Re: [ox] Kriterien fuer interessante/emanzipatorische Technologie
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Sat, 28 Dec 2002 18:14:02 +0100
Hi TechnologInnen,
On Saturday 28 December 2002 14:49, Franz J. Nahrada wrote:
liste oekonux.de (Stefan Mn) writes:
Was ich aber wichtig fände: Was wären im Oekonux-Sinne Kriterien an
Technologie? Oder anders formuliert: Welche Kriterien muss eine
Technologie (heute) erfüllen, um emanzipatorisches Potenzial zu haben?
super-gute Frage! Das sind die Fragen wo wir jetzt weitermüssen!!
sie zu stellen ist enorm wichtig, s.u.
Nein, das sind so einseitig gestellt IMHO die _falschen_ Fragen. Du hast
mir-nix-dir-nix die Fragen von SMn um die entscheidende Dimension durch
Weglassung verkürzt:
Die Frage der Organisationsformen würde hier vielleicht auch eine
Rolle spielen. Andererseits müsste dann aber eigentlich erst geklärt
werden: Welche Organisationsformen bieten emanzipatorisches Potenzial?
Das ist hier sehr schwach formuliert. Schärfer, aber immer noch zu
schwach, dann in "Grenzen des Oekonux-Konzepts?" vom 27.12.:
BTW: Mit Produktivkraftentwicklung meine ich durchaus nicht nur
Technik. Dazu gehören auch z.B. die sozialen Verhältnisse. Bei Freier
Software ist das ja alles ganz gut sichtbar.
Irgendwie gibt es kein Denken und keine Begriffe, die beides
zusammenbekommen: die Mittel und die Menschen, die sie herstellen und
nutzen. Es steht nebeneinander: die Technik und die Organisation; die
Technik und die sozialen Verhältnisse. Das ist theoretisch völlig
inadäquat.
Das entscheidend Neue bei der FS sind doch nicht die Technolgien, erstmal
wurde bereits Bekanntes nachgebaut. Das Neue war die Art und Weise der
Produktion: Selbstentfaltung in Selbstorganisation. Theoretischer
formuliert: Es entstand historisch erstmalig keimförmig ein qualitativ
neues Verhältnis zwischen Mittel und Mensch - statt entfremdeter
Eigenlogik des Mittels als Ware ("produzier mich als Ware, verkauf mich
..."), selbstbestimmt festgelegte, bedürfnisgetriebene und damit auch
durchsichtige Zweck-Mittel-Beziehung zwischen Mensch und Mittel. Nun
erst, auf Grundlage dieser neuen (weil wertfreien)
Mensch-Mittel-Beziehung, können auch neue Mittel produziert werden, also
Mittel in denen nicht mehr der Verwertungszweck vergegenständlicht wurde,
sondern menschliche Bedürfnisse. Jede/r kann ja mal überlegen, wo sowas
der Fall sein könnte - es ist nicht viel, weil es sich immer noch
einpasst (und einpassen muss!) in die dominante Verwertungslogik in
gegenständlicher Form.
Das versucht ihr jetzt umzudrehen!
Das erinnert mich fatal an ein Erlebnis in Dresden anno 1988 bei einem
Besuch in der DDR (Fussnote [3] in
http://www.kritische-informatik.de/?pksubjl.htm):
Was die Vorstellung von der "Neutralität der Technik" anrichten kann,
durfte ich 1988 bei einem Delegationsbesuch in einer Dresdner
Maschinenbaufabrik erleben. In der Produktion wurde in kleinen
Kollektiven jeweils ein komplexerer Arbeitsschritt bewältigt. Heute würde
man das "Gruppenarbeit" nennen, doch damals war die japanische Welle noch
nicht über Europa eingebrochen. Von der Gruppenarbeit berichtete man uns
allerdings nur am Rande, viel stolzer waren die Maschinenbauer auf eine
neue japanische CNC-Maschine, die sie für sicher viel Valuta auf
verschlungenen Wegen in die DDR und in ihr Werk gebracht hatten. Von ihr
erwartete man sich Sprünge nach vorne in der Produktivität der Arbeit.
Auf die Frage, warum die Maschine aber ungenutzt in der Halle stehe,
erklärte man uns, das man Schwierigkeiten mit der Arbeitsorganisation
hätte, denn die Maschine passe nicht in die "alte" Form der Arbeit in
kleinen Kollektiven. Man sei aber dabei, die Arbeit in Richtung einer
Fließfertigung umzustellen. Damals kam mir die Aussage nur komisch vor,
heute mag ich laut aufschreien: Das kann doch nicht wahr sein! Da waren
die Dresdner gerade dabei, einen Schritt weg von der tayloristischen
Arbeitsorganisation zu gehen, und dann kaufen sie sich mit einer
westlichen Maschine genau diese Arbeitsorganisation wieder ein.
Wahrscheinlich hatten die Japaner gerade ihre Produktion auf
Gruppenarbeit umgestellt und konnten die alte CNC-Maschine nicht mehr
gebrauchen!
<<
Technik ist nicht neutral, die ganze Warenlogik steckt da drin. Und es ist
kein Zufall, dass der partielle "Ausbruch" aus dieser Logik im Bereich
der Software passierte: nicht nur wegen der digitalen Form des Produkts,
sondern auch wegen des universellen Charakters des Produktionsmittels: es
ist noch am relativ wenigsten auf den Warencharakter festgelegt (da sei
bald TCPA davor...).
als im Bereich von Technologien. Ein Solarauto kann eine
Supertechnologie sein, wenn dadurch der allgemeine Autowahnsinn
verstärkt wird tritt eben das ein, was manche als "Rebound-Effekt"
bezeichnen. Sicherlich auch ein Grund warum Oscar nicht wirklich was
wurde: OSCAR war nicht "eingebettet" in eine nachhaltige Strategie.
Nachhaltigkeit ist keine dingliche Eigenschaft, sondern ein soziale. Ein
Solarauto kann niemals eine "an-sich" emanzipatorische Technologie sein.
Die Frage ist schon daneben. Das interessante des Laborversuchs "OSCar"
war doch die Ausweitung des Prinzips der FS auf einen "stofflichen
Bereich" (und nicht das Auto selbst), also das, was wir so als
"Vergemeinerung" diskutieren. Nun ist das gescheitert, aber wie Benja
schon meinte: shit happens, es ist eher der Normalfall. Warum es
scheiterte, wäre trotzdem mal rauszufinden. Ich vermute, nicht aus
"spezifisch sachlichen" Gründen (keiner wollte es materialisieren oder
sowas), sondern aus sozialen.
Andernthreads habe ich gestern versucht, an Greffraths Artikel zu
erinnern, der schön zeigt, wie das "empowerment" in Abhängigkeit
umschlägt.
Was der Greffrath nicht weiss, du doch aber, ist die Tatsache, dass in der
Warenform sich die Dinge immer gegen uns verselbstständigen. Der
Zauberlehrling ist doch hier kein Geheimnis mehr...
Also ist eben neben der kurzfristigen Möglichkeit etwas zu tun, was man
vorher nicht konnte, auch ein Rattenschwanz von Folgewirkungen
mitzubedenken.
Es ist vor allem zu denken, dass du es nicht bloß als Eigenschaften der
Dinge betrachten kannst, die irgendwelche "Folgewirkungen" haben.
ein Begriff der Qualität als "Add-On" zu einem Vorgang hat rein
deklamatorische Marketing-
funktion, entspricht entspricht dem Wunsche des repräsentativen
Unternehmens,
lokal (für sich) Dysfunktionalität auszumerzen, und pure
Reibungslosigkeit des Getriebes herzustellen und sich dies mit einem
entsprechenden Label sanktionieren zu lassen. Welche
Externalisierungsketten da in Gang gesetzt werden, ist im
Qualitätsmanagement kaum erfaßt.
Das geht auch logisch gar nicht. Abstrakt gibt es die Einsicht schon: BWL
vs. VWL. Aber gedacht werden kann es wieder nur in der Warenform - siehe
zum Beispiel der Handel mit Emissionen.
Was wäre demgegenüber eine grobe Außenbeschreibung der Theorie, die uns
da offensichtlich fehlt? Das Fehlen dieser Theorie zu konstatieren ist
übrigens "enormes Bewußtsein"! Ich möchte für den von StMn geforderten
Kriterienkatalog den Terminus "Qualitative Ökonomie" für diese fehlende
Theorie einführen, um der physikalisch - technischen oder der
betriebswirtschaftlichen Reduktion einen Riegel vorzuschieben.
Oh nein, bitte nicht. Jede Ökonomie ist, weil sie sich stets als
verselbstständigtes System gegen uns wendet, potenziell destruktiv.
Wieweit die Destruktion greift, hängt kein bisschen von irgendwelchen
"Qualitätskriterien" oder sonstigen moralischen Maßstäben ab, sondern
einzig von der Verwertungsfähigkeit. Der betriebswirtschaftlichen
Rationalität ist sui generis kein Riegel vorschiebbar. FS ist eben gerade
keine "Ökonomie".
Den Rest lasse ich mal.
Sorry, dass ich diesmal Wasser in den Wein giessen muss. Aber vielleicht
geht's nur so in der Dialektik von sozialen Erfindungen und dem Verweis
auf die Tatsachen der herrschenden Logik. Ich wechsle da durchaus öfter
mal die Seiten. Was konstruktives habe ich dieses Mal nicht beizutragen.
Ciao,
Stefan
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