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[ox] Freie Software und Eigentum an Informationsguetern



Liebe Leute,

ich bin relativ kurzfristig gebeten worden, auf dem so genannten
Vormittagsseminar "Patent und Copyright: Das virtuelle Öl des 21.
Jahrhunderts" der (deutschen) ATTAC-Sommerakademie
[http://www.attac.de/sommerakademie2003/] zwei Beiträge beizusteuern.
Zumindest für einen solchen Rahmen hatte ich da noch nichts
vorbereitet, so dass ich in den letzten Tagen kurzfristig was
zusammenstellen musste.

Darüber hinaus finde ich aber das Thema Eigentum immer wichtiger. Wenn
ich es in klassischen Terms ausdrücken will, dann würde ich sagen:
Leute mit revolutionärem Anspruch und reformistischem Tatendrang
müssten sich heute eigentlich auf dem Gebiet geistigen Eigentums
engagieren. Hier findet momentan konkret greifbar die
Auseinandersetzung zwischen dem alten Regime und den neuen
gesellschaftlichen Möglichkeiten statt. Hier wäre also Eingreifen
sinnvoll.

Gleichzeitig gibt es bei uns hier keine wirklich breite Diskussion zu
diesem Thema. Finde ich schade, aber vielleicht wird's ja. Ich fände
es auch super, wenn wir mittelfristig ein paar Folien zu diesem Thema
zur Kladde hinzufügen könnten.

Auf jeden Fall sende ich anbei nochmal rum, was ich mir bis eben für
die beiden Beiträge überlegt habe. Die Absätze ohne "o" vorne dran
sind nur Gedächtnisstützen für mich und nicht auf den Folien.

Kommentare sind auf jeden Fall erwünscht und vielleicht kann ich ja
damit auch ein wenig Diskussion anstoßen. Gute Gedanken kann ich bis
ca. Mittwoch auch noch aufnehmen (ich muss wohl materielle Folien
machen :-( ).


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Freie Software und geistiges Eigentum
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Stefan Merten <smerten oekonux.de>

Hintergrund: Oekonux
--------------------

o    Prinzipien der Entwicklung Freier Software

o    Deren Potential für eine gesellschaftliche Entwicklung

o    Besteht seit Mitte 1999 als virtuelles Diskussionsprojekt

o    http://www.oekonux.de/

o    3. Konferenz 20.-23. Mai 2004 in Wien

Freie Software und geistiges Eigentum
=====================================

Copyright vs. Copyleft
----------------------

o    Freie Software stützt sich auf das Copyright

          Inklusive dessen Einklagbarkeit

          Wenn auch noch nie vor Gericht getestet, aber vorgerichtlich
          schon oft

o    Dreht aber den Sinn von Copyright um

          Entzieht nicht Rechte sondern gibt sie

          GPL erzwingt sogar deren Gestattung

o    Form: Lizenz

     o    Wichtigste Lizenz: Gnu GPL (General Public License)

               Diese erzwingt die Vererbung der Rechte auf abgeleitete
               Werke

               Nach Statistiken stehen über 50% der Freien Software
               unter dieser Lizenz

     o    Es gibt weitere Lizenzen

               Wichtige Unterscheidung: Vererbung auf abgeleitete
               Werke oder nicht

Copyleft ist ein genialer Trick

          Dadurch wird Freie Software auf rechtlichem Boden
          unangreifbar

Software-Patente vs. Freie Software
-----------------------------------

o    Copyright geben Monopol auf eine bestimmte Ausdrucksform

          D.h.: Die gleiche Idee in einer anderen Ausdrucksform ist ok

o    (Software-)Patente geben Monopol auf eine Idee

          Andere Patente schützen eigentlich deren technische
          Umsetzung

o    Eine Idee kann aber auch in Freier Software verwendet werden

o    Problempotential für EntwicklerInnen

          Diese können tendenziell durch die PatentinhaberInnen
          verklagt werden

Software-Patente bilden eine Gefahr für Freie Software

Praxis Freier Software
======================

Informationsfluss in der Freien Software
----------------------------------------

o    Alles liegt offen

     o    Offene Quellen

               Programm-Code liegt in menschenlesbarer Form vor

     o    Soziale Interaktion

               Ist in der Regel öffentlich

               Mailing-Listen

o    Daher: Niedrige Einstiegsschwelle

          Niemensch muss sich in die Entwicklung einkaufen

          Niemensch muss Non-Disclosure-Agreements zustimmen

          Fähigkeit auf dem jeweiligen Gebiet braucht es natürlich
          immer

o    Jedes Eigentumsregime müsste diese Offenheit zerstören

          Zur Begründung siehe den weiteren Beitrag

Freier Informationsfluss bildet fundamentale Grundlage

Informationsgüter
-----------------

o    Materielles Substrat ist notwendig

          Buch, CD, Gehirn

o    Materielles Substrat ist nicht entscheidend

     o    Kopierbarkeit

               War immer gegeben

               Heute besonders einfach für digitale Information

     o    Informationsgut wird durch Verbreitung nicht weniger

o    Informationsgüter waren immer wichtig

          Wissen auch z.B. bei Handwerkern

o    Informationsgüter sind heute von entscheidender Bedeutung

          Weil auf dem aktuellen Produktivitätsniveau ohne
          Informationsgüter materielle Güter nicht mehr denkbar sind

Informationsgüter unterscheiden sich fundamental von materiellen
Gütern

          Dieser fundamentale Unterschied hat entscheidende Folgen

Kreativität braucht Freiheit
----------------------------

o    Produktion von Informationsgütern ist wesentlich kreatives
     Schaffen

     o    Nicht-kreative Anteile erledigt der Computer

               Ähnlich wie Verlagerung der lästigen Anteile
               körperlicher Tätigkeit auf Maschinen

o    Grundlage kreativen Schaffens ist Selbstentfaltung

     o    Selbstentfaltung ist Ausleben individueller Freiheit

o    Geistiges Eigentum schränkt Selbstentfaltung ein

          Durch Verknappung / Geheimhaltung

o    Erfolg Freier Software demonstriert die Leistungsfähigkeit

          Hohe Qualität entsteht genau durch Selbstentfaltung

Geistiges Eigentum schadet der Kreativität

Freie Software zeigt:
---------------------

o    Ohne Verknappung blühen Informationsgüter auf

          Auch in anderen Bereichen: Wissenschaft, Musik, Kochrezepte

o    Entfremdete Anreize sind überflüssig

          Motivation wird durch entfremdete Anreize sogar gestört

o    Nutzen für viele ist sehr hoch

          Breite Benutzbarkeit

          Breite Bildungsmöglichkeiten im Software-Bereich

o    Nutzen für einzelne ist sehr hoch

          Produktqualität ist höher ohne Verknappung

Freie Software ist eine Keimform

          In ihr zeigen sich exemplarisch neue Qualitäten

Lebensqualität braucht Kreativität
----------------------------------

o    Hohe Produktqualität ist eine Folge hoher Kreativität

o    Der Informationsgesellschaft ist Produktion von
     Informationsgütern wesentlich

     o    Der Industriegesellschaft ist Produktion materieller Güter
          wesentlich

     o    Die wesentliche Produktion dominiert das gesellschaftliche
          Ganze

Geistiges Eigentum schadet der Menschheit

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Pro und Kontra geistiges Eigentum
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Stefan Merten <smerten oekonux.de>

Eigentum
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Eigentum wozu?
--------------

o    Erweitert Freiheit über Verfügungs- / Nutzungsmöglichkeiten

o    Schränkt Freiheit für die Nicht-EigentümerInnen ein

          Positiv: Materieller Konsum, Geheimnisse

     o    Nutzung oder Eigentumsübertragung nur unter Bedingungen
          (Kauf oder Lizenz)

o    Nutzungsausschluss ist Kern des Eigentums

          Besonders augenfällig bei Informationsgütern (Lizenz)

o    Bei Informationsgütern fehlt die stoffliche Begründung

          Stoffliche Begründung ist bei materiellen Gütern auf Grund
          ihrer exklusiven Nutzbarkeit gegeben

Geistiges Eigentum dient ausschließlich der künstlichen Verknappung

Materielle vs. Informationsgüter
--------------------------------

o    Materielle Güter unterscheiden sich fundamental von
     Informationsgütern

          Materielle Güter verbrauchen sich durch Nutzung

          Informationsgüter vermehren sich durch Nutzung sogar
          tendenziell

o    Mangels sachlicher Knappheit ist Verwertung von
     Informationsgütern schwierig

          Knappheit ist die Grundvoraussetzung für Verwertung

          Ohne drakonische Maßnahmen bricht deren Verwertung
          tendenziell zusammen

          Das ist die Angst der Musikindustrie

o    Eigentum an materiellen Gütern ermöglicht deren Nutzung

o    Eigentum an Informationsgütern verhindert deren Nutzung

Informationsgüter und digitale Kopie
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o    Geistiges Eigentum ist historisch relativ jung

          Geistiges Eigentum ist synonym für Eigentum an
          Informationsgütern

     o    Entstand mit der Verwertbarkeit von Informationsgütern

               Bücher, Schallplatten und Vorläufer

     o    Kopieren war schon immer "das Problem"

o    Bisher: Massenhaftes Kopieren nur mit großen Produktionsmitteln

          Monopol an großen Produktionsmitteln sichert Monopol über
          die Kopierbarkeit

          Historisches Beispiel: Tonbänder und CompactCassette wurden
          von der Musikindustrie als Bedrohung wahrgenommen, da sie
          deren Monopol an Produktionsmitteln in Frage stellten

o    Jetzt: Digitale Kopie flächendeckend verfügbar

     o    Via Computer für jeden Haushalt

               Computer sind wesentlich Kopiermaschinen

     o    Via Internet im globalen Netz

               Internet ist wesentlich ein globales Fernkopiernetzwerk

Digitale Kopie bildet einen historischen Wendepunkt

          Genauer: Deren flächendeckende Verfügbarkeit

          Monopol auf Kopiermaschinen unwiderruflich gebrochen

          Eigentumsregime wird für Informationsgüter de facto
          ausgehebelt

Pro und Kontra geistiges Eigentum
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Pro: Ermöglicht Kapitalverwertung
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o    Indem künstlich Knappheit erzwungen wird

o    Die dann gegen klingende Münze aufgehoben wird

o    Nutznießer ist die Verwertungsindustrie

          Bei Musik: Und nicht etwas die KünstlerInnen

          Schon gar nicht die ohne Plattenvertrag

          Bei Software: Stichwort Informationsrente

o    Heute nur noch mit drakonischen Maßnahmen durchsetzbar

Ist die Welt des Geldes noch möglich?

Kontra: Zur allgemeinen Reichtumsmehrung
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o    Freie Software zeigt beispielhaft

     o    Freier Fluss an Informationsgütern nutzt allen

               Freie Software nutzt allen, die sie nutzen wollen

     o    Ohne Knappheit entsteht mehr Reichtum

               Selbstentfaltung als Grundlage schafft bessere Freie
               Software

o    These: Dies gilt tendenziell für alle Informationsgüter

     o    Wissenschaft postuliert dies schon lange

               Auch wenn es da in der Praxis harte Grenzen gibt

     o    Andere Beispiele zeigen dies ebenfalls

               Kochrezepte

Eine andere Welt ist besser!


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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