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Re: [ox] Russische Avantgarde - Parallelen und Unterschiede zu heute



Hallo KW und Rest,

On Sun, Jul 29, 2001 at 06:15:12PM -0400, KXX4493553 aol.com wrote:
Aber vielleicht sind doch Poeten und InformatikerInnen Bewohner verschiedener 
Planeten. Aber das liegt am unterschiedlichen Verständnis der Sprache: 
Sprache ist in der Informatik eine "zweiwertige" Logik, Ja-Nein, Ein-Aus, 
1-0, während Poesie mit Assoziationen, Homophonien (Gleichklängen), Rythmen, 
Mehrdeutigkeiten arbeitet. 

Das stimmt nur teilweise. Es gibt zum Beispiel wahrscheinlich inzwischen
fast so viele unterschiedliche Programmiersprachen, wie es unterschiedliche
natürliche Sprachen gibt. Wenn das alles nur eine Frage von 0 und 1 wäre,
würden alle noch in Maschienensprache programmieren, wie in den
Anfangsjahren.

Programmiersprachen sind in der Mitte zwischen Mensch und Maschiene
angesiedelt und sie tendieren in ihrer Geschichte immer mehr zum Menschen.

Eine der neueren Entwicklungen, Perl, ist zum Beispiel sehr spannend, wenn
man sich für Verbindungen zwischen Poeten und Informatikern interessiert.
Dort gibt es inzwischen eine Perl&Poetry-Szene, die durchaus interessantes
vorzuweisen hat. Manche Gedichte sind ausführbarer Code, andere nicht. Als
Einstieg taugt vielleicht:

http://www.perlmonks.org/index.pl?node=Perl%20Poetry

Der Erfinder von Perl, Larry Wall, ist auch eine der "Gurus" in der
FS-Szene, die sehr oft über Verbindungen zur Geisteswissenschaft und zur
Kunst reden. Kein Wunder: Er ist ja auch selbst Geisteswissenschaftler. Sehr
interessant ist zum Beispiel sein Aufsatz darüber, warum Perl die erste
postmoderne Programmiersprache ist:

http://www.perl.com/pub/a/1999/03/pm.html

Die Aufsätze von Larry sind übrigens meist sehr lesenswert zumindestens so
lang er nicht auf seine christlichen Spinnereien zu sprechen kommt.

Jede neue Bewegung tut immer so, als hätte sie das Rad neu erfunden, als 
würde sie den "totalen Bruch" propagieren, als hätte es "das" vorher noch nie 
gegeben, usw. Die Avantgardebewegungen sind voll davon. Jeder weiß, das das 
teilweise durchaus stimmt, aber zu großen Teilen eben auch schlichte 
Flunkerei ist. 

Wir sollten nicht vergessen, dass hier immer wieder von einem grossen
Vorläufer die Rede ist: Der Wissenschaftlichen Methode.

Und noch eines: ich wäre 
sogar dankbar, wenn jemand aus dem Oekonux-Umkreis und/oder aus dem 
"Sympathisantenumfeld" ein Buch schreiben würde, das in etwa Benjamins "Das 
Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" gleichen würde, 
zumindest was das theroetische Niveau angeht und die Schärfe der Analyse. 

Hm, wüsstest Du jemanden, der dazu besser qualifiziert wäre, als Du selbst?
Wie Stefan schon ganz richtig angemerkt hat, selber machen macht glücklich.
Aber Anregungen sind natürlich trotzdem nicht verboten.

Was mich angeht, denke ich immer abwechselnd, das die Kunst tot ist oder das
alles Kunst ist, was auch auf´s selbe rauskommt.

Und darum, dass man die "Prinzipien freier Software" auf 
ALLE Gesellschaftsbereiche anwendbar machen will, also auch für Tischler, 
Gärtner, Friedhofswärter und halt eben auch Geisteswissenschaftler attraktiv 
wird. Was man als Tischler, Gärtner oder Friedhofswärter allerdings nicht so 
ganz versteht, ist eben, was die Patentierbarkeit von Software mit Tischlern, 
Gärtnern und Friedhofspflege zu tun hat. Da habt ihr noch ein 
"Vermittlungsproblem". 

Das ist nicht nur ein Vermittlungsproblem, sondern mehr als das, aber da
gibt es natürlich auch schon wieder unterschiedliche Auffassungen zu.

Mir fällt übrigens gerade auf, dass Du immer von "ihr" redest... ich glaub
Du stehst schon mittendrin ;-)

So weit ich das verstanden habe - und ich kenne junge Leute in meiner 
Bekanntschaft, die das praktizieren, aber einem nicht recht erklären können 
-, ist Free Software so eine Art Gegenkultur im marcusischen Sinne, wo man 
seine eigenen Regeln, seinen eigenen Verhaltenskodex etc. entwickelt hat und 
so eine Art ideologischen Überbau für die theoretisierende Fraktion, der sich 
aber bei genauem Hinsehen auf ein paar Texte von Raymond, Stallman oder auch 
Merten und Meretz reduzieren lässt. So ähnlich, wie ein Autonomer in der 
Regel nie eine Zeile Marx gelesen hat, sich aber irgendwie "antideutsch", 
"links" oder sonstwie definiert, 

Man muss also Marx gelesen haben, um sich "links" nennen zu dürfen? Klingt
nach einer ziemlich bürgerlichen Einrichtung, nämlich dem Literaturkanon.

benötigen offenbar viele Free Software-Leute nicht mal das, sie klinken sich 
aus der Restgesellschaft aus, 

Die FS-Szene insgesamt als "links" zu bezeichnen wäre allerdings eine
ziemlich steile These. Wenn im klassischen Sinn politische Einstellungen mal
Thema sind, outet sich meist ein Teil als linksliberal ala Stallmann und ein
anderer als rechtslibertär ala Raymond. Natürlich gibt es dann noch ein 
relativ kleines Häufchen an "linken" im engeren Sinne, aber das sind nur ein
paar mehr als in der Gesamtgesellschaft nach meiner sicherlich nicht
massgeblichen Einschätzung.

entwickeln Programme, um ihren Freunden einen 
Gefallen zu tun oder aus Spaß an der Freud, lehnen Drogen jeglicher Art ab, 
sind für "Normalos" total ungesellig und unansprechbar und wollen einfach 
"mit dem Rest der Welt" nichts mehr zu tun haben. Oder sind das Extremfälle? 

Alleine schon der kommerzielle Erfolg freier Software zeigt doch, dass sie
nicht ausserhalb der Welt ist, oder? Das das trotzdem nicht unbedingt in
unserem Sinne ist, ist ein anderes Thema. 

Grüße, Benni

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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