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Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux



Hi StefanS, Michael, StefanMz, Bernd, FranzS, Helmuth, ThomasUG, alle!

Finde ich große Klasse, dass so viele eigenständige Antworten kamen
:-) . Auch viele gute Gedanken! Ein echtes Highlight für Oekonux :-) .
Und ein weiterer Beweis für den Erfolg offener, kooperativer Modelle
:-) .

6 days ago Stefan Merten wrote:
Mit dem anfragenden Redakteur konnten wir vereinbaren, dass die Fragen
an die Liste hier gehen, so dass wir alle Ideen hier sammeln und
diskutieren können. Ich mache - auch auf seinen Wunsch hin - eine
Zusammenfassung (6000+ Zeichen) und die restliche Kommunikation mit
ihm.

Sabine: BTW kam die gute Idee, das über die Liste zu machen, von
StefanMz und ich habe sie dankbar aufgegriffen. Der Redakteur hat dem
zugestimmt (und ist übrigens selbst begeistert über die Resonanz :-) ).

Leider zeitlich alles ein wenig knapp: Ich kann nur Beiträge bis

			    Montag, 24.11.

berücksichtigen.

Ich versuche schon mal eine Zusammenfassung. Ich hoffe, ich übersehe
nicht zu viel / lasse zu viel weg. Auf die Länge achte ich jetzt erst
mal nicht.

FRAGEN: Wohin führt der Erfolg?

1. Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie
   Software kommerzialisiert?

Freie Software und Kommerz sind keine Gegensätze. Freie Software
unterscheidet sich von proprietärer Software unter anderem durch die
Lizenzen. Während bei proprietärer Software den NutzerInnen nur ganz
bestimmte, eng beschränkte Nutzungsarten zugestanden werden, lässt
Freie Software den NutzerInnen praktisch jede Freiheit. Insbesondere
darf Freie Software auch weiter kopiert werden, so dass die künstliche
Knappheit, die proprietäre Lizenzen durch ihr Kopierverbot erzeugen,
bei Freier Software nicht entsteht. Im Ergebnis führt dies dazu, dass
Freie Software, die einmal veröffentlicht wurde, *an sich* nicht
verwertet werden kann. Sie ist ein kostenloses öffentliches Gut, das
allen zur Verfügung steht. Lizenzen wie die GNU General Public License
(GPL) verhindern sogar eine Reprivatisierung, indem sie verlangt, dass
bei Weitergabe abgeleiteter Werke die Quellen immer mitgeliefert
werden müssen.

Es gibt allerdings Geschäftsmodelle rund um Freie Software. Alle diese
Geschäftsmodelle leben von einer Kombination Freier Software mit einem
knappen Gut. Hierunter fallen sowohl Distributionen, bei denen
Support, Handbücher und die Zusammenstellung der Distribution bezahlt
werden, als auch Services oder proprietäre Produkte rund um Freie
Software.

Ein weiteres Geschäftsmodell besteht darin, dass Freie Software im
Kundenauftrag entwickelt wird. Im Projekt Oekonux unterscheiden wir
zwischen Einfach Freier Software, die beispielsweise im Kundenauftrag
oder im Rahmen einer Diplomarbeit entwickelt wird, und Doppelt Freier
Software, bei der die EntwicklerInnen ausschließlich aus einer eigenen
Motivation heraus handeln.

   * Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
     Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
     Freie-Software-Entwicklern verwenden?

IBM und Sun, die sich die Förderung Freier Software auf die Fahnen
geschrieben haben, sparen zwar gewisse Kosten durch die Leistungen der
Community, sie investieren aber auch selbst nicht unerheblich in die
Weiterentwicklung Freier Software wie z.B. das Office-Paket
OpenOffice.org. Der Profit, den Firmen wie IBM und Sun im Umfeld
Freier Software machen, kommt tatsächlich aus den genannten
Geschäftsmodellen, bei denen Services und Hardware angeboten werden.
Auch eine anti-monopolistische Strategie dürfte eine Rolle spielen.

Andere Firmen, die verfügbare Freie Software einsetzen, sparen
erhebliche Entwicklungskosten, wenn sie ansonsten diese Software
selbst entwickeln müssten. Gleichzeitig profitieren sie davon, dass
Freie Software oftmals gut gepflegt wird. Es gibt mittlerweile
Untersuchungen, die den Total Cost of Ownership Freier Software
zumindest nicht höher sehen, als den von proprietären Lösungen. Im
Projekt Oekonux gibt es die verbreitete Auffassung, dass dies eine
direkte Folge des gegenüber proprietärer Software im Schnitt höheren
Qualitätsstandards Freier Software ist, der wiederum aus der
besonderen Produktionsweise Freier Software herrührt.

Ein echtes Problem haben tendenziell Firmen, deren Produkte in
Konkurrenz zur Freie Software stehen. Nicht umsonst fährt Microsoft in
den letzten Jahren zunehmend schärfere Attacken gegen die gesamte
Freie-Software-Bewegung.

   * Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
     Kapitalismus?

Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist die Antwort bereits gegeben.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht beseitigt ein kostenloses öffentliches
Gut wie Freie Software vor allem Unkosten.

Wirklich interessant wird die Frage dann, wenn wir eine Systemsicht
einnehmen. Tatsächlich untergräbt Freie Software das System der
Wertschöpfung, ohne die der Kapitalismus nicht funktionieren kann.
Indem Freie Software künstliche Knappheit beseitigt, die für
Informationen unter den Bedingungen des Internet nur noch mit einem
Polizeistaat durchzusetzen wäre, hebelt sie das zentrale
Funktionsprinzip des Kapitalismus aus. Besonders bemerkenswert daran
ist, dass das Ganze nicht(!) als Teil eines politischen Programms
geschieht, sondern eine Folge der innerkapitalistischen Entwicklung
der Produktivkräfte selbst ist.

Im Projekt Oekonux betrachten viele das Phänomen Freie Software als
eine Keimform eines neuen Vergesellschaftungsmodells. Vielleicht zum
ersten Mal in der Geschichte bietet sich die Chance, den Kapitalismus
in eine Gesellschaftsformation zu überführen, die nicht mehr nach der
Logik der Knappheit funktioniert, sondern sich auf einer Logik des
Reichtums für alle gründet. Ein Reichtum, der dann nicht mehr ein
monetärer, sondern ein stofflicher und sozialer Reichtum ist.

   * Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der sich vom
     Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Generell hilft Freie Software allen, die die Kontrolle über die von
ihnen benutzte zentrale Infrastruktur zurück haben möchten. Durch die
offen liegenden Quellen Freier Software ist es prinzipiell allen
NutzerInnen möglich, eigene Bedürfnisse selbst zu befriedigen oder
andere damit zu beauftragen. Insbesondere macht Freie Software
unabhängig von den Entscheidungen eines Monopolisten, der je nach
eigenen Geschäftinteressen seine "Standards" inkompatibel ändert
(Word-Format) oder Support für seine Produkte nicht länger anbietet
(Windows NT).

   * Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die
     Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software kaputt
     geht?

Die Wirtschaft kann selbst Einfach Freie Software entwickeln, aber sie
kann der Freien-Software-Bewegung keine Ziele setzen, da jede
EntwicklerIn Doppelt Freier Software sich ihre Ziele selbst setzt.

Der Teil der Wirtschaft, der auf die eine oder andere Weise auf Freie
Software setzt, hätte aber auch gar nichts davon, die Kuh zu
schlachten, die sie gerne melken möchte. So hat IBM zu Beginn seines
Engagements explizit darauf hingewiesen, dass man als großer Player
sehr vorsichtig sein müsse, eben diese Kultur nicht zu zerstören. Dies
scheint zu gelingen. Diese Firmen haben begriffen, dass ihre eigene
Geschäftsgrundlage Freie Software *genau so* funktionieren muss, wie
sie es tut.

Andererseits ist die Freie-Software-Bewegung heute auch eine ernst zu
nehmende Größe mit der es sich eine Firma besser nicht verscherzt, die
plant auf diesem Sektor noch Gewinne zu machen.

2. Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht, einen Weg in
   eine  neue Ökonomie weisen?

Das ist eine der Kernfragen des Projekt Oekonux, dessen Name eine
Kombination aus den Worten "Öknonomie" und "Linux" ist. Auf Grund der
Argumente, die das Oekonux seit 1999 dazu sammelt, würden viele
TeilnehmerInnen diese Frage sicher bejahen.

Im Rahmen des Projekts untersuchen wir das Phänomen Freie Software und
versuchen eine Theorie zu bilden, mit der dieses Phänomen verstehbar
wird. Aus einer einfachen Mailing-Liste, die zur Zeit ca. 260
(deutsch) bzw. 90 (englisch) AbonnentInnen umfasst, ist mit der Zeit
ein Projekt entstanden, das eine erhebliche Ausstrahlung auf ganz
unterschiedliche Menschen gewonnen hat. Das offene, an Erkenntnis
orientierte Klima des Projekts zieht Menschen aus den
unterschiedlichsten Hintergründen und aus allen Altersstufen an.
Gleichzeitig kann Oekonux auch selbst als Beispiel für die Prinzipien
gelten, die Gegenstand des Diskurses sind. Vom 20.-23. Mai 2004 werden
wir unter der Überschrift "Reichtum durch Copyleft - Kreativität im
digitalen Zeitalter" [www.oekonux-konferenz.de] unsere 3.
internationale Konferenz in Wien durchführen.

   * Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei sogar?

Alle, die Freie Software propagieren, helfen mit diese zu verbreiten.
Firmen, die dies tun, betrachten es als ihr derzeitiges
Geschäftsinteresse, andere haben andere Gründe.

Freie Software ist aber nicht nur ein technisches Artefakt, sondern
sie transportiert eben auch eine andere Logik, die von einem
kapitalistisch geprägten Geist zunächst nur schwer zu verstehen ist.
Diese andere Logik trägt nicht unerheblich dazu bei, dass Freie
Software neben ihrer unbestreitbaren Nützlichkeit auch erhebliche
Sympathien auf sich zieht. Wird Freie Software als Keimform einer
neuen Vergesellschaftungsform betrachtet, so helfen IBM und Co somit
sich selbst überflüssig zu machen. Das wäre vielleicht ein Verlust für
den Kapitalismus aber vermutlich ein Gewinn für die Menschheit.

   * Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

Kommerzielle Verbreitung ist eine Möglichkeit Freie Software und ihre
Ideen zu verbreiten. Von daher ist eine Kommerzialisierung nicht
negativ.

Etwas anders verhält es sich, wenn wir das Entwicklungsmodell
betrachten. Nach einer im Projekt Oekonux verbreiten Auffassung rührt
die Qualität Freier Software vor allem daher, dass die EntwicklerInnen
nicht an Vorgaben des Marktes bzw. der Marketing-Abteilung gebunden
sind. Vielmehr können sie sich ausschließlich auf die absolute
Qualität ihres Schaffens konzentrieren. Diese Qualität ist es
letztlich, die Freier Software immer mehr zum Durchbruch verhilft -
und nicht etwa die fehlenden Lizenzkosten.

Dieser Aspekt ist bei Auftragsentwicklung Freier Software aber nur
noch eingeschränkt gegeben. Immerhin kann das Ergebnis einer
Auftragsentwicklung bei Bedarf von der Community weiter entwickelt
werden.

   * Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie aussehen?

Diese Frage ist im Detail nicht seriös zu beantworten. Allerdings
schälen sich aus den Untersuchungen des Projekts Oekonux einige
grundsätzliche Überlegungen heraus.

Die Wissenschaft selbst lebt schon seit Anbeginn vom Freien Fluss von
von Informationen. Es kann wohl als erwiesen gelten, dass dieser Freie
Fluss von Gedanken, Wissen und Information die beste Art und Weise
ihrer Weiterentwicklung ist. Betrachten wir heute alltägliche
Produkte, so können wir feststellen, dass ihr wissenschaftiche Anteil
in Form ihres High-Tech-Anteils ständig steigt. Noch deutlicher wird
dies, wenn wir die Produktionsanlagen betrachten, auf denen diese
Produkte hergestellt werden. Das Zentrum der Produktion auch
materieller Güter rückt also immer mehr in den Bereich der Produktion
von Informationen.

Freie Software ist eine Form, die diesen Zusammenhang auf höchstem
technischen Niveau ganz praktisch in die Produktion nützlicher Güter
einfließen lässt. Wenn aber die gesamte Güterproduktion zunehmend
wissenschaftlich wird, so ist langfristig zu erwarten, dass die besten
Produkte nach Prinzipien entstehen, die wir in der Freien Software
heute schon beobachten können. Dazu gehört die Selbstentfaltung der
ProduzentInnen als zentraler Motor für Innovation und Qualität. Diese
Selbstentfaltung kann letztlich nur dann gewährleistet sein, wenn der
Produktion äußerliche Interessen wie der Zwang zum Geldverdienen keine
Rolle mehr spielen. Eine Abschaffung künstlicher Knappheit ist dazu
eine Voraussetzung.

Eine solche Abschaffung von Knappheit, die zunächst für
Informationsprodukte aller Art geschehen dürfte, führt nach und nach
dazu, dass die geldbasierte Produktion eine zunehmend kleinere Rolle
spielt und zuletzt genauso verschwindet, wie die feudale
Produktionsweise aus dem entwickelten Kapitalismus verschwunden ist.

   * Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Das Internet ermöglicht globale Kooperation, die ebenfalls eine der
wichtigen Prinzipien der Entwicklung Freier Software ist. Gleichzeitig
macht das Internet insbesondere über Mailing-Listen eine Transparenz
möglich, wie sie in anderen Medien gar nicht denkbar ist. Weiterhin
ermöglicht das Internet allen Interessierten sich zu dem Grad in ein
Projekt einzubringen, der ihnen individuell angemessen erscheint.
Selbstorganisationsprozesse, die ein weiteres Kennzeichen Freier
Software sind, werden durch das Internet ebenfalls gefördert.

Daneben ist das Internet *die* zentrale Fernkopiereinrichtung für
digitale Daten. Das Internet hat die digitale Kopie, die historisch
erstmals vom Original ununterscheidbare Kopien von Informationsgütern
erlaubt, auf eine neue Stufe gehoben. Freie Software ist eigentlich
erst mit der Ausbreitung des Internet wirklich in Fahrt gekommen.

Dazu genauer:

A. Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber sie ist
   nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
   Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

Werden die Prinzipien der Entwicklung Freier Software als eine neue,
bessere Produktionsweise für die Güter angesehen, für deren Produktion
Kreativität und Motivation eine zentrale Rolle spielen, so gilt dies
für alle diese Güter. Je mehr diese Güter und ihre Produktion
dominieren, desto mehr ist dies auf die Gesamtgesellschaft anwendbar.

Wollen wir eine Übergangsphase betrachten, so muss dies aber gar nicht
die zentrale Frage sein. Genauso wie die neue Produktionsweise der
bürgerlichen Gesellschaft zunächst nur Teilbereiche der
Gesamtgesellschaft abdecken konnte, kann auch eine Produktionsweise,
die an den Prinzipien der Entwicklung Freier Software orientiert ist
zunächst nur Teile der Gesamtgesellschaft mit Produkten versorgen.
Freie Software ist ein Beispiel dafür. Dennoch hat sich die
industrielle Produktionsweise nach und nach durchgesetzt und nach und
nach die gesamte Gesellschaft nach ihren Prinzipien geformt. Ähnliches
ist für die Prinzipien der Entwicklung Freier Software denkbar, die
die Industriegesellschaft nach und nach in eine
Informationsgesellschaft überführt.

   * Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und ähnliche
     "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Das Projekt Oekonux versucht Beispiele für solche Übertragungsversuche
zu sammeln [http://www.oekonux.de/projekt/links.html]. Die bisherigen
Beispiele beziehen sich allesamt auf den Informationsanteil der
Produktion materieller Güter.

   * Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum Joghurt?

Am weitesten dürften die Entwicklung im Bereich digitaler Hardware
gediehen sein. Hier gibt es bereits vorzeigbare Ergebnisse Freier
Entwicklung nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software.
Leider ist beispielsweise der Bereich digitaler Hardware derart mit
Patenten zugepflastert, dass es schwer ist, um diese herum zu
entwickeln.

Es gibt aus unterschiedlichen Gründen verschiedentlich Interesse von
Herstellern materieller Güter an solchen Freien Bauplänen. Diese
könnten in einem nächsten Entwicklungsschritt dazu übergehen, die
Freien Designs mit ihren Produktionsmaschinen zu produzieren. Immerhin
sparen sie auf diese Weise Entwicklungs- und evt. auch Marketingkosten
ein, die heute bereits einen Löwenanteil dieser Produkte ausmachen.

Aber in der Tat ist durch die flächendeckende Verfügbarkeit digitaler
Kopie die Lage im Bereich der Informationsgüter sehr viel einfacher.
Ein in Oekonux viel diskutiertes Phänomen sind die hochflexiblen
Produktionsmaschinen, die quasi aus Rohstoffen und digitalen Daten
materielle Werkstücke materialisieren. Diese Maschinen - vom
Industrieroboter bis hin zu Maschinen des Rapid Prototyping -
erreichen eine vergleichbare Universalität gegenüber Materie wie die
digitale Kopie gegenüber allen Arten von Informationsgütern.

B. Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie kann
   man sich den vorstellen?

Gesellschaftliche Umbrüche der Dimension wie sie im Projekt Oekonux
angedacht werden, sind in ihrer konkreten Verlaufsform nicht
vorhersagbar. Sind die Prinzipien richtig erkannt worden, nach denen
sich eine solche neue ökonomische Form allerdings gestaltet, ist es
dagegen schon eher möglich, sich den Endzustand vorzustellen.

Schon heute können wir ausmachen, dass die kapitalistische
Basiskategorie Arbeit zunehmend verfällt. Dies schlägt sich nicht
zuletzt im zunehmenden Abbau der auf Arbeit basierenden sozialen
Sicherungssysteme nieder. Es ist festzuhalten, dass der Kapitalismus
heute nicht mehr in der Lage ist, ein Versprechen auf eine bessere
Zukunft zu geben. War der Begriff "Reform" früher ein Ausdruck einer
Verbesserung der Lebensbedingungen, so ist er heute in sein Gegenteil
verkehrt.

Die neue Produktionsweise, die wir in Freier Software keimförmig
erkennen können, hat dagegen für immer mehr Menschen Realität und eine
zunehmende Attraktivität, da sie unmittelbar davon profitieren. Freie
Software, aber auch die Vielfalt des WorldWideWeb zeigen den Menschen,
was auf der Höhe der technischen Entwicklung möglich ist. Das werden
sie nie mehr vergessen. Der Weg in eine neue Ökonomie ist - wie jeder
Übergang zu einer neuen ökonomischen Form - durch den Spagat zwischen
alter und neuer Ökonomie geprägt.

   * Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft sich
     zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der Weg
     "organisiert" werden?

Aus den dargelegten Gründen begünstigt die Entwicklung der
Produktivkräfte diesen Übergang. Sichtbar wird dies an der Vielzahl
unabhängiger Projekte, die durch Freie Software inspiriert sich
bemühen, deren Prinzipien in ihren Bereich zu übertragen.

Andererseits sind solche gesellschaftlichen Prozesse natürlich auch
immer politische Prozesse, die von Organisation in der einen oder
anderen Form profitieren. Auch hier gilt es aber, die
Organisationsformen den Zielen anzupassen. Anleihen bei den
Organisationsprinzipien Freier Software sind daher zu empfehlen.

   * Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld oder
     eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von Experten?

Oekonux ist zuallererst ein Reflexionsprojekt, in dem der Versuch
unternommen wird, aktuelle Entwicklungen zu verstehen und eine Theorie
zu bilden. Die Ergebnisse dieser Bemühungen, die die Chance einer
positiven gesellschaftlichen Entwicklung eröffnen, sind aber für viele
Menschen von großem Interesse. Derzeit sind konkrete
Umsetzungsprojekte kein Teil von Oekonux.

Oekonux ist offen für alle, die am Thema interessiert sind. Wir
begrüßen es, wenn ExpertInnen der unterschiedlichsten Disziplinen ihr
Wissen einbringen, aber Expertentum ist keine Voraussetzung für eine
Teilnahme.

C. Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

Eine der Stärken des Modells, das im Projekt Oekonux entwickelt wird,
ist, dass das Mitmachen im direkten Interesse der Menschen liegt. Die
Verwendung Freier Software hat nichts mit Verzicht zu tun sondern
bedeutet im Gegenteil die Teilnahme an einem ungeheuren Reichtum. Im
Gegensatz zu den moralisierenden Politikansätzen der Vergangenheit ist
es also grundsätzlich sehr viel leichter Menschen zu gewinnen.

   * Was kann der Einzelne tun?

Neben der Nutzung und Verbreitung Freier Software und vergleichbarer
Projekte gibt es viele Projekte, bei denen die aktive Beteiligung auch
Spaß macht. MusikerInnen können beispielsweise die Musik, die sie
ohnehin möglichst vielen Menschen nahe bringen wollen, als Freie Musik
ins Web stellen. Generell können alle, die Informationsprodukte
herstellen, wo immer möglich diese Frei stellen und nach den
Prinzipien der Entwicklung Freier Software entwickeln. Dazu bietet es
sich an, entsprechende Lizenzen wie die OpenContent-Lizenz zu
verwenden.

Denken wir über einen gesellschaftlichen Übergang nach, so wäre es
heute entscheidend, die Kategorien der Arbeitsgesellschaft als das zu
sehen was sie sind: Menschenwerk - und nicht etwas Naturgesetze.
Menschenwerk ist aber änderbar.

   * Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft, beim
     Markt, der Politik, den Leuten?

Alle drei Bereiche bilden im Moment Hürden. Die auf dem Markt
agierenden Unternehmen haben grundsätzlich ein Interesse an der
Verknappung, da sie ihnen ihre Profite überhaupt erst ermöglicht. Die
Politik, insofern sie sich als Ausführungsgehilfe der Wirtschaft
versteht, stößt ins gleiche Horn. Allerdings gibt es gerade in Europa
und in einigen Entwicklungsländern Bemühungen, den Einsatz Freier
Software zu fördern. Die Leute haben überwiegend das Problem, dass sie
sich eine neue Form des Wirtschaftens nicht vorstellen können.

   * Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt: Kampf gegen
     Musiktauschbörsen im Internet, Versuch, Softwarepatente in der EU
     einzuführen, Vorwürfe von SCO gegen Open Source. Wie ernst ist
     das für die Oekonux-Perspektive zu nehmen?

Tatsächlich sind derzeit verstärkt Versuche festzustellen, die
Möglichkeiten der digitalen Kopie und des globalen Informationsflusses
wieder zurück zu drängen. Allen voran sind hier die Bemühungen zu
nennen, Software-Patente auch in Europa endgültig einzuführen. Durch
die Lobbyarbeit von Freie-Software-BefürworterInnen und vielen
mittelständischen Unternehmen konnte hier durch das EU-Parlament
vorerst das Schlimmste verhindert werden. Der endgültige Ausgang
dieses schon seit Jahren andauernden Verfahrens ist aber noch offen.

In der Tat sind ähnliche Bemühungen, die künstliche Knappheit wieder
herzustellen, auch bei den Peer-To-Peer-Netzen zu erwarten. Es ist
aber wichtig, dass in Peer-To-Peer-Netzen, in denen übrigens nicht
notwendig getauscht wird wie es der Begriff Tauschbörsen nahe legt, in
aller Regel *keine* Freien Produkte fließen, sondern solche, die unter
proprietärem Copyright stehen.

All diese Versuche können als Widerstand des Ancien Regime gedeutet
werden. Der Geist, der eigentlich schon aus der Flasche ist, soll
wieder in dieselbe zurück befördert werden. Es ist zu erwarten, dass
diese Versuche noch zunehmen werden.

Sind die Analysen des Oekonux-Projekts jedoch richtig, so werden diese
Versuche keinen dauerhaften Erfolg haben. Noch nie hat sich eine
fundamentale Änderung der Produktionsweise dauerhaft verhindern
lassen. Vielleicht gilt hier das alte Ghandi-Zitat: "Erst ignorieren
sie dich, dann machen sie dich lächerlich, dann bekämpfen sie dich -
und dann hast du gewonnen."



Uff! So, einfach mal eben runterformuliert. Nee, zu spät um es nochmal
durchzulesen.

[Länge check]

Na, war ja fast zu erwarten: Knapp Faktor 4 über dem was geht :-/ .
Und ich glaube, dass ich mich kaum wiederholt habe... D.h. für den
Abdruck muss noch jede Menge rausfliegen. Was? Ich bin für Vorschläge
dankbar.

Ich stelle die komplette Antwort aber auf jeden Fall die Tage auf die
Web-Site. Dann kann der Link in den Artikel und bei Interesse kann
alles nachgelesen werden.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
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