorgeben.
Das geht m.E. bei der FS nur, weil es kein besonderes Problem ist, wenn viel
überflüssige und Mehrfacharbeit gemacht und andererseits Vieles sinnvolle
oder sogar notwendige da eben auch nicht gemacht wird (entweder gibt es das
dann einfach nicht oder es wird halt auf kaptalistisch produzierte Güter
zurückgegriffen, wenn es notwendig ist).
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