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[ox-de] keimform.de: Guttenberg als Vorkämpfer für Freie Kultur?



URL: http://www.keimform.de/2011/guttenberg-als-vorkampfer-fur-freie-kultur/

Ist Noch-Verteidigungsminister Guttenberg, dessen Doktorarbeit in einem in
der Geschichte des Plagiats wohl ziemlich einzigartigen Umfang
<http://gut.greasingwheels.org/> aus von anderen geschriebenen Texten
zusammenkopiert wurde, ein engagierter Vorkämpfer gegen das "geistige
Eigentum -- und damit für Freie Kultur? Diesen Eindruck könnte man gewinnen,
wenn man die GegenRede zum Fall Guttenberg
<http://neoprene.blogsport.de/2011/02/23/update-zur-gegenrede-von-freerk-huisken-zum-fall-guttenberg/>
des regelmäßig für den Gegenstandpunkt schreibenden marxistischen Professors
Freerk Huisken liest.

Huisken nützt den "Fall Guttenberg", um gegen geistiges Eigentum und die
Privatisierung der Erkenntnis zu wettern. Beide verdienen Kritik, doch der
"Fall Guttenberg" hat damit nichts zu tun. So ist auch bei der
Freien-Software- und Freier-Kultur-Bewegung, wo das "geistige Eigentum" oft
explizit zurückgewiesen <http://www.gnu.org/philosophy/not-ipr.de.html>
wird, die Attribution, also die Anerkennung der Beiträge anderer,
selbstverständlich und wird praktisch universell praktiziert. Bei den
Creative-Commons-Lizenzen wird sie sogar von der Lizenz gefordert, bei
Freier Software gehört sie einfach zum guten Ton. Zusammenarbeit unter Peers
funktioniert auch nur so, denn wenn einer die Beiträge anderer als seine
eigenen ausgeben würde, würde er die anderen mit Sicherheit verprellen.

Und für die Wissenschaft gilt dasselbe. Nicht umsonst gibt es das Schlagwort
vom Wissenskommunismus <http://de.wikipedia.org/wiki/Wissenskommunismus>,
das sich auf die Selbstverständlichkeit bezieht, mit der man in der
Wissenschaft auf den Erkenntnissen anderer nicht nur aufbauen darf, sondern
aufbauen soll. Das funktioniert aber überhaupt nur deshalb, weil die
Quellen, genau wie bei Freier Software, kenntlich gemacht werden. Denn die
Angabe von Quellen ermöglicht die "Rückwärtssuche" nach anderen
interessanten Texten, die sich schon vorher mit ähnlichen Ideen beschäftigt
haben. (Und ergänzend ermöglichen Tools wie Citeseer
<http://citeseer.ist.psu.edu/> dann die Vorwärtssuche nach Texten, die eine
Idee aufgreifen und weiterentwickeln).

Selbstverständlich ist am wissenschaftlichen Titel-/Reputationswahn
insbesondere in seiner modernen Ausprägung "ich muss möglichst viel
publizieren und möglichst oft zitiert werden" (weil solche quantitativen
Kriterien stupide für Evaluationen verwendet werden) viel zu kritisieren.
Aber das mit der notwendigen Kritik am geistigen Eigentum (und am Eigentum
überhaupt) in einen Topf zu werfen und Guttenberg zu verteidigen (worauf
Huiskens Text faktisch hinausläuft, auch wenn er beteuert, das nicht zu
wollen), halte ich für ganz falsch.

Ergänzend sei noch angemerkt, dass für die Literatur wiederum andere
Spielregeln gelten, daher würde ich z.B. den "Fall Hegemann"
<http://de.wikipedia.org/wiki/Helene_Hegemann#Plagiats-_und_Betrugsvorw%C3%BCrfe_und_folgende_Diskussion>
ganz anders bewerten. (Abgesehen davon, dass da nur wenige Zeilen plagiiert
wurden, und die auch noch mit deutlichen Variationen, und nicht dutzende von
Seiten.)


Herzliche Grüße
	Christian

-- 
|------- Dr. Christian Siefkes ------- christian siefkes.net -------
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Everyone by now presumably knows about the danger of premature optimization.
I think we should be just as worried about premature design -- deciding too
early what a program should do.
        -- Paul Graham, Hackers and Painters



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