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Re: [ox] Re: Gegen die eigenen Beduerfnisse handeln?



* "Franz J. Nahrada" <f.nahrada reflex.at> [2003-05-31 21:35]:
Holger Weiss schreibt:
Um unseren Gegensatz vielleicht doch aufrecht zu erhalten: Aus dem
prinzipiell freien Willen des Individuums und der Tatsache, dass
gesellschaftliche Formen sich immer nur durch menschliches Handeln
durchsetzen, leitet sich ab, dass _kollektives_ Handeln prinzipiell
gesellschaftliche Verhaeltnisse aendern oder zerstoeren kann. Ich tippe
mal, dass Du auch hier von "Willensillusion" sprichst (Kind... Bad...
ausschuetten). Und nein, mir ging es bei diesem Thema weder um diesen
Punkt noch sitze ich hier beleidigt auf kollektive Handlung wartend.

Das mit dem kollektiven Handeln ist so irgendwie der Knackpunkt.

Meine Argumentation zielte darauf ab, daß das Kollektiv zwar als
Berufungsinstanz existiert, aber de facto sich historisch und
empirisch eine Trennung zwischen "abstrakter" Allgemeinheit und
empirischem Interesse ergeben hat.

ACK.

Und ich gehe auch nicht so weit [...], daß ich a priori kollektives
Handeln - Grund, Zweck und Mittel eingeschlossen - für unmöglich
erkläre.

[ Konkrete Einschraenkungen gesnipt ]

Dann sind wir uns selbst hier einig. Deine Einschraenkungen bezuegl. der
Moeglichkeiten kollektiver Handlung kann ich weitgehend nachvollziehen,
um die Diskussion der Details druecke ich mich jetzt mal.

Thema: Hat das Subjekt die Moeglichkeit, gesellschaftlich
undeterminierte Entscheidungen zu treffen und wenn ja, wie ist das
Verhaeltnis zu den gesellschaftl. Bedingungen? Die Frage kam nicht auf,
weil ich an den freien Willen der Arbeiterklasse appellieren wollte,
sondern weil ich versucht hatte, Joost Kluessendorfs These bezueglich
des Gegenstands "individuelles Handeln" differenziert zu besprechen,
indem ich besagtes Verhaeltnis aufdroesele. Die Frage ist IMO tricky,
aber beantwortbar. Wenn Du sagst, sie ist prinzipiell irrelevant, wuerde
mich interessieren, was Du denn zu Joosts Punkt gesagt haettest.

Joosts These hat mich furchtbar geärgert. Ich erinnere an seine
Aussage:

Selbst wenn die Folgen einer Handlung (ein Krieg) mit großer Sicherheit
vorauszusehe sind, kann niemand wissen, wie das Individuum diese Folgen
bewertet - vielleicht ist Karl-Heinz ja stolz auf seine Uniform und die
Schussverletzungen, die seine Tapferkeit bezeugen ? Kann ich ihm
trotzdem objektiv attestieren, dass die Situation gegen sein Interesse
verstößt ?

Ich kann Karl-Heinz zumindest eines attestieren: daß er sein
Interesse den Verhältnissen akkomodiert. Ganz im Gegensatz zu
Stefan Mz und Joost bin ich (wahrscheinlich mit Dir) der Meinung,
daß es sich bei Karl Heinz Gebrauch seiner subjektiven Freiheit um
alles andere als ein subjektives Phänomen handelt;

Du vermutest richtig, bezueglich seines Beispiels sind wir uns einig.
Wenn ich Ware tausche, wenn ich SPD waehle, oder wenn ich fuer meinen
Staat in den Krieg ziehe, sind das alles individuelle Handlungen, die
objektive Formen vollziehen und insofern von Joosts freiem Willen
nichteinmal ansatzweise erklaert werden koennen.

Mit "Joosts Punkt" meinte ich natuerlich die in seinem anderen Posting
formulierte These, dass Wenn=>Dann-Aussagen fuer individuelles Handeln
nicht moeglich seien, weil das Individuum sich qua freiem Willen seinen
Bedingungen stellen kann. Abstrakt halte ich diese Aussage wie gesagt
fuer richtig. Ich kann keine einzige individuelle Handlung vorhersagen,
nur weil ich einen Begriff von den gesellschaftlichen Formen habe. Keine
Ahnung, ob Karl-Heinz in den Krieg ziehen oder nach Aethiopien
auswandern wird. Daher der Versuch, das Verhaeltnis von beidem
aufzudroeseln.

Was Deine Frage anbelangt, so weise ich sie einfach zurück. Jede
Deiner Entscheidungen ist determiniert, genauso wie sie auch
frei ist.

Das ist doch ein Wort. Ein Widerspruch. Den es zu _erklaeren_ gilt, um
sich einen Begriff von der Sache zu machen. _Inwiefern_ ist jede meiner
Entscheidungen determiniert, _inwiefern_ sind sie frei? Wenn der
Widerspruch nicht erklaert wird, nuetzt es nichts, ihn zu postulieren.
Du deutest die Erklaerung aber in Deinem Kuenstler-Beispiel an.

Das ist einfach eine falsche Abstraktion.

Ich bin nicht sicher, von welcher Abstraktion Du sprichst. Mit dem
obigen Widerspruch hast Du doch eine Antwort auf meine Frage skizziert,
nicht aber gezeigt, warum die _Frage_ irrelevant oder gar "falsch" sei.
Frage: Wie ist das Verhaeltnis von Determination und Freiheit? Antwort:
Widerspruechlich, alles ist determiniert _und_ frei. Die Zurueckweisung
der _Frage_ wuerde mir nur einleuchten, wenn beides in _keinem_
Verhaeltnis zueinander stuende. Etwa, weil eins von beidem gar nicht
existiert. Das scheinst Du nicht zu behaupten.

ich kann, wenn ich eine "gesellschaftlich undeterminierte
Entscheidung" treffen will, ein Künstler werden und einen vertikalen
Erdkilometer bauen.  Aber selbst dann bin ich eigentlich durch den
Kunstbetrieb, der gesellschaftlich zur Demonstration subjektiver
Freiheit alimentiert ist, determiniert - und nicht zu knapp, wie die
Harmlosigkeit der Kunst beweist.

Jup, die Entscheidung Deines Kuenstlers ist vollstaendig systemkonform,
wie meine Entscheidung, Fanta statt Cola zu kaufen (so der vertikale
Erdkilometer ein systemkritischer vertikaler Erdkilometer ist, kaufe ich
natuerlich ein Che Guevara T-Shirt). Beide Entscheidungen dienen (auch)
der Demonstration subjektiver Freiheit, der Kunstbetrieb ist natuerlich
wie gemacht dafuer, ja. "Systemkonform" heisst: Ganz offensichtlich hat
der freie Wille seine Bedingungen (namentlich die Wertform) weder beim
Fanta-Kauf noch beim Erdkilometer angefasst, insofern hat die Handlung
tatsaechlich nur objektive _Formen_ vollzogen. Bezueglich des konkreten
_Inhalts_ (welches Kunstobjekt bastelt er? welches Getraenk kaufe ich?)
ist tatsaechlich Freiheit im Spiel, gerade weil sich diese Freiheit eben
_nicht_ auf die Form bezieht und daher letztere nur vollzieht. In meiner
Antwort auf Joost hatte ich diese Differenz zwischen Form und Inhalt
voellig ausgeklammert und nur die Frage besprochen, inwiefern die
individuelle Handlung denn an die Form gebunden ist. Dein Beispiel
bringt daher einen weiteren wichtigen Punkt, greift aber m.E. immernoch
nicht meine Frage an.

Holger

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is relatively simple."  -- SPARCstation 10 Service Manual
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