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Re[2]: [ox] Zum Begriff der Herrschaft



Hallo Liste,

Am Sonntag, you wrote:


SM> Wie andernmails ausgeführt halte ich sie oft nicht für Widersprüche,
SM> weswegen ich sie nicht widerlegen muss. Mir scheint es immer mehr,
SM> dass es bestimmte Teilperspektiven sind, die in einer größeren, dann
SM> differenzierteren Theoriebildung aufgehen müssten damit es fruchtbar
SM> wird.

Gibt es also einen Standpunkt der Gruppe, der fuer die Interessen der 
Einzelnen in dieser Gruppe stehen kann und daher berechtigt ist, Herrschaft 
auszuueben?

Wieder die Konsensfrage. Ich gehe mal davon aus, daß der Konsens freie
Selbstentfaltung bedeutet, was nichts mit einem kollektiven Willen zu
tun hat, der sich in Repräsentation bestimmter Leute manifestieren
bräuchte. Ich denke mal, daß es bei dieser Thematik letztendlich keine
klare Lösung gibt, sondern immer nur eine Annäherung, also daß direkte
Herrschaft in diesem Fall nicht möglich, sondern höchstens Moderation,
die dann aber auch wieder von den anderen abhängig wäre.
Es gibt z. B. kein Monopol auf diese Thematik.
Der grundlegende Konsens wäre vielleicht mit vom Monolog zum Dialog
auszudrücken, ein gewisses Brainstorming, ob man sich seiner in
manchen Fragen so sicher sein kann, was dann zu Selbstentfaltung
führt, und man gewisse Zusammenhänge besser überblickt.
Ein großer Schritt zur Selbstentfaltung wäre vielleicht erreicht, wenn
man Ängste abbauen könnte und jeder sein Weltbild darstellt, so
seltsam es dem Einzelnen vorkommen mag, sonst ergibt sich das
Prinzip, daß man dem Wortgewaltigsten sagt, was er hören möchte, somit
seine Herrschaft sichert, dieser sich aber wieder im Monolog befindet,
daß setzt natürlich ein gewisses Maß an Toleranz voraus.
Dazu fällt mir, wie könnte man es nennen, der Begriff von vielleicht
proprietärer Selbstentfaltung ein. Letztens hast du angedeutet, daß
das eigene Verstehen ein Sammelsurium von Leuten ist, die irgendetwas
Großartiges geleistet haben. Nun ist es so, daß man sich natürlich
immer auf große Philosophen und ihrer Exegese berufen kann. Nehme ich
Platons 'Politeia' ist dem kaum noch was anzufügen.
Ziel sollte es wahrscheinlich sein, sein eigenes Buch in geistigem
Sinne zu schreiben, sonst erreicht nur der Schreiber Selbstentfaltung,
selber versucht man aber nur, diese Größe zu erreichen, was dann
zu Frustration führt.
Als Beispiel nehme ich mal etwas einfaches:
Man kann von einem Interpreten einen Popsong nachspielen, hört sich
gut an, aber man kann weder sagen, was sich derjenige dabei gedacht
hat (da stark emotional,seine Umgebung betreffend,Zeitalter etc.) noch
erreicht man dieselbe Qualität.
Selbstentfaltung wäre ein eigener Song, möglich auch mit derselben
Melodie und nicht den Versuch 1:1 zu kopieren.
Das wäre ein neuer Weg in der Bildung, möglichst in Grundschulen,
nicht mehr nur Literatur mit den Klassikern und ihrer proprietären
Exegese, sondern eigene Literatur ohne Auslegung und dann Dialog mit
anderen. Man hätte vielleicht nicht mehr das Gefühl, den 'Großen'
nachzueifern, was sich auch durchaus beim Porschefahren ausdrücken
kann, sondern würde mit seinem eigenen Skript ein Stück von dieser
Herrschaft nehmen.

SM> So wie parlamentarische Repräsentation gebaut ist, ist sie
SM> selbstredend schon zutiefst entfremdet. Allein die Macht, die den
SM> RepräsentantInnen und insbesondere deren Regierungsfraktion gewährt
SM> wird, hat so viel Entfremdungspotential, dass die
SM> Repräsentationsaufgabe nur noch Nebensache sein kann.

Im imperativen 
Mandat hingegen werden Leute auf den Willen der Gruppe (deren Konsens) 
verpflichtet und sind _jederzeit_ abwaehlbar, wenn die Gruppe das aufgrund 
seines Handelns fuer noetig haelt. Raetesystem halt, Muenchen 1919 z.B. 
Durch den 'Weissen Terror' weggemetzelt.

Ich glaube nicht, daß parlamentarische Repräsentation zutiefst
entfremdet ist, daß das auch ein bisschen am Volk liegt. Man kann nicht
immer sagen, die da oben machen was sie wollen. Im Grunde genommen ist
man auch ein bisschen verwöhnt und übernimmt einfach konstruierte
Meinungen. Solange man Brot und Spiele hat, was soll's.
Als Beispiel nehme ich mal Amsterdam, wo es lustige Sachen gibt, die
hier so nicht möglich wären. Es gab da die Kabauter, die sich einen
Spaß daraus machten, die Obrigkeit mit freien Fahrrädern oder
Hausbesetzungen zu ärgern, ohne selbst eine Regierung werden zu
wollen. Allerdings fand das Ganze breite Unterstützung bei den
übrigen Leuten, ob jung oder alt und man lachte über den Stadtrat.
Das hängt natürlich auch mit der Geschichte der Stadt zusammen, wo der
gemeinsame Feind das Wasser ist und nicht der König, der weit weg
wohnt.

Oder eben auch Freie Software. War
nicht das Tolle an FS, dass jedeR munter macht was er/sie will, und dass 
dann das gemeinsame Produkt FS herauskommt?

SM> Ja, das ist das Tolle. Aber jetzt mal die Metaphysik beiseite
SM> gelassen: Wie geht das eigentlich genau? Wie einigen sich diese
SM> Individuen jenseits der Wertsphäre auf ein gemeinsames Produkt? M.E.
SM> ist das besser zu verstehen, wenn mensch einen Gruppenstandpunkt
SM> annimmt. Andere Theorien?

Setzt aber hohes Wissen voraus, an dem nicht jeder teilnehmen kann.
Vielleicht ist das spezielle Wissen der Gruppenstandpunkt.

Sobald aber eineR von beiden _den_ Standpunkt
der Gruppe fuer sich reklamiert, wirds herrschaftlich, dann wird der/die 
andere definiert.

SM> In dem Duktus, in dem du das hinschreibst, tut sie das genau nicht
SM> mehr. Indem sie sich als alleinige InhaberIn des Gruppenstandpunkts
SM> bezeichnet, verlässt sie just diesen. Dies ist eine logische Folge des
SM> überindividuellen Charakters des Gruppenstandpunkts.

Hängt vieleicht aber auch mit proprietärer Selbstentfaltung zusammen,
wie man miteinander umgeht. Wie macht es der Kaiser und mein
Lieblingsgeneral. Eine Beziehung würde ich m. E. wieder so
ausdrücken, vom Monolog zum Dialog, na, jetzt hast du ja jemanden, der
dir zuhört.

Solange beide etwas teilen und das mag gerne auch Vieles 
sein, kann ich schwer mit Herrschaft verbinden.

Zusammengefasst: Mir scheint, wenn du das Soziale als solches mit
notwendiger Herrschaft in Verbindung bringst, dann schuettest du das Kind 
aus.

Soziales hat eigentlich m. E. nichts mit Herrschaft zu tun, Herrschaft
ergibt sich aus einem gemeinsamen Feind.

SM> Heute würde ich zunächst mal sagen: Das Soziale konstituiert sich
SM> wesentlich über Gruppenstandpunkte. Herrschaft ist erst die zweite
SM> Frage.

Soziales konstituert sich vielleicht auch aus gemeinsamen Problemen.
Je stärker die Probleme und je weniger Dialog, umso mehr Herrschaft.

Organisation um gemeinsame Interessen zu erreichen (Beispiel 
Raeterepublik, FS) und Affinitaet zwischen Menschen (Beispiel Liebespaar) 
sind Formen der Sozialitaet, die mit einem Minimum an Herrschaft 
funktionieren _koennen_.

Wenn man es toleranterweise zuläßt, warum nicht.
Es stellt sich ja auch die Frage, ob jeder Herrschen will, manchmal
lässt man das auch gern andere tun ;-)

SM> Das ist in dieser Plattheit ja auch ein bisschen sehr schlicht. Dann
SM> kann nämlich jede bürgerliche WissenschaftlerIn daher kommen und einen
SM> Begriff besetzen, der dann für emanzipatorische Bemühungen gestorben
SM> ist.

Warum sollte nicht jeder einen Begriff setzen dürfen ?

Wer die Welt veraendern will muss
allerdings anders an die Sache herangehen.

SM> Wie?

Die Welt verändern ist schwierig, sich selber vielleicht schon ;-)

-- 
Grüße
Uli

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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