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Re: [ox] Computer als Maennermaschine



Hi Francis und Liste!

Ich denke, ich muss nochmal zwei Sachen vorweg schicken. Die Mail, die
ich in Reaktion auf dein Kapitel an diese Liste hier geschickt hatte,
war halt auch für diesen Kontext geschrieben. Deswegen hatte ich
einige Dinge nicht ausgeführt.

Ich hatte dort auch explizit geschrieben, dass ich mich geärgert
hatte. Gefühle zu zeigen - und das sind eben auch mal negative - hatte
ich once upon a time mal von der Frauenbewegung gelernt. Andererseits
hindern mich solche Gefühle nicht daran, auch sachlich über die Dinge
zu reden. Mich freut, dass uns das jetzt allen zu gelingen scheint
:-) .

In diesem Sinne nun zu den Inhalten.

Last week (10 days ago) francis wrote:
@ Benni, eine Reaktion von Roswitha Scholz zu meiner Verwendung von
Bordieu in Zusammenhang mit ihrer Wertabspaltungsthese steht leider
noch aus.

Nach den Erläuterungen zu Bordieu verstehe ich jetzt wenigstens, wie
du dahin kommen konntest. Ich halt's dennoch für daneben. Einen Teil
der Begründung findest du andernthreads zu Bordieu.

Leider scheint es bisher keine wertkritische
Auseinandersetzung mit seinen Thesen (was nicht heißt, dass es diese
nicht doch irgendwo gibt) zu geben. Mein Versuch steht somit vorerst
für sich und bedarf einer kritischen Hinterfragung. Mir schien
allerdings mit der Verknüpfung von Scholz und Bordieu eine Möglichkeit
gegeben, einigen Phänomenen, die ich im Bereich der Computerkultur
beobachten konnte, theoretisch beizukommen.

Ich bin skeptisch, ob das für die Freie Software gelingen kann. Für
andere Bereiche würde ich das nicht direkt bestreiten. M.E. liegt das
aber wesentlich an dem Entfremdungszusammenhang und weniger an dem
konkreten Sachgebiet.

In diesem Zusammenhang habe ich nichts gegen die Zuschreibung der
"Schwarzen Brille".

Nun, mein Hauptvorwurf ist nicht eine bestimmte Perspektive, sondern
*vor allem*, dass du die Realität nicht erklären kannst, da sie nicht
deiner Theorie entspricht. Das hat dann m.E. nichts mehr mit Brillen
sondern mit Augen-auf oder Augen-zu zu tun. Insbesondere wenn du
betonst:

Es gab mehrere Gründe so vorzugehen, wie ich es
getan habe.

1.      Theorie und Praxis greifen für mich tief ineinander. Beides
        soll nicht voneinander losgelöst stattfinden.

Eben.

Dazu gehört aber auch, die Praxis sich anzusehen und in ihren
Grundzügen zu verstehen. Freie Software - davon bin ich allerdings
überzeugt - kann nicht wirklich mit den Paradigmen der Geldlogik /
einer entfremdeten Logik verstanden werden - auch wenn das alle
möglichen ÖkonomInnen in ihrer Not andauernd versuchen. Die haben halt
auch einen Auftrag alles in die Geldideologie einzupassen. Ich für
meinen Teil verspüre diesen Auftrag allerdings nicht.

Glücklicherweise gibt es aber auch ÖkonomInnen, die sehen, dass ihre
klassischen Theorien bei Freier Software oft nicht passen. Sheen
Levine, den ich als ein Beispiel nennen möchte, hatten wir
beispielsweise auf unserer 2. Konferenz
[http://zweite.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/Levine.html].

        In der
        Reflektion einer Praxis Mithilfe theoretischer Erwägungen (die
        tendenziell Strukturen betrachten, und damit notwendigerweise
        generalisieren müssen) sehe ich eine Chance auf Veränderung
        der Praxis.

Völlig d'accord.

        Eine möglichst scharfe Analyse kann schmerzhaft
        sein und als "zu negativ" empfunden werden.

Völlig d'accord. Auch wenn ich erweitern würde, sie kann als "zu
positiv" oder überhaupt als Zumutung empfunden werden.

        Da Theorie sich
        niemals 100% in (selbst)kritische Praxis umsetzt, sollte sie
        möglichst scharf sein, damit wenigstens etwas hängen bleibt.
        Die Grautöne entstehen sozusagen in Prozess der
        Auseinandersetzung ohnehin.

Ich möchte aber nochmal darauf hinweisen, dass ich deine Analyse nicht
einfach für "zu negativ" gehalten habe. Das wäre ja ein bisschen
billig. Ich halte sie schlicht in einigen Teilen für falsch und die
diametral entgegengesetzte Praxis belegt das m.E. eben auch. Ich würde
mir wünschen, dass ich in der Praxis relevant viele Gegenbeispiele
sehen kann.

Eine Theorie allerdings, die falsch ist, ist für niemensch hilfreich -
oder?

2.      Die von Dir beispielhaft angesprochene Totalität der
        Warengesellschaft kann im Zusammenhang mit der "Schwarzen
        Brille" tatsächlich zu Ausweglosigkeiten führen. Positives
        Denken, wird oft im Zusammenhang mit politischer Praxis
        gefordert - man müsse doch etwas tun, damit sich die Dinge
        ändern - und das kann man nicht mit der Ausweglosigkeit des
        eigenen Tuns vor Augen. Ich nehme mich selbst davon nicht aus.

        Wenn man in die Geschichte der Linken, insbesondere in deren
        Praxis zurückschaut und den Blick kursorisch schärft für den
        "verkorksten" Marxismus-Leninismus, der ins Gulag führte, das
        "Überlaufen" des kommunistischen, deutschen Proletariats zu
        den Nationalsozialisten 1936, das Stillhalten "im real
        existierenden Sozialismus" der DDR, den Marsch der 68'er durch
        die Institutionen, dann kann man natürlich versuchen, diese
        als "Extreme" verstandenen Mutationen einer linken politischen
        Praxis, vom Tisch zu wischen und einfach weiter Praxis machen.

        Man kann sich aber auch sagen: "Praxis? Wozu das alles. Lehnen
        wir uns zurück. Beobachten wir den Lauf der Dinge. Nehmen wir
        uns mal die Zeit zu überlegen und zu spinnen. 100 Jahre hin
        und her, was macht das schon?". Meiner Meinung nach, kann eine
        Pause von der Praxis nicht schaden, auch wenn dies die
        "Schwarze Brille mit Teerpappe statt getönten Gläsern"
        bedeuten würde.

Nach der Oekonux-Erfahrung würde ich heute sagen: Wir sind erst heute
an dem historischen Punkt angelangt, an dem der Kapitalismus an sein
historisches Ende gekommen ist, an dem er keine (positiven)
Entwicklungsperspektiven mehr zu bieten hat (was nicht heißt, dass er
jetzt einfach so verschwindet). Von daher hatte die gesamte
antikapitalistische Bewegung bis in unsere Zeit das Problem, dass ihr
eigentlich der positive Gegenstand gefehlt hat. Kein Zufall daher,
dass es leicht fällt, die ArbeiterInnenbewegung als integralen Teil
des Kapitalismus zu betrachten.

Eine Aufhebung des Kapitalismus kann m.E. nur gelingen, wenn er an
seine inneren Grenzen stößt. Und was dann kommt, ist m.E. vorher kaum
zu erahnen - auch wenn sehr schlaue Geister wie Marx auf die steigende
Verwissenschaftlichung, von der Freie Software m.E. ein
emanzipatorischer Niederschlag ist, hingewiesen haben. Das heißt aber
auch, dass die (aus dem Kapitalismus) lieb gewonnen Denkschablonen
einfach für diesen neuen Typ Vergesellschaftung nicht mehr taugen. Die
Freie-Software-Bewegung finde ich auch an dieser Stelle ausgesprochen
paradigmatisch. Um es zu verdichten: Eine Aufhebung des Kapitalismus
*kann* gar nicht so aussehen, wie sich die Linken das bis heute
(überwiegend) vorgestellt haben. Zu erkennen, wie sie aussehen kann,
dazu sind wir erst heute historisch in der Lage. Oekonux sehe ich als
einen Teil dieser Anstrengungen.

Beim anstehenden Brillenwechsel sitzen mir die Modelle wie unter 1)
und 2) beschrieben, etwas besser. Nachdem ich es in meiner Kindheit
und Jugend in der DDR ausreichend getragen habe (u.a. als Agitator in
der Pionierorganisation), kann ich mich für das rosarote Modell nicht
mehr erwären. Das ist sozusagen eine biografische Notiz und nicht als
Vorwurf an Dich gerichtet.

Ich weiß gar nicht, ob ich eine im moralischen Sinne rosarote Brille
aufhabe. Mir wird sogar vorgeworfen, dass eine auf Selbstentfaltung
beruhende Gesellschaft eben nicht automatisch alle moralischen
Probleme löst. Das halte ich aber offen gestanden für ein Feature -
nicht für einen Bug. Eine Vergesellschaftungsform, die nicht "das
Böse" / das Andere einschließt, hat kein Entwicklungspotential.

 rehzi

Vielen Dank für Deine Unterstützung. Wenn Du den CCC erwähnst, dann
erinnert mich das auch an den Ausgangspunkt meiner Überlegungen.
Nachdem ich die CCC-Kongresse in Hamburg und Berlin miterlebt hatte,
und mich dort auch wohlgefühlt und wahrscheinlich auch zugehörig
gefühlt hatte, wuchs nach und nach meine Distanz zum CCC und ich
begann zu fragen, was mich daran so fasziniert hatte. Daraus entsprang
später die Frage nach dem Zusammenhang von Computertechnologie und
Geschlechterverhältnissen.

Da scheint es auch ein ziemliches Missverständnis zu geben. Der CCC
und diese Szene hat herzlich wenig mit Freier Software zu tun.
StefanMz hat vor Äonen mal irgendwann diagnostiziert, dass die
CCC-lerInnen ein rein instrumentelles Verhältnis zu Freier Software
haben: Nutzt es ihnen oder nutzen proprietäre Lösungen mehr -
ansonsten sei es ihnen egal.

Nun war ich zwar weder auf einem CCC-Kongress noch hatte ich viel
(bewussten) Kontakt zum CCC (abgesehen vielleicht hier und da zu Andi
Müller-Maguhn). Mein Eindruck ist aber, dass der CCC sich auch durch
eine starke subkulturelle Komponente auszeichnet, die auch ganz offen
vertreten wird. Das empfinde ich bei dem, was ich von Freier Software
mitkriege, überhaupt nicht.

Von daher würde ich dafür plädieren, hier einfach bei der Analyse mal
kräftig zu differenzieren.

Ich fand dazu einige Auseinandersetzungen,
die oft aus der Perspektive von Frauen auf Frauen ausgerichtet waren
und oft Defizite schilderten, und die Frage erörterten, wie Frauen
dies "aufarbeiten" könnten. Ich hatte das Gefühl mit dieser Sichtweise
nicht weiterzukommen und aus der Erkenntnis heraus, dass eine
antipatriarchale Praxis (und Theorie) von allen Geschlechtern
geleistet werden muss, versucht die Texte "spiegelverkehrt" zu lesen.
Das Problem ist, dass ich nach wie vor mit der Dichotomie
"männlich-weiblich" arbeiten musste, um die Fragestellung einigermaßen
handhaben zu können.

Diese Dichotomie empfinde ich auch als problematisch. Ich habe so ein
bisschen den Eindruck, dass sie mehr verschleiert als bringt. Aber ich
bin da nicht sicher.

 Stefan

Und damit Stefan wird auch deutlich, woher die Vorgehensweise stammt,
die Du als "ideologisch" bezeichnet hast. Ich würde sie stattdessen
als "perspektivisch" bezeichnen wollen.

Na meinetwegen. Das Problem ist aber, dass dein Ergebnis sich nicht in
der Realität widerspiegelt - ich warte auf den Gegenbeweis. *Gerade*
wenn Einfluss auf die Menschen in der Freien Software genommen werden
soll, dann ist das aber ein verheerender Befund. Ich kann mir die
Reaktionen lebhaft vorstellen, die einige Freie-Software-AktivistInnen
auf diesen Text zeigen würden: Sie würden den Kopf schütteln und es
für noch viel ideologischer halten, als ich es tue. Damit erweist du
deinem Anliegen m.E. einen Bärendienst. Das finde ich BTW eigentlich
den tragischsten Aspekt von allen.

In der Einleitung zum Text
stand dann auch Zitat: "Der Untersuchungsgegenstand ist also
keineswegs neutral, er ist von persönlichen Interessen und Kontexten
geformt. Der folgende Text ist so angelegt, dass er von Subjektivität
nicht als wissenschaftlichen Betriebsunfall ausgeht, sondern
anerkennt, dass Erkenntnis immer auch perspektivisch ist."

Dummerweise hast du wohl ausschließlich deine Subjektivität vorkommen
lassen - zumindest was den Teil über Freie Software angeht. So sehr
ich deinen Ansatz teile, finde ich es ein bisschen sehr kurz, sich
auf sein eigenes Ich zu beschränken.

In der mir zur Verfügung stehenden Literatur habe ich nach einer
Argumentation zu meiner These "Computer als Männermaschine" gesucht.

Es tut mir Leid, aber solche Sätze klingen für mich extrem nach
Ideologieproduktion: Es soll nur noch ein von vorne herein
feststehende These belegt werden. Wäre es nicht sinnvoller, die Praxis
erstmal ausgiebig zu betrachten?

Ich habe eine bestimmte Perspektive des "Gesamtproblems" beleuchtet
und fand es spannend, dabei den Computer als Produktionsmittel in den
Mittelpunkt zu stellen, dass die Produktionsprozesse grundlegend
verändert. Ich denke, dass hierzu grundsätzliche Forschungen und
Diskussionen notwendig sind, die die marxsche (und deren
Interpretationen) politische Ökonomie kritisch erweitern. Das kann ich
allerdings nicht leisten. Ich hatte aber das Gefühl, einen kleinen
Teil zur Kritik des verwildernden Patriarchats (Scholz) beitragen zu
können.

Soviel zum allgemeinen, nun noch einige Worte zum konkreten:

Anyway frage ich mich, wieso Leute wie sie sich nicht groß
angelegte
Gedanken über Dinge wie Briefmarkensammeln, die Pflege von
Schrebergärten oder Amateuer-Bands machen. Warum sind sie davon
nicht
genauso irritiert wie von Freier Software? Da gibt es schon ein
paar
strukturelle Ähnlichkeiten. Kommt auch explizit vor:
Wie soll ich das kommentieren? Es ist eine Beleidigung.

Schon wieder eine Beleidigung. Seltsame Brille.

Das ist offensichtlich ein Missverständnis. Im Rahmen der e-mail
sah es so aus, als sei mit "Leute wie sie" ich gemeint gewesen, da mir
bereits vorher die Kompetenz abgesprochen wurde und ich für eine "sie"
gehalten wurde. Das war also schlichtweg ein Missverständnis
meinerseits. Ich fühle mich an diesem Punkt also nicht mehr beleidigt.

Gut. Ich würde mich freuen, wenn wir die schlechten Gefühle - die ich
ja auch hatte und für die sich BTW auch keineR entschuldigt hat -
vielleicht jetzt durch haben.

[...]

Du fragst:
Was ich nicht verstehe: Was ist das Besondere an Freier Software,
dass
hier großartig nach Motivationen geforscht wird, während es bei
Amateuer-MusikerInnen, Hobby-GärtnerInnen und BriefmarkensammlerInnen
keinen zu interessieren scheint? Das ist keine rhetorische Frage.

Das besondere an Freier Software ist, dass sie im Gegensatz zu
Briefmarkensammeln oder Gartenpflege, im für den postfordistischen
Produktionsprozess paradigmatischen Bereich der Computertechnologie
angesiedelt ist.

Klar. Aber warum wird dann hier nach *Motivationen* geforscht, die
anderswo als selbstverständlich hingenommen werden? Das ist mir immer
noch nicht klar. Warum kann es nicht so sein, dass Freie Software aus
genau den selben kapitalismusfernen Motivationslagen heraus geschaffen
wird, wie die genannten Tätigkeiten? Warum muss hier - m.E.: mit aller
Gewalt - die Geldlogik drauf projiziert werden und anderswo nicht? Nur
weil Freie Software auch im Rahmen der Geldlogik erfolgreich ist? Oder
warum?

Eine der Erkenntnisse von 30 Jahren feministischer Forschung ist z.B.,
dass ganz wesentliche Anteile der gesellschaftlich notwendigen
Tätigkeit unbezahlt (und großteils von Frauen) erledigt werden -
klassisch: produktiv / unproduktiv. M.E. gehört Freie Software
eindeutig in diesen Bereich der unbezahlten Arbeit. Warum wird dieses
Ergebnis feministischer Forschung nicht verwendet und analysiert?
Fände ich *viel* spannender.

Es findet eine ständige Grenzüberschreitung zwischen
"Arbeit" und "Freizeit" statt,

Was meinst du denn damit? Ich kann diese Grenzüberschreitung nicht
erkennen, wenn Freie Software in der Freizeit entwickelt wird - was
zumindest einen erheblichen Anteil ausmachen dürfte. Leider gibt es
hierzu keine (mir bekannten) Zahlen.

die eine neue Qualität der Verwertung
darstellt.

Was meinst du eigentlich mit Verwertung? Nicht-kommerzielle Freie
Software (aka Doppelt Freie Software) fällt m.E. eben aus der
Verwertung raus - zumindest aus dem Begriff von Verwertung, den die
WertkritikerInnen meinen und auf den sich also auch Roswitha Scholz
bezieht.

BTW: Wie ich schon angedeutet hatte, scheinen mir unsere Differenzen
vor allem in solchen Fragen zu liegen. Dass die Männer in der Freien
Software stark dominieren, habe ich ja nie bestritten.

Ich hatte das Gefühl, diesem Problem mit Bordieus Thesen
vom sozialen Kapital und räumlicher Segregation partiell beizukommen.
Der Frage nach dem Anteil von Arbeit in der "Freizeitaktivität" habe
ich versucht, mich mittels der wertkritischen, Scholzschen Lesweise
anzunähern. Ich bin mir nicht sicher, ob das gelungen ist und arbeite
im Moment an einer Präzisierung.

Zu den Schwierigkeiten hatte ich schon etwas gesagt.

Was ich hier noch hinzufügen möchte: Bei einer Bewerbung wird ganz
allgemein empfohlen, außerberufliche Qualifikationen anzugeben.
Soziales Engagement zum Beispiel. D.h. die scharfe Trennung zwischen
beruflichen und privaten Aspekten des eigenen Marktwerts wird
eigentlich ohnehin nicht empfohlen, sondern vielmehr das Gegenteil.
Mein Eindruck ist, dass Freie Software sich in diesem Aspekt nicht
wesentlich von anderen Berufsfeldern unterscheidet. Der einzige
Unterschied dürfte darin bestehen, dass die Produktionsmittel, die für
diesen Typ Tätigkeit benötigt werden, eben mittlerweile flächendeckend
bei den Leuten zu Hause stehen.

Eher kann man es in Ihrer Diktion "als trivial"
bezeichnen.

Gut. Das denke ich aber in der Tat auch. Freie Software ist in
vielerlei Hinischt ein (ziemlich unbeeinflusster) Spiegel
gesellschaftlicher Realität. Und in dieser gesellschaftlichen
Realität ist es halt so, dass männliche Rollen im Durchschnitt eher mit
Technik in Verbindung gebracht werden. Dann wundert es mich ehrlich gesagt
nicht, dass TrägerInnen nicht-männlicher Rollen da eher kein
Interesse daran haben, sondern das halte ich dann für das, was zu erwarten ist.


Bloß weil es keine Neuigkeit zu sein scheint, heißt das noch lange
nicht, dass es nicht notwenig ist, sich damit kritisch auseinander
zusetzen. (Feministische) Kritik muss immer wieder neu ansetzen, denn
die Diskussionen der 70er haben Veränderungen hervorgerufen. Siehe
mail von Rehzi.

Das habe ich ja alles nie bestritten. Nur bitte so, dass es dem
Gegenstand auch angemessen ist. Wilde Behauptungen nutzen niemensch
was und schaden im schlimmsten Fall dem eigentlich verfolgten
Anliegen.

Der veränderten Situation argumentativ beizukommen,
wird durch eine Erweiterung des begrifflichen Instrumentariums
ermöglicht. Deshalb lohnt es sich immer wieder über angebliche
"Trivialitäten" kritisch zu reflektieren.

Völlig d'accord. Ich komme allerdings in letzter Zeit immer öfter
dazu, die Allgegenwärtigkeit solcher Trivialitäten zu betonen, um ihre
Existenz entgegen der Ideologie der Geldlogik zu belegen. Z.B. eben,
dass Menschen in vielen Bereichen des Lebens nicht durch Geld
motiviert sind, sondern durch ganz andere Größen. Familie mit Kindern
fällt mir da immer noch als heftigstes Beispiel ein.

Also ich beschränke mich hier mal auf den Begriff HackerInnen in der
Computer-Variante. Ich verwende den Begriff HackerInnen aber für
weiter.
Nur noch kurz dazu ein sehr IMHO lesenswerter Text von Claus Pias "Der
Hacker", http://www.xcult.ch/texte/pias/hacker.html

Muss ich mal lesen.

Mir geht es um die Beschreibung von Strukturen. Und die existierten/
entwickelten sich sicher auch schon vor 1999.

Eben nicht. Wenn du das ernsthaft behauptest, dann müsstest du
beweisen, wie Linus Torvalds bei seinen ersten Postings an
`comp.os.minix'(?) eine Steigerung seiner Verwertbarkeit im Sinne
hatte - um mal ein prominentes Beispiel zu wählen. Jedenfalls
beschreibt er es in seinem Buch durchaus anders. Da war der Aspekt
Selbstentfaltung *eindeutig* dominant.
Das ist Schattenfechterei. Ich habe doch bereits geschrieben, dass ich
mich auf die Studie von Lerner und Tirole 2002 beziehe. Ich schätze
wir beide lesen sie in verschiedene Richtungen. Anders kann ich es mir
nicht erklären. Ich fange jetzt nicht an zu erklären, was Torvalds im
Sinn hatte oder nicht.

Schade. Das würde mich nämlich *brennend* interessieren. Insbesondere
wie du erklärst, dass das in der subjektiven Praxis der Freien
Software als extremes Randthema vorkommt. Sind die alle zu doof zu
kapieren was sie machen oder wie geht die Argumentation?

Ja, mit der Zeit merken die EntwicklerInnen, dass sie es vielleicht
auch mal verwerten könnten *und* dass es auch politische Aspekte gibt
- - was der eigenen Verwertung ja eher nicht zuträglich ist. Der
*Einstieg* beruht aber eben nicht auf dem Versprechen von Reichtum
und Macht.
Ich könnte darauf antworten: "Okay, der Antrieb von Open Sourcelern
ist der Wille zur Selbstentfaltung. Warum selbstentfalten sich so
viele Männer ausgerechnet in diesem Bereich und nicht zum Beispiel in
der abgespaltenen Sphäre (z.B. der Hausarbeit?)"

Nun, du behauptest ja, dass Freie Software nicht in den abgespaltenen
Bereich gehört. Ich bin da durchaus anderer Meinung und mir fehlt nach
wie vor der klare Wertbezug Freier Software, der sich wesentlich von
zahlreichen anderen solcher Beispiele abhebt.

Aus meiner Perspektive müsste die Frage lauten: Wieso fangen Männer
sich plötzlich an, im abgespaltenen Bereich zu engagieren? Mit der
Abspaltungstheorie im Hintergrund - die ich offen gestanden für ein
wenig holzschnittartig halte - fände ich das jedenfalls eine äußerst
spannende Fragestellung.

Daraufhin S.Merten: "Das ist doch trivial"

Die Dominanz männlicher Sozialisationen ist m.E. auf Grund der
Genderisierung der Gesellschaften zu erwarten. So gesehen ist das
trivial. Interessant finde ich die Frage nach den unterschiedlichen
Geschlechtsanteilen im Beruf und in der Selbstentfaltung.

Daraufhin ich: "Nö. Die Selbstentfaltung in der Open Source Community
scheint attraktiver (für Männer) als im abgespaltene Bereich. Warum?"
Usw.

Wie bemerkt: Unsere Differenzen liegen gar nicht so sehr in der
Gender-Frage sondern in einer Einschätzung des Phänomens Freie
Software. Da unterscheiden wir uns allerdings erheblich.

Auf den Komplex Wertabspaltung, Abstrakte und konkrete Arbeit, werde
ich später eingehen. Vielleicht in Form eines Extra-Textes oder als
Präzisierung des entsprechenden Kapitels von "Open Source - Open
Gender?". Das braucht allerdings noch einige Überlegungen und
entsprechende Zeit. Falls hierzu konstruktive Kritik an meiner
Lesweise besteht, würde ich diese gern diskutieren.

Ich hoffe, einen Beitrag geleistet zu haben.

Leider kann ich
mit der "Keimform"-These wenig anfangen, zumindest scheint sie im
Rahmen meines Ansatzes nicht wirklich hilfreich.

Ich würde mir wünschen, dass du dir einfach mal die Praxis der
Freie-Software-Bewegung anschaust.

Sorry an diejenigen, denen 4 Seiten Text zuviel sind. Ich kann leider
nicht sehr zeitnah auf einzelne e-mails antworten und habe mich
gestern Nacht Nochmal hingesetzt, in dem Versuch präzise zu sein.

Schwierige Fragen und komplexe Diskurse lassen sich halt nicht in drei
Sätzen abhandeln. Dass wir uns im Kreis drehen, denke ich auch nicht.
Von daher finde ich deinen Beitrag zur Debatte einen wichtigen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
___________________________
Unread: 82 [ox], 21 [ox-en]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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