Re: [ox] Re: Aussenstandpunkt vs. Gruppenstandpunkt
- From: Benni Baermann <benni obda.de>
- Date: Wed, 11 Sep 2002 00:01:33 +0200
Hallo!
Nur ein paar Anmerkungen zur Diskussion:
On Sun, Sep 08, 2002 at 03:53:30PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
nach meiner Wahrnehmung drehen sich viele der Debatten um Freie
Kooperation, Selbstentfaltung, Entfremdung und nun Immanenz und
Transzendenz usw. um in der Tat eine sehr entscheidende Frage, nämlich um
das, was du "Oekonux-Theorie des Sozialen" genannt hast.
Jo!
...
Eine Frage ist aber noch nicht gestellt: Brauchen wir überhaupt eine Art
"Theorie der Gruppe"? Das ist mir nicht klar. Als Arbeits-Hypothese würde
ich mal sagen: Nein.
Hups? Ist nicht die Theorie der Freien Kooperation genau sowas?
Bei den beiden Sozialpolen "Individuum" und "Gesellschaft" ist die
Notwendigkeit einer selbstständigen, d.h. kategorial eigenständig
wissenschaftlich ausweisbaren Theorie wohl unbestritten.
Das verwundert mich jetzt doch etwas. Du bist doch sonst immer jemand,
der mit der kritischen Psychologie darauf beharrt, dass Individuen
nicht ohne gesellschaftliche Kategorien verstanden werden können (und
umgekehrt?).
Bei der Gruppe
ist das nicht klar. Hier gibt es beide Varianten: Die Gruppe als Summe
der Individuen her zu verstehen oder als Portion der Gesellschaft. Sind
wir einig, das beide Ansätze zu verwerfen sind?
Weiss ich noch nicht. Klingt aber erstmal nicht völlig unplausibel.
Na gut, könnte man ja besser machen wollen als Siebel. Dann müsste man
aber "die Gruppe" als eigengesetzliche "Ebene" begreifen, die sich
qualitativ sowohl von der "Ebene" des Individuums wie der Gesellschaft
abhebt. Das sehe ich nicht. - Ist das jetzt ein Widerspruch zu der obigen
Aussage, dass die "Gruppe" weder von der "Seite" des Individuums noch der
Seite der Gesellschaft theoretisch pepackt werden können?
Aaalso, wenn man das mal von der Herrschaftsanalyse her betreibt, dann
kommt IMHO so was ähnliches raus, wie in:
http://www.opentheory.org/herrschaft/text.phtml
also, man erkennt, dass Herrschaft durch drei Brillen betrachtet
werden kann (wie in obigem Text) oder daran angelehnt eben auch auf
drei Ebenen funktioniert, die da sind,
Verhalten: Individuelles Verhalten trägt zur Aufrechterhaltung von
Herrschaft bei. Jeder Einkauf im Supermarkt z.B.
Verhältnisse: Die gesellschaftliche Organisationsform trägt zur
Aufrechterhaltung von Herrschaft bei (Staat, Gesetze, Institutionen)
Verhängnis: Das ist das, was übrig bleibt, wenn zwar alle prinzipiell
erkennen können, dass das Unsinn ist, was sie treiben aber sie dennoch
gezwungen sind so zu handeln (Wertgesetz, Identität, ...).
Der Clou ist, dass diese drei sich gegenseitig bedingen. Sozusagen
eine Negativspirale.
Diese drei Ebenen könnte man jetzt identifizieren mit den von Dir
genannten Individuum/Gruppe/Gesellschaft. Dann wird deutlich, wie
diese drei sich gegenseitig durchdringen.
Wenn es jetzt um die "Oekonux-Theorie des Sozialen" geht, dann kann es
nur darum gehen, diesen Teufelskreis aufzulösen. Dies kann nur
geschehen in dem ähnliche sich selbstverstärkende Dynamiken
installiert werden. Eine davon ist die ja schon oft angesprochene
Dynamik von Widerstand, Kritik und Perspektive (die ja jeweils in
allen drei Ebenen existieren können).
Naja, jetzt bin ich etwas vom Thema abgekommen. Aber was ich sagen
wollte, ist dass es schon Sinn machen kann diese drei Ebenen
Gesellschaft/Gruppe/Individuum zu betrachten. Das heisst ja dann noch
nicht, dass ich deswegen einen Gruppenstandpunkt einnehmen muss.
Immanenz/Transzendenz kann man auch (vereinfachend) mit
Innensicht/Außensicht oder Standpunkt erster/dritter Person übersetzen.
Der immanente/innere/erste Standpunkt ist immer nur von konkreten
Individuen einnehmbar. Wenn es um eine gewisse Anzahl geht, dann ist es
eine gewisse Anzahl konkreter Individuen. Das ist auch der Grund, warum
der Begriff "Multitude" ("Menge" in der unglücklichen deutschen
Übersetzung) seine zentrale Relevanz hat: Es geht nicht um die Masse
(oder die Klasse, oder das Volk oder...), sondern um die Vielheit der
konkreten individuellen Menschen. Jeder Standpunkt, der die je
individuelle, unmittelbare sinnliche Erfahrung überschreitet, ist eben
ein transzendenter (siehe Def.). Hier ist das "je", was ich so gerne
verwende, das zentrale Wörtchen.
In einem deiner OT-Projekte hab ich mal was zum "Standpunkt erster
Person" geschrieben:
http://www.opentheory.org/vergesellschaftung/text.phtml#34 (Abschnitt 34.1)
Es geht also nicht um einen "Standpunkt erster Person", den gab es
schon immer, sondern um die Schaffung einer neuen Grammatik mit einer
neuen meinetwegen vierten Person, die eben gerade im "je" ihren
Ausdruck findet.
Grüße, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de