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Re: [ox] Zum Begriff der Herrschaft



Hi, Stefan!

Ich habe deinen Diskussionsbeitrag nun zweimal gelesen und komme 
damit nicht klar. Irgendwie scheint ihm eine seltsame, nicht dem 
alltäglichen Gebrauch entsprechende Definition des Begriffs 
"Herrschaft" zu Grunde zu liegen.

Unter "Herrschaft" verstehe ich eine Teilung der Gesellschaft in 
"Herrscher" und "Beherrschte", wobei erstere die Möglichkeit 
haben und auch davon Gebrauch machen, letztere zu irgendetwas zu 
zwingen, indem irgendwelche Greueltaten angedroht werden (z.B. 
beim Militär: Hinrichtung bei Befehlsverweigerung). Diese nennst 
du "Machtmittel" und schreibst selbst, daß es sie in 
FS-Projekten, sowie im Oekonux-Forum (nahezu) nicht gibt. 

On Tuesday 03 September 2002 22:02, Stefan Merten wrote:
Wichtig hier auch: Soll Machtgebrauch möglich sein, so muss es
Macht überhaupt erstmal geben. Wenn es wenig oder keine
Machtmittel gibt, dann kann es auch keinen Machtgebrauch
geben. Dann ist dieser Teil von Herrschaft nur schwach bzw.
gar nicht ausgeprägt.

Da ich immer noch der Meinung bin, dass es bei Freier Software
einerseits nahezu keine Machtmittel gibt (Freiwilligkeit der
Teilnahme, allgemeine Verfügbarkeit der Produktionsmittel),
ist die Frage des Machtgebrauchs hier schon eingeschränkt. Das
war mein wesentlicher Punkt in dem alten Thread zur Frage
"Freie Software und Herrschaft".

Ähnlich sehe ich es für Oekonux. Die Machtmittel vor allem
aber nicht nur von mir, beschränken sich darauf, dass ich
verhindern könnte, dass Leute auf die Listen posten - das
war's dann aber auch schon.

(Dies wage ich BTW zu bezweifeln. Du kannst nicht verhindern, 
daß ein Ausgeschlossener mit neuer Identität wiederkommt. Dazu 
müßtest du nämlich das Forum komplett abriegeln und eine 
Aufnahme nur noch nach Ausweiskontrolle zulassen.)

Die Frage ist nun, wenn es keinen Machtgebrauch gibt, was bleibt 
dann noch von der Herrschaft übrig? Nur der Herrschertitel, so 
wie heutzutage der Adelstitel bei Adligen als Namensbestandteil? 
Was ist deiner Definition von "Herrschaft" noch zusätzlich 
enthalten???

- - - - -

Und nun noch ein paar Anmerkungen, die leicht Off-Topic, jedoch 
zu Punkten sind, die in deiner Mail auftauchen:

1. Was ist das Oekonux-Projekt?

Bei deinen Beispielen hast du FS-Projekte und Oekonux getrennt 
aufgelistet. Damit hast du eine interessante Frage aufgeworfen: 
Was ist Oekonux für ein Projekttyp? Womit ist das vergleichbar?

Ein Unterschied zu FS-Projekten fällt stark ins Auge: Es fehlt 
das Stück Code, an dem gemeinsam gewerkelt wird. Oberflächlich 
könnte man zwar sagen, daß hier eine Theorie gemeinsam 
erarbeitet wird, allerdings scheinen mir hier eher 
Versatzstücke, d.h. Ideen und Meinungen, für viele individuelle 
Theorien zu entstehen.

Am ehsten scheint mir der Vergleich mit LUGs zu passen, in 
welchen es ebenfalls keinen Code zu bearbeiten gibt, jedoch eine 
gewisse Infrastruktur (Website, Listen...) aufrecht erhalten 
werden muß und gelegentlich Veranstaltungen organisiert werden. 

2. Konsens

Zur Erinnerung: Konsens ist dann
erreicht, wenn niemensch mehr widersprechen muss.

Diese Definition stimmt nicht mit der überein, die ich aus dem 
Schülerrat und aus der Fachgruppe Informatik her kenne. Nach der 
ist Konsens nämlich dann erreicht, wenn in einem Punkt alle 
einer Meinung sind, d.h. wenn eine Abstimmung 100% Ja- oder 100% 
Neinstimmen und keine Enthaltungen ergäbe.

Nach deiner Definition wäre hingegen Konsens auch bei 100% 
Enthaltung erreicht. Dies finde ich sehr lasch und nicht sehr 
befriedigend.

3. Das "Wir"-Problem

Na, ich versuche ja schon immer brav Anführungszeichen zu 
verwenden, wenn (mir) die Bezeichneten nicht ganz klar sind
;-( ...

Durch das "Wir" bezeichnest du alle 300 Leute, die an dem 
Projekt teilnehmen; da helfen auch die Anführungszeichen nichts. 
D.h. auch die Leute (Sabine, Hartmut, Dirk, Karl usw.), die in 
mindestens einem Punkt anderer Meinung sind als du. Diese Leute 
haben aber sicher etwas dagegen, wenn du trotz anderer Meinung 
für sie mit sprichst.

Die Gruppe, die du mit "wir" meinst, ist deutlich kleiner, und 
welche Namen auf der Liste auftauchen, ist mir nur in einem Fall 
wirklich klar.

Anders sieht es natürlich in den Fällen aus, in denen wirklich 
alle gemeint sind, z.B. bei organisatorischen Fragen: "Wie 
können wir mit weniger Aufwand besser kommunizieren?"

4. Die Gepflogenheiten

Bei Oekonux haben wir ja mittlerweile sogar die
Gepflogenheiten
[http://www.oekonux.de/liste/intro.html#Gepflogenheiten]
aufgeschrieben, die sich auf der Liste ausgebildet haben und
die von den allermeisten Leuten hier zustimmend kommentiert
werden.

Die "Gepflogenheiten" haben nicht wir aufgeschrieben, sondern 
du. Stefan Mz und Benni haben Verbesserungsvorschläge 
eingebracht, was man als Zustimmung werten kann. Karl und 
irgendein Uli sind hingegen dagegen; das ignorierst du 
jedoch. "Die allermeisten Leute hier" haben sich zu den 
"Gepflogenheiten" bisher enthalten. Daß du dies als Zustimmung 
wertest, erinnert mich stark an deine "Konsens"-Definition.

Solche Gepflogenheiten haben schon einen normativen
Charakter - und das soll ja auch gerade so sein.

Und genau dies ist der Grund, warum ich gegen dieses Regelwerk 
bin. 

Um ein normatives Regelwerk aufzustellen, benötigst du 
Machtmittel. Z.B. kann der Duden-Verlag nur deshalb die deutsche 
"Rechtschreibung" festlegen, weil es gesetzlich festgelegt ist, 
daß genau dieses Regelwerk in Schulen und sonstigen Behörden 
anzuwenden ist. Außerhalb des Bereichs, wo es mit Zwang 
durchgesetzt wird, ist es jedoch wertlos. 

Derartige Machtmittel hast du aber nicht (s.o.), d.h. deine 
Verhaltensregeln können allenfalls unverbindlicher Natur sein. 
Dann sollten sie auch so gemeint und einem entsprechenden 
Hinweis versehen sein, auf daß sie schließlich aus Einsicht in 
ihre Sinnhaftigkeit und nicht aus bloßer Spießer-Mentalität 
befolgt weren.


cu,
Thomas
 }:o{#
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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