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Re: [ox-de] keimform.de: Wie es den Kapitalismus zum Commonismus trei



Hallo Hans-Gert,

danke fÃr deine Antwort. Bin froh dass es diese Liste gibt; bin
gedanklich mit alldem ansonsten recht isoliert. Zu deiner Antwort hab
ich vor allem einige VerstÃndnisfragen â ich tu mir teilweise sehr
schwer mit deinen Begrifflichkeiten.

Mit dem Begriff "Produktionsweise" kann ich inzwischen nicht mehr viel 
anfangen, weil er zu wenig differenziert. Zuerst geht es mE heute - im 
Zeitalter von "pik everything" - nicht (mehr) um Produktion, sondern um 
Reproduktion, also wenn schon, dann um "Reproduktionsweise". Aber das 
kann ich nur im Plural mit Sinn fÃllen "Reproduktionsweisen", und um die 
Semantik klarer zu machen "Reproduktionsschemata". Ich sehe die groÃe 
Herausforderung des 21. Jahrhunderts in der "Domestizierung" der - sich 
in dialektischen WidersprÃchen bewegenden - verschiedenen 
Reproduktionsschemata der Gesellschaft, wo vielleicht das Wort 
"dominant" irgend etwas ausdrÃckt, was aber verschieden ist von 
"wichtig" und "weniger wichtig" auf Sachebene, weil alle 
Reproduktionsschemata wichtig sind, wenn man den globalen 
Reproduktionszusammenhang "reproduzieren" mÃchte. FÃr den es leider 
keine uns Menschen zugÃngliche Sprache gibt und auch nicht geben wird, 
um ihn vollstÃndig zu beschreiben - "Die Materie der Erkenntnis kann 
nicht gedichtet werden".

Kannst du den ersten Schritt bitte kurz erlÃutern, also warum du von
Reproduktions- statt Produktionsschemata sprichst?

Verstehe ich dich richtig, wenn du meinst dass du das "nur der Plural
mit Sinn fÃllen" kannst, dass Reproduktionsschemata als sich gegenseitig
ergÃnzend, bedingend, ineinander greifend begriffen werden mÃssen?
Selbst wenn man das so sieht, heiÃt das aber doch noch lange nicht, dass
man gar nicht mehr sinnvoll von einzelnen, von einander zu
unterscheidenden Reproduktionsschemata sprechen kannâ oder?

Zu den Reproduktions-'Schemata': Verstehe ich es richtig, dass du die
Begrifflichkeit (zu den 'Schemata') Ãnderst, vor allem um vom Marx'schen
Begriff der 'Produktionsweise' wegzukommen? Ansonsten ist mir nicht
klar, warum 'Reproduktionsschema' klarer sein soll als
'Reproduktionsweise'â

Was meinst du mit der 'Domestizierung der Reproduktionsschemata'? Wenn
ich versuche, mir die gesellschaftliche TotalitÃt als Gesamtheit
ineinandergreifender und einander gegenseitig bedingender
Reproduktionsschemata zu denken â dann seh ich eine komplexes Geflecht
vor mir, in dem kurz gesagt durch StÃrung eines bestehenden
Gleichgewichts Neuordnungsprozesse ausgelÃst werden. Auf Anhieb vermute
ich jetzt mal, dass du mit 'Domestizierung' eben diesen
Neuordnungsprozess bezeichnest â auffallend wÃre dann, dass du einen
Begriff wÃhlst, der nach einem Subjekt verlangt. Und da wÃre (in Bezug
auf die Makroebene) interessant, wer da deines Erachtens herausgefordert
ist, wer domestizieren soll.

In diesem Sinne gibt es "Fabber" seit Ãber 2.000 Jahren. Die meisten 
waren "menschengetrieben" (sofern du - ahistorisch - Sklaven im alten 
Rom als Menschen ansiehst) und haben auch damals schon 'die ganze 
Problematik "der Arbeit" (im Sinne von MÃhsal) vom Tisch gefegt' - 
allerdings nur fÃr eine kleine Zahl von Menschen (mehr "Mehrprodukt" - 
Achtung, ganz andere Semantik als die wohlfeile Ãkonomietheoretische 
einer Marxschen AWT! - war eben nicht da). Hauptaugenmerk jener - in der 
traditionsmarxistischen Terminologie - "Herrschenden" war die 
"Reproduktion" ... der VerhÃltnisse (was das auf Sachebene auch immer 
bedeutet).

Nun sind wir seit 300 Jahren, wenigstens im erweiterten Westeuropa, in 
VerhÃltnissen, wo jeder sowohl - als Produzent in der Industriemaschine 
- /im/ Fabber tÃtig ist als auch - als Konsument - /NutznieÃer/ der 
Fabber ist in genau deinem Sinn, dass aus jener Konsumentenperspektive 
"die Drecksarbeiten [gekapselt] und damit zumindest gedanklich die ganze 
Problematik 'der Arbeit' (im Sinne von MÃhsal) vom Tisch gefegt" ist. 
Wobei die Perspektive der Lohnarbeiter als "Untertagearbeiter im Fabber" 
und der Unternehmer als Dirigenten dieser (mit Menschen bestÃckten) 
Fabber sehr verschieden ist. Das VerhÃltnis der Unternehmer ist ein 
instrumentelles zu diesen Fabbern (und den Menschen = Lohnarbeitern 
darin), so wie ich bei dir ein instrumentelles VerhÃltnis zu den 
Fabbern, wenigstens den "echten", herauslese.

Deine These impliziert, dass es - in diesem Sinn - in einer Freien 
Gesellschaft eine Perspektivverschiebung von der Lohnarbeiter- zur 
Unternehmerperspektive als Ausdruck einer solchen Verschiebung von einer 
produktiven zu einer reproduktiven Sichtweise geben wird (und ich denke, 
die ist im Bereich der Freien Software auf der nichtmonetÃren Ebene mehr 
als deutlich zu sehen). Die gibt es aber seit 300 Jahren in dieser 
Gesellschaft auch (schon). Im Ãbrigen hat man mE auch in 
vorkapitalistischen Zeiten deutlich reproduktiver gedacht.

Da komme ich nicht ganz mit. Ich beschreibe mein wesentlichstes Problem
damit mal ganz banal: Der instrumentelle Charakter, den du bei mir in
Bezug auf 'echte' Fabber herausliest, bezieht sich auf die MÃglichkeit
der unmittelbaren 'Ausgabe' von Mitteln der BedÃrfnisbefriedigung. Der
instrumentelle Charakter von Fabriken fÃr UnternehmerInnen bezieht sich
doch aber auf den erhofften Profit.

FÃr mich scheint es schon einen Unterschied zu machen, *worauf* sich der
instrumentelle Charakter bezieht. Ich verstehe daher die Gleichsetzung
von 'reproduktiver Sichtweise' und UnternehmerInnen-Perspektive nicht
wirklich.

Die "echten Fabber" liegen dann vor, wenn die Produktion so weit 
"trivialisiert" ist, dass sie sogar ein Automat Ãbernehmen kann?  Damit 
nimmst du aber die produktive und nicht die reproduktive Perspektive ein 
und blendest die Frage aus, was zu tun ist, damit dir die "Fabber" nicht 
um die Ohren fliegen.

Mir ging es in der Metapher nicht darum, 'die Produktion' so weit zu
trivialisieren, dass sie von einem Automaten Ãbernommen werden kann â
ganz im Gegenteil. Es geht mir in dem Bild ja eigentlich nicht um den
Fabber, sondern um alle anderen Produktionsprozesse, die der
'Materialisierung' vorgelagert sind. Anders gesagt: Ich stelle ja nicht
ein PeripheriegerÃt ins Zentrumâ

Mich wundert einfach, dass ich zwar immer wieder vom Neuen im Alten
lesen â aber nie etwas vom Alten im Neuen. Nachdem ich weiÃ, das
zweitere Behauptung deutlich unpopulÃrer ist, ziehe ich jetzt einfach
mal die Arschkarte ;) Ich denke aber nunmal auch, dass die erste
Behauptung (die "ganze Keimform-Sache") ohne der zweiten kaum haltbar
ist.

Wie gesagt, Ãber diese Perspektive denke ich seit langem nach und bin in 
der Konsequenz zu der - sehr kompakt formulierten - Erkenntnis vom 
"Kapitalismus als pubertÃrer Form der Freien Gesellschaft" gekommen, 
denn wenn man genau hinschaut, dann ist die Verquickung von Neuem und 
Altem viel enger als du es dir vielleicht (noch - war bei mir ein 
durchaus lÃngerer Prozess) vorstellst. Und es kann ja auch gar nicht 
anders sein, wenn - siehe Thiel - der Umbruch auf der Mikroebene die 
Form ist, in der sich Evolution auf der Makroebene vollzieht. Eine 
Google-Suche nach 'pubertÃre Form site:oekonux.de' mag dir einen 
Eindruch der damalige Debatte vermitteln.

Danke fÃr die Links & Hinweise â ich werd mir das in nÃchster Zeit alles
mal anschauen.

Liebe GrÃÃe,
Stefan.



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