Re: [ox] Copyleft in der Praxis
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Sun, 1 May 2005 21:19:27 +0200
Hi Julian,
ich nehme mal deine Mail, um etwas über die laufende Debatte zum
Copyleft nachzudenken. Du lieferst mir passenderweise einige
Vorlagen:-)
On Thursday 28 April 2005 16:37, Juli wrote:
Ich gehöre zwar nicht zu den AutorInnen, habe auch den "Warenform
und Rechtsform"-Thread nur am Rande gelesen, aber mir dünkt doch,
das es sich hier um ein tendenziell strukturelles Phänomen handelt:
Eine Gesellschaft jenseits von Ware und Geld, Kapital und
Abspaltung, Fetisch und Verdinglichung aufbauen zu wollen, setzt
intensive soziale Kommunikation zwischen den Beteiligten voraus.
Wie wahr. Es ist aber nicht so, dass nicht auch die Verwertungslogik
samt Abspaltung intensive soziale Kommunikation voraussetzen würde.
Also: Vorsicht vor Fetischisierung "sozialer Kommunikation" (ohnehin
ein Pleonasmus).
Copyleft könnte im Gegensatz dazu als technisches Verfahren
interpretiert werden. Und wie das bei technisch-juridischen
Verfahren so ist, sind die im Kern heternom und Blind gegenüber dem
Inhalt.
Was willst du mit "heteronom" (= von fremden Gesetzen abhängig) sagen?
IMHO ist das nicht richtig. Technische (und juridische) Verfahren
spiegeln Inhalte wider, sind - wenn ich das so nennen darf - geradezu
Vergegenständlichungen von Inhalten.
Ich vermute aber, du meinst "technisches Verfahren" im Sinne von
"formales Verfahren" und meinst hier nicht die "Technik" im Sinne von
"Mittel" oder "Werkzeug". Denn Technik im Sinne von "Mittel" ist eine
ungeheuer gute Möglichkeit, grottige aber notwendige Tätigkeiten sich
vom Hals zu schaffen und Reichtum (nicht Wert) zu produzieren.
Letztlich scheint es mir nur schwer möglich, Rechtsform
emanzipativ zu wenden und gegen sich selber einzusetzen, eben weil
immer etwas von der Rechtsform dabei übrigbleibt und sich gegen die
eigentliche Idee - sagen wir: die Assoziation der freien und
gleichen - richtet.
Richtig, aber aus meiner Perspektive überinterpretiert: Copyleft
schafft Handlungsmöglichkeiten unter den Bedingungen von Verwertung &
Co, ist aber selbst nicht schon "die Alternative". Siehe unten.
Das scheint mir der wa(h)re Kern zu sein von dem, was Petra
Haarmann in "Copyleft und Copyright" verbrochen hat. Was m.E. nicht
unbedingt heißen muss, das auf Copyleft immer zu verzichten ist.
Mit o.g. Artikel habe ich mich ausführlich beschäftigt, hier:
http://www.opentheory.org/copyleft_again/text.phtml. Er
enthält ebenfalls die Verwechselung, die bei dir angelegt ist.
Aber vielleicht, das es nicht ausreicht, nur ergänzend sein kann
und vielleicht auch nur in spezifischen Fällen. Welche das wären -
don't know.
Vermutlich habe ich mit meinen Copyleft-Artikeln mit dazu beigetragen,
dass immer wieder Ziel und Mittel verwechselt werden. Copyleft ist
_kein_ Ziel, sondern ein Mittel unter bestimmten Bedingungen, die
Handlungsmöglichkeiten zu verbessern. Dass es das rechtförmig tut,
ist witzig -- weil es die ursprüngliche Absicht der Rechtsform
"Copyright" auf den Kopf stellt etc., tausendfach erklärt --, aber das
rechtfertigt (sic!) nicht, diese Form zu verklären.
Es gibt zwei Arten der Verklärung: die bejahende und die verneinende.
Beide nehmen das Copyleft als das "Eigentliche", das Ziel, das Wahre.
Die ersten bewegen sich in der Form, wollen sie leben, betrachten sie
als den einzig gültigen Bewegungsmodus. Die zweiten lehnen eben genau
diese Bewegung in der Form ab, kritisieren sie, kritisieren auch die
Ersteren. Beide aber "vereigentlichen" die Form - das ist der Punkt.
Ich darf mich hier selbst zitieren: "Alle Interpretationen, die das
Copyleft selbst bereits mit einer freien, 'nicht-warenförmigen
Gesellschaft' (Haarmann, S. 189) gleichsetzen, sind irrige und
unsinnige Zuschreibungen."
Also nochmal: Wir sollten das Copyleft nicht zum Fetisch erheben. Wir
sollten sehen, inwieweit es uns neue Handlungsmöglichkeiten schafft
und erhält, wo wir uns selbst behindern. Daher halte ich es für
angebracht, wenn wir uns nicht gegenseitig mit formalen Argumenten
traktieren, sondern und noch mehr Zeit nehmen, die Vor- und Nachteile
des Copyleft gemessen am Kriterium der Handlungsfähigkeit zu
diskutieren. Und ich fände es obendrein hervorragend, wenn wir dabei
sorgsam und nicht ignorant miteinander umgingen.
Sorry, Julian, wenn ich deine Mail zum Anlaß genommen habe, etwas
allgemeiner zu werden - der letzte Absatz bezieht sich auf die etwas
schräge Copyleft-Debatte und nicht auf dich.
Ciao,
Stefan
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