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[ox] Zum Begriff der Herrschaft



Liebe Liste!

Lange angekündigt - endlich komme ich dazu. Wie sich einige erinnern
werden, hatte ich vor einiger Zeit ein paar Mails rumgeschickt, die
den Begriff Herrschaft aus der Sicht der systematischen Soziologie
betrachten:

	http://www.oekonux.de/liste/archive/msg04726.html
	http://www.oekonux.de/liste/archive/msg04988.html
	http://www.oekonux.de/liste/archive/msg05029.html

Auch wenn insbesondere auf die beiden letzteren überhaupt keine
Reaktion kam, fand ich diese Definition hilfreich - vor allem, weil
sie mir endlich einen Begriff von Herrschaft geliefert hat, auf dem
ich glaube aufbauen zu können. Dies möchte ich mit dieser Mail hier
beginnen und wünsche mir sehr, dass sich hier ein paar Leute in die
Diskussion einschalten. Ich habe das Gefühl, dass hier für eine
emanzipatorische Vision noch *erheblicher* Klärungsbedarf besteht -
und wir auf der Grundlage des hier erzielten Diskussionsstands zu
wirklich spannenden Ergebnissen kommen könnten, die die
Theoriebildung, in diesem Projekt noch um einiges vorantreiben könnte.

Ich würde mir wünschen, dass dieser i.d.R. heftig besetzte Begriff
Herrschaft hier wirklich nochmal neu diskutiert wird.
Ideologievorwürfe, Manipulationsunterstellungen und andere
Scheuklappen halte ich da für überhaupt nicht hilfreich. Wenn ich
etwas völlig falsch sehe, so gibt es sicher Argumentationen, die dies
zeigen - "Alles Quatsch!" ist halt kein Argument. Mir ginge es einfach
darum, wie bei der Freien Software auch hier hinzuschauen, was real
ist, warum es so ist und was unter welchen Bedingungen daraus werden
könnte. Dazu möchte ich eindringlich bitten, die Scheuklappen
auszuziehen und sich mal - wenigstens für diese Mail - auf die hier
vorgenommene Begriffsbildung einzulassen. Vieles, was aus dem
Zusammenhang gerissen wie ein Witz erscheinen mag, hat in dieser
Begriffsbildung durchaus eine Berechtigung.

Ein wichtiges Beispiel ist natürlich die Freie Software. Ein weiteres
wichtiges Beispiel scheint mir das Projekt Oekonux selbst zu sein. In
beiden - und hier muss ich bei ThomasB Abbitte leisten - gibt es
natürlich Herrschaftsphänomene - auch wenn ThomasB das m.E. anders
meint als ich. Gerade weil das so ist, finde ich es spannend, sich das
mal genauer anzuschauen - im Falle von Oekonux ggf. mit Wirkung nach
Innen. Ich werde diese beiden Beispiele daher unten durchgehend
heranziehen und dazu schreiben, wo ich den hier eingeführten
Herrschaftsbegriffs bei diesen Beispielen erkenne.

Diese beiden Beispiele, die ja doch eher einen Vorbildcharakter haben,
wie Herrschaft aussehen kann, würde ich gerne kontrastieren mit dem
Staat - vornehmlich westlicher Prägung, da wir den alle kennen. Ich
fände es spannend mal genauer herauszuarbeiten, wo Herrschaft als
sinnvoll / nützlich empfunden wird und wo sie in Missbrauch umschlägt.
Meine Hoffnung wäre, dass "wir" hier ein paar Punkte
rauskristallisieren können, so dass "wir" letztendlich alle genauer
wissen, wovon "wir" reden, wenn "wir" "Herrschaft" sagen.

Hinführen soll das Ganze natürlich auf den Begriff der Herrschaft in
der GPL-Gesellschaft: Was wäre Herrschaft dort und wie ist sie gebaut.
Gibt es sie am Ende gar nicht oder ist sie unvermeidlich? Ein
entscheidendes Merkmal der GPL-Gesellschaft ist ja, dass die
Selbstentfaltung aller die Voraussetzung der Selbstentfaltung der
Einzelnen ist und umgekehrt. Was bedeutet das für den Begriff der
Herrschaft? Vielleicht können "wir" ja den Begriff der Herrschaft im
Ergebnis mit anderer Bedeutung füllen so wie "wir" es beim Begriff
Freiheit schon tun.

Ich nehme mir hier mal die letzten beiden geposteten Texte vor und
schreibe meine Kommentare dazwischen. Ich lasse also die ebenfalls
wichtigen "Aspekte der Herrschaft weg", die Definitionen der Begriffe
Autorität, Führung, Macht, Zwang und Gewalt, Legitimität und
Vertrauen, Öffentlichkeit, Elite bringen. Bei Bedarf können diese ja
nochmal hervorgekramt werden.

Ich schreibe einfach mal hin, was mir so einfällt. Wie gesagt: An
einer eine Verfeinerung, Widerlegung, etc. wäre ich höchst
interessiert.

Drei Tage später, beim Korrekturlesen: Sorry, es ist eine Monster-Mail
mit gut 40KB Kommentar geworden. War nicht meine Absicht, aber ist
m.E. ein weiterer Hinweis darauf, dass es hier ein wirklich großes
Feld zu beackern gibt... Sicher ist es sinnvoll, beim Antworten Teile
raus zu schneiden und unter einem neuen Subject zu behandeln.

2 months (69 days) ago Stefan Merten wrote:
7.2. Begründung der Herrschaft

7.2.1. Inhaber der legitimen Macht

Es gibt vier wesentliche Begründungen für die Notwendigkeit von
Herrschaft, nämlich

1. es muß jemand vorhanden sein, der legitimerweise Macht gebrauchen
   darf,

Zu fragen ist, wofür diese Macht legitimerweise gebraucht werden darf.
Aus dem Folgenden entnehme ich, dass lediglich der Machtgebrauch *für*
die / *im Interesse* einer Sozialeinheit legitim ist. Dies bedeutet
insbesondere, dass willkürliche Machtausübung, die lediglich den
Partialinteressen der Herrschenden dient, grundsätzlich illegitim ist.
(Zur Unterscheidung zwischen legitim und legal siehe die Definition
unter "Legitimität und Vertrauen").

Mein Eindruck ist, dass hier schon ein wesentlicher, wenn nicht der
Knackpunkt bzgl. dem unter Linken üblichen Herrschaftsverständnis
liegt. Hier wird mir scheinbar vor allem die illegitime Machtausübung
als Herrschaft bezeichnet zu werden.

In unserer Debatte auf der Oekonux-Liste hatten wir die Begriffe
"Potestas" und "Potentia". Letzterer scheint mir tendenziell im Sinne
dieser legitimen Machtausübung gebraucht worden zu sein - so hatte ich
das zumindest verstanden. Ersteres schien mir dagegen eher eine
abstrakte Herrschaft anzudeuten. Zur abstrakten Herrschaft kommt unten
mit Blick auf den Staat noch einiges.

Eine wichtige, aber ganz andere Frage ist, was Machtgebrauch *für* die
Sozialeinheit im Detail bedeutet. Das ist natürlich im Zweifelsfall
alles andere als klar und sicher ein erheblicher Teil des Problems mit
Herrschaft. Wer das definiert ist aber immerhin klar: Die
Sozialeinheit.

Wichtig hier auch: Soll Machtgebrauch möglich sein, so muss es Macht
überhaupt erstmal geben. Wenn es wenig oder keine Machtmittel gibt,
dann kann es auch keinen Machtgebrauch geben. Dann ist dieser Teil von
Herrschaft nur schwach bzw. gar nicht ausgeprägt.

Da ich immer noch der Meinung bin, dass es bei Freier Software
einerseits nahezu keine Machtmittel gibt (Freiwilligkeit der
Teilnahme, allgemeine Verfügbarkeit der Produktionsmittel), ist die
Frage des Machtgebrauchs hier schon eingeschränkt. Das war mein
wesentlicher Punkt in dem alten Thread zur Frage "Freie Software und
Herrschaft".

Ähnlich sehe ich es für Oekonux. Die Machtmittel vor allem aber nicht
nur von mir, beschränken sich darauf, dass ich verhindern könnte, dass
Leute auf die Listen posten - das war's dann aber auch schon. Dies
würde ich gerne unter dem Begriff der Domination noch näher behandeln.
Dadurch, dass alles im Web veröffentlicht wird und jedeR frei ist,
sich jederzeit eine Kopie zu ziehen, ist ein Fork grundsätzlich
jederzeit möglich - für mich also nur sehr eingeschränkt als
Machtmittel zu nutzen.

Nun, zu Staat brauche hier glaube ich nicht so sehr viel zu sagen.
Legitimer Machtgebrauch ist da ja höchst umstritten und ich finde
nicht unmittelbar klar, was eigentlich genau die Sozialeinheit
konstituiert, auf die sich staatliche Herrschaft bezieht.

Wenn in der GPL-Gesellschaft die Selbstentfaltung aller Grundlage der
Vergesellschaftung ist, dann ist Macht ein wichtiges Thema, da diese
ja tendenziell in Selbstentfaltungsprozesse eingreift - positiv und
negativ. Da aber die Selbstentfaltung der Einzelnen von der
Selbstentfaltung aller abhängt, ist strukturell gewährleistet, dass
sich jeder Machtgebrauch tendenziell an den Interessen der
Sozialeinheit orientiert und damit der Selbstentfaltung der
(Mitglieder der) Sozialeinheit dient.

2. das Sozialsystem muß zum Handeln befähigt werden,

Das folgt daraus, dass eine Sozialeinheit nur eine gedachte Entität
ist und als solche nicht handeln kann. Hier wird Herrschaft als diese
Befähigung zum Handeln verstanden. Dazu kommt später noch mehr.

3. der Standpunkt des Sozialsystems muß (möglichst institutionell
   geregelt) eingenommen werden,

Wichtig schon hier: Der Standpunkt des Sozialsystems. Dies kommt unten
noch ausführlicher. Die Einnahme dieses Standpunkts ist m.E. Kern des
Herrschaftsbegriffs.

Weil das zumindest in diesen Abschnitten des Buches nicht eingeführt
wird, mir aber wichtig erscheint, bringe ich es mal hier: Wie sich das
Sozialsystem konstituiert ist für mich eine super-offene Frage. Auch
hier würde ich vermuten, dass es erhebliche Haken und Ösen gibt.

Bei einem Freie-Software-Projekt ist das einfach: Das Sozialsystem
konstituiert sich, indem einige Leute ein gemeinsames Interesse haben -
eben an diesem Stück Freie Software. Die Leute, die im Näheren oder
Ferneren an diesem Projekt mitwirken, sind Bestandteil dieses
Sozialsystems.

Bei Oekonux gilt Ähnliches: Das Sozialsystem Projekt Oekonux
konstituiert sich, indem einige Leute ein gemeinsames Interesse an
einer bestimmten Fragestellung haben. Wieder würde ich die im Näheren
oder Ferneren an diesem Projekt Beteiligten als Bestandteil des
Sozialsystems betrachten. Auch in diesem Fall sind alle Beteiligten
dies aufgrund einer freiwilligen Entscheidung geworden.

Beim Staat ist genau diese Freiwilligkeit nicht gegeben. Moderne
Staaten fragen nicht, ob du Bestandteil dieses Sozialsystems sein
möchtest oder nicht, sondern du wirst es automatisch bei der Geburt -
oder es wird schwierig (Stichwort Einbürgerung). Selbst wenn
Staatsangehörigkeit nicht als entscheidend betrachtet wird - ich kann
mich ja auch in fremden Staaten aufhalten - wird hier nicht gefragt.
(Heutige) Staaten beanspruchen Gültigkeit auf einem bestimmten
Territorium und übre alle darauf befindlichen Menschen.

Mir scheint sich hier die Totalität zu spiegeln, die StefanMz während
der Debatte um die Freie Kooperation für die Gesellschaft festgestellt
hat: Daraus kann mensch nicht aussteigen. Aus Staat an sich kann
mensch auf diesem Planeten de facto auch nicht aussteigen.

Was das genau bedeutet, kann ich momentan noch nicht sagen. Wichtig
scheint es mir aber ungemein. Ein wichtiger Punkt scheint mir die
Freiwilligkeit zu sein, mit der ich entscheiden kann, ob ich
Bestandteil eines Sozialsystems sein will oder nicht. Wie kann ein
Staat eigentlich diese Freiwilligkeit ignorieren? Ich würde meinen,
dass es hier auch in der klassischen Theoriebildung nebulös bleibt und
höchst ideologisch wird.

Kann für eine GPL-Gesellschaft gefordert werden, dass die
"Mitgliedschaft" in allen Sozialsystemen immer per Freiwilligkeit
gehen muss? Spannende Frage. Vielleicht *die* spannende Frage an die
GPL-Gesellschaft überhaupt.

4. das Sozialsystem muß integriert werden.

Auch dazu kommt unten noch mehr.

Das am häufigsten vorgetragene Argument zur Begründung der Herrschaft
besteht darin, daß es eine Einrichtung geben müsse, die legitimiert
sei, Macht auszuüben, um damit die Ordnung innerhalb des Sozialsystems
aufrecht zu erhalten. Danach hat die Herrschaft mit Hilfe der ihr zur
Verfügung stehenden Machtmittel dafür zu sorgen, daß die Gruppenziele
vor Augen geführt, eingeprägt und insbesondere, daß die für das
Sozialsystem wesentlichen Normen auch tatsächlich erfüllt werden.

Wenn die Ordnung aufrecht erhalten werden muss, dann impliziert dies,
dass die Ordnung innerhalb des Sozialsystems bedroht ist. Auch hier
ist eine offene Frage, was konkret eine Bedrohung für diese Ordnung
darstellt - oder was vielleicht als eine Weiterentwicklung des
Sozialsystems eingeschätzt werden kann. Das kann nur im Sozialsystem
selbst festgestellt werden. Dass die Aufrechterhaltung einer Ordnung
in einem Sozialsystem grundsätzlich legitim ist, scheint mit dagegen
unstrittig und damit auch für die GPL-Gesellschaft wünschenswert. Wenn
eine solche Aufrechterhaltung illegitim ist, dann wird damit das
allgemeine Chaos ermöglicht - und Chaos ist nicht nur das Gegenteil
von Anarchie sondern auch von Selbstentfaltung. Dort entfalten sich
nämlich bestenfalls noch die Stärksten selbst.

Bei Freier Software wird die Macht m.E. von den MaintainerInnen genau
dafür eingesetzt: Für die Aufrechterhaltung der Ordnung innerhalb
eines Projekts. Lässt einE MaintainerIn ein Projekt ins Chaos gleiten,
so ist sie keine gute MaintainerIn und ein funktionierendes Projekt
wird sich nach Ersatz umschauen. Analoges gilt m.E. für Oekonux.

Auch ein Staat hat letztlich diesen Anspruch der Aufrechterhaltung der
Ordnung. Was diese Ordnung bedroht ist ein wesentliches Element
politischer Auseinandersetzung würde ich meinen.

Die
Herrschaft gewinnt unter diesem Gesichtspunkt ihre Begründung aus der
Notwendigkeit der Regelung des sozialen Verhaltens im Hinblick auf die
Gruppenziele. Es muß eine Machtinstanz existieren, die in berechtigter
(legitimer) Weise durch Sanktionierungen die Befolgung der
Gruppenziele erzwingen kann.

Auch hier wird wieder ausschließlich das Handeln der Herrschaft als
legitim hervorgehoben, wenn es *für* ein Sozialsystem geschieht.

Dabei wird ausdrücklich oder
unausdrücklich auf die Grundbefindlichkeit des Menschen Bezug
genommen. Man nimmt vielfach an, daß der durchschnittliche Mensch
nicht in der Lage sei, die mehr oder weniger bedenkenlose Verfolgung
seines eigenen Interesses aufzugeben oder einzuschränken. So spricht
etwa Hobbes vom Menschen als "Wolf des Menschen" ("homo homini
lupus").

Nun, das würde ich mir natürlich nicht zu eigen machen :-) . Gerade in
der GPL-Gesellschaft ist das eigene Interesse / die eigene
Selbstentfaltung ja auf engste mit der Beachtung der Selbstentfaltung
aller verknüpft. Und ich denke, dass sich das auch in vielen
Sozialsystemen beobachten lässt. Allerdings wird diese menschliche
Qualität unter Verhältnissen zurückgedrängt, in denen das
StefanMz'sche "auf Kosten anderer" zum Grundbestand der sozialen
Fähigkeiten gehört. Ich würde denken, dass die von einer Gesellschaft
nahegelegten Handlungsweisen hier mehr Einfluss haben als irgendetwas
anderes. Die Anlagen zu allem möglichen sind im Menschen jedenfalls
drin.

Dadurch wird m.E. aber die ganze Begriffsbildung nicht entwertet,
sondern das scheint mir ein für die Theoriebildung unwesentliches
Detail.

Ferner wird zur Begründung darauf hingewiesen, daß die
Verteilung der vorhandenen Güter, der Rechte und Pflichten in
sinnvoller Weise nur durch eine übergeordnete, mit besonderen
Machtmitteln ausgerüstete Instanz vorgenommen werden könne.

Güter zu verteilen gibt es bei Freier Software in dem Sinne nicht. Die
Verteilung von Rechten ist insofern wenig interessant, da in einem
Fork alle sich selbst entsprechende Rechte einräumen können.
Verpflichtungen jenseits der Freiwilligkeit dürften bei
Freie-Software-Projekten ebenfalls nicht drin sein. Ähnliches gilt für
Oekonux.

Dieser ganze Aspekt ist m.E. nur unter Knappheitsbedingungen und bei
Begrenzungen sinnvoll zu betrachten. Wenn wie bei Freier Software
Güter im Überfluss vorhanden sind, dann müssen sie nicht mehr gerecht
verteilt werden, sondern alle können nehmen was sie brauchen. Ähnlich
sehe ich die Frage nach den Rechten, die vor allem dann Sinn machen,
wenn es um knappe oder begrenzte Güter geht - oder?

Mit Blick auf die GPL-Gesellschaft würde ich hoffen, dass durch die
Wahrnehmung von Verantwortung auf der Basis von Selbstentfaltung die
Verteilung von Pflichten tendenziell überflüssig macht.

Schließlich wird das Argument genannt, daß Streitfälle unter den
Mitgliedern eines Systems geklärt werden müßten wozu es wiederum einer
übergeordneten Machtinstanz bedürfe.

Die Art und Weise der Lösung von Konflikten ist natürlich in jedem
Sozialsystem von zentraler Bedeutung. Die hier genannte
Lösungsstrategie geht eben von den isolierten Monaden aus, deren
partikulare Profitmaximierung das Ziel ihres Handelns liefert.

Bei Freier Software gibt es eine dem Projekt selbst übergeordnete
Instanz nicht. Bei Oekonux ebenfalls nicht. D.h. die
Konfliktlösungsverfahren innerhalb des jeweiligen Sozialsystems kommen
ohne diese übergeordnete, als neutral gedachte Instanz aus. Nun halte
ich dies deswegen für naheliegend, da ja alle am gemeinsamen Erfolg
des Projekts interessiert sind. Die Wahrnehmung von
Partikularinteressen führt hier eben *nicht* zu einem größeren
persönlichen Gewinn, sondern schädigt diesen sogar eher.

Im Staat wie wir ihn kennen - d.h. wo die Regelung von als partikular
verstandenen Interessen im Vordergrund steht -, in einem solchen Staat
sind übergeordnete Instanzen natürlich notwendig - klar.

Wenn in der GPL-Gesellschaft die Selbstentfaltung aller zur Bedingung
der Selbstentfaltung der Einzelnen wird, dann sollten die bereits
jetzt bei Freier Software beobachtbaren Effekte auch dort greifen.
D.h. es werden sich Konfliktlösungsformen entwickeln, die ich als
konsensorientiert bezeichnen würde.

Offen bleibt allerdings, wie Konfliktlösungsformen *zwischen*
Sozialsystemen aussehen können, die nicht über ein drittes
Sozialsystem miteinander verbunden sind. Also z.B. zwei
Freie-Software-Projekte, die an irgendeiner Stelle in Konflikt
geraten. Ich könnte mir vorstellen, dass es für solche Fälle
Einrichtungen gibt, die den Konfliktparteien bei der Konfliktlösung
helfen. Das gemeinsame kooperative Interesse ist hier aber weg - und
das ist wichtig!

Die genannten Gründe lassen sich
zusammenfassen unter dem Aspekt der Notwendigkeit der Herstellung und
Aufrechterhaltung der berechtigten Normen, insbesondere der
Gerechtigkeit und des Schutzes der berechtigten Interessen der
Untergruppen sowie der Mitglieder.

Auch hier nochmal die Betonung des Handelns von Herrschaft *im
Interesse* des Sozialsystems und seiner Mitglieder. Ich denke, wenn
mensch mit dieser Brille auf die Welt guckt, dann ist das vielfach zu
erkennen.

Damit ist das in den Vordergrund gestellt, was an der Herrschaft für
das heutige zeitgenössische Bewußtsein besonders hervorsticht, nämlich
das Element der Macht und des Zwangs. Es ist jedoch zu fragen, ob
diese Sicht nicht einseitig, ja verkürzt ist, wenn man dem
Herrschaftsphänomen allein durch diese Begründung gerecht werden will.
Dazu ist bereits zu bedenken, daß die Herrschaft von den der
Herrschaft Unterworfenen grundsätzlich akzeptiert und gewünscht werden
kann.

Wichtig! Es wird ja allgemein unter Linken gerne geklagt, dass die
Menschen sich allen möglichen Herrschaftssystemen unterwerfen.
Vielleicht, nein, bestimmt ist dies hier auch ein Grund dafür. Und das
liegt nicht nur an dem, was Benni vermutlich als Sklavenmentalität
bezeichnen würde, sondern daran, dass die Menschen eben auch
Nützliches an Herrschaftssystemen finden können. Diesen Aspekt darf
mensch m.E. keinesfalls übersehen, wenn das Phänomen Herrschaft aus
emanzipatorischer Perspektive betrachtet werden soll.

Umgekehrt heißt das dann auch folgerichtig, dass Herrschaft auch in
einer emanzipatorischen Vision vorkommen kann - vielleicht sogar
sollte. Mindestens die erwünschten Funktionen von Herrschaft sollten
darin vorkommen - und ich würde dann auch bei der Bezeichnung
Herrschaft bleiben.

Bei Freier Software würde sich das darin ausdrücken, dass die Leute in
einem Freie-Software-Projekt sich eine MaintainerIn wünschen, die sich
um die entsprechenden Herrschaftsfunktionen kümmern.

Bei Oekonux hatte ich das Gefühl, dass es einige nicht schlecht
finden, dass es Leute gibt, die es ok finden, dass ein paar andere
Leute auf das Wohlergehen des Projekts achten.

Und selbst beim Staat gibt es nicht wenige, die ihn begrüßen. Das
finde ich zwar nicht gut, aber es ist zu beachten und der zugrunde
liegende Bedürfniskern müsste hier mal sauber rauspräpariert werden.

Das ist der Normalfall in allen Herrschaftsverhältnissen. Dieser
gilt in der Regel für alle Großgruppen, aber ebenso auch für die
Kleingruppen. Dafür gibt es z.B. auch in der Kleingruppenforschung
viele Beispiele. Zwar tritt Herrschaft in den Kleingruppen in einer
reduzierten Form gegenüber den Großgruppen auf, dennoch kann man auch
hier von Herrschaft reden, wenn die wesentlichen Herrschaftsfunktionen
erfüllt werden. Herrschaft ist also von der Anerkennung und von der
Zielsetzung her gruppenbezogen. Ja, sie durchdringt das gesamte Leben
in einem Sozialsystem.

Nachdem ich mich seit einer Weile mit diesem Gedanken befasse, finde
ich da einiges Wahres dran. Herrschaft in dem hier definierten Sinne
ist tatsächlich in Sozialsystemen einfach eine wichtige Größe. Wie
spürbar sie wird, ist m.E. Ausdruck davon, wie gut ein Sozialsystem
funktioniert. Je mehr explizites Herrschaftshandeln vorkommt, desto
mehr ist faul im Sozialsystem.

Jedenfalls ist die Herrschaft keinesfalls zu reduzieren auf die
Funktion der Machtausübung und damit auf das Zwangsmoment, das im
Befehl zum Ausdruck kommt und Gehorsam verlangt.

Dem würde ich mich anschließen! Allerdings finde ich die Wortwahl zu
militärisch.

[...Zur Definition von Max Weber...]

Um das Phänomen der Herrschaft besser zu erfassen, müssen
weitere Überlegungen aufgenommen werden, welche die
System-(Gruppen-)bezogenheit der Herrschaft noch stärker zum Ausdruck
bringen.

7.2.2. Das Handeln der Gruppe

Es wird vielfach die Meinung vertreten, daß eine Gruppe als solche
nicht handeln könne. Eine Gruppe sei ein gedachtes Gebilde, das keine
eigene Realität besitze. Handeln sei grundsätzlich nur Individuen
möglich.

Auf den ersten Blick ist diese Meinung überaus plausibel, denn ein
geistiges Gebilde, das sich nur im Bewußtsein von Menschen befindet,
kann nicht von sich aus Aktivitäten ausstrahlen oder gar in
Kommunikation mit anderen Handelnden treten. Wenn z.B. eine Gruppe
(Arbeitsgruppe, Firma) ein Haus baut, stellt zwar nicht jeder einzelne
der Gruppe ein Haus her, sondern jeder wirkt im Rahmen der Gruppe
daran mit. Dennoch bleibt es zweifelhaft, ob die Gruppe in diesem
Beispiel als Gruppe handelt. Aber hier liegt ein unvollständiger
Gruppenbegriff vor, der unter einer Gruppe nur deren Mitglieder
versteht. Die Gruppe besteht ja nicht nur aus ihren Mitgliedern,
sondern auch aus ihren Normen, Verhaltensmustern, Traditionen,
technischen Mitteln usw.

Auch sehr wichtig. Ich würde meinen, dass ein Sozialsystem sich durch
diese Faktoren erst auf Dauer konstituiert.

Bei Freie-Software-Projekten gibt es sicher Normen, Verhaltensmustern,
Traditionen, technische Mittel usw. Mensch kann sich im Rahmen eines
Freie-Software-Projektes nicht benehmen wie sie will, sondern es gibt
mindestens Verhaltensmuster, die von allen TeilnehmerInnen erwartet
werden.

Bei Oekonux haben wir ja mittlerweile sogar die Gepflogenheiten
[http://www.oekonux.de/liste/intro.html#Gepflogenheiten]
aufgeschrieben, die sich auf der Liste ausgebildet haben und die von
den allermeisten Leuten hier zustimmend kommentiert werden. Solche
Gepflogenheiten haben schon einen normativen Charakter - und das soll
ja auch gerade so sein. Es liegt halt nach weitgehend
übereinstimmender Meinung der TeilnehmerInnen hier *im Interesse* des
Sozialsystems Oekonux, dass hier nicht jedeR nach Belieben und
grenzenlos rumholzen darf - z.B. Oder das es *im Interesse* des
Projekts liegt, dass die Mails, die auf die Liste gehen, in der Regel
on-topic sind. Oder dass die Mails bestimmten technischen
Anforderungen genügen.

Diese Norm hat sich bei Oekonux entwickelt. Sie ist aus einer sozialen
Praxis abgeleitet worden, die existiert hat, bevor diese
Gepflogenheiten irgendwann explizit formuliert wurden. Diese
Entstehung von Normen aus einer sozialen Praxis heraus scheint mir
wichtig. Sie verdichten in diesem Sinne nur das, was die Menschen
ohnehin vorher freiwillig getan haben. Solange diese Beziehung
zwischen den Bedürfnissen der Menschen und der Norm bestehen bleibt,
sehe ich auch keine grundsätzlichen Schwierigkeiten mit Normen - sie
liegen ja im Interesse der von ihnen Betroffenen und dienen somit
ihrer Selbstentfaltung. Problematisch ist es, wenn Normen sich von
denen ablösen, die sie befolgen sollen. Hier handelt es sich um einen
Entfremdungsprozess, der aber sehr oft, wenn nicht immer ein Problem
für eine emanzipatorische Vision ist.

Bei einem Staat wird ja auch gerne behauptet, dass es gemeinsame
Normen, etc. gibt. Allerdings ist hier eben sehr viel von Normen,
Verhaltensmustern, Traditionen nicht wirklich von selbst entstanden,
sondern aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen gesetzt. Staaten -
multikulturelle zumal - sind m.E. einfach viel zu riesig, um so etwas
wie Normen, Verhaltensmuster, Traditionen wirklich in dem Sinne
entstehen zu lassen, wie sie es bei Freien Projekten tun. Hier scheint
mir ein großes Problem zu liegen.

Für die GPL-Gesellschaft kann ich mir problemlos vorstellen, dass
Sozialsysteme sich ähnlich konstituieren, wie wir es heute z.B. bei
Freier Software sehen können. D.h. Normen etc. entstehen aus einer
sozialen Praxis. Entscheidend wichtig wäre dann, dass die Normen diese
Anbindung an die soziale Praxis immer behalten, so dass die Menschen
sich nicht von ihnen entfremden. Wie könnte das sichergestellt werden?

Diese Gesamtheit handelt offenbar im
genannten Beispiel nicht, sondern einige oder alle Mitglieder handeln
in Übereinstimmung mit der Gruppe und ihren Zielen, handeln als
Mitglieder.

Dies leuchtet mir ein und das ist eine sehr wichtige Grundlage für das
Herrschaftsphänomen.

Bei Freier Software ganz klar: Die Tätigen handeln natürlich alle
individuell aber *mit Bezug* bzw. sogar *in Übereinstimmung* mit dem
Projekt und seinen Zielen.

Auch bei Oekonux lässt sich das angeben - auch wenn hier die Ziele
sicher noch weniger klar greifbar sind, als bei einem
Freie-Software-Projekt. Wenn die Leute auf `projekt oekonux.de' z.B.
momentan die zweite Konferenz vorbereiten, so gehe ich schon davon
aus, dass das in Übereinstimmung mit dem Projekt stattfindet.

Beim Staat wird's hier natürlich haarig. Was ist das Ziel eines
Staates? Kann irgendetwas wirklich in Übereinstimmung mit 80 Millionen
Menschen gemacht werden?

Wenn es also Gruppenhandeln im vollen Sinne geben sollte, so müßte
alles, was zu einer Gruppe gehört, betroffen und in das Handeln
einbezogen sein. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn eine Gruppe
sich als solche zu etwas verpflichtet. Eine Familie verpflichtet sich
etwa in ein anderes Haus umzuziehen; eine Gemeinde verpflichtet sich
ein Schwimmbad zu erstellen; ein Verein verpflichtet sich zur Zahlung
von Schadensersatz; ein Staat verpflichtet sich zur Respektierung von
bestimmten Grenzen. Verpflichtet sich in diesen Beispielen jeweils
jedes einzelne Mitglied persönlich? Wohl kaum. Dennoch ist jedes
Mitglied verpflichtet, ja alles, was zur Erfüllung der Verpflichtung
rechtmäßiger Weise dienen kann, ist in die Verpflichtung einbezogen,
einschließlich der sachlichen Mittel.

Hier wird's m.E. hochproblematisch. Ich finde es nicht einsichtig,
dass Mitglieder eines Sozialsystems automatisch zu dem verpflichtet
sind, wozu sich das Sozialsystem als Ganzes verpflichtet hat. Dieses
Problem verschwindet allerdings unter Konsensbedingungen, da eine
Verpflichtung des Sozialsystems dann mit einer Verpflichtung der
Mitglieder zusammenfällt - oder zumindest klar ist, wie die einzelnen
Mitglieder zu der Gesamtverpflichtung stehen. Zur Erinnerung: Konsens
ist dann erreicht, wenn niemensch mehr widersprechen muss.

Schauen wir nochmal, wie es bei Freier Software steht. Nun, wie schon
angemerkt gibt es Verpflichtung da ohnehin nur insofern sie auf einer
persönlichen Verpflichtung beruht. Das Problem entsteht also nicht, da
es sich quasi schon um Konsensbedingungen handelt. Bei Oekonux gilt
ähnliches.

Zum Staat gilt, dass es hochproblematisch ist. S.o.

Da Sozialsysteme in der GPL-Gesellschaft m.E. i.d.R. auf Konsensbasis
funktionieren - da dies der Selbstentfaltung einfach am adäquatesten
ist - verschwindet dort das Problematische an einer Verpflichtung.

Ebenso können Gruppen außenstehende Gruppen oder Individuen zu etwas
verpflichten und auch selbst Verpflichtungen gegenüber diesen
ausdrücklich übernehmen. Damit ist nichts anderes gesagt, als das
Gruppen Verträge schließen können. Ferner können Gruppen Meinungen
äußern, Drohungen abgeben und Gewalt ausüben. Darin besteht das
Gruppenhandeln nach außen.

Na ja, vielleicht ein etwas reduziertes Bild von Gruppenhandeln nach
Außen - oder?

Zum Abschluß von Verträgen, zur Abgabe bindender Erklärungen für eine
Gruppe sind immer nur wenige Personen oder nur eine einzige Person
berechtigt (legitimiert). Durch diese wird die Gruppe vertreten, durch
diese handelt die Gruppe.

Ein wichtiger Knackpunkt: Wer darf ein Sozialsystem nach Außen
vertreten? Die Frage stellt sich natürlich unterschiedlich mit der
Bedeutung, die eine bestimmte Handlung hat. Es dürfte aber klar sein,
dass es zumindest bei unklarer Lage in der Gruppe es nicht
irgendjemensch x-beliebiges sein kann. Was gilt denn dann als
Gruppenhandeln wenn die nach außen gerichteten Handlungsweisen von
Mitgliedern widersprüchlich sind? Auch eine spannende Frage, die
sicher noch eingehender untersucht werden müsste.

Bei Freier Software scheinen es mir vor allem die MaintainerInnen zu
sein, die legitimiert sind, das Freie-Software-Projekt nach Außen zu
vertreten.

Bei Oekonux haben wir irgendwann mal `projekt oekonux.de' gegründet.
Dort ist ein Kollektiv von Leuten tätig, die u.a. auch Fragen der
Außenvertretung besprechen und auch entscheiden - die ganze
Konferenzvorbereitung strotzt z.B. von Außenvertretung. Um in der
geldförmigen Umgebung einen einfacheren Stand zu haben, haben wir
einen Verein gegründet, der allerdings allgemein als
`projekt oekonux.de' untergeordnet betrachtet wird. Dieser macht auf
der bürgerlichen Ebene die Außenvertretung.

Wie in unseren Staaten die Außenvertretung geregelt wird, dürfte
hinlänglich bekannt sein.

Auch Sozialsysteme in einer GPL-Gesellschaft brauchen eine
Außenvertretung. Wahlweise wäre anzunehmen, dass es ein übergreifendes
und unhintergehbares Sozialsystem gibt, in dem alle anderen
Sozialsysteme enthalten sind. Dann wäre jedes Sozialsystem immer auch
mit dem anderen Hut im Innenverhältnis zu jedem anderen Sozialsystem.
Ein solches übergreifendes und unhintergehbares Sozialsystem wäre
vermutlich gerade ein Staat. Gefällt mir nicht :-( .

Es wäre noch zu überlegen, ob immer eine Außenvertretung nötig ist.
Weiß ich nicht. Kann es Gesellschaftsformen geben, in denen jedes
Sozialsystem ohne Außenvertretung auskommt? Die Menschen wären dann
immer mit allen Mitgliedern des Sozialsystems als Einzelwesen
konfrontiert. Ob das praktikabel ist? Ich bin skeptisch.

Es muß daher festgestellt werden, daß eine
Gruppe sehr wohl als Gruppe zu handeln vermag, allerdings nur durch
Individuen. Diese nehmen gerade darin, daß sie für die Gruppe handeln,
die Aufgabe der Herrschaft wahr. Keinesfalls handelt die
Herrschaftsperson nur im Auftrag der Gruppe, weil dann die
auftraggebende Gruppe ohne Herrschaft gedacht werden müßte.

Das hat schon eine innere Logik: Beauftragen für die Gruppe zu
handeln, kann die Gruppe immer irgendwen. Wenn die Individuen, die die
Aufgabe der Herrschaft wahrnehmen, für die Gruppe handeln, ist das
aber davon schon unterscheidbar. Ich schätze, dass hier auch noch
Zündstoff liegt.

Bei einem Freien-Software-Projekt besteht ein Unterschied darin, ob
einE TeilnehmerIn beauftragt wird, die Verhandlung mit einem
Web-Hoster zu führen, bei dem das Projekt seine Präsenz hosten will,
oder ob eine MaintainerIn erklärt, dass es eine solche Web-Site geben
soll. Ähnliches gilt für Oekonux.

Es gibt allerdings des Gruppenhandelns als das Abgeben von bindenden
Willenserklärungen wie das Abschließen von Verträgen. Die Gruppe
vermag auch nach innen, in Richtung auf ihre Mitglieder zu handeln.
Dazu gehört z.B. die Bestrafung.

Kommt später noch ausführlicher.

7.2.3. Der Standpunkt der Gruppe

Jetzt wird's auf einer logischen Ebene sehr wichtig!

Wenn jemand die Gruppe als Gesamtheit vertritt und an ihrer Stelle
handelt, so muß es einen Standpunkt der Gruppe geben, auf den er sich
stellen kann, um von hier aus erkennen und im Interesse der Gruppe gut
und richtig handeln zu können. Ist es möglich, seinen individuellen
Standpunkt zu verlassen und einen verallgemeinerten Standpunkt
einzunehmen? Die notwendigen Überlegungen wurden oben bereits geführt
[an anderer Stelle des Buches: 2.2.4.1. Standpunkte im System]. Danach
läßt sich zwischen individuellen und systematischen Standpunkten
unterscheiden. Ein systematischer Standpunkt ist der Standpunkt eines
Systems, das mehrere individuelle Standpunkte zusammenfaßt. [...]

Superwichtig! Hier steht nichts anderes, als dass es zu einem
Sozialsystem eben auch einen Standpunkt gibt, der jenseits aller
individuellen Standpunkte liegt. Nach meinem Empfinden liegt *exakt
hier* der Übergang vom Individuum zu einer Gruppe / zu einem
Sozialsystem. Wird dieser Standpunkt der Gruppe geleugnet, dann gibt
es wirklich nur noch die Ansammlung von Monaden, die eben keine Gruppe
konstituieren. M.E. logisch eine ganz wichtige Denkfigur, mit der der
gesamte Herrschaftsbegriff steht und fällt.

Nun ist es alles andere als offensichtlich, was dieser Standpunkt der
Gruppe ist. In der Geschichte hat es ja reichlich unterschiedliche
Versuche gegeben, irgendwie jemenschen zu finden, die diesen
Standpunkt besonders gut einnimmt. In den westlichen Staaten versuchen
wir's mit parlamentarischer Demokratie. Na ja.

Was sehen wir bei der Freien Software? Nun, die MaintainerIn muss als
Herrschende natürlich genau diesen Standpunkt einnehmen. Die
Korrektive sind bei der Freien Software immer präsent und wirksam:
Wenn die MaintainerIn in dieser Tätigkeit diesen Standpunkt verlässt,
so wird sie das mit dem nötigen Gespür schon mitkriegen. Tut sie es
nachhaltig, so werden die Leute das Projekt verlassen und/oder forken.
Ähnliches gilt für Oekonux.

Wichtig scheint mir in beiden Beispielen, dass es eine starke
Rückkopplung zwischen Herrschenden und Beherrschten - zwischen denen,
die Herrschaftsaufgaben wahrnehmen und denen die in den Genuss von
Herrschaft kommen also -, dass es da eine starke Rückkopplung gibt.
Exakt diese Rückkopplung fehlt beim Staat durch den irrsinnigen
Abstraktionsgrad, den ein Staat der vorfindlichen Größenordnung nun
mal hat. Die Hilflosigkeit des Wahlakts verdeutlicht in den westlichen
Demokratien diese irrsinnige Abstraktion, die vom konkreten Dasein der
Menschen so unglaublich viel Wichtiges wegläßt. Eigentlich ist nicht
mal anzunehmen, dass auf diese Weise die Einnahme eines Standpunkts
des Staatsvolks überhaupt gewährleistet werden kann - mal ganz
abgesehen davon, dass ich nicht erkennen kann, dass es diesen
Standpunkt überhaupt irgendwie über die allerbanalsten Trivialitäten
hinaus gibt. Vermutlich kann nur (nationale) Ideologie oder
Partikularinteressen ein Gebilde wie einem Staat überhaupt so etwas
wie die Illusion eines gemeinsamen Standpunkts einhauchen.

In der GPL-Gesellschaft wird es den Standpunkt der Gruppe in einem
Sozialsystem in ähnlicher Weise geben, wo es ihn in heutigen
Sozialsystemen bereits gibt - würde ich meinen.

Der systematische Standpunkt findet sich grundsätzlich in allen
Sozialeinheiten, sei es eine Freundschaft, ein Verbrechersyndikat,
eine Feuerwehreinheit oder ein Staatenbund.

Bei Staaten oder gar Staatenbünden habe ich so meine Zweifel, ob hier
wirklich von legitimen systematischen Standpunkten gesprochen werden
kann. Würde ich eher nicht meinen. S.o.

Dieser Standpunkt stellt
im Grunde den Relator dar, der die Gesamtheit der sozialen Normen
zusammenfaßt. Jedes Mitglied kann sich auf diesen Standpunkt stellen,
um von hier aus zu erkennen und zu handeln.

Wichtig! JedeR hat also die Möglichkeit, alles mögliche im Lichte
dieses Standpunktes zu betrachten - und damit auch zu kritisieren oder
für gut zu befinden. Kein Gottesgnadentum, das per Eingebung
funktioniert und nicht hinterfragbar ist, sondern alles
herrschaftliche Handeln ist auf diesen Standpunkt der Gruppe bezogen.

Die Einnahme eines
systematischen Standpunkts ist für die Gewissensbildung und das
moralische Handeln überhaupt unentbehrlich.

Wäre drüber nachzudenken. Ich würde allerdings lieber den Begriff der
Verantwortung hier verwenden. Aber da gibt es Zusammenhänge - gerade
zwischen einem sehr individuellen Verantwortungsbegriff und Gewissen.

Jede Feststellung, die ein
Mitglied in der ersten Person Plural macht, zeigt, daß von dem
Standpunkt des Systems aus geurteilt wurde.

Hier liegt wahrscheinlich das "Wir"-Problem begründet, dass in Oekonux
schon mehrfach hochgekommen ist. Na, ich versuche ja schon immer brav
Anführungszeichen zu verwenden, wenn (mir) die Bezeichneten nicht ganz
klar sind ;-( ...

Auch ausdrückliche
Forderungen können von diesem Standpunkt aus geäußert werden. Wenn ein
Kind z.B. zu Eltern und Geschwistern sagt: "Wir müssen die Großeltern
besuchen!", so äußert es seiner Meinung nach bestehende Norm
(Normierung), der die anderen Mitglieder der Familie gegebenfalls auch
nachkommen werden. Damit wird das Kind noch nicht zur
Herrschaftsperson, doch gehört sein Handeln zu dem wesentlichen
Grundbestand von Herrschaft hinzu.

Das wird Christoph Spehr aber gar nicht gerne hören ;-) .

Es ist für die Herrschaft zugleich rechtfertigend und verpflichtend,
daß sie vom Standpunkt der Allgemeinheit aus zu urteilen und zu
handeln hat. Da aber alle Mitglieder dazu prinzipiell in der Lage und
in gewisser Weise auch aufgefordert sind und daher einander
widersprechende Normen formulieren könnten, kommt es darauf an,
diejenigen Mitglieder zu kennzeichnen, die ausdrücklich und
berechtigterweise den systematischen Standpunkt als ihren
Hauptstandpunkt im System ansehen sollen.

Noch eine wichtige Aussage, die m.E. eine gewisse Plausibilität hat.

Bei der Freien Software sehen wir hier m.E. die MaintainerInnen als
diejenigen, die eben diesen systematischen Standpunkt einnehmen sollen
- zumindest wenn sie in dieser Rolle handeln. Ähnliches gilt für
Oekonux, wobei ich hier `projekt oekonux.de' als
MaintainerInnen-Kollektiv betrachten würde.

Wichtig hier auch aber in einem Nebensatz versteckt: MaintainerInnen
können als Inhaber dieser Rolle handeln - oder eben auch nicht. Ob das
immer sauber zu trennen ist, scheint mir allerdings fraglich.

Derjenige, der die
Herrschaftsposition einnimmt, ist dann vom Standpunkt des gesamten
Systems aus verpflichtet, aus seiner Rolle das Gemeinwohl des Systems
zu fördern.

!!!

Herrschaftsausübung bedeutet daher von ihrem Kern her, daß
partikulare Interessenswahrnehmung dem Herrschaftsauftrag
widerspricht.

!!!

Herrschaftspersonen, die eine Sozialeinheit nur
benutzen, um Vorteile für sich oder bestimmte innerhalb oder außerhalb
des Herrschaftsbereichs stehende Gruppen zu erreichen, sehen die in
Frage stehende Sozialeinheit nur als Mittel der Ausbeutung an und
verlieren damit ihre Legitimität.

!!!

Die Frage ist, was aus dem Verlust der Legitimität folgt. Wenn die
Herrschenden die Machtmittel weiterhin in Händen halten, dann findet
Machtmissbrauch statt.

Bei Freier Software geht der Verlust von Legitimität einer
MaintainerIn tendenziell mit dem Weggang von Leuten oder einem Fork
einher. Der Fork ist dabei der kollektive Weggang von Leuten, die mit
den bestehenden, bis dahin gemeinsam entwickelten Mitteln in neuem
Rahmen weitermachen.

Das Weggehen von Leuten aus solchen Gründen ändert allerdings nichts
daran, dass die Herrschenden Macht missbrauchen und illegitim handeln.
Weggehen ist also so gesehen immer nur eine individuelle Lösung, bei
der sich das Individuum dem Machtmissbrauch entzieht. Der
Machtmissbrauch ist dadurch aber nicht beendet. So gesehen kann ein
Weggehen sogar als unsolidarischer Akt in Bezug auf die anderen
Mitglieder des Sozialsystems betrachtet werden.

Ein wenig anders verhält es sich, wenn die Weggehenden einen Fork
machen. Dann schaffen sie quasi ein neues, paralleles Sozialsystem,
das die von den Forkenden als Ziele des Sozialsystems angesehenen
Ziele wieder anstrebt und somit allen die Möglichkeit gibt, ihre
Selbstentfaltung dem zu widmen, was in dem Sozialsystem nicht möglich
ist, in dem Macht aus Sicht der Forkenden missbraucht wird.

So ähnlich sieht dies grundsätzlich auch für Oekonux aus - würde ich
meinen.

Nun, zum Staat muss ich glaube ich nicht viel sagen. Uns allen fallen
tausend Beispiele ein, in denen Staat Partikularinteressen bedient und
damit die Legitimität seiner Herrschaft verspielt. Ich vermute, dass
dies ein strukturelles Problem mit Staaten ist. Sollte dies so sein,
so gibt es keine legitime staatliche Herrschaft. So etwas schwante mir
schon immer ;-) . Aber warum das genau so ist, hatte ich noch nie so
klar wie heute - und hoffentlich noch klarer in ein paar Monaten :-) .

In der GPL-Gesellschaft sehe ich die Dinge ähnlich wie bei Freier
Software. Die Frage würde sich hier allerdings stellen, wie
Machtmissbrauch verhindert werden kann. Nun, eine *wirklich* alte
Frage. Wäre zu prüfen, was uns da so einfällt.

Wegen der Wichtigkeit der Aufgabe,
das Gemeinwohl zu fördern, ist es gut, wenn es in einem Sozialsystem
institutionell geregelt ist, wer die Herrschaftsposition einzunehmen
hat. So lassen sich überflüssige Machtkämpfe und Unsicherheiten des
Handelns zurückdrängen.

Klingt für mich erstmal plausibel.

7.2.4. Integration

Eine weitere Begründung findet die Herrschaft darin, daß jedes
Sozialsystem einen ständigen Einfluß benötigt, der die einzelnen Teile
des Systems auf die Gesamtziele des Systems ausrichtet. In einem
ständigen Prozeß muß allen Erscheinungen, die die Einheit des
Sozialsystems von innen bedrohen, Einhalt geboten werden. Dieser
Prozeß bedarf der Steuerung, und dazu ist eine Herrschaft
erforderlich.

Nun, auch dies kann ich gut vertreten. Optimal sind Situationen, in
denen keine Eingriffe nötig sind, weil alle Mitglieder des
Sozialsystems aus eigener Motivation heraus ihr Handeln auf die
Gesamtziele des Systems ausrichten. Dies dürfte vor allem dann der
Fall sein, wenn Menschen freiwillig und aus gutem Grund Mitglied in
einem Sozialsystem werden - also z.B. weil sie aus Gründen der
Selbstentfaltung an einem Sozialsystem teilnehmen und also ein
direktes Interesse an den Gesamtzielen des Sozialsystems haben.

Ich denke, dass wir beides bei Freier Software aber auch in aller
Regel bei Oekonux beobachten können. Die Selbstregulationsfähigkeit
der Liste - oder sollte ich sagen die Wahrnahme der Herrschaft durch
alle Mitglieder? - ist ja durchaus bemerkenswert. Tatsächlich gibt es
nach meiner Wahrnehmung eigentlich nur hin und wieder kleinere
Problemchen mit Leuten, die ganz neu auf die Liste kommen und es aus
dem einen oder anderen Grund nicht gewohnt sind, dass sie nicht auf
jeder Mailing-Liste tun und lassen können was sie wollen. Tatsächlich
regelt sich das aber (bisher) schnell und auf längere Sicht haben noch
alle einen Weg gefunden sich bei Oekonux so einzufügen, so dass alle
etwas davon haben. Dass einE ListensubskribentIn nach langer Zeit
erstmals gegen die Gepflogenheiten verstößt habe ich bisher eigentlich
(fast) noch nicht erlebt.

Haarig wird's natürlich, wenn die Partikularinteressen dem Gesamtziel
des Sozialsystems widersprechen - so wie bei Gesellschaftsformationen,
bei denen das "auf Kosten anderer" im Mittelpunkt steht üblich. Dann
kann es gar nicht anders sein, als dass die permanent
auseinanderstrebenden Partikel irgendwie zusammengehalten werden
müssen - notfalls mit Gewalt. Staat scheint mir exakt dies zu tun -
vor allem wenn Staat eben auf der Verwaltung von Partikularinteressen
aufgebaut ist.

Ich würde meinen, dass Oekonux oder auch Freie-Software-Projekte, bei
denen es ähnlich laufen dürfte, somit als Modelle dafür dienen können,
dass Herrschaftseingriffe durch einzelne Personen tendenziell dann
nicht notwendig sind, wenn das Interesse der Individuen mit dem
Gesamtziel des Sozialsystems übereinstimmt. Dies ist dann der Fall,
wenn ein Individuum freiwillig Mitglied in einem Sozialsystem geworden
ist und das Sozialsystem auch weiterhin seiner Selbstentfaltung dient.
Dies wäre also auch aus dieser Sicht für eine GPL-Gesellschaft
wichtig. Inwiefern hier die unhintergehbare Gesellschaft eine Rolle
spielt / reinpasst kann ich wieder nicht sagen.

Alle Aufgaben, die eine Herrschaft zu erfüllen hat, sind von der
Erhaltung der Sozialeinheit her bestimmt.

Die Erhaltung des Sozialsystems wird hier unhinterfragt als wichtiges
Ziel vorausgesetzt. Dies würde ich einschränken. Der Bestand eines
Sozialsystems ist kein Wert an sich.

Darin eingeschlossen ist die
Zielsetzung, daß die Sozialeinheit mit deutlich erkennbaren Zielen
existiert, so daß es jeweils möglich ist, klare Abgrenzungen gegen die
Umwelt vorzunehmen. Das ist aber keineswegs als Selbstverständlichkeit
der Fall. [...]

Auch ein Faktor - die Abgrenzung gegen die Umwelt. Ob immer eine
scharfe Abgrenzung günstig ist, weiß ich nicht.

Zählen bei Freier Software die Nur-NutzerInnen zum Projekt? Wohl
nicht. Und die, die Wünsche einbringen? Schon eher. Welche Bedeutung
hat ein einzelner Bug-Fix? Ich glaube hier ist klar, dass die Grenze
fließend ist.

Ähnliches würde ich für Oekonux formulieren. Wir haben ca. 300 Leute
auf den beiden Diskussionslisten. Gehören die alle gleich zum
Sozialsystem Oekonux? Ich schätze, einige würden sich dagegen wehren -
da hat Benni sicher Recht. Andererseits gibt es sicher auch einige
regelmäßige Web-MitleserInnen, die sich eher dazu zählen würden. Die
Leute auf `projekt oekonux.de' gehören dagegen sicher dazu -
allermindestens die Aktiven dort. Auch hier sind die Grenzen
offensichtlich fließend. Zusätzlich unklar ist dies auch deswegen,
weil durchaus unklar ist, was das eigentlich bedeutet, zum
Sozialsystem Oekonux zu gehören. Vermutlich weil es nichts bedeutet,
ist es auch so unklar.

Relativ klar sind dagegen in beiden Fällen die Ziele eines
Sozialsystems. Für ein Freie-Software-Projekt ebenso wie für Oekonux.
In beiden Fällen ist durch eine Zielfestlegung noch nicht alles
determiniert, was geschehen soll. Aber dennoch ist eine Richtung klar,
in die es gehen soll.

Die Herrschaft steht daher immer vor der Aufgabe, die Grenzen zu
anderen Sozialsystemen zu verdeutlichen und alle Mitglieder auf innere
Übereinstimmung und auf Orientierung an der Erhaltung und Kräftigung
der Einheit des Sozialsystems auzurichten. Dieser Prozeß ist der
Prozeß der "Integration". Zweifellos gehen die Initiativen dazu nicht
allein von der Herrschaft aus, sondern auch von Mitgliedern ohne
Herrschaftsbefugnis. In erster Linie ist die ständige Aktivierung des
Vereinheitlichungsprozesses aber eine Funktion der Herrschaft.

Zu dem Aspekt, dass die Mitglieder es selbst tun, hatte ich oben schon
was gesagt.

Der Integrationsprozeß hat wenig oder nichts zu tun mit einer
Vereinheitlichung im Sinne einer Schematisierung oder Gleichmacherei.
Vielmehr bezweckt er die Verinnerlichung der Normen bei den
Mitgliedern der Sozialeinheit und zugleich die Ausrichtung auf die
Sozialeinheit als Ganzes. Die dadurch erfolgte Bewußtseinsbildung
rückt die Tatsache und die Lage der Grenze vor Augen. Man kann daher
auch sagen, daß der Integrationsprozeß nichts anderes als der Prozeß
der Identifikation ist, wenn man ihm vom Sozialsystem her betrachtet.

[...]

D.h. mit anderen Worten, dass erst durch die Integration eines
Sozialsystems seine Mitglieder die Möglichkeit haben, sich mit dem
Sozialsystem zu identifizieren - oder eben auch nicht. Sollen die
Grenzen fließend bleiben - wie oben angedeutet - darf daher dann wohl
auch nicht zu stark integriert werden, da sonst der Druck auf den
Grenzbereich zu einem eindeutigen Bekenntnis zu groß wird. Wenn also
eine Art Parteilinie ausgegeben wird, dann können sich zwar einige
damit identifizieren, andere werden dadurch aber ausgegrenzt, die vor
der Existenz der Parteilinie sich nicht zu einer Identifikation
genötigt sahen. Dies scheint mir der Tenor zu sein, wenn wie auf der
letzten Konferenz die Offenheit von Oekonux nicht nur begrüßt wird,
sondern auch als unerlässlich für das Projekt erachtet wird.

7.2.5. Herrschaft als grundlegendes Strukturmoment

Nach den bisherigen Überlegungen ist es unangemessen, Herrschaft als
eine Funktion zu begreifen, die neben anderen in einem Sozialsystem
ausgeübt wird. Vielmehr gehört Herrschaft zu den grundlegenden
Strukturbestandteilen eines Sozialsystems.

Vor allem wegen der Argumentation über den Standpunkt des
Gesamtsystems finde ich das eine durchaus nachvollziehbare Aussage.

Man kann sich natürlich
fragen, ob man von Herrschaft bereits bei Vermittlungen oder bei
Kleingruppen reden soll. Gewiß ist hier Herrschaft weniger stark
ausgeprägt als in Großgruppen wie Betrieben oder Staaten. Wer die
Herrschaftspersonen hier sind, ist eher zu erkennen, weil eine Anzahl
von Formalisierungen wie ausdrückliche öffentliche Übertragung der
Herrschaft, vorgeschriebene Formen der Herrschaftsausübung usw.
vorliegen. Betrachtet man jedoch die genannten vier Begründungen für
die Herrschaft, so läßt sich zeigen, daß diese auch für kleine Gruppen
wie die Freundschaft bereits zutreffen. Dabei ist es durchaus möglich,
daß die Freunde - weil keine institutionelle Regelung vorliegt -
nacheinander den Standpunkt ihrer Gemeinsamkeit und damit den
Standpunkt der Herrschaft einnehmen und jeweils den anderen
verpflichten.

Ich denke, das können wir alle in unseren Alltagsbeziehungen
beobachten.

Es braucht sich also nicht notwendig eine dauerhafte
Überlegenheit des einen über den anderen herausgebildet zu haben.

Ich finde Überlegenheit hier einen falschen Zungenschlag. Bis hierher
habe ich wenig Schwierigkeiten damit, Herrschaft als Dienstleistung
für das Sozialsystem anzusehen. Diese Dienstleistung schlägt m.E.
genau dann in etwas Negatives um, wenn sie sich nicht mehr am
Interesse des Sozialsystems orientiert und damit ihre Legitimität
verliert. Damit ist es dann auch keine Dienstleistung mehr.

Versteht man Herrschaft in diesem Sinne, so stellt sie die
entscheidende Artikulation dar, die ein soziales System, eine
Gesellschaft, eine soziale Gruppe besitzt.

Die Gesellschaft würde ich hier nicht so bruchlos mitaufzählen. Habe
ich schon einiges dazu angemerkt. Weiterhin bin ich skeptisch
gegenüber allen Sozialsystemen, die sehr abstrakt sind - d.h. wo die
Beziehung zwischen den Herrschenden und den Beherrschten nur sehr
schwach und vielfach vermittelt ist. Staat zählt sicher dazu. Ich
glaube zu Staat sage ich nicht mehr so viel - kennen wir alle zur
Genüge und dass und warum ich hiermit Probleme habe, habe ich
angedeutet.

Für eine GPL-Gesellschaft wäre aus meiner Sicht genau hier zu
überlegen: Welche Dimension können Sozialsysteme haben, ohne dass sie
so abstrakt werden, dass die Gefahr einer Entfremdung zu groß wird.
Hier wäre m.E. noch viel zu überlegen. An dieser Stelle geben auch die
Beispiele Freie Software und Oekonux zu wenig her, da sie einfach
recht klein sind. Während ich mir einerseits Sorgen über zu große / zu
abstrakte Sozialsysteme mache, denke ich andererseits nicht, dass der
erreichte Lebensstandard ohne z.B. großangelegte Infrastruktur zu
halten ist. Dieser Umstand konstituiert aber schon irgendwie ein
Sozialsystem - oder? Spannende Frage.

Ohne Herrschaft ist die
Einheit des Sozialsystems nicht zu gewährleisten. Herrschaft ist auf
ein soziales System als Ganzes hin orientiert und kann auch nur von
dort her verstanden werden. Der Herrschaft kommt folglich eine
spezifische Würde oder Hoheit zu, die den zentralen Inhalt der
Autorität ausmacht. Diese Würde übersteigt die Mitgliedschaftswürde.
Das läßt sich mit dem Begriffspaar "Repräsentation und Domination"
noch tiefergehend begründen.

Nun, mit der Würde habe ich es hier nicht so. Ich sehe das wie gesagt
mehr als Dienstleistung an. Wichtig zwar, aber andere Leistungen
innerhalb des Sozialsystems sind dies auch und deswegen ist die Würde
da nicht mehr oder weniger.

2 months (63 days) ago Stefan Merten wrote:
7.3. Grundformen der Herrschaftsausübung

7.3.1. Repräsentation

Das Handeln der Sozialeinheit und damit das Handeln der
Herrschaftspersonen erfolgt in den beiden Grundformen "Repräsentation"
und "Domination". Primär bezieht sich die Repräsentation auf soziale
Gruppen, die Mitglieder besitzen.

Gibt's soziale Gruppen ohne Mitgliedschaft? Das verstehe ich nicht so
richtig. Wenn eine Gruppe keine Mitglieder hat, dann kann sie ja
eigentlich nur von Außen an die Menschen dieser Gruppe herangetragen
werden. Finde ich höchst problematisch.

Die Repräsentativfunktion wurde
bereits von Th. Geiger hervorgehoben. Er verwies darauf, daß nur durch
die Wahrnehmung der Repräsentation die Verkörperung der Gruppe als
etwas Körperlosem in der Körperwelt möglich sei.

Klingt für mich erstmal relativ plausibel. Ich würde meinen, dass es
solche Repräsentation auch über Dinge gibt - z.B. eine Web-Site. Aber
das ist hier wohl nicht gemeint.

In einem Freie-Software-Projekt sind wohl die MaintainerInnen die
wichtigsten RepräsentantInnen.

Wie ist das bei Oekonux? Wenn ich z.B. dafür kritisiert worden bin,
dass ich Wir ohne Anführungszeichen verwende oder auf einem Vortrag
von Wir spreche, dann kann ich das so verstehen, dass mir eine gewisse
Repräsentationsfunktion zugeschrieben wurde, die ich mit dem
unangeführten Wir missbrauche - oder? Na, halte ich zumindest für
naheliegend. Geben tut es die Repräsentation also wohl - zumindest in
der Wahrnehmung von Außen. Schwierig wird es mit der Repräsentation
halt, wenn die Grenzen einer Sozialeinheit so fließend sind wie z.B.
bei Oekonux.

In einer GPL-Gesellschaft halte ich Repräsentationsfunktionen für
Sozialeinheiten erstmal nicht für problematisch.

Die eigentlichen
Partner des Führungsverhältnisses sind nach ihm der Führer als solcher
und die Gruppe als Ganzes unter Einschluß des als Führer fungierenden.

Die Herrschaftsausübung in der Form der Repräsentation ist in den
Rahmen des rituellen Handelns einzuordnen. Im rituellen Handeln wird
eine soziale Gruppe vergegenwärtigt, durch das Mitglied dargestellt,
aber doch nur so, daß das Vergegenwärtigte gewissermaßen potentiell
anwesend ist, nämlich als Handlungsorientierung des Mitglieds.

Kann ich mir jetzt bei Freie-Software-Projekten oder Oekonux nichts
drunter vorstellen. Beim Staat gibt's natürlich reichlich rituelle
Handlungen. Der Punkt ist mir nicht so richtig klar.

Hmm... Wie ist das, wenn Richard Stallman auftritt? Das hat schon eine
Menge mir Repräsentation zu tun. JedeR, die das einmal erlebt hat,
wird das bestätigen können. Ähnliches gilt für andere bekannte Namen
der Freie-Software-Szene.

In der
Repräsentation ist das Vergegenwärtigte darüber hinaus aktualisiert
anwesend. Das Vergegenwärtigte ist nicht nur da, es äußert sich auch
mehr oder weniger konkret, es handelt durch den Repräsentanten.

Das ist mir schon eher einsichtig. In einem funktionierenden
Sozialsystem, in der die Herrschaft von allen als nützlich begrüßt
wird, gibt es solche Szenen sicherlich. Leider gibt es in auf
Partikularinteressen gebauten Gesellschaftsformationen wohl nur wenige
solcher Sozialsysteme :-( .

Na ja, wenn ich an Stallman denke, dann gibt es so etwas sicherlich
bei Vielen.

Repräsentant und Repräsentiertes können in so starkem Maß
identifiziert werden, daß jede Beleidigung eines Repräsentanten die
repräsentierte Sozialeinheit selbst trifft. Früher war z.B. die
Beleidigung eines Botschafters nicht selten ein Kriegsgrund für den
betroffenen Staat.

Eine solche Identifikation halte ich für sehr problematisch. Damit ist
die Entfremdung der RepräsentantIn vom repräsentierten Sozialsystem ja
geradezu vorprogrammiert. Personenkult fällt mir als Bezeichnung dafür
ein. Das widerspricht auch dem Dienstleistungscharakter, unter dem ich
Herrschaft mittlerweile verstehe.

Auch hier fällt mir wieder Stallman ein, den wohl viele mit der Freien
Software schlechthin identifizieren.

Eine einzelne Führungsperson (oder eine Führungsgruppe) handelt also
für die Gesamtheit und verpflichtet die Gesamtheit. Durch die
Herrschaft werden z.B. verbindliche Erklärungen abgegeben, Warnungen
oder Drohungen mitgeteilt, Interessen bekannt gemacht und Verträge
abgeschlossen. Die Repräsentation richtet sich also nach außen auf
andere Sozialeinheiten oder Individuen.

Das ist ja eigentlich schon unter dem Handeln als Gruppe abgehandelt.
Repräsentation ist dann quasi die Bezeichnung für den Vorgang, bei dem
dazu legitimierte Personen für die Sozialeinheit handeln.

Zugleich richtet sich die
Repräsentation aber auch nach "innen", d.h. die Herrschaftsperson
stellt die soziale Gruppe in ihrer Gesamtheit auch gegenüber dem
einzelnen Mitglied dar. So gehört die Vergegenwärtigung der
Normengesamtheit des Systems fundamental zur Innenwirkung der
Repräsentation. Die Mitglieder erhalten dadurch die Möglichkeit, sich
in der (feierlichen oder alltäglichen) Anerkennung der Herrschaft mit
dem Sozialsystem zu identifizieren.

Ich denke, dass wir das in der Freien Software sehen können. Die
MaintainerInnen tun dies und wenn ich die bekannten Namen wie Richard,
Linus, Larry, etc. so vorbeiziehen lasse, dann kann ich mir schon
lebhaft vorstellen, dass über diese Personen bei vielen auch eine
Identifikation mit der Freien Software insgesamt bewirkt wird.

Insgesamt scheint mir diese Form der simplen Akklamation aber als
problematisch. Oder handelt es sich hier nicht nur um dumpfe
Akklamation sondern um eine Anerkennung des Herrschaftsverhältnisses?
Klingt auch nicht unplausibel für mich. Müsste genauer erforscht
werden.

Aber auch die Fixierung der
Normen, die Norminterpretation, die Sichtbarmachung der Ziele und
Werte der Gruppe gegenüber den Mitgliedern zählen zur
Herrschaftsaufgabe, die aus der Repräsentation nach innen fließt.

Dabei ist natürlich immer zu berücksichtigen, dass dies nur solange
legitim ist, solange die RepräsentantIn sich an den Zielen der
Sozialeinheit orientiert. Ein dünner Grat...

Während der Außenaspekt der Repräsentation in der Staatsrechtslehre
größere Beachtung gefunden hat, wird die Repräsentation nach innen
kaum berücksichtigt oder gar für unmöglich erklärt. Der Innenaspekt
steht jedoch an Bedeutung dem Außenaspekt keineswegs nach. Das gilt
für den Staat ebenso wie für alle anderen Sozialsysteme. Integrativer
Bestandteil der Repräsentation ist die Zusammenfassung und
Vergegenwärtigung der Bestrebungen der Mitglieder der Sozialeinheit.
Das heißt nicht, daß die Interessen der Mitglieder jemals einziger
Orientierungspunkt des Handelns der Herrschaft sein können. Vielmehr
muß die Herrschaft auch zu überzeugen versuchen und nötigenfalls auch
gegen die Meinungen der Mitglieder zu handeln bereit sein.

Hier wird's natürlich sehr heikel und das Tor zum Machtmissbrauch
steht sperrangelweit auf. Andererseits: Wenn wir in der Freien
Software schauen, dann gibt es da ja durchaus Situationen, in denen
einE MaintainerIn mit einer Entscheidung gegen die Meinungen zumindest
einiger Mitglieder verstößt. Hier haben wir also dieses Phänomen. Eine
wichtige Frage ist dann, woran solche Situationen zu erkennen sind.
Mehrheiten / Stimmungsbilder mögen hier Hinweise geben. Schwierig.

Der Ausweg sind natürlich Konsensverfahren, bei denen das Handeln
*gegen* die dedizierte Meinung von Mitgliedern nicht mehr nötig ist.
Überhaupt bekommt bei Konsensverfahren Herrschaft noch viel stärker
den Charakter einer Dienstleistung.

Doch ist
der Repräsentationsvorgang niemals ein einseitiger Prozeß. Vielmehr
besteht zwischen der Herrschaft und den Mitgliedern ein
Wechselverhältnis. Es werden nicht nur die Mitglieder im
Repräsentationsvorgang dargestellt, im Dominationsvorgang betroffen,
sondern sie selbst können den Führungsprozeß direkt oder durch
bestimmte Institutionen beeinflussen, ja notfalls die Herrschaft
beseitigen. Wäre dieses Wechselverhältnis nicht gegeben, so könnte auf
Dauer die tatsächliche Orientierung der Herrschaft an der Gruppe nicht
erzwungen werden.

Hier wird auch nochmal betont, dass das Herrschaftshandeln immer an
der Gruppe orientiert werden muss und dass die Gruppe dies auch
sicherstellen können muss. Im Prinzip die alte Frage: Wie werde ich
die Herrschaft im Zweifelsfall wieder los? hängt genau damit zusammen.
Im Vorfeld des Loswerdens aber schon die Frage, wie ich die Herrschaft
zurück auf einen Weg bringen kann, der (wieder) im Interesse der
Sozialeinheit liegt.

Bei der Freien Software besteht die Möglichkeit zu gehen oder zu
forken. Damit wird mensch recht wirkungsvoll individuell oder
kollektiv die Herrschaft los. Dies ist aber eigentlich nicht richtig
Klasse. Besser ist es, wenn das Bedürfnis erst gar nicht entsteht, die
Herrschaft loswerden zu wollen. Aber im Zweifelsfall muss die
Reißleine existieren. Wichtig für eine GPL-Gesellschaft.

Repräsentation ist grundsätzlich nicht isoliert zu denken. Stets ist
für die Repräsentation ein Adressat gegeben, der die vom
Repräsentanten vermittelte Botschaft erhält. Diese Botschaft ist aber
nicht eine inhaltlich bestimmte Nachricht über Sachverhalte, sondern
Übermittlung und Verlebendigung der Gruppenrealität. Deshalb
konstituiert repräsentatives Handeln in gewissem Sinne immer
(gruppenspezifische) Öffentlichkeit. Denn durch den Repräsentanten ist
die Gruppe im Kommunikationsvollzug anwesend.

Öffentlichkeit war auch einer der definierten Begriffe. Ist nicht
uninteressant in diesem Zusammenhang.

Repräsentiert wird
nicht nur eine  "Wertsphäre" oder eine andere Herrschaftsperson
(z.B. der Monarch durch den Botschafter), sondern stets eine
Sozialeinheit und mit dieser deren gesamter Normenhorizont, so die
Familie durch den Vater - jedenfalls unter patriarchalischen
Verhältnissen -, das Rote Kreuz durch den Präsidenten, die
Aktiengesellschaft durch den (dreiköpfigen) Vorstand, das Staatsvolk
durch das Parlament (bzw. die Parlamentsmitglieder) und zugleich durch
den Staatspräsidenten.

Das ist nach dem vorherigen nur folgerichtig.

[...Betrachtungen zum imperativen Mandat...]

[...Abgrenzung gegen weitere Verständnismöglichkeiten von
"Repräsentation"...]

Die Repräsentation einer sozialen Gruppe läßt sich stufenmäßig
gliedern. Das ergibt das Phänomen der Delegation. Jede Führungsstufe
hat gegenüber der nächsthöheren Stufe ein geringeres Maß an
Repräsentationsfähigkeit, d.h. ihre Würde ist geringer.

Das finde ich nicht einleuchtend. Inwiefern soll sich das *Maß* an
Repräsentationsfähigkeit denn ändern? Ich könnte mir vorstellen, dass
es verschiedene Sozialeinheiten gibt, die einander auf vielfältige
Weise umfassen oder durchdringen. Dann gibt es halt Herrschaft /
Repräsentation für je diese Sozialeinheit. Warum dann von
verschiedenen Stufen und verschiedener Würde gesprochen werden soll,
ist mir schleierhaft.

Bei Freie-Software-Projekten oder bei Oekonux gibt es diese Stufen
nach meiner Wahrnehmung jedenfalls nicht. Da gibt es nur
MaintainerInnen und andere. Na ja, es wäre vorstellbar, dass es
Teilprojekte gibt, die eigene MaintainerInnen haben. Aber warum die
dann höher oder niedriger eingestuft sein sollen, leuchtet mir nicht
ein.

Im Staat haben wir natürlich permanent solche Stufungen - das ist aber
m.E. mehr Teil des Problems als der Lösung.

Darin liegt
der Grundbestand der sozialen Schichtung, die also in erster Linie ein
Ausdruck der gegebenen Herrschaft ist. Die gesamte
Repräsentationsstufung nennt man eine "Hierarchie". Sie stellt in
ihrer Gesamtheit die normative Orientierung des sozialen Systems und
damit seine Strukturierung dar.

Na, also in der GPL-Gesellschaft würden wir aber doch wohl hoffentlich
ohne solche Schichtung auskommen.

7.3.2. Domination

Jetzt wird's natürlich ganz besonders spannend. Domination
widerspricht ja der Selbstentfaltung des Individuums - zumindest auf
den ersten Blick. Allerdings kann Domination dazu dienen, die Ordnung
in der Sozialeinheit aufrecht zu erhalten - dann würde sie die
Selbstentfaltung der Sozialeinheit und damit letztlich ihrer
Mitglieder befördern. Ganz so simpel ist das Verhältnis zur
Selbstentfaltung also nicht.

Die dominative Grundform der Herrschaft bedeutet Machtausübung durch
Androhung von Gewalt. Die Ausführung der Befehle wird durch sie
erzwungen mit Hilfe der ihr zur Verfügung stehenden Machtmittel und
Sanktionsmöglichkeiten. Die Domination gehört unter der Voraussetzung
zur Herrschaft hinzu, daß es den uneinsichtigen oder böswilligen
Normbrecher gibt, vor dem die Gesellschaft zu schützen ist.

Hierzu ist mir ein einfaches Beispiel eingefallen: Die Spam-Blocker,
die vor den ganzen Oekonux-Listen sitzen. Diese Spam-Blocker sind
nichts anderes als in Technik gegossene Domination. Sie hindern Leute
daran, ihre Spam-Mail an diese Listen zu schicken und stehen so ganz
eindeutig deren Selbstentfaltung im Wege: Sie können nicht tun und
lassen was sie wollen, sondern es wird durch die Spam-Blocker
verhindert.

Ich schätze aber, dass es keine einzige auf all diesen Listen gibt,
die sich den ganzen Spam in ihrer persönlichen Mail oder im Web-Archiv
wünscht. Für die `liste oekonux.de' putze ich mittlerweile täglich
mindestens eine Spam-Mail weg und für `projekt oekonux.de' sieht es
ähnlich aus. Hier haben wir also ein wunderbares Beispiel, wie
Domination der Sozialeinheit Oekonux nutzt.

In diesem Fall richtet sich die Domination zwar an Außenstehende, aber
die Domination rührt aus einem systematischen Standpunkt her: Die
Listen sollen möglichst Spam-frei sein. Dieser systematische
Standpunkt gilt natürlich auch nach innen. Und auch das wird keineE
bestreiten: Auch wenn ein Listenmitglied die Listen in ihre
Spam-Aktionen a la "Make money fast" einbeziehen würde, könnte das
nicht geduldet werden - eben weil es diesem systematischen Standpunkt
widerspricht. Was als Spam betrachtet wird, ist natürlich nicht in
jedem Fall so ohne weiteres klar - unbenommen. Was in den Filtern
hängen bleibt, dürfte aber wirklich unstrittig sein.

Dieses Beispiel verdeutlicht m.E. recht eindrucksvoll und für alle
nachvollziehbar, dass Domination in einer Sozialeinheit durchaus ihr
gutes haben kann, ja dass sie zu ihrem Erhalt sogar notwendig sein
kann. Die SpammerInnen sind dann exakt jene uneinsichtigen oder
böswilligen NormbrecherInnen von denen oben die Rede ist - in diesem
Fall wohl sogar beides.

Wenn es also Beispiele für die positive Wirkung von Domination gibt,
dann müssen wir überlegen, wie das in einer GPL-Gesellschaft aussehen
kann. Auch dort wird es sicher immer noch Situationen geben, in denen
es Menschen gibt, die aus dem einen oder anderen Grund sich nicht an
die Normen halten wollen, die die Menschen in einem bestimmten
Sozialsystem für sich als richtig befunden haben. Ein weites Feld -
aber superwichtig.

Domination kann vielleicht auch als Teil einer
Konfliktlösungsstrategie betrachtet werden - oder vielleicht ein
gescheitertes Konfliktlösungsverfahren anzeigen. Auch hier zeigt sich
wieder die zentrale Bedeutung gut funktionierender
Konfliktlösungsverfahren. Die Selbstentfaltung als Voraussetzung der
Selbstentfaltung (ich verwende das jetzt mal als Kurzformel) liefert
hier aber günstige Rahmenbedingungen.

Zur
dominativen Herrschaft gehört damit die Kontrolle der Ausführung der
erlassenen Befehle, Anordnungen und Weisungen. Diese Seite der
Herrschaft ist so selbstverständlich für das zeitgenössische
Bewußtsein, daß die Grundform der Repräsentation demgegenüber oft -
besonders als Repräsentation nach innen - völlig übersehen wird.

Na ja, wieder eine sehr militärische Wortwahl. Im Grunde geht es
darum, Leute auf ihr Fehlverhalten im Sinne des Sozialsystems
hinzuweisen (d.h. Grenzen und Normen des Sozialsystems verdeutlichen)
und sie bei fortgesetzter Nichtbeachtung der Grenzen mit möglichst
friedlichen Mitteln an einer Fortführung ihres Tuns zu hindern.

Bei SpammerInnen ist das nicht möglich - sie zeichnen sich ja gerade
dadurch aus, dass sie weder greifbar sind noch irgendeinen Bezug zum
Sozialsystem haben, dessen Normen ihnen also piep-egal sein kann.

Nach Innen ist das schon eher möglich und je allgemein anerkannter die
Regeln eines Sozialsystems sind, desto leichter sollte es sein, diese
Regeln auch durchzusetzen. In einem optimalen Sozialsystem würde ich
mir vorstellen, dass es dazu eben keiner Herrschaftspersonen mehr
bedarf, sondern dass alle Mitglieder des Sozialsystems auf die
Erhaltung des Sozialsystems achten und ggf. auch gegen
NormbrecherInnen einschreiten.

Die Domination steht jedoch immer in der Gefahr, ein bestimmtes Tun
oder Lassen zu erzwingen, das nicht aus der Gerechtigkeit begründet
werden kann.

Genau da liegt das Problem... Domination ist gerade in
emanzipatorischer Hinsicht ein scharfes Schwert, dass vorsichtig
gehandhabt werden muss soll es nicht zu einem Massaker kommen.
Aufgrund der Selbstentfaltung als Voraussetzung der Selbstentfaltung
liegt aber bei Freie-Software-Projekten, Oekonux und GPL-Gesellschaft
dies im Interesse aller - einschließlich eben von denen, die das
Schwert in Händen halten.

Ungerechte Entscheidungen und Maßnahmen sind bis zu
einem bestimmten Grad in jeder Herrschaft vorhanden, ohne daß die
Herrschaft schon als in sich ungerecht bezeichnet werden dürfte.

Ich denke, auch das ist klar. Gerechte Herrschaft auszuüben ist eine
sauschwere Aufgabe. Immer zu erspüren, was der jeweilige Standpunkt
des Sozialsystems ist, ist wirklich nicht leicht. Und Herrschaft, die
im Sinne des Sozialsystems handeln will - woraus sie ja ihre
Legitimität zieht -, muss genau dieses Erspüren leisten.

Eine Formalisierung von Regeln kann m.E. dabei helfen, Leitlinien für
solches Erspüren zu geben. Dass solche formalisierten Regeln aber
permanent an den sich ändernden Standpunkt des Sozialsystems angepasst
werden müssen, ist auch klar.

Die
eindeutig ungerechte Herrschaft wird zu ihrer eigenen
Aufrechterhaltung jedoch stets in größerem Maß Zwangsmittel einsetzen.
Dieses Erlebnis oder die Befürchtung der Möglichkeit solcher
Herrschaft kann so tief wirksam sein, daß Herrschaft in der Grundform
der Domination als eine permanente Bedrohung empfunden wird, besonders
dann, wenn die Machtausübung in starkem Maß physische Gewalt
beinhaltet.

So etwas Ähnliches hatte ich ja oben auch schon mal erwähnt:
Herrschaft, die Machtmissbrauch betreibt, wird viel Domination
einsetzen müssen. Wird Herrschaft auf den Begriff der Domination
reduziert, so werden dann gut funktionierende Herrschaftsverhältnisse,
also solche, in denen zumindest Domination nach Innen kaum vorkommt,
gar nicht mehr als Herrschaftsverhältnisse wahrgenommen. Nach der
hiesigen Begriffsbildung halte ich das aber für einen groben
Fehlschluss.

Aus der Gegenüberstellung der beiden Grundformen der Herrschaft dürfte
deutlich geworden sein, daß die repräsentative Seite der Herrschaft
Voraussetzung und Grundlage der dominativen Seite ist. Denn die
Anwendung von Zwangsmitteln ist nur deshalb gerechtfertigt, weil die
Gerechtigkeit, der soziale Frieden und damit das Sozialsystem selbst
aufrechtzuerhalten ist.

Hier steht eine klare Bindung der Domination an bestimmte Ziele. Dies
kann und muss immer die Grundlage sein, auf der dominatives Handeln
permanent hinterfragt werden muss.

Eine Herrschaft, die sich nicht aus der
Repräsentation der Gesamtnormierung des Sozialsystems verstehen würde,
könnte nie die überzeugte Zustimmung der Mitglieder des Sozialsystems
gewinnen. Ohne Einsicht in den repräsentativen Gegenstand und ohne
Zustimmung zu ihm läßt sich moralisches Handeln im Sozialsystem nicht
konstituieren, so auch nicht die Einsicht in die Notwendigkeit
dominativen Verhaltens der Herrschaft und damit auch nicht in die
Berechtigung von Bestrafungen.

Ich würde noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass Herrschaft,
die diese Zustimmung nicht bekommt, keine Herrschaft sondern simpler
Machtmissbrauch ist.

7.3.3. Herrschaftsreduktion

Betrachtet man beispielsweise die Familie als ein
Herrschaftsverhältnis der Eltern über ihre Kinder, so ist es
zweifellos so, daß die Domination zunächst stärker ausgeübt wird, dann
aber mit zunehmendem Mündigwerden der Kinder immer mehr zurückgehen
muß. Die Kinder sind also immer weniger der Gewalt unterworfen, die
Anwendung von Gewalt ist von einem bestimmten Alter ab nicht mehr
gerechtfertigt, es sei denn, die Einsicht (Reifegrad) und das daraus
entspringende Verhalten bleiben zurück, z.B. bei debilen Kindern.
Dagegen bleibt die Repräsentationsfunktion der Eltern mindestens
solange erhalten, bis die Kinder eine eigene Familie gegründet haben.

Das ist nun wirklich etwas überholt mit der Familiengründung ;-) .

Zu fragen ist, ob nicht jede Herrschaft auf die Ausübung von
Domination mit zunehmender Selbständigkeit und Einsicht der der
Herrschaft Unterworfenen verzichten muß. Grundsätzlich ist diese Frage
zu bejahen. Die Domination muß auf ihre eigene Aufhebung hinwirken.

Sic!

Die Anwendung von Zwang ist also niemals durch sich selbst
gerechtfertigt. Alle Zwangsmittel müssen immer wieder überprüft
werden, ob sie wirklich nötig und unentbehrlich sind. Die Beweislast
dafür, ob die Domination beizubehalten ist, liegt jedoch keineswegs
allein bei der jeweiligen Herrschaftsperson. Die Entscheidung hängt
vom gesamten Herrschaftsgefüge und damit von der gegebenen
Gruppenstruktur ab. Jedenfalls ist die Forderung auf Abschaffung der
Herrschaft als Domination im Kern eine berechtigte Forderung.

Sic!

Wenn man nun aber Herrschaft nur als Domination begreift und das
repräsentative Moment der Herrschaft übersieht oder unterschlägt,
wandelt sich die Forderung auf Abschaffung der Domination in eine
Forderung auf Abschaffung der Herrschaft schlechthin. Hier liegt das
grundlegende Mißverständnis des Anarchismus und zu einem erheblichen
Grad auch das politisch gewollte Mißverständnis der marxistischen bzw.
kommunistischen Herrschaftstheorie, die Herrschaft stets als Ausübung
partikularer Interessen einer "herrschenden Klasse" diffamiert
(Lenin. "Der Staat ist eine Maschine zur Aufrechterhaltung der
Herrschaft einer Klasse über andere").

Nun, unter dem Gesichtspunkt Staat hatte ich ja oben schon einiges
angemerkt, warum ich Staat als Herrschaftsform sehr problematisch
finde. Mir läge aber daran, das Herrschaftskind nicht mit dem
Staatsbad - oder anderen entfremdeten Institutionen - auszuschütten.
Herrschaft als Wirken *für* ein Sozialsystem scheint mir nach längerem
Nachdenken über diese Definitionen und ein Betrachten der Welt durch
diese Brille wirklich ein Grundtatbestand menschlicher Sozialität
schlechthin zu sein. Genau deswegen muss sich m.E. darüber Gedanken
machen, wer über andere Gesellschaftsformationen nachdenkt.

Natürlich gibt es einen Mißbrauch der Herrschaft. Geschichte und
Gegenwart weisen genügend Beispiele dafür auf. Die Herrschaft wird
dadurch degeneriert zum bloßen Machterwerb für Einzelne oder eine mehr
oder weniger große Clique von Nutznießern. Auf diese Weise entfremdet
sich Herrschaft ihrem eigentlichen Ziel, verliert ihren
repräsentativen Charakter und wird tendenziell zur illegitimen
Gewaltausübung.

Kann ich nur bestätigen. *So* würde ich Herrschaft heute auch
verstehen.

Von einem Mißbrauch her kann man aber keinen
Gegenstand definieren, so auch nicht die Herrschaft. Berechtigung oder
gar Notwendigkeit der Herrschaft in einem sozialen System müssen von
einem solchen Ansatz verfehlt werden. Eine systematische Analyse der
Herrschaft wird vielmehr berücksichtigen müssen, daß die
Aufrechterhaltung der Normen des Sozialsystems, die Befähigung eines
Sozialsystems zum Handeln und das dauerhafte Einnehmen eines nicht
partikulären Standpunkts, nämlich des Standpunkts des Gesamtsystems,
Herrschaft unaufgebbar notwendig machen.

Das leuchtet mir im Großen und Ganzen ein.

Eine herrschaftslose Gesellschaft wird es also niemals geben, auch
keine herrschaftslose soziale Gruppe, sofern sie ein Mindestmaß von
Institutionalisierung aufweist. Selbst in einem denkbaren künftigen
Weltstaat wird kein herrschaftsloser Zustand geschaffen werden können.
Ein Weltstaat ist nämlich keineswegs mit dem Verlust jeder sozialen
Strukturierung verbunden. Es wird in jedem denkbaren Weltstaat noch
die verschiedensten sozialen Gruppen geben, die eine relative
Eigenständigkeit besitzen, also muß es auch die verschiedensten
Herrschaften geben. Aber selbst wenn der Weltstaat vollkommen
unstrukturiert wäre, müßte es eine Weltherrschaft geben, die den
Zustand der Nichtstrukturierung zu garantieren hätte.

Nun, ich stimme sicher nicht mit allem überein, was Siebel da so
gesagt hat und auch meint. Vor allem zum Staat habe ich doch ein
sicher ganz anderes Verhältnis als er. Diesen Schlussworten dieses
Abschnitts würde ich mich aber dennoch anschließen.

Aus meiner Sicht müsste es darum gehen - und hier sehe ich ein großes
Projekt für die Liste hier - mal genau rauszuarbeiten, wann Herrschaft
in einem emanzipatorischen Sinne problematisch wird, wann sie Gefahr
läuft, zu Machtmissbrauch zu entarten. Das Beispiel Freier Software
zeigt uns m.E. auch hier, wie eine Grundlage aussehen kann, in der
Herrschaft auf emanzipativer Grundlage wirkt. Ich glaube, wenn wir
hier weiterkämen, dann wäre das ein ziemlich großer Wurf.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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