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[ox] Re: Materielle Produkte



Hi Thomas und Liste!

2 weeks (15 days) ago Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
On Friday, 13. July 2001 11:57, Franz J. Nahrada wrote:
Wir sind uns aber gar noch nicht einig wie eine freie
materielle Produktion gehen soll. Wiederum haben wir
beim geistigen Anteil derselben  ziemlich klare
Vorstellungen (siehe OSCAR - free design),

Dann sollten wir das mal schleunigst diskutieren.

Ja :-) .

Ich stell hier mal ein paar Ideen dazu zur Debatte. das meiste
davon wurde IIRC hier schonmal besprochen.

Auch wenn hier schon mal etwas besprochen worden ist, dann ist es mir
oft sinnvoll erschienen, es nach einer gewissen Zeit nochmal zu
durchdenken und vielleicht im Lichte neuer Erkenntnisse neu zu
betrachten. Oft habe ich nach einer solchen Ruhe- und Reifezeit noch
neue Überlegungen gefunden, die es vorher nicht gegeben hat. Das finde
ich, macht eine der Stärken unseres Diskurses aus - gerade bei so
schwierigen Fragen wie diesen hier. Erinnert mich BTW sehr an
Erfahrungen wie Konsense gefunden werden.

BTW: Für was steht eigentlich IIRC?

1. Übertragung der Prinzipien freier Software auf Produkte
----------------------------------------------------------

1.1. Rechtliche Übertragung

1.1.1. Definition der Begriffe "freier Bauplan" und "freies
       materielles Produkt"

Diese Begriffe müßten definiert werden. Hierzu ein Vorschlag:

1.1.1.1 "freier Bauplan"

Ein Bauplan ist ein softwareartiges Informationsprodukt. Bei der
Definition des "freien Bauplans" können also die meisten
Kriterien von der Definition freier Software übernommen werden.

Ja.

Vielleicht sollte hier noch einigemaßen umrissen werden, was zu einem
Bauplan mindestens dazugehören sollte. Reicht eine Skizze auf einer
Serviette oder muß es ein komplettes Steuerprogramm für einen
bestimmten Maschinenpark sein. Wahrscheinlich ist irgendwas dazwischen
sinnvoll. Hängt aber auch stark von den verbreiteten
(Software-)Standards der entsprechenden Maschinen ab.

Daraus leitet sich aber ab, daß eine Standardisierung von
Maschinensteuerungen eine wünschenswerte Angelegenheit wäre.

Die Definition sollte aber zusätzlich mit aufnehmen, daß es
rechtlich möglich sein muß, das im Bauplan beschriebene
materielle Produkt aufzubauen.

Wenn das (modulo Lizenzierung) verboten ist, ist der Bauplan wohl Teil
eines Patents wenn ich das richtig überblicke.

Es wäre nämlich denkbar, daß ein
Bauplan an sich verändert verbreitet werden darf, jedoch ein
Patent oder ein anderes Gesetz verletzt wird, wenn es an die
Produktion geht. Das Recht bei einem Bauplan, das beschriebene
Produkt aufzubauen ist m.E. vergleichbar mit dem Recht, ein
Programm auszuführen.

Ja.

In einer strengeren Definition ("frei++") könnte man später
festlegen, daß zur Produktion nur freie Software und freie
Produkte (dazu gleich mehr) zum Einsatz kommen dürfen.

Das wäre aber tatsächlich vielmehr eine "frei--"-Definition, da sie
dir die Freiheit nimmt, den Bauplan auf jede erdenkliche Art
anzuwenden. Die GPL schreibt zumindest Nichtdiskriminierung der
Nutzungsarten vor.

1.1.1.2. "freies materielles Produkt"

Nun zu "freien materiellen Produkten": Materielle Produkte haben
völlig andere Eigenschaften als Informationsprodukte.

Ja, sie unterliegen insbesondere nicht den Bedingungen der digitalen
Kopierbarkeit (jedenfalls noch nicht - wenn ich da an den Laser
denke...).

Sie werden
nicht selbst durch Urheber- oder Patentrecht "geschützt",
sondern ihre Baupläne bzw. ihre Funktions- oder
Herstellungsweisen. Daher möchte ich folgende, kurze Definition
vorschlagen:

  Ein "freies materielles Produkt" nennt sich ein solches, wenn
  es nach einem "freien Bauplan" hergestellt wurde und dieser dem
  Produkt beiliegt (oder in einem öffentlichen Computernetzwerk
  kostenfrei abgerufen werden kann).

Das wäre zumindest als Arbeitsdefinition und für eine Übergangsphase
eine brauchbare Minimaldefinition. Nach dieser Definition gibt es
übrigens schon Freie materielle Produkte (s. Grahams Vortrag auf der
Konferenz).

Die Definition würde auch trennscharf frühere Elektrogeräte als
nicht-frei detektieren, da bei diesen zwar der Schaltplan beilag, der
aber sicherlich gegen Nachbau geschützt war.

Ein "freies Buch" wäre demnach ein solches, von dem die
maschinenlesbare Druckvorlage unter einer freien Lizenz steht
und dem Buch als Diskette bei- oder im Netz herumliegt.

Na das ist ja nur die halbe Miete für ein Buch. Ähnlich wie ein
Schaltplan für eine HiFi-Anlage nur die halbe Miete ist - schließlich
ist sie damit noch nicht aufbaubar, sondern es müssen noch eine Reihe
mechanischer Probleme gelöst werden. Allein der Entwurf einer Platine
ist eine nicht völlig triviale Sache und ein Gehäuse muß auch her.

Mir scheint, daß wir hier sehr scharf trennen müssen, da
(interessante) materielle Produkte einen ziemlichen Mix aus
verschiedensten Bauplänen implementieren - oder?

Nicht für sinnvoll halte ich die Überlegung, daß freie
materielle Produkte das materielle Eigentum auf den Kopf stellen
müßten, wie es freie geistige Produkte mit dem "geistigen
Eigentum" täten.

Was verstehst du unter Eigentum? Genaugenommen wird damit ein
Rechtstitel bezeichnet. Besitz ist dagegen etwas anderes, was näher an
der sinnlichen Wahrnehmung einer Zuordnung von Dingen zu Menschen
liegt. (EinE MieterIn besitzt eine Mietswohnung, während sie der
VermieterIn eigen ist.)

Desweiteren halte ich die Überlegung nicht für sinnvoll, jeder
Benutzer müsse die technische Möglichkeit haben, Kopien
herzustellen, d.h. eine eigene, kleine Universalfabrik unter dem
Schreibtisch.

Ja, aber...

Freie Software existiert, ohne daß jeder über
einen CD-Brenner verfügt,

...jeder Rechner hat eine Festplatte und zahllose Kopierwerke, die als
Reproduktions- / Kopiermaschinen arbeiten. Der Vergleich hinkt also.

und freie Bücher, ohne daß jeder einen
Drucker und eine Bindemaschine hat. Und selbst wenn man diese
Geräte zu Hause hat, kann man damit dicht die materiellen
Produkte nicht in der Qualität herstellen, wie es eine darauf
spezialisierte Firma kann.

Sagen wir eine darauf spezialisierte Einrichtung oder noch neutraler:
Ein Maschinenpark, der dazu in der Lage ist.

Sind die Maschinen erst einmal universell genug, dann kann ich mir
aber in der Tat vorstellen, daß es solche Einrichtungen in regionalen
Communities durchaus gibt.

Aus dem selben Grund halte ich auch die Überlegung nicht für
sinnvoll, "Stückzahl 1" (wie beim CD-Brenner) sei ein
erstrebenswertes Ziel für die gesamte Wirtschaft. Wenn eine
technische Möglichkeit dazu besteht, sind Einzelanfertigungen
sicher sinnvoll für Entwickler. Für eine gesamte Wirtschaft
stünden derartige Verfahren, verglichen mit Massenproduktion
jedoch für Resourcenverschwendung (z.B. Zeit beim CD-Brenner).

Wieso das denn? Eine möglichst flexible Maschine hat doch nicht
automatisch Ressourcenverschwendung zur Folge - oder? Eher im
Gegenteil ist eine solche an wechselnde Anforderungen bestmöglichst
anzupassen und dürfte eher das Gegenteil von Ressourcenverschwendung
bewirken.

1.1.2. Copyleft-Lizenz

Damit freie Baupläne auch frei bleiben, wird eine Copyleftlizenz
erstellt werden müssen. Dies ist eine bürokratische
Angelegenheit und sollte verantwortungsvoll (also nicht durch
mich ;o) geschehen, da man eine zu strenge Lizenz wegen des
viralen Charakters womöglich nicht mehr loswird.

Für freie materielle Produkte wird es vermutlich mangels
rechtlicher Grundlage keine Lizenz geben. (Die Möglichkeit, bei
der der Hersteller Eigentümer bleibt, das Produkt verleiht und
per Vertrag die Nutzung regelt, finde ich, wie oben schon
gesagt, abartig.)

Wieso? Denke das doch mal als Copyleft-Lizenz weiter. Ich bleibe zwar
Eigentümer meines Produkts, gebe aber allen eine kostenlose
Nutzungslizenz. Das wäre doch direkt mal eine Überlegung wert - oder?

1.2. freiwillige Arbeit

Freie Software entsteht, wie bereits andermails erwähnt, aus
verschiedener Motivation heraus:

    o aus Überzeugung (Huhu, GNU-Leute!)
    o aus Spaß am Programmieren (Huhu, Linus T.!)
    o gegen Belohnung (Hacken als Dienstleistung o.ä.)

Interessant ist dabei, daß die ersten beiden Punkte, bei denen
die Arbeit freiwillig erfolgt, stark überwiegen. Genau dies hat
nämlich in den sozialistischen Versuchen nicht funktioniert.

Es muß also untersucht werden, wie sich bestimmte Arten von
Arbeit motivationsmässig unterscheiden:

Eine Arbeit wird aus Überzeugung ausgeführt, weil man selbst ein
Interesse am Zustandekommen des Produkts hat oder wenn sie einen
Fortschritt, d.h. die permanente Lösung eines Problems (z.B.
ihre eigene Verringerung) zur Folge und man Interesse an diesem
Effekt hat.

Auf den Spaß, den eine Arbeit macht hat einen positiven Einfluß,
wenn man von der Arbeit überzeugt ist, einen negativen, wenn die
Arbeit eintönig algorithmisch ist.

Künstlerische Betätigung stellt einen Sonderfall dar. Spaß und
Überzeugung sind hier eindeutig ausserhalb des Meßbaren.

Ganz eindeutig ;-) . Wie mißt du eigentlich in den anderen Fällen ;-) ?

    #  Inhalt   Ziel  Antrieb | Überz.  Spaß
  ============================|================
    0  schöpf.  Erg.  Muße    |  Error: overflow ;o)
  ----------------------------|----------------
    1  schöpf.  Bez.  Not¹    |   0       0
    2  schöpf.  Bez.  Forts.² |   1       1
    3  schöpf.  Erg.  Not¹    |   1       1
    4  schöpf.  Erg.  Forts.² |   2       2
  ----------------------------|----------------
    5  algor.   Bez.  Not¹    |   0      -1
    6  algor.   Bez.  Forts.² |   1       0
    7  algor.   Erg.  Not¹    |   1       0
    8  algor.   Erg.  Forts.² |   2       1

  ¹) Not: ständig wiederkehrendes Problem
     (z.B. Essen ranschaffen)
  ²) Fortschritt: permanente Lösung eines Problems


Bei der Entwicklung freier Software liegt eine schöpferische
Arbeit vor. Ein Programmierer könnte (theoretisch) freie
Software schreiben, um durch das bezahlte Anbieten dieser
Diensleistung dadurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten(#1).
Er könnte ebenso motiviert sein, von seinem Einkommen sein
eigenes Unternehmen zu vergrössern (#2) oder durch das Schreiben
eines freien Programmes sein Fehlen permanent zu beseitigen
(#4). Letztgenenanntes erklärt angesichts der zu erwartenden
Motivation und des zu erwartenden Spaßes die weite Verbreitung
freiwilliger Arbeit.

Was die Entwicklung freier Baupläne angeht, ähnelt diese Arbeit
stark der Entwicklung freier Software.

Anders sieht es mit der Herstellung der materiellen Produkte
aus: Diese Arbeit ist kaum schöpferisch-abenteuerlich,
stattdessen zum Großteil eintönig algorithmisch.

Da greifst du aber zu kurz. Gute Teile handwerklicher Produktion sind
gar nicht so schrecklich eintönig. Umgekehrt sind auch geistige
Arbeiten nicht immer nur schöpferisch-abenteuerlich.

Ich würde die Trennlinie da eher zwischen kreativen und repetitiven
Tätigkeiten ziehen. Für die ersteren sind m.E. die Menschen zuständig,
für die letzteren die Maschinen.

Materielle
Produkte unterliegen im Gegensatz zu Informationen dem
Verschleiß, weswegen sie regelmässig erneuert werden müssen.

Ja.

Ergebnisorientierte Arbeit (z.B. Produktion zum Eigenbedarf) ist
sehr unwahrscheinlich.

Wieso das? Vielleicht wegen der Komplexität der Produktion
interessanter Güter? Ließe sich das nicht knacken?

All dies deutet auf eine geringe
Motivation und keinen Spaß. Es ist nicht zu erwarten, daß diese
Arbeiten ohne Anreizsystem ausgeführt werden.

Aber klar ist das zu erwarten. Meine Baseline wäre wie gesagt die
repetitiven Tätigkeiten den Maschinen, den Menschen das Spannende.

Es ist jedoch zu erwarten, daß die technische Entwicklung die
die Übertragung der rechtlichen Prinzipien freier Software auf
Baupläne auslösen wird, einen Großteil der eintönig
algorithmischen Arbeit automatisieren wird.

Ah, da sagst du es selbst...

Die wenige
verbleibende, geistig anspruchsvolle Arbeit (Einrichtung der
Roboter, Reparaturen, Überwachung) könnte schon eher von
Enthusiasten übernommen werden, obgleich das Amlaufenhalten der
materiellen Produktion nicht auf ein konkretes Ziel gerichtet
ist.

Was ist an Amlaufenhalten der materiellen Produktion unkonkret?

Aber bei der Debian-Distribution ist das ja genauso, und da
klappt das auch... :o)

Eben.

1.3. Übertragung der Arbeitsorganisationsprinzipien

Dinge wie "Release early, release often", CVS, Mailinglisten,
User Groups usw. sollten sich auf die Entwicklung freier
Baupläne aufgrund derer Ähnlichkeit mit Software leicht
übertragen lassen. Anders ist nur, daß vieles nicht sofort in
echt, sondern nur am Bildschirm in einer Simulation ausprobiert
werden kann.

Na, ist das denn bei Software-Entwicklung so? Da gibt es auch genügend
Phasen, in denen du nur sehr beschränkt etwas ausprobieren kannst,
weil allerorten Baustellen aufgerissen sind.

Auf die Produktion und Anwendung freier materieller Produkte
sollten sich mindestens Mailinglisten (für organisatorische
Dinge, die keine Anwesenheit vor Ort benötigen) und User Groups
(für lokale Projekte) übertragen lassen.

Ja, ich denke auch, daß die Freie Kooperation über das Internet
wesentlich vereinfacht wird.

2. Projekt GPL-Wirtschaft

Die Übertragung der Prinzipien freier Software auf ein ganzes
Wirtschaftssystem wäre m.E. analog zum GNU-Projekt, welches ein
nahezu komplettes Betriebssystem entwickelt hat, dessen
Komponenten ausschließlich freie Software sind, ein
Wirtschaftssystem zu entwickeln, dessen Produktionsmittel
ausschließlich freie materielle Güter sind.

Das wäre vielleicht eine nette Analogie :-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
_______________
Unread: 69 [ox]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
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