Message 01744 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01668 Message: 28/42 L3 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Grundsicherung



----- Original Message -----
From: "Benni Baermann" <benni cs.uni-frankfurt.de>
To: <liste oekonux.de>
Sent: Saturday, January 20, 2001 12:54 PM
Subject: Re: [ox] Grundsicherung


Hallo!

On Fri, Jan 19, 2001 at 05:34:25PM +0100, Glatz wrote:
Ich hab zwar den Eindruck, wir entfernen uns vom Listenthema

Nö. Grundsicherung wurde und wird hier als Möglichkeit diskutiert
die GPL-Ökonomie zu fördern. Völlig On Topic in meinen Augen.

- vielleicht
könnten wir auf der "Krisis-Liste" drüber reden?

Meiner Erfahrung nach kann man auf der Krisisliste garnicht reden.
Deswegen bin ich da ja auch nicht mehr.

- ich möchte aber zum Thema
"Grundsicherung" doch noch die folgende Überlegung aus dem "Manifest
gegen
die Arbeit" zu bedenken geben (hab ich ja nur kopieren müssen ;-) :

"Bis jetzt drückt sich die Linke vor dem kategorialen Bruch mit der
Arbeitsgesellschaft. Sie verharmlost die Systemzwänge zur bloßen
Ideologie
und die Logik der Krise zum bloßen politischen Projekt der
"Herrschenden".

Ich bin selbst ein grosser Fan des Manifestes gegen die Arbeit, aber
immer dort, wo es sich von der Theorie entfernt und "praktisch" im
weitesten Sinne wird, finde ich die Positionen - naja - zu dogmatisch.

Natuerlich kann Reformismus problematisch sein, aber man muss ja
deswegen nicht alles andere als die sofortige Umwälzung aller
Verhältnisse verdammen.

Ich denke nicht, dass es um "die sofortige Umwälzung aller Verhältnisse"
geht. Bruch mit den Kategorien der Arbeitsgesellschaft heißt wohl: Wir gehen
nicht mehr davon aus, dass es eine Lösung der Probleme im Rahmen des
Nationalstaats samt allen seinen Instititutionen (vom Territorium bis zum
Recht) und der Warenwirtschaft (in der modernen Form des
Arbeit-Kapital-Mechanismus) gibt. Die "Umwälzung" selbst ist sicher nichts
"Sofortiges".

Außerdem kann man ein unbedingtes Grundeinkommen sehr wohl als
"kategorialen Bruch mit der Arbeitsgesellschaft" auffassen. Denn es
ist ja der erste Schritt, Essen nicht mehr an Arbeit zu koppeln, der
zählt.

Der mutmaßliche Erfinder dieses Grundeinkommens, der Neoliberalenpapst M.
Friedman, hat mit dieser "Entkoppelung" einer gewissen Kalorienzahl pro Tag
vom Arbeitszwang sicher nicht sowas im Sinn gehabt. Die französische
Arbeitslosenbewegung hat sich vor einigen Jahren mit ihren spektakulären
"Einkauf"-Aktionen und der Forderung nach Sonderzahlungen statt nach
Arbeitsplätzen (wie die in Deutschland?) vielleicht ein wenig in Richtung
Entkoppelung bewegt. Seitdem hab ich aber nichts mehr davon gehört. Wie die
Forderung nach bedingungslosem Geld für alle dazu führen soll, dass dies
nicht mehr die Verwertung (und das heißt halt: stärker sein als die
Konkurrenz auf dem Markt) zur Voraussetzung hat, kann ich nicht erkennen.

An die Stelle des kategorialen Bruchs tritt die sozialdemokratische und
keynesianische Nostalgie.

C. Spehr z.B. ist sicherlich kein Sozialdemokrat, oder?

Ich werd dem Christoph Spehr sicher kein Etikett ankleben. Ich les gerade
sein "Die Aliens sind unter uns" mit großem Vergnügen und geistigem Gewinn
(wenn auch mit manchen Einwänden), "Gleicher als andere" kenn ich aber
nicht. Die zitierte Stelle ist ein guter "Sager", löst aber nicht das
Problem, wie die mörderische Konkurrenz unter systemkonformen Individuen
(richtiger: Monaden) für so eine Forderung zu überwinden sein sollte,
abgesehen davon, dass jede Grundsicherung ja den Sieg in der
Standortkonkurrenz = Ruin anderer Standorte voraussetzt.

Nicht eine neue konkrete Allgemeinheit sozialer
Formierung jenseits von abstrakter Arbeit und Geldform wird angestrebt,

Doch, bei Spehr z.B. die "freie Kooperation". Grundsicherung ist
dort im Kontext einer Politik der freien Kooperation gedacht. Kann
man nachlesen in "Gleicher als Andere". Die URL wurde hier ja schon
gepostet.

Hab ich vor, zu lesen, wird aber noch ein bissl dauern :-(

Die Stärke der Existenzgeldforderung ist doch grade, dass man sie
von unterschiedlichsten theoretischen Gesichtspunkten her angehen
kann.

Möglich. Aber s.o. und das Folgende:

sondern die Linke versucht die alte abstrakte Allgemeinheit des
systemimmanenten Interesses krampfhaft festzuhalten. Aber diese Versuche
bleiben selber abstrakt und können keine soziale Massenbewegung mehr
integrieren, weil sie sich an den realen Krisenverhältnissen
vorbeimogeln.

Aber die Krisis mit ihren Weltuntergangsszenarien kann eine
Massenbewegung integrieren? Sorry, das ist absurd. Ausserdem ist das
auch garnicht wünschenswert. Masse ist Bäh.
Einerseits eine Massenbewegung fordern aber dann die Leute mit ihren
Bedürfnissen nicht für voll nehmen sondern statt dessen auf die
Revolutionsfahnen schwören lassen?

Das Manifest gegen die Arbeit schlägt sozusagen als Kampfform die
"Gegengesellschaft" vor, nicht eine Massenbewegung im Rahmen der
Warengesellschaft. Kann auch sehr klein anfangen, wenn Leute einen Teil
ihres Lebens miteinander von Verwertungszwängen freikämpfen.
"Systemimmanente Kämpfe" bekommen erst dadurch wieder eine Perspektive.

...................

Die Reform-Heimwerker der Existenzgeldforderung ignorieren die
kapitalistische Verfaßtheit der Geldform in jeder Hinsicht. Letztlich
geht
es ihnen nur darum, vom kapitalistischen Arbeits- und
Warenkonsum-Subjekt
das letztere zu retten. Statt die kapitalistische Lebensweise überhaupt
in
Frage zu stellen, soll die Welt trotz Krise der Arbeit weiterhin unter
Lawinen stinkender Blechhaufen, häßlicher Betonklötze und minderwertigen
Warenschrotts begraben werden, damit den Menschen die einzige klägliche
Freiheit erhalten bleibt, die sie sich noch vorstellen können: die
Wahlfreiheit vor den Regalen des Supermarkts.

Oh Mann. Es geht doch nicht darum, dass ein Existenzgeld auf einen
Schlag die Weltrevolution herbeiführt. Und die Wahlfreiheit vor den
Supermarktregalen ist allemal besser als die Wahl zwischen Elend und
Sklaverei.

Es geht auch nicht darum, ob "Grundsicherung" kriegen "bäh" ist oder nicht.
Es geht darum, ob die Argumentation für die Grundsicherung über die
Wahnsinnigkeiten der Warengesellschaft hinausführt. Das Manifest geht nicht
davon aus, dass ein solches Kampfziel überhaupt realistisch ist. Ich auch
nicht. Die Aussage an die ZeitgenossInnen, denen die heutige Gesellschaft
nicht so recht behagt, ist sozusagen: Lasst das, das sind "leere Kilometer"!

.........................

Grüße, Benni

Ciao, Lorenz


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT01668 Message: 28/42 L3 [In index]
Message 01744 [Homepage] [Navigation]