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Re: [ox] Fragen der Frankfurter Rundschau an Oekonux



Huhu, alle!

On Montag 17 November 2003 15:22, Stefan Merten wrote:
Seitens der Frankfurter Rundschau
liegt eine Interview-Anfrage an Oekonux vor. 

OK, ich versuch denn mal die Fragen zu beantworten, ohne Anspruch 
auf Originalität und ohne Vertretungsanspruch für Oekonux (ist 
eigentlich selbstverständlich).

Zu den alten Fragen (Do. 13.11. auf [pox]):
| was ist frei an freier software, 

Frei im üblichen Sinne ist eigentlich nicht die Software, sondern 
ihr Benutzer, nämlich frei, die Software zu jedem Zweck zu 
verwenden, sie weiterzuverbreiten, sie zu studieren und zu 
verbessern. 

Darüber hinaus sind heute viele Projekte frei zugänglich: 
einerseits dadurch, daß die Arbeitsabläufe z.B. in öffentlichen 
Mailinglisten-Archiven transparent gemacht sind, andererseits 
dadurch, daß jedem die Möglichkeit zur Mitarbeit offensteht.

| wie arbeiten entwickler konkret,

Die Arbeit erfolgt gewöhnlich über verschiedene Orte verteilt; 
die Kommunikation erfolgt dabei über das Internet.

Da viele Projekte auf Freiwilligkeit beruhen, gibt es in ihnen 
keine Kommandohierarchie. Es ist allenfalls nach Aktivität und 
Aufgaben der Teilnehmer eine gewisse "Rangfolge" zu erkennen. 
Ein Projekt muß auf die Interessen möglichst aller Beteiligten 
eingehen, da es sonst zu zerfallen droht. Einige wichtige 
Projekte wie z.B. Debian enthalten festgeschriebene 
basisdemokratische Strukturen.

| wo steht fs heute,

Es ist heute wieder möglich, einen Rechner ausschließlich mit 
freier Software zu betreiben. 

| ist kommerzialisierung etwa von linux "gut",

Unter "Kommerzialisierung freier Software" kann einerseits 
verstanden werden, daß freie Software im kommerziellen Umfeld 
eingesetzt wird, sowie andererseits, daß sie dort entsteht.

Daß freie Software im kommerziellen Umfeld eingesetzt werden 
kann, erhöht ihre Akzeptanz. Wäre dies nicht so, wäre sie im 
Kapitalismus für wirtschaftlich relevante Bereiche unbrauchbar. 

Zur Entstehung im kommerziellen Umfeld: Freie Software entsteht 
aus dreierlei Motivation heraus: aus Überzeugung, daß freie 
Software eine gute Sache ist, aus Freude am Programmieren, bzw. 
dessen Resultat, sowie aus beruflichen Gründen. Wenn nun 
zunemend freie Software kommerziell entwickelt wird, heißt das 
noch lange nicht, daß dadurch ehrenamtlich weniger erstellt 
wird. 

| welche weiteren felder wie freie texte können sich entwickeln,

Es gibt freie Hardware, z.B. Ansätze zu einem freien 
Prozessor-Design, sowie Ansätze zu einem freien Auto-Design.

Ebenfalls gibt es Ansätze zu freier Musik.

| hat freie hardware (chips, oscar) eine
| chance, wo liegen die Hindernisse (bei den leuten, der politik,
| dem markt)????

Freie Hardware hat eine Chance, allerdings geht die Entwicklung 
momentan nur sehr langsam voran und stagniert auch gelegentlich 
über Monate hinweg. Ohne Förderung wird die Entwicklung 
vermutlich ähnlich lange dauern wie bei freier Software.

Zu den neuen Fragen:
--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8<

Freie Software wie Linux gewinnt immer mehr an Bedeutung. Alle
großen IT-Multis haben auch den "Pinguin" im Programm.
Zunehmend setzen IT-Nutzer - Unternehmen, Ämter, Privatleute -
Freie Software ein.

FRAGEN: Wohin führt der Erfolg?

1. Führt er zur Integration in die Marktwirtschaft, wird Freie
   Software kommerzialisiert?

   * Sparen die auf Gewinne zielenden Firmen wie IBM oder Sun
     Entwicklungskosten, indem sie die Leistungen von
     Freie-Software-Entwicklern verwenden?

   * Scharf formuliert: Hilft die Freie-Software-Gemeinde dem
     Kapitalismus?

Ja und nein. 

Freie Software schadet denjenigen Firmen, zu deren Angeboten sie 
in Konkurrenz tritt. Ein Beispiel hierfür ist OpenOffice.org, 
welches ein Beinahe-1:1-Ersatz für MS Office darstellt. Weil das 
frei kopierbare OOo konkurrenzlos günstig ist, sollte es daher 
demnächst schwer werden, mit Office-Paketen zu handeln.

Anders sieht es mit Hardware aus: Da freie Hardware weit davon 
entfernt ist, proprietärer Hardware Konkurrenz zu machen, stört 
sie noch nicht. Hardwarefirmen profitieren daher momentan von 
freier Software.

Die Buchindustrie konnte lange Zeit Bücher über freie Software 
verkaufen und hat somit von dieser profitiert. Dies ist zur Zeit 
im Wandel, da zunehmend freie Dokumentation entsteht.

Als besonderes Kuriosum wurden zwei am Markt gescheiterte 
Produkte, nämlich der Netscape Navigator (heute: Mozilla), sowie 
Star Office (heute: OpenOffice.org) aus werbestrategischen 
Gründen in freie Software umgewandelt.

   * Oder zumindest dem Teil der IT-Branche und Anwender, der
     sich vom Microsoft-Monopol verabschieden möchte?

Jeder Entwickler proprietärer Software hat ein Monopol auf sein 
Produkt. Dabei ist MS nichts besonderes.

   * Besteht die Gefahr, dass wenn die Wirtschaft die
     Entwicklungsziele setzt, die "Kultur" der Freie Software
     kaputt geht?

Nein, s.o.

Es kann aber dazu führen, daß sich kommerziell und ehrenamtlich 
entwickelte FS inhaltlich auseinanderentwickeln.

Als Beispiel fällt mir dazu TeX vs. OpenOffice.org ein, beides 
ist zum Schreiben von Text gut, jedoch ist das Konzept völlig 
anders.

2. Oder kann die Art und Weise, wie Freie Software entsteht,
einen Weg in eine  neue Ökonomie weisen?

Das ist die Oekonux-Kernfrage.

   * Helfen IBM und Co, auch wenn sie es nicht wollen, dabei
     sogar?

Ja, z.B. indem sie freie Software bekanntmachen.

   * Ist Kommerzialisierung von Linux "gut"?

s.o.

   * Wie könnte der Weg zu einer alternativen Ökonomie
     aussehen?

Die Prinzipien der Entwicklung freier Software können auf die 
Entwicklung aller Informations-Produkte ausgedehnt werden. Die 
Frage ist nur, was aus der Herstellung materieller Güter wird. 

Dazu gibt es drei Überlegungen:

a) Durch den technischen Fortschritt schrumpft der industrielle
   Sektor weiter zusammen. Nur noch wenige Beschäftigte arbeiten
   an der Herstellung materieller Objekte.

b) Spezielle Maschinen setzen elektronische Baupläne direkt in
   materielle Objekte um. (Ein Beispiel ist der Drucker, der auf
   vielfältige Weise Tinte auf einem Blatt verteilen kann; nur
   Mopeds zusammenbauen kann er noch nicht.) 

c) Die in vielen Freisoftware-Projekten anzutreffenden
   Organisationsprizipien Transparenz, Möglichkeit zur Teilnahme,
   Demokratie könnten auch in Betrieben gelten, deren bloße
   Aufgabe die Herstellung materieller Güter darstellt.

Die drei Überlegungen schließen sich gegenseitig nicht aus, 
jedoch ist anzumerken, daß a und b eher in den 
Science-Fiction-Bereich gehören.

   * Welche Rolle spielt das Internet dabei?

Informationsaustausch.

Dazu genauer:

A. Software ist zwar extrem wichtig für die Wirtschaft, aber
   sie ist nicht alles. Auf welchen Gebieten lassen sich
   Freie-Software-Prinzipien noch anwenden?

   * Gibt es Beispiele dafür, die über freie Musik, Texte und
     ähnliche "immaterielle" Produkte hinausgehen?

Nein, es geht auch beim freien Prozessor und beim freien Auto 
bisher nur darum, den Bauplan zu entwickeln und nicht darum, 
konkrete Hardware herzustellen.

   * Wie stehen die Chancen für "Hardware" vom Auto bis zum
     Joghurt?

Joghurt ist im Prinzip bereits "freie Hardware", da sein 
grundsätzliches Rezept bekannt und nicht geschützt ist. 
Natürlich gibt es aber proprietäre Variationen.

Zur Herstellung des Joghurts: s.o.

B. Wenn es einen solchen Weg in eine andere Ökonomie gibt, wie
kann man sich den vorstellen?

   * Geht das quasi von selbst, weil die Industriegesellschaft
     sich zur Informationsgesellschaft wandelt, oder muss der 
     Weg "organisiert" werden?

Teils-teils. (s.o.)

   * Sind Projekte wie Oekonux mehr als ein Experimentierfeld
     oder eine Spielwiese für eine privilegierte Minderheit von
     Experten?

Bei Oekonux mitzudiskutieren oder freie Software zu schreiben 
sind finanziell vergleichsweise anspruchslose Hobbys, die jedoch 
sehr viel Zeit verbraten. 

C. Wie können mehr Menschen zum Mitmachen gewonnen werden?

   * Was kann der Einzelne tun?

Es gibt viele Bereiche, die nicht nur nützlich sind, sondern 
nebenher auch Spaß machen (z.B. an der Wikipedia 
mitzuschreiben). Diese Bereiche gilt es aufzuzeigen.

   * Wo liegen die größten Hürden für eine andere Wirtschaft,
     beim Markt, der Politik, den Leuten?

?

   * Es hat den Anschein, dass es eine Art Rollback gibt:
     Kampf gegen Musiktauschbörsen im Internet, Versuch,
     Softwarepatente in der EU einzuführen, Vorwürfe von SCO
     gegen Open Source. Wie ernst ist das für die
     Oekonux-Perspektive zu nehmen?

Die Software-Patente sind eine ernstzunehmende Gefahr; der Rest 
ist Kikikram.

cu,
Thomas }:o{#
-- - http://217.160.174.154/~sloyment/ - --
"Look! They have different music on the dance floor..."
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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