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Re: [ox] Grundsicherung



Liebe Leut,

bitte ignoriert das vorige Mail - wieder einmal die falschen Knöpfe
gedrückt. Hier ist meine Antwort auf Bennis Mail vom 20.1. (ohne den
falschen "Vorspann"):

"Bis jetzt drückt sich die Linke vor dem kategorialen Bruch mit der

Arbeitsgesellschaft. Sie verharmlost die Systemzwänge zur bloßen
Ideologie

und die Logik der Krise zum bloßen politischen Projekt der
"Herrschenden".



Ich bin selbst ein grosser Fan des Manifestes gegen die Arbeit, aber

immer dort, wo es sich von der Theorie entfernt und "praktisch" im

weitesten Sinne wird, finde ich die Positionen - naja - zu dogmatisch.



Natuerlich kann Reformismus problematisch sein, aber man muss ja

deswegen nicht alles andere als die sofortige Umwälzung aller

Verhältnisse verdammen.

Ich denke nicht, dass es um "die sofortige Umwälzung aller Verhältnisse"
geht. Bruch mit den Kategorien der Arbeitsgesellschaft heißt wohl: Wir gehen
nicht mehr davon aus, dass es eine Lösung der Probleme im Rahmen des
Nationalstaats samt allen seinen Instititutionen (vom Territorium bis zum
Recht) und der Warenwirtschaft (in der modernen Form des
Arbeit-Kapital-Mechanismus) gibt. Die "Umwälzung" selbst ist sicher nichts
"Sofortiges".

Außerdem kann man ein unbedingtes Grundeinkommen sehr wohl als

"kategorialen Bruch mit der Arbeitsgesellschaft" auffassen. Denn es

ist ja der erste Schritt, Essen nicht mehr an Arbeit zu koppeln, der

zählt.

Der mutmaßliche Erfinder dieses Grundeinkommens, der Neoliberalenpapst M.
Friedman, hat mit dieser "Entkoppelung" einer gewissen Kalorienzahl pro Tag
vom Arbeitszwang sicher nicht sowas im Sinn gehabt. Die französische
Arbeitslosenbewegung hat sich vor einigen Jahren mit ihren spektakulären
"Einkauf"-Aktionen und der Forderung nach Sonderzahlungen statt nach
Arbeitsplätzen (wie die in Deutschland?) vielleicht ein wenig in Richtung
Entkoppelung bewegt. Seitdem hab ich aber nichts mehr davon gehört. Wie die
Forderung nach bedingungslosem Geld für alle dazu führen soll, dass dies
nicht mehr die Verwertung (und das heißt halt: stärker sein als die
Konkurrenz auf dem Markt) zur Voraussetzung hat, kann ich nicht erkennen.



An die Stelle des kategorialen Bruchs tritt die sozialdemokratische und

keynesianische Nostalgie.



C. Spehr z.B. ist sicherlich kein Sozialdemokrat, oder?

Ich werd dem Christoph Spehr sicher kein Etikett ankleben. Ich les gerade
sein "Die Aliens sind unter uns" mit großem Vergnügen und geistigem Gewinn
(wenn auch mit manchen Einwänden), "Gleicher als andere" kenn ich aber
nicht. Die zitierte Stelle ist ein guter "Sager", löst aber nicht das
Problem, wie die mörderische Konkurrenz unter systemkonformen Individuen
(richtiger: Monaden) für so eine Forderung zu überwinden sein sollte,
abgesehen davon, dass jede Grundsicherung ja den Sieg in der
Standortkonkurrenz = Ruin anderer Standorte voraussetzt.

Nicht eine neue konkrete Allgemeinheit sozialer

Formierung jenseits von abstrakter Arbeit und Geldform wird angestrebt,



Doch, bei Spehr z.B. die "freie Kooperation". Grundsicherung ist

dort im Kontext einer Politik der freien Kooperation gedacht. Kann

man nachlesen in "Gleicher als Andere". Die URL wurde hier ja schon

gepostet.



Hab ich vor, zu lesen, wird aber noch ein bissl dauern :-(



Die Stärke der Existenzgeldforderung ist doch grade, dass man sie

von unterschiedlichsten theoretischen Gesichtspunkten her angehen

kann.



Möglich. Aber s.o. und das Folgende:



sondern die Linke versucht die alte abstrakte Allgemeinheit des

systemimmanenten Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche

bleiben selber abstrakt und können keine soziale Massenbewegung mehr

integrieren, weil sie sich an den realen Krisenverhältnissen
vorbeimogeln.



Aber die Krisis mit ihren Weltuntergangsszenarien kann eine

Massenbewegung integrieren? Sorry, das ist absurd. Ausserdem ist das

auch garnicht wünschenswert. Masse ist Bäh.

Einerseits eine Massenbewegung fordern aber dann die Leute mit ihren

Bedürfnissen nicht für voll nehmen sondern statt dessen auf die

Revolutionsfahnen schwören lassen?



Das Manifest gegen die Arbeit schlägt sozusagen als Kampfform die
"Gegengesellschaft" vor, nicht eine Massenbewegung im Rahmen der
Warengesellschaft. Kann auch sehr klein anfangen, wenn Leute einen Teil
ihres Lebens miteinander von Verwertungszwängen freikämpfen.
"Systemimmanente Kämpfe" bekommen erst dadurch wieder eine Perspektive.

...................



Die Reform-Heimwerker der Existenzgeldforderung ignorieren die

kapitalistische Verfaßtheit der Geldform in jeder Hinsicht. Letztlich
geht

es ihnen nur darum, vom kapitalistischen Arbeits- und
Warenkonsum-Subjekt

das letztere zu retten. Statt die kapitalistische Lebensweise überhaupt
in

Frage zu stellen, soll die Welt trotz Krise der Arbeit weiterhin unter

Lawinen stinkender Blechhaufen, häßlicher Betonklötze und minderwertigen

Warenschrotts begraben werden, damit den Menschen die einzige klägliche

Freiheit erhalten bleibt, die sie sich noch vorstellen können: die

Wahlfreiheit vor den Regalen des Supermarkts.




Oh Mann. Es geht doch nicht darum, dass ein Existenzgeld auf einen

Schlag die Weltrevolution herbeiführt. Und die Wahlfreiheit vor den

Supermarktregalen ist allemal besser als die Wahl zwischen Elend und

Sklaverei.



Es geht auch nicht darum, ob "Grundsicherung" kriegen "bäh" ist oder nicht.
Es geht darum, ob die Argumentation für die Grundsicherung über die
Wahnsinnigkeiten der Warengesellschaft hinausführt. Das Manifest geht nicht
davon aus, dass ein solches Kampfziel überhaupt realistisch ist. Ich auch
nicht. Die Aussage an die ZeitgenossInnen, denen die heutige Gesellschaft
nicht so recht behagt, ist sozusagen: Lasst das, das sind "leere Kilometer"!

.........................

Grüße, Benni

Ciao, Lorenz



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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