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Re: [ox] Grundsicherung



Hallo Lorenz (und natürlich alle Mitleser),

Freut mich noch von Dir zu hören. Ich dachte schon unsere Diskussion
sei beendet, was ich nicht so gut gefunden hätte, da da glaub ich
noch was drin steckt.

On Mon, Jan 29, 2001 at 12:49:59PM [PHONE NUMBER REMOVED], Glatz wrote:
Ich denke nicht, dass es um "die sofortige Umwälzung aller Verhältnisse"
geht. Bruch mit den Kategorien der Arbeitsgesellschaft heißt wohl: Wir gehen
nicht mehr davon aus, dass es eine Lösung der Probleme im Rahmen des
Nationalstaats samt allen seinen Instititutionen (vom Territorium bis zum
Recht) und der Warenwirtschaft (in der modernen Form des
Arbeit-Kapital-Mechanismus) gibt. Die "Umwälzung" selbst ist sicher nichts
"Sofortiges".

Na dann sind wir darin einer Meinung. Nur sagt das glaub ich noch
nicht so viel über das "wie".

Wie die
Forderung nach bedingungslosem Geld für alle dazu führen soll, dass dies
nicht mehr die Verwertung (und das heißt halt: stärker sein als die
Konkurrenz auf dem Markt) zur Voraussetzung hat, kann ich nicht erkennen.

Da magst Du zwar Recht haben. Aber das ist eben genau der
Dogmatismus, den ich kritisiere. Wenn ich verlange, dass erstmal
alle der Verwertung abschwören müssen bevor sich konkret etwas in
ihrem Leben ändern darf, kann das ja keine Lösung sein. 

Es gibt eben viele Herrschaftsverhätnisse und nicht nur die
Verwertungslogik. Das ist zwar ein sicherlich wichtiger Mechanismus,
aber eben nur einer. 

Wenn ein Grundeinkommen dazu führen kann, dass Leute sich in freier
Kooperation betätigen, die das sonst nicht könnten ist das ein
Schritt nach Vorne auch wenn 99% der Leute weiter dem Arbeitsfetisch
anhängen.

C. Spehr z.B. ist sicherlich kein Sozialdemokrat, oder?

Ich werd dem Christoph Spehr sicher kein Etikett ankleben. 

Ich wundere mich nur darüber, daß Du Grundeinkommen als
sozialdemokratische Forderung auffasst. Das ist sie in meinen Augen
nämlich überhaupt nicht. Die sozialdemokratische Tradition hat
demgegenüber immer ein "Recht auf Arbeit" gefordert - und das
widerspricht einer Grundsicherung fundamental. Du wirst
wahrscheinlich in keiner Partei weniger Befürworter einer
Grundsicherung finden als in der SPD.

Ich les gerade
sein "Die Aliens sind unter uns" mit großem Vergnügen und geistigem Gewinn
(wenn auch mit manchen Einwänden), "Gleicher als andere" kenn ich aber
nicht. 

Im Alienbuch liegt der Schwerpunkt mehr auf der Analyse der
Verhältnisse, wärend in "Gleicher als Andere" der Schwerpunkt mehr
auf der freien Kooperation liegt.

Die zitierte Stelle ist ein guter "Sager", löst aber nicht das
Problem, wie die mörderische Konkurrenz unter systemkonformen Individuen
(richtiger: Monaden) für so eine Forderung zu überwinden sein sollte,
abgesehen davon, dass jede Grundsicherung ja den Sieg in der
Standortkonkurrenz = Ruin anderer Standorte voraussetzt.

Da man nicht in alle Monaden Fenster einbauen kann heißt das ja
nicht, das man nicht wenigstens einigen Überflüssigen wieder eine
Verhandlungsmöglichkeit geben kann.

Die Stärke der Existenzgeldforderung ist doch grade, dass man sie
von unterschiedlichsten theoretischen Gesichtspunkten her angehen
kann.

Möglich. Aber s.o. und das Folgende:

sondern die Linke versucht die alte abstrakte Allgemeinheit des
systemimmanenten Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche
bleiben selber abstrakt und können keine soziale Massenbewegung mehr
integrieren, weil sie sich an den realen Krisenverhältnissen
vorbeimogeln.

Da kann ich Dir jetzt nicht ganz folgen. Die Krisenverhältnisse sind
es doch gerade, die Liberale und Konservative dazu bringen über
solche Sachen nachzudenken.

Aber die Krisis mit ihren Weltuntergangsszenarien kann eine
Massenbewegung integrieren? Sorry, das ist absurd. Ausserdem ist das
auch garnicht wünschenswert. Masse ist Bäh.
Einerseits eine Massenbewegung fordern aber dann die Leute mit ihren
Bedürfnissen nicht für voll nehmen sondern statt dessen auf die
Revolutionsfahnen schwören lassen?

Das Manifest gegen die Arbeit schlägt sozusagen als Kampfform die
"Gegengesellschaft" vor, nicht eine Massenbewegung im Rahmen der
Warengesellschaft. Kann auch sehr klein anfangen, wenn Leute einen Teil
ihres Lebens miteinander von Verwertungszwängen freikämpfen.
"Systemimmanente Kämpfe" bekommen erst dadurch wieder eine Perspektive.

Ja, aber nicht jeder hat ein Recht darauf seine Bedürfnisse zu
befriedigen, sondern nur die, die das mit der Absicht auf die
Revolution (oder meinetwegen auch der Freiheit von
Verwertungszwängen) tun. Damit lockt man aber niemanden hinter dem
Ofen hervor. Wir leben doch in einer Welt der freiwilligen Sklaven
und damit muß man rechnen.

Wichtiger als das die Leute sich von Verwertungszwängen freikämpfen
ist, daß ihnen überhaupt die Möglichkeit gegeben wird zu kämpfen
(oder in Spehrs Terminologie: "zu verhandeln"). Und dazu kann
Grundsicherung ein Mittel sein.

In der Krisisposition steckt immer noch der Gestus desjenigen, der
für andere entscheidet, was gut für sie ist (nämlich frei von
Verwertungszwängen zu sein). Möglicherweise gibt es aber viele Leute
die unter ganz anderen Zwängen viel mehr leiden und die gerne noch
ein Weilchen die Verwertungszwänge in Kauf nehmen, wenn sie dafür
andere Vorteile haben. Spehr sagt nichts anderes, als das es nicht
Aufgabe linker Politik sein kann, diesen Leuten Vorschriften zu
machen. Es muß ihre Aufgabe sein Verhandlungspositionen dieser Leute
zu stärken. Früher oder später ändern sich dann die Verhältnisse von
selbst.

Und aus dieser Sicht macht Grundsicherung als Strategie Sinn.

Es geht auch nicht darum, ob "Grundsicherung" kriegen "bäh" ist oder nicht.
Es geht darum, ob die Argumentation für die Grundsicherung über die
Wahnsinnigkeiten der Warengesellschaft hinausführt. 

Wenn Grundsicherung in der Lage ist Verhandlungspositionen zu
stärken (und sei es nur, weil man dann eben auch mal kündigen kann,
ohne dass es gleich zur existentiellen Krise kommt) und wenn es im
eigenen Interesse der Leute ist, diesen Warenwahnsinn abzulehnen,
_dann_ werden sie es irgendwann auch tun. Und wenn nicht, macht das
auch nichts, weil es trotzdem ein Schritt nach vorne ist und keiner
zurück. 

Das Manifest geht nicht
davon aus, dass ein solches Kampfziel überhaupt realistisch ist. Ich auch
nicht. Die Aussage an die ZeitgenossInnen, denen die heutige Gesellschaft
nicht so recht behagt, ist sozusagen: Lasst das, das sind "leere Kilometer"!

Ich denke schon, dass eine solche Forderung realistisch ist (btw:
Das Armageddon, was Krisis prophezeit mag zwar realistisch sein,
aber ist das auch wünschenswert?). 

Aber natürlich nur dann, wenn man bereit ist partiell mit dem Feind
(z.B. in Gestalt von Konservativen oder Liberalen) zu paktieren.

Grüße, Benni
-- 
      Ragnaroek-Play-by-email: http://ragnaroek.home.pages.de/
               Goetter und Erdlinge am Ende der Welt

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