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RE: [ox] Eigentum



Stefan Merten wrote:

Fakt ist jedenfalls, daß schon im Kapitalismus die Kosten im Sinne
vergegenständlichter Arbeit in einem Produkt immer schon sinken.
Bisher wurde das durch Marktausweitungen und Kriege kompensiert, aber
das ist nicht mehr in Sicht.

Naja der letzte Krieg zur Integration einer Region in den europaeischen
Markt liegt nur ca. 1,5 Jahre zurueck. Warum soll das nicht mehr in Sicht
sein, zumal es da noch einiges an 'Unerschlossenem' gibt.

Seit der mikroelektronischen Revolution hat sich das Tempo der
Verwohlfeilerung so sehr gesteigert, daß die Arbeitslosigkeit immer
stärker wächst und mittlerweile die angesagte Prekarisierung schon die
Spatzen von den Dächern pfeifen.

Jobless growth nennt man das wohl. Zusammen mit einer eher Export- oder
Expansionsorientierten Wirtschaft liesse sich das auch ohne gestaerke
Binnenkonjunktur noch eine ganze Weile durchhalten - natuerlich mit immensen
sozialen Kosten im Inland, was aber nicht notwendigerweise heisst, dass es
nicht gemacht wird.

Tempo. Daß Krankenhäuser noch nicht sehr viel billiger geworden sind,
liegt wohl daran, daß hier die Produktivität noch nicht so stark
gestiegen ist. Daß das nicht so sein muß, zeigt Japan, wo auch im Bau
immer mehr Roboter eingesetzt werden.

Im Bau werden Roboter eingesetzt? Haette ich noch nichts davon gehoert, aber
ich bin ja in Maßen lernfähig. Stichwort Krankenhaeuser, es scheint also
Bereiche zu geben, die einer Rationalisierung nicht vollstaendig zugaenglich
sind. Ähnliches würde ich auch im sonstiegn Bereich personenbezogener DL
konstatieren, wobei es in anderen DL-Bereichen wie etwa
Finanzdienstleistungen, Versicherungen, Banken sicher noch enormes
Rationalisierungspotential gibt.

In der GPL-Gesellschaft denken wir uns diese Entwicklung gerade
verlängert vor. In die heutige Realität übersetzt heißt das: Nieder
mit den Arbeitsplätzen - laßt die Roboter ran.

Mir scheint zunehmend, dass in dieser utopischen Annahme vom (baldigen) Ende
der Arbeitsgesellschaft der fundamentale Unterschied in den Auffassungen
liegt. Mir erscheinen sowohl die Katastrophenprognosen vom Untergang des
Kapitalismus als auch die daran (implizit) geknuepften Hoffnungen reichlich
(sorry) esoterisch um es mal auf den Punkt zu bringen. Ein Kapitalismus kann
auch sehr gut existieren, wenn 10% der Leute ihr Leben in chain-gangs
fristen und weitere 50-60% zu niedrigen DL herangezogen werden zu
Entlohnungen, die gerade mal die Existenz sichern (oder auch nicht). Ausser
man wuerde jetzt auf eine Art revolutionaeres Potential im Zuge solcher
Verelendung setzen, aber das hat ernsthaft hier noch niemand argumentiert
und die historische Erfahrung spricht auch deutlich dagegen.

Die Produktivitaetssteigerung wird ihrer gesellschaftlichen Bedingungen
entkleidet und einfach als universal angenommen und die darin enthaltene
Billigarbeit, abgepresste Rohstoffe usw. der Dritten Welt werden weitgehend
ausgeblendet. Es koennte auch sein, dass die Roboter dann nicht von einer
GPL-Gesellschaft, sondern von einer schnoeden AG betreieben werden.

PS: Schon seit vielen, vielen Jahren bin ich übrigens der Meinung, daß
Arbeit, die von Maschinen gemacht werden kann, menschenunwürdig ist
:-) .

Wunderbar. Deswegen wird gerade in den Laendern der Dritten Welt verstaerkt
nicht nur zur Subsistenz, sondern auch fuer den Weltmarkt unter Bedingungen
produziert, die jeden Alfred Krupp blass werden liessen. Eine Haltung, die
traditionelle Vertretungsstrukturen zugunsten irgendwelcher anhand von
(tendenziell) Randphaenomenen wie Softwareherstellung herbeidefinierter
Entwicklungen aufgibt, marginalisiert sich noch mehr, als diese
Vertretungsstrukturen es ohnehin schon sind.

Solange man bei diesen Maschinen nicht die Frage von Verfuegung, Aneignung
und Planung stellt und den realexistierenden Klassencharakter solchen
Maschinen-Einsatzes uebergeht kommt wenig mehr heraus als ein wenig
postmaterialistisches Wohlstandsphilosophieren.

Mag ja sein, dass ich wieder ganz viel falsch verstanden habe und auch
wieder zu boese formuliere, wobei mir die Nonchalance mit der ueber
realexistierende Verteilungskaempfe ("Standesinteressen") und deren
wesentliche Traeger (Gewerkschaften) hinweggegangen wird mich schon ein
wenig irritiert.

Oder um ein Bonmont von Mark Twain auf den Kapitalismus zu muenzen: die
Nachricht von seinem Ableben war reichlich üertrieben.

Markus


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