Re: [ox] Glasperlenspiel
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Sat, 16 Nov 2002 20:48:01 +0100
Hi Uli und alle!
2 months (76 days) ago Uli Holz wrote:
Aufgrund von Franz Nahradas Antwortmail machte ich mich vor kurzem mal
auf, um in meinen alten Büchern das Glasperlenspiel von Hermann Hesse
wieder auszukramen.
Das habe ich sogar mal zu ca. 2/3 gelesen. Ist aber schon ziemlich
lange her.
Nun zu meinen Ideen.
Was mir an der heutigen Gesellschaft auffällt, ist das Fehlen eines
magischen Momentes. Indem ich mich in der Welt umschaue, erlebe ich
eigentlich eine gewisse Resignation, was Veränderungen angeht. Man
scheint das Ziel erreicht zu haben, wo es den Menschen am besten
geht. Die Demokratie ist erreicht, man hat (jedenfalls in Europa)
eine gewisse Synthese zwischen Sozialismus und Kapitalismus erreicht
und der Konsum erreicht ungeahnte Höhen.
Verstehe ich dich richtig, wenn du so etwas wie eine Aufbruchstimmung,
eine Vision vermisst? Da könnte ich dich ggf. nur bestätigen. Manchmal
habe ich den Eindruck, dass es wohl kaum visionslosere Zeiten gegeben
kann als unsere - zumindest seit dem Beginn der Aufklärung und
zumindest in den positiven Varianten. M.E. auch eine Erklärung dafür,
warum die hauptamtlichen Visionisten von Seiten Sekten / Eso / etc.
solchen Zulauf bekommen.
Die letzten Wehen eines
Umbruchs habe ich eigentlich nur in den 70 und frühen 80ern erlebt,
als die Musik und Literatur etc. experimentellen Charakter annahm.
Ich traf mich damals zum Beispiel irgendwo mit Leuten und man machte
Musik, ob man ein Instrument konnte oder nicht. Irgendwann ergab
sich aus dem Zusammenspiel tatsächlich ein hörbares Erlebnis.
Das letztemal, als ich so eine Wirkung verspürte, war auf dem
Linuxtag, ein Grund warum ich hier mal poste, irgendwie eine
Synthese zwischen Akademie und Welt.
Auf welchem LinuxTag warst du denn? Nach meiner Wahrnehmung hat sich
der Euphorieanteil auch dort mittlerweile gelegt. Aber als einer, der
die LinuxTage schon lange verfolgt - ich wohne ja im Geburtsort des
LinuxTags :-) - kann ich bestätigen, dass am Anfang die Euphorie bei
allen ziemlich groß war.
Das ist auch der Punkt, der
mich an GNU/Linux so begeistert. Es geht mir dabei nicht darum, ob
dieses System in irgendeiner Weise den geschäftlichen Modellen eines
Officepaketes entspricht oder ob die Quellen was kosten oder nicht,
sondern der spielerische Moment, wie dieses System entstand.
Ich finde diesen spielerischen Moment auch wichtig. Jemensch meinte
mal zu mir, was sie an den InformatikerInnen so fasziniere, sei dieser
spielerische Umgang mit der Welt. Und als Informatiker mit
langjähriger Berufspraxis kann ich nur sagen, dass die zwei
wichtigsten Eigenschaften einer InformatikerIn Faulheit und
Verspieltheit sind. Erstere liefert den Antrieb, die Lästigkeiten
abzustellen und letztere die Methode, dies neugierig und kreativ zu
tun.
Das ganze gibt einem das Gefühl an etwas beizutragen, wobei ich
nicht zu den begnadeten Kodierern gehöre, und eine gewisse Hoffnung
an ein System, das nicht sofort in geschäftliche oder militärische
Ideen einzubinden ist, sondern vielleicht einen gewissen 'magischen
Moment' verspricht.
Ich höre hier auch das Bedürfnis heraus, zu etwas Größerem zu gehören,
dass das eigene kleine Ich übersteigt. Ja, ich glaube, dass das ein
wichtiges menschliches Bedürfnis ist - kenne ich zumindest auch für
mich. Leider ist dieses Bedürfnis von üblen Systemen oft ausgenutzt
worden :-( .
Vielleicht wäre es mal eine Aufgabe, dieses Bedürfnis in einem
positiven Sinne aufzugreifen.
Ich möchte es hier mal dabei belassen, vielleicht ergibt sich ja eine
Diskussion.
Mein Cent.
Mit Freien Grüßen
Stefan
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