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Re: [ox] Kriterien fuer interessante/emanzipatorische Technologie



Hi StefanMz, Franz, Liste!

Ich beantworte mehrere Mails aus diesem Thread und zitiere dabei
ziemlich wild durcheinander.

Franz: Magst du nicht wie von dir vorgeschlagen ein OpenTheory-Projekt
(im Oekonux-Folder :-) ) dazu machen? Ich denke, dass es spannend
wäre, die Ergebnisse irgendwo zu sammeln. Muss m.E. gar kein
kontingenter Text sein - Stichworte fände ich schon sehr nützlich.

Last week (8 days ago) Franz J Nahrada wrote:
Stefan Meretz schreibt:
Sorry, dass ich diesmal Wasser in den Wein giessen muss.

Ach, das ist besser als jede Zustimmung, es schärft das Argument
und bringt uns auf den Punkt, wo wir uns von verqueren Mißverständnissen
zu einer soliden Arbeitsgrundlage hinhanteln.

Yep!

Last week (8 days ago) Stefan Meretz wrote:
On Saturday 28 December 2002 14:49, Franz J. Nahrada wrote:
liste oekonux.de (Stefan Mn) writes:
Was ich aber wichtig fände: Was wären im Oekonux-Sinne Kriterien an
Technologie? Oder anders formuliert: Welche Kriterien muss eine
Technologie (heute) erfüllen, um emanzipatorisches Potenzial zu haben?

Hier noch drei Unterstreichungen:

* Mir ging's um Technologie - weniger um eine konkrete Technik. Also
  eher Solarzellen (die als Technologie breit einsetzbar sind) als
  Solarauto (das eine sehr festgelegte Bestimmung und Einbettung hat).

* Das "heute" ist durchaus wörtlich zu nehmen. Ich dachte bei der
  Frage an einen relativ überschaubaren Zeitraum - so vielleicht heute
  +/- 20-30 Jahre.

* Das emanzipatorische Potenzial ist mir hier sehr wichtig. Ich denke,
  dass damit zumindest Extreme in den Technologien sehr schnell zu
  bewerten sind.

  Also um mal ein ganz extremes Beispiel zu nehmen: Eine Technologie,
  die qua Konstruktion täglich ein Menschenleben von zehn damit
  beschäftigten Personen fordert, ist per se nicht emanzipatorisch.

Und eine Ergänzung:

* So hatte ich es zwar nicht gemeint, aber nachdem ThomasB das Wort
  Technologie auch im sozialen Kontext gebraucht hat, finde ich das
  gar keine schlechte Idee. Die Frage würde dann also auch soziale
  Technologien umschließen und damit die nach den Organisationsformen.

Und vielleicht noch ein paar Beispiele, die mir zwischenzeitlich so
eingefallen ist:

* Wenn wir glauben, dass eine (möglichst) große Öffentlichkeit ein
  wichtiges Kriterium für die Organisationsform eines
  emanzipatorischen Projekts - hupps! Ich meinte: eines Projekts mit
  emanzipatorischem Potenzial ;-) - ist, dann sind Technologien, die
  diese Öffentlichkeit mühelos herstellen, günstig.

  Öffentlichkeitspotenzial wäre damit ein solches Kriterium wie ich es
  mir vorstelle.

* Wenn Kreativität ein (wichtiger) Bestandteil von Selbstentfaltung
  ist, dann sind Technologien mit vielen Freiheitsgraden gute
  Kandidaten für Technologien, an denen sich Kreativität austoben
  kann.

  Viele Freiheitsgrade bzw. hohe Universalität wäre damit ein weiteres
  solches Kriterium.

super-gute Frage! Das sind die Fragen wo wir jetzt weitermüssen!!
sie zu stellen ist enorm wichtig, s.u.

Ja, interessant das hier. Ja, ich denke die Frage hat wirklich was
Spannendes an sich...

Nein, das sind so einseitig gestellt IMHO die _falschen_ Fragen. Du hast
mir-nix-dir-nix die Fragen von SMn um die entscheidende Dimension durch
Weglassung verkürzt:

...Erst mal sollten wir aber vielleicht versuchen, sie genauer zu
fassen. Franz und StefanMz haben ja schon angefangen :-) .

Die Frage der Organisationsformen würde hier vielleicht auch eine
Rolle spielen. Andererseits müsste dann aber eigentlich erst geklärt
werden: Welche Organisationsformen bieten emanzipatorisches Potenzial?

Das ist hier sehr schwach formuliert. Schärfer, aber immer noch zu
schwach, dann in "Grenzen des Oekonux-Konzepts?" vom 27.12.:

BTW: Mit Produktivkraftentwicklung meine ich durchaus nicht nur
Technik. Dazu gehören auch z.B. die sozialen Verhältnisse. Bei Freier
Software ist das ja alles ganz gut sichtbar.

Danke für diese Zitate. Sie gehören in der Tat in diese Thematik mit
rein. Weil's ebenfalls passt hier noch ein Zitat, dass ich gerne noch
in diese Richtung ergänzen würde:

4 days ago Stefan Merten wrote:
Wenn wir jetzt den Hühner-/Eier-/PendlerInnen-Vorschlag oder die
FoodCoop aber immer mehr mit Technik ausstatten, die die ganze Mühsal
abnimmt? Ich würde da z.B. an ein automatisiertes Transportsystem
denken, das die Güter bis ins Haus bringt. Unterirdisch tendenziell.
Voll computerisiert natürlich. Die Bestellungen dann natürlich auch
voll computerisiert - meinetwegen auch mit Geld.

Bei dem Transportsystem ist nämlich gut zu erkennen, wie die heutigen
Produktionsverhältnisse (aka Kapitalismus), die heutigen
Organisationsformen (ist das eigentlich das Gleiche?) das verhindern:
Das System gibt es nämlich als Planung tatsächlich schon
[http://www.cargocap.de/]. Und es wäre kostengünstiger als Autobahn
IIRC. Warum geht das wohl in der Autogesellschaft nicht?

Last week (8 days ago) Franz J Nahrada wrote:
Stefan Meretz schreibt:
On Saturday 28 December 2002 14:49, Franz J. Nahrada wrote:
liste oekonux.de (Stefan Mn) writes:
Irgendwie gibt es kein Denken und keine Begriffe, die beides
zusammenbekommen: die Mittel und die Menschen, die sie herstellen und
nutzen. Es steht nebeneinander: die Technik und die Organisation; die
Technik und die sozialen Verhältnisse. Das ist theoretisch völlig
inadäquat.

Great! Das ist eigentlich auch mein Anliegen, beides nicht unvermitelt
nebeneinander stehenzulassen.

Volle Zustimmung. Lasst uns die Zusammenhänge verstehen. Und die
gibt's da ganz bestimmt.

Oder noch radikaler: jede soziale
Organisationsform existiert durch räumliche und technische Strukturen
hindurch.

Und - und das scheint mir das andere Anliegen zu sein - jede räumliche
und technische Struktur existiert durch soziale Organisationsformen
hindurch. Dieses komplexe Verhältnis genauer aufzudröseln fände ich
auch spannend. Jeder Versuch die eine oder die andere Seite in den
Vordergrund zu stellen, scheint mir dagegen (heute) Makulatur wenn wir
über eine emanzipatorische Gesellschaftsform nachdenken wollen, die
auf der Höhe der Zeit ist.

Last week (8 days ago) Stefan Meretz wrote:
On Saturday 28 December 2002 14:49, Franz J. Nahrada wrote:
liste oekonux.de (Stefan Mn) writes:
Das entscheidend Neue bei der FS sind doch nicht die Technolgien, erstmal
wurde bereits Bekanntes nachgebaut.

Das betrachtet aber nur die Produkte: GNU/Linux als Unix-Nachbau.

Vor allem das Produktionsmittel Internet ist aber schon eine
Basistechnologie, ohne die Freie Software nie so abgehoben wäre, wie
sie es getan hat. Es ist m.E. ja kein Zufall, dass sich Linux erst
entwickelt hat, als das Internet schon einen gewissen Etablierungsgrad
erreicht hatte. Und dies betrifft weniger die Distributionsebene
(Distribution per FTP downloaden) als die Kommunikationsebene (Mail,
News, evt. IRC), vor allem aber die produktive Ebene (vor allem Remote
CVS Repositories).

Das Neue war die Art und Weise der
Produktion: Selbstentfaltung in Selbstorganisation.

Ja, aber auf die Stufenleiter, auf der es zur Keimform werden konnte,
kam die Produktionsweise erst, als die Technologie dafür zur Verfügung
stand. Insbesondere das Keimformkriterium "Globale Vernetzung" war auf
der durch Freie Software erreichten Stufenleiter erst mit dem Internet
möglich.

Welch große Rolle hier die Technologie spielt, wird m.E. dadurch
illustriert, das globale Vernetzung gerade in der Linken ja ein
uralter Wunschtraum ist. Die ganzen Internationalen sprechen da ja
Bände. Warum konnten daraus z.B. im Fall der KomIntern
(Moskau-gesteuerte Nachfolgeorganisation der Kommunistischen
Internationalen) Kommandostrukturen werden? Anders herum gefragt:
Hätte ein Internet die Herausbildung einer KomIntern zumindest
erschwert? Na ja, verhindert hätte sie es wohl nicht :-( .

Aber um es doch wieder ins Positive zu drehen ;-) : Die globale
Vernetzung, die durch das Internet problemlos bis herunter auf die
Ebene der Individuen funktionieren kann, hat zur Folge, dass
Gleichgesinnte sich treffen, miteinander kommunizieren und - so sie
etwas virtuelles bauen wollen - dies auch gleich ganz praktisch tun
können. Diese Vernetzungsdichte kann erst dazu führen, dass für alle
möglichen Problemchen sich Leute finden, die sie gemeinsam lösen -
bzw. jedeR die Lösung für je ihr Problemchen finden kann.

Theoretischer
formuliert: Es entstand historisch erstmalig keimförmig ein qualitativ
neues Verhältnis zwischen Mittel und Mensch - statt entfremdeter
Eigenlogik des Mittels als Ware ("produzier mich als Ware, verkauf mich
..."), selbstbestimmt festgelegte, bedürfnisgetriebene und damit auch
durchsichtige Zweck-Mittel-Beziehung zwischen Mensch und Mittel.

Sie sind m.E. nicht *dadurch* durchsichtig, dass sie festgelegt
und/oder bedürfnisgetrieben sind. Ich weiß nicht mal, ob sie generell
durchsichtig(er) sind. Aber das nur BTW.

Nun
erst, auf Grundlage dieser neuen (weil wertfreien)
Mensch-Mittel-Beziehung, können auch neue Mittel produziert werden, also
Mittel in denen nicht mehr der Verwertungszweck vergegenständlicht wurde,
sondern menschliche Bedürfnisse.

Na, so dualistisch - hier Bedürfnisse, dort Verwertungszweck - sind
weder Technologien, noch Artefakte, noch menschliches Handeln. Hier
genauer zu differenzieren ist Teil meiner Frage. Das ist sicher keine
leichte Aufgabe - und es gibt sicher auch oft keine sicheren Seiten.

Aber...

Technik ist nicht neutral, die ganze Warenlogik steckt da drin. Und es ist
kein Zufall, dass der partielle "Ausbruch" aus dieser Logik im Bereich
der Software passierte: nicht nur wegen der digitalen Form des Produkts,
sondern auch wegen des universellen Charakters des Produktionsmittels: es
ist noch am relativ wenigsten auf den Warencharakter festgelegt (da sei
bald TCPA davor...).

...das sagst du ja selbst. Dass die technischen Artefakte ganz sicher
nicht neutral gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen sind,
steht schon bei mir im Meilenstein-Text (IIRC). Aber: There are shades
of grey.

Also ist eben neben der kurzfristigen Möglichkeit etwas zu tun, was man
vorher nicht konnte, auch ein Rattenschwanz von Folgewirkungen
mitzubedenken.

Es ist vor allem zu denken, dass du es nicht bloß als Eigenschaften der
Dinge betrachten kannst, die irgendwelche "Folgewirkungen" haben.

Ich denke, es ist ein Spannungsfeld. Natürlich haben bestimmte
Technologien Auswirkungen - z.B. die Mördertechnologie, die ich oben
als Extrembeispiel skizziert habe. Diese Auswirkungen zu betrachten
müsste m.E. schon Teil eines Kriterienkatalogs sein.

Allerdings reicht eine simple Technikfolgenabschätzung, wie sie in den
80ern gehypet wurde, sicher nicht aus.

Was wäre demgegenüber eine grobe Außenbeschreibung der Theorie, die uns
da offensichtlich fehlt? Das Fehlen dieser Theorie zu konstatieren ist
übrigens "enormes Bewußtsein"! Ich möchte für den von StMn geforderten
Kriterienkatalog den Terminus "Qualitative Ökonomie" für diese fehlende
Theorie einführen, um der physikalisch - technischen oder der
betriebswirtschaftlichen Reduktion einen Riegel vorzuschieben.

Oh nein, bitte nicht. Jede Ökonomie ist, weil sie sich stets als
verselbstständigtes System gegen uns wendet, potenziell destruktiv.

Ich finde es nicht zwingend, den Begriff Ökonomie als per Definition
ein verselbstständigtes System zu betrachten. Kann er nicht einfach
nur einen bestimmten Teilbereich menschlichen Seins beschreiben? Hebt
nicht sogar Marx das hervor, wenn er sein Hauptwerk "Kritik der
*politischen* Ökonomie" (Hervorhebung von mir) untertitelt?
Demgegenüber wäre eben eine Politik einzufordern, die sich die
Ökonomie untertan macht.

Last week (8 days ago) Franz J Nahrada wrote:
Stefan Meretz schreibt:
On Saturday 28 December 2002 14:49, Franz J. Nahrada wrote:
liste oekonux.de (Stefan Mn) writes:
Der Computer als universelle Maschine war ein Marketinggag, ein
Third Wave Produkt, ein Markterfolg:

Nein. Der Computer war kein Marketing-Gag, sondern er war eine
logische Folge der (innerkapitalistischen) Produktivkraftentwicklung
(im durchaus nicht nur technischen Sinn). Der 4004 von Intel (der
erste Mikroprozessor) ist entstanden als Reaktion auf die immer
komplexer werdenden Spezial-Chips, die bis dahin die Steuerung immer
komplexer werdender Maschinen zu Wege brachten. Das ist was anderes
als ein Marketing-Gag. Und die allerersten Computer haben die bis
dahin menschlich materialisierten Computer ersetzt: Gruppen von
Menschen, die Berechnungen im Kopf angestellt haben (die hießen
wirklich Computer) - nicht selten für Bahnberechnungen von Geschossen.

aber daß sich damit die Arbeit
sozusagen vom Kapital emanzipiert, weil sie ein Mittel ihrer eigenen
unmittelbaren Addition in Besitz nimmt, das war einfach nicht
vorgesehen.

Genau. Aber tatsächlich - und das lässt sich ja in Ansätzen in Grahams
Beitrag zur 1. Oekonux-Konferenz nachlesen - gab es schon damals
Leute, die in der Mikrocomputer-Technologie emanzipatorisches
Potenzial gesehen haben. Das war damals noch weit jenseits dessen, was
wir hier und heute diskutieren, aber die Richtung war nicht immer so
unähnlich.

Du hast recht, daß die Folgerung verkehrt ist, die Nachhaltigkeit
sozusagen zum technischen Ziel zu machen, ohne daß man an der
Gesellschaft was ändern müßte.

Nachhaltigkeit, um dazu auch noch schnell einen Gedanken loszuwerden,
ist wenn überhaupt ein Bedürfnis (unter anderen). Da Technologie mit
emanzipatorischem Potenzial per Definition auf Bedürfnisbefriedigung
ausgelegt sein muss, wäre ein Kriterium Nachhaltigkeit - wenn
Nachhaltigkeit im je betrachteten Bedürfniskanon gerade vorkommt.

Also ist eben neben der kurzfristigen Möglichkeit etwas zu tun, was man
vorher nicht konnte, auch ein Rattenschwanz von Folgewirkungen
mitzubedenken.

Es ist vor allem zu denken, dass du es nicht bloß als Eigenschaften der
Dinge betrachten kannst, die irgendwelche "Folgewirkungen" haben.

Ist es eine Eigenschaft der Fabrik von Bhopal, daß Giftgas austritt?
ist es eine Eigenschaft von AKWs, mit garantierter Wahrscheinlichkeit
ihre Umwelt zu verstrahlen?
Daß bestimmter Schrott produziert wird, bringt mit Sicherheit
Folgewirkungen hervor.
"Nicht bloß" heißt eben, daß die Dinge so und nicht anders produziert
werden, weil sie einer bestimmten gesellschaftsform entspringen.

Wo ihr euch ja dann sehr einig seid :-) .

Assoziierte Arbeit beginnt sich erstmals ein Selbstbewußtsein zu
bilden, daß sie Gestaltungsfragen in der hand hat.

Ja!! Genau das heißt Handlungsfreiheit!

Dabei ist es
enorm wichtig, wieder/erstmals einen Begriff von Qualität zu kriegen.

Ja!! Leitlinie müssten historisch spezifische Bedürfnisse sein. Mit
Ontologie hat das gar nichts zu tun.

Ich behaupte sogar, es ist heute der Dreh- und Angelpunkt jeder
radikalen Gesellschaftskritik!!!

Es könnte zumindest ein sehr wichtiger Bestandteil sein.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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