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Re: [ox-de] Situationen statt Personen



Hallo Alfred,

alfred morhammer wrote:
AM: lässt das nicht auf einen mangelnden reifegrad, auf eine
fehlende emanzipation von kindlichen verhaltensweisen, also auf
ein noch nicht erwachsen geworden sein schließen?

vielleicht auch auf ein gefangensein im haben statt im sein?

HGG: Könnte nicht auch UMGEKEHRT gerade das ängstliche VERMEIDEN
dieses Strebens das wirklich Kranke sein?

vielleicht !? aber ich glaube es nicht !

Ich frage ja auch nur, warum du eine "Emanzipation von kindlichen
Verhaltensweisen" so auf die Tagesordnung stellst. In einer Weise, die
für mich nach ängstlicher Abgrenzung, ja "Exorzismus" klingt. In meinen
Emanzipationsthesen (2001),
http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/e-thesen2.html, hatte ich
geschrieben "Emanzipation ist zuerst Selbstverwirklichung, nicht
Abgrenzung".

wenn das alles stimmt, + ich glaube es, sonst hätt ich es nicht 
angeführt, dann kann das künftige heil nicht in noch mehr arbeiten 
(produzieren) liegen, denn dieses arbeiten (prodzieren) ist eben in
meinen augen nix weiter als ein nicht erkanntes schaden-anrichten.

Zustimmung, und eine erste (analytische) Konsequenz ist m.E. die Frage,
ob diese Gleichsetzung "arbeiten = produzieren" weiterhilft oder nicht
auch das Schaden-Anrichten-Erkennen was mit Arbeit zu tun hat oder
wenigstens zu tun haben sollte. Und möglichst auch das
Schaden-Anrichten-Vermeiden und das
Wissen-wie-man-Schaden-Anrichten-Vermeidet.

m.e. ist das wirkli kranke, dass die meisten durch das infantile auf 
"arbeit" fixiert sein nicht erkennen, dass das leid in der welt
längst nicht mehr an den hergestellten mengen liegt, sondern die
probleme von den untauglichen verteilungsmechanismen herrühren.

Das verstehe ich nicht, denn Schaden-Anrichten-beim-Produzieren
geschieht ja *vor* dem Verteilen.

AM: könnte es nicht sein, dass jedes streben nach anerkennung durch
andere, also nach anerkennung von außen, auf einen inneren mangel
bzw. vielleicht sogar auf eine innere leere in form von mangelndem
selbstwert schließen lässt?

lässt das nicht auf einen mangelnden reifegrad, auf eine fehlende
emanzipation von kindlichen verhaltensweisen, also auf ein noch
nicht erwachsen geworden sein schließen?

ich habe von unreife + kindlichen verhaltensweisen geschrieben. 
gemeint habe ich damit, dass aufgrund einer verherrlichung von 
absurden leistungsstandards, das kindliche selbstwertgefühl zerstört
wird + die kinder so leicht angelernt werden können, das manko des
fehlenden selbstwertes durch den erwerb von sog. guten noten zu
kompensieren.

Ich hatte das in dem Kontext geschrieben und sage es jetzt genauer: Ich
meine, dass *jeder* Mensch, insoweit er ein soziales Wesen ist, nach
Anerkennung durch andere strebt und das auch vollkommen normal und
plausibel ist, weil erst diese Rückkopplung den gemeinschaftlichen
Zusammenhalt herstellt.  Kinder machen das übrigens zunächst auf eine
vollkommen unverstellte Weise. Wenn du eine Gesellschaft wie diese hast,
wo Menschen in Erfolgreiche und nicht Erfolgreiche eingeteilt werden,
dann werden die nicht Erfolgreichen sich nach einem Ersatz für dieses
fehlende Gefühl umsehen. Und scheel auf die Erfolgreichen schauen und
ihre (noch vorhandene) Fähigkeit, sich über Erfolg kindlich zu freuen
und ein entsprechendes Lustgefühl zu entfalten. Eine vollkommen normale
psychische Reaktion.

Und da die meisten nicht erfolgreich sind bzw. ein wichtiges Element
dieser Gesellschaft darin besteht, dies zu suggerieren, um die Leute zu
noch höheren Leistungen anzutreiben, ist das eine weit verbreitete
psychische Deformation. "Diese Gesellschaft macht krank" schrieb dazu
Wilhelm Reich, und zwar in einem umfassenden Sinne. Solche psychischen
Deformationen (eben Verlust der "Lebendigkeit" wie sie Jacob meint)
gehen mit Projektionen einher, man redet sich was ein statt gegen das
Einteilen in Erfolgreiche/Nicht-Erfolgreiche vorzugehen. Zum Beispiel
"von diesem kindischen Ehrgeiz und Streben muss man sich verabschieden".
Heißt bei Hoevels "primärer Krankheitsgewinn", denn dieses
dir-selbst-auf-die-Schulter-klopfen beruhigt ungemein. Und dann gibt es
noch einen sekundären Krankheitsgewinn: wenn dir die anderen "Kranken"
auf die Schulter klopfen und dich bestärken. Das beruhigt dann erst
recht ungemein.

In diesem Sinne meinte ich

Könnte nicht auch UMGEKEHRT gerade das ängstliche VERMEIDEN dieses 
Strebens das wirklich Kranke sein?

Wir brauchen also eine Gesellschaft, wo jede(r) "erfolgreich" ist.  Oder
wenigstens das gute Gefühl hat gebraucht zu werden. Das kann m.E. nur in
einer "Kompetenzgesellschaft" geschehen, wo jede(r) in der Lage ist,
seine Kompetenz *unmittelbar* deutlich zu machen und nicht
geldvermittelt, über "Schau mal, wieviel Knete ich habe". Der Phasenraum
der Kompetenz ist ein hochdimensionaler Raum, wo der Begriff
"erfolgreich" mangels einer linearen Ordnung einen ganz anderen Sinn
bekommt, als für ein Synonym für "besser" herzuhalten. Und ich rede
dabei nicht von einer Utopie, denn Open Source ist bereits eine solche
Domäne. Gute OS-Programmierer sagen ja nicht "ich bin gut, schau,
wieviel Knete ich schon mit Programmieren verdient habe", sondern "ich
bin gut, hier schau dir mal meinen Code an" oder - wenn du selbst kein
Programmierer bist - "schau mal an, wie das funzt". Es geht also gerade
*nicht* um das Cabrio.

Das ist *für mich* übrigens auch die Substanz von pred/prod.

Ist nicht die Anerkennung anderer der EINZIGE praktische Gradmesser
für deine WIR-Fähigkeit?

wenn jemand im offenen cabrio durch die straßen fährt + dieser person
wird von menschenmassen zugejubelt, dann kann ich mir vorstellen, dass
dies von viele menschen als ein ausdruck von anerkennung gewertet wird.

Verstehe ich nicht. Wie viele Leute passen bei dir denn in ein Cabrio?
Denn Anerkennung bekommen ja nur die *im* Auto.

Oder ist die Freie Gesellschaft für dich nur als Menge von Monaden
denkbar, die "hinter ihrem Rücken" vergesellschaftet sind?

wenn ich versuche andere, aber in erster linie mich selber, möglichst
illusionslos anzuschauen, dann komme ich zum schluss, dass wir 
menschen genaugenommen gefangene unserer welt- u. menschenbilder 
sind. + es uns quasi nur in vereinzelten glücksfällen gelingt diesem
monadenhaften dasein zu entkommen.

wenn dieser monadenhafte zustand überwindbar ist, dann ist er m.e. 
nur durch pers. entwicklung zu überwinden. aber wenn diese 
entwicklung, aus welchen gründen auch immer, nicht stattfindet, dann
werden wir uns, auch wenn es uns nicht gefällt, damit abfinden
müssen, dass wir nix weiter als quasi "hinter unserm rücken"
vergesellschaftete monaden sind.

Diese Art des Gefangenseins gilt es zu analysieren, was eine Synthese
von Gesellschaftsanalyse und Psychoanalyse, von Marx und Freud erfordert.

doch, ob es gelingt mechanismen auszuarbeiten, die so etwas wie eine
FREIE = EGALITÄRE GESELLSCHAFT ermöglichen + ob es dann auch noch 
gelingt sich darauf zu einigen + sich an diese vereinbarungen dann
auch noch zu halten, das wird die zukunft zeigen.

Mit dem Gleichheitszeichen kann ich nichts anfangen. Bzw. nur in der
Bedeutung, wie du sie in meinem Chemnitzer Thesen
http://www.hg-graebe.de/EigeneTexte/cc-thesen.pdf findest: "Es geht um
die Vereinigung von Freiheit und Gleichheit in einer brüderlichen
Assoziation vernetzter, selbstbestimmt agierender Produzenten, in
welcher Gleichheit und Freiheit gerade durch Verschiedenheit der
Kompetenzen und die Fähigkeit zum Eingehen verlässlicher Bindungen
garantiert sind. In diesem Sinn bedingen sich Freiheit und Gleichheit
gegenseitig und heiligen zugleich die Würde des Menschen."

Für mich *ist* z.B. die Fähigkeit, verlässliche Bindungen eingehen zu
können, ein Ausdruck von Freiheit. "Was aber ist Freiheit, wenn sie
nicht die törichte Freiheit sein soll, das Falsche zu tun?" (PM)

Viele Grüße, HGG

-- 

  Prof. Dr. Hans-Gert Graebe, Inst. Informatik, Univ. Leipzig
  Augustusplatz, D-04109 Leipzig, Raum 5-53	
  tel. : +49 341 97 32248
  email: graebe informatik.uni-leipzig.de
  Home Page: http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe

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Kontakt: projekt oekonux.de



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