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Re: [ox] Grundsicherung



Ich hab zwar den Eindruck, wir entfernen uns vom Listenthema - vielleicht
könnten wir auf der "Krisis-Liste" drüber reden? - ich möchte aber zum Thema
"Grundsicherung" doch noch die folgende Überlegung aus dem "Manifest gegen
die Arbeit" zu bedenken geben (hab ich ja nur kopieren müssen ;-) :

"Bis jetzt drückt sich die Linke vor dem kategorialen Bruch mit der
Arbeitsgesellschaft. Sie verharmlost die Systemzwänge zur bloßen Ideologie
und die Logik der Krise zum bloßen politischen Projekt der "Herrschenden".
An die Stelle des kategorialen Bruchs tritt die sozialdemokratische und
keynesianische Nostalgie. Nicht eine neue konkrete Allgemeinheit sozialer
Formierung jenseits von abstrakter Arbeit und Geldform wird angestrebt,
sondern die Linke versucht die alte abstrakte Allgemeinheit des
systemimmanenten Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche
bleiben selber abstrakt und können keine soziale Massenbewegung mehr
integrieren, weil sie sich an den realen Krisenverhältnissen vorbeimogeln.

Das gilt besonders für die Forderung nach einem garantierten Existenzgeld
oder Mindesteinkommen. Statt konkrete soziale Abwehrkämpfe gegen bestimmte
Maßnahmen des Apartheid-Regimes mit einem allgemeinen Programm gegen die
Arbeit zu verbinden, will diese Forderung eine falsche Allgemeinheit der
sozialen Kritik herstellen, die in jeder Hinsicht abstrakt, systemimmanent
und hilflos bleibt. Die soziale Krisenkonkurrenz kann damit nicht überwunden
werden. Ignorant wird das ewige Weiterfunktionieren der globalen
Arbeitsgesellschaft vorausgesetzt, denn woher sonst sollte das Geld kommen,
um dieses staatlich garantierte Grundeinkommen zu finanzieren, wenn nicht
aus gelingenden Verwertungsprozessen? Wer auf eine solche "Sozialdividende"
baut (schon der Name spricht Bände), muß gleichzeitig klammheimlich auf eine
privilegierte Position des "eigenen" Landes in der globalen Konkurrenz
setzen. Denn nur der Sieg im Weltkrieg der Märkte würde es vorübergehend
erlauben, einige Millionen kapitalistisch "überflüssiger" Mitesser zuhause
durchzufüttern - unter Ausschluß aller Menschen ohne inländischen Paß,
versteht sich.

Die Reform-Heimwerker der Existenzgeldforderung ignorieren die
kapitalistische Verfaßtheit der Geldform in jeder Hinsicht. Letztlich geht
es ihnen nur darum, vom kapitalistischen Arbeits- und Warenkonsum-Subjekt
das letztere zu retten. Statt die kapitalistische Lebensweise überhaupt in
Frage zu stellen, soll die Welt trotz Krise der Arbeit weiterhin unter
Lawinen stinkender Blechhaufen, häßlicher Betonklötze und minderwertigen
Warenschrotts begraben werden, damit den Menschen die einzige klägliche
Freiheit erhalten bleibt, die sie sich noch vorstellen können: die
Wahlfreiheit vor den Regalen des Supermarkts.

Aber selbst diese traurige und beschränkte Perspektive ist völlig
illusionär. Ihre linken Protagonisten und theoretischen Analphabeten haben
vergessen, daß der kapitalistische Warenkonsum niemals schlicht der
Befriedigung von Bedürfnissen dient, sondern immer nur eine Funktion der
Verwertungsbewegung sein kann. Wenn die Arbeitskraft nicht mehr zu verkaufen
ist, gelten selbst elementare Bedürfnisse als unverschämte luxurierende
Ansprüche, die auf ein Minimum herabgedrückt werden müssen. Und genau dafür
wird das Existenzgeld-Programm ein Vehikel sein, nämlich als Instrument
staatlicher Kostenreduktion und als Elendsversion der Sozialtransfers, die
an die Stelle der kollabierenden Sozialversicherungen tritt. In diesem Sinne
hat der Vordenker des Neoliberalismus, Milton Friedman, das Konzept des
Grundeinkommens ursprünglich entworfen, bevor eine abgerüstete Linke es als
vermeintlichen Rettungsanker entdeckte. Und mit diesem Inhalt wird es auch
Wirklichkeit werden - oder gar nicht."

Ciao,
LG

----- Original Message -----
From: "Benni Baermann" <benni cs.uni-frankfurt.de>
To: "Oekonux" <liste oekonux.de>
Sent: Thursday, January 18, 2001 2:49 PM
Subject: [ox] Grundsicherung


Hallo!

Hier wurde ja in letzter Zeit das Thema Grundsicherung kontrovers
diskutiert. Ein in meinen Augen interessanter Auszug dazu aus
C.Spehrs "Gleicher als Andere" (S.67):

"Unabhängige Grundsicherung

Es ist von erheblicher Komik, dass Abgeordnete für sich in Anspruch
nehmen, durch relativ hohe Gehälter ihre inhaltliche Unabhängigkeit
zu wahren und sich nicht-erpressbar zu machen - dass die meisten
dieser Abgeordneten es aber nicht für nötig halten, eine derartige
Unabhängigkeit und Nicht-Erpressbarkeit auch für den Souverän,
nämlich die Bevölkerung, zu gewährleisten. Was für Abgeordnete gilt,
sollte auch für uns gelten. Nur die Garantie eines unabhängigen,
qualitativ ausreichenden Existenzgeldes schafft für die Individuen
die Voraussetzung, sich nicht um jeden Preis verkaufen zu müssen. Es
gewährleistet ihre politische Freiheit; denn politische Freiheit
heißt vor allem, sich nicht in erzwungene Kooperationen
irgendwelcher Art hineinbegeben zu müssen. Wo dies nicht in Form
direkter monetärer Leistung möglich ist (und in den
hochindustrialisierten Staaten des Nordens ist es ohne Weiteres
möglich), kommen andere Formen in Betracht - Landzuteilung, oder
Zugang zu gesellschaftlichem Kapital, das für Strukturen von
Selbstorganisation und Selbstversorgung genutzt werden kann.

Eine Politik der freien Kooperation, darauf sei an dieser Stelle
nochmals hingewiesen, beschränkt sich nicht auf erwünschte
staatliche Aktivitäten. Menschen und Kollektive überall auf der Welt
betreiben eine Politik der unabhängigen Grundsicherung, indem sie
beständig nach Mitteln und Wegen suchen, direkt an den ungeheuren,
aufgehäuften Bergen von gesellschaftlichem Kapital zu partizipieren,
ohne die dafür aufgestellten Bedingungen erzwungener Kooperation zu
erfüllen."

Grüße, Benni
--
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               Goetter und Erdlinge am Ende der Welt

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