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Materielle Produkte(was: [ox] Umsetzung)



Hi, Franz und alle!

On Friday, 13. July 2001 11:57, Franz J. Nahrada wrote:

Wir sind uns aber gar noch nicht einig wie eine freie
materielle Produktion gehen soll. Wiederum haben wir
beim geistigen Anteil derselben  ziemlich klare
Vorstellungen (siehe OSCAR - free design),

Dann sollten wir das mal schleunigst diskutieren.

Ich stell hier mal ein paar Ideen dazu zur Debatte. das meiste 
davon wurde IIRC hier schonmal besprochen.

Inhalt
1. Übertragung der Prinzipien freier Software auf Produkte
1.1. Rechtliche Übertragung
1.1.1. Definition der Begriffe:
1.1.1.1. "freier Bauplan"
1.1.1.2. "freies materielles Produkt"
1.1.2. Copyleft-Lizenz
1.2. Übertragung des Phänomens "freiwillige Arbeit"
1.3. Übertragung der Arbeitsorganisationsprinzipien 
2. Projekt "GPL-Wirtschaft"


Im Einzelnen:

1. Übertragung der Prinzipien freier Software auf Produkte
----------------------------------------------------------

1.1. Rechtliche Übertragung

1.1.1. Definition der Begriffe "freier Bauplan" und "freies
       materielles Produkt"
 
Diese Begriffe müßten definiert werden. Hierzu ein Vorschlag:

1.1.1.1 "freier Bauplan"

Ein Bauplan ist ein softwareartiges Informationsprodukt. Bei der 
Definition des "freien Bauplans" können also die meisten 
Kriterien von der Definition freier Software übernommen werden. 

Die Definition sollte aber zusätzlich mit aufnehmen, daß es 
rechtlich möglich sein muß, das im Bauplan beschriebene 
materielle Produkt aufzubauen. Es wäre nämlich denkbar, daß ein 
Bauplan an sich verändert verbreitet werden darf, jedoch ein 
Patent oder ein anderes Gesetz verletzt wird, wenn es an die 
Produktion geht. Das Recht bei einem Bauplan, das beschriebene 
Produkt aufzubauen ist m.E. vergleichbar mit dem Recht, ein 
Programm auszuführen.

In einer strengeren Definition ("frei++") könnte man später 
festlegen, daß zur Produktion nur freie Software und freie 
Produkte (dazu gleich mehr) zum Einsatz kommen dürfen.

1.1.1.2. "freies materielles Produkt"

Nun zu "freien materiellen Produkten": Materielle Produkte haben 
völlig andere Eigenschaften als Informationsprodukte. Sie werden 
nicht selbst durch Urheber- oder Patentrecht "geschützt", 
sondern ihre Baupläne bzw. ihre Funktions- oder 
Herstellungsweisen. Daher möchte ich folgende, kurze Definition 
vorschlagen:

  Ein "freies materielles Produkt" nennt sich ein solches, wenn
  es nach einem "freien Bauplan" hergestellt wurde und dieser dem
  Produkt beiliegt (oder in einem öffentlichen Computernetzwerk
  kostenfrei abgerufen werden kann). 

Ein "freies Buch" wäre demnach ein solches, von dem die 
maschinenlesbare Druckvorlage unter einer freien Lizenz steht 
und dem Buch als Diskette bei- oder im Netz herumliegt.

Nicht für sinnvoll halte ich die Überlegung, daß freie 
materielle Produkte das materielle Eigentum auf den Kopf stellen 
müßten, wie es freie geistige Produkte mit dem "geistigen 
Eigentum" täten. Diese Überlegung halte ich insbesondere deshalb 
für fatal, da m.E. die freie-Software-Bewegung das materielle 
Eigentum in besonderem Maße achtet: Während Firmen, die 
proprietäre Software vertreiben, ständig in die Rechte des 
Hardware-Eigentümers eingreifen, indem sie darüber bestimmen, 
wie sein Computer benutzt wird, ist bei freier Software dies 
nicht der Fall.

Desweiteren halte ich die Überlegung nicht für sinnvoll, jeder 
Benutzer müsse die technische Möglichkeit haben, Kopien 
herzustellen, d.h. eine eigene, kleine Universalfabrik unter dem 
Schreibtisch. Freie Software existiert, ohne daß jeder über 
einen CD-Brenner verfügt, und freie Bücher, ohne daß jeder einen 
Drucker und eine Bindemaschine hat. Und selbst wenn man diese 
Geräte zu Hause hat, kann man damit dicht die materiellen 
Produkte nicht in der Qualität herstellen, wie es eine darauf 
spezialisierte Firma kann.

Aus dem selben Grund halte ich auch die Überlegung nicht für 
sinnvoll, "Stückzahl 1" (wie beim CD-Brenner) sei ein 
erstrebenswertes Ziel für die gesamte Wirtschaft. Wenn eine 
technische Möglichkeit dazu besteht, sind Einzelanfertigungen 
sicher sinnvoll für Entwickler. Für eine gesamte Wirtschaft 
stünden derartige Verfahren, verglichen mit Massenproduktion 
jedoch für Resourcenverschwendung (z.B. Zeit beim CD-Brenner).

1.1.2. Copyleft-Lizenz

Damit freie Baupläne auch frei bleiben, wird eine Copyleftlizenz 
erstellt werden müssen. Dies ist eine bürokratische 
Angelegenheit und sollte verantwortungsvoll (also nicht durch 
mich ;o) geschehen, da man eine zu strenge Lizenz wegen des 
viralen Charakters womöglich nicht mehr loswird. 

Für freie materielle Produkte wird es vermutlich mangels 
rechtlicher Grundlage keine Lizenz geben. (Die Möglichkeit, bei 
der der Hersteller Eigentümer bleibt, das Produkt verleiht und 
per Vertrag die Nutzung regelt, finde ich, wie oben schon 
gesagt, abartig.)

1.2. freiwillige Arbeit

Freie Software entsteht, wie bereits andermails erwähnt, aus 
verschiedener Motivation heraus:

    o aus Überzeugung (Huhu, GNU-Leute!)  
    o aus Spaß am Programmieren (Huhu, Linus T.!)
    o gegen Belohnung (Hacken als Dienstleistung o.ä.)

Interessant ist dabei, daß die ersten beiden Punkte, bei denen 
die Arbeit freiwillig erfolgt, stark überwiegen. Genau dies hat 
nämlich in den sozialistischen Versuchen nicht funktioniert.

Es muß also untersucht werden, wie sich bestimmte Arten von 
Arbeit motivationsmässig unterscheiden:

Eine Arbeit wird aus Überzeugung ausgeführt, weil man selbst ein 
Interesse am Zustandekommen des Produkts hat oder wenn sie einen 
Fortschritt, d.h. die permanente Lösung eines Problems (z.B. 
ihre eigene Verringerung) zur Folge und man Interesse an diesem 
Effekt hat. 

Auf den Spaß, den eine Arbeit macht hat einen positiven Einfluß, 
wenn man von der Arbeit überzeugt ist, einen negativen, wenn die 
Arbeit eintönig algorithmisch ist.

Künstlerische Betätigung stellt einen Sonderfall dar. Spaß und 
Überzeugung sind hier eindeutig ausserhalb des Meßbaren. 


    #  Inhalt   Ziel  Antrieb | Überz.  Spaß
  ============================|================
    0  schöpf.  Erg.  Muße    |  Error: overflow ;o)
  ----------------------------|----------------
    1  schöpf.  Bez.  Not¹    |   0       0
    2  schöpf.  Bez.  Forts.² |   1       1
    3  schöpf.  Erg.  Not¹    |   1       1 
    4  schöpf.  Erg.  Forts.² |   2       2
  ----------------------------|----------------
    5  algor.   Bez.  Not¹    |   0      -1
    6  algor.   Bez.  Forts.² |   1       0
    7  algor.   Erg.  Not¹    |   1       0
    8  algor.   Erg.  Forts.² |   2       1

  ¹) Not: ständig wiederkehrendes Problem 
     (z.B. Essen ranschaffen)
  ²) Fortschritt: permanente Lösung eines Problems


Bei der Entwicklung freier Software liegt eine schöpferische 
Arbeit vor. Ein Programmierer könnte (theoretisch) freie 
Software schreiben, um durch das bezahlte Anbieten dieser 
Diensleistung dadurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten(#1). 
Er könnte ebenso motiviert sein, von seinem Einkommen sein 
eigenes Unternehmen zu vergrössern (#2) oder durch das Schreiben 
eines freien Programmes sein Fehlen permanent zu beseitigen 
(#4). Letztgenenanntes erklärt angesichts der zu erwartenden 
Motivation und des zu erwartenden Spaßes die weite Verbreitung 
freiwilliger Arbeit.

Was die Entwicklung freier Baupläne angeht, ähnelt diese Arbeit 
stark der Entwicklung freier Software.

Anders sieht es mit der Herstellung der materiellen Produkte 
aus: Diese Arbeit ist kaum schöpferisch-abenteuerlich, 
stattdessen zum Großteil eintönig algorithmisch. Materielle 
Produkte unterliegen im Gegensatz zu Informationen dem 
Verschleiß, weswegen sie regelmässig erneuert werden müssen. 
Ergebnisorientierte Arbeit (z.B. Produktion zum Eigenbedarf) ist 
sehr unwahrscheinlich. All dies deutet auf eine geringe 
Motivation und keinen Spaß. Es ist nicht zu erwarten, daß diese 
Arbeiten ohne Anreizsystem ausgeführt werden.

Es ist jedoch zu erwarten, daß die technische Entwicklung die 
die Übertragung der rechtlichen Prinzipien freier Software auf 
Baupläne auslösen wird, einen Großteil der eintönig 
algorithmischen Arbeit automatisieren wird. Die wenige 
verbleibende, geistig anspruchsvolle Arbeit (Einrichtung der 
Roboter, Reparaturen, Überwachung) könnte schon eher von 
Enthusiasten übernommen werden, obgleich das Amlaufenhalten der 
materiellen Produktion nicht auf ein konkretes Ziel gerichtet 
ist. Aber bei der Debian-Distribution ist das ja genauso, und da 
klappt das auch... :o)

1.3. Übertragung der Arbeitsorganisationsprinzipien 

Dinge wie "Release early, release often", CVS, Mailinglisten, 
User Groups usw. sollten sich auf die Entwicklung freier 
Baupläne aufgrund derer Ähnlichkeit mit Software leicht 
übertragen lassen. Anders ist nur, daß vieles nicht sofort in 
echt, sondern nur am Bildschirm in einer Simulation ausprobiert 
werden kann.

Auf die Produktion und Anwendung freier materieller Produkte 
sollten sich mindestens Mailinglisten (für organisatorische 
Dinge, die keine Anwesenheit vor Ort benötigen) und User Groups 
(für lokale Projekte) übertragen lassen. 

2. Projekt GPL-Wirtschaft

Die Übertragung der Prinzipien freier Software auf ein ganzes 
Wirtschaftssystem wäre m.E. analog zum GNU-Projekt, welches ein 
nahezu komplettes Betriebssystem entwickelt hat, dessen 
Komponenten ausschließlich freie Software sind, ein 
Wirtschaftssystem zu entwickeln, dessen Produktionsmittel 
ausschließlich freie materielle Güter sind.

Tschüß,
Thomas
 }:o{#
                                    ungelesene [ox]-Mails: 406

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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