Message 05682 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05336 Message: 4/9 L2 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re[2]: [ox] Glasperlenspiel



Hallo Stefan Merten und Leute,

At Samstag, 16. November 2002 you wrote:

SM> Das habe ich sogar mal zu ca. 2/3 gelesen. Ist aber schon ziemlich
SM> lange her.

So, wie ich Hesse verstehe, hatte er eine tiefe Abneigung gegen das
damals bestehende Bildungssystem. Er erlebte, dass Leute, die über
nicht genügend Mittel verfügten, aber die als vielversprechende
Kandidaten einer Wissenschaftslaufbahn galten, nur über den Weg eines
theologischen Stipendiums zu einer entsprechenden Ausbildung kamen.
Das wird er so erlebt haben, denn nach 7 Monaten im Kloster Maulbronn
im theologischen Seminar, hatte er genug und setzte auf Flucht.
Im Glasperlenspiel liegt der Grundtenor in der Trennung von
Wissenschaft und weltlichem Leben, was sich nach Ansicht der
Mitwirkenden gegenseitig ausschliesst. Die Hauptfigur entschliesst
sich nach langem Zögern, eine Synthese dieser beiden Welten
einzugehen. Er will sein Wissen den Leuten in der Stadt weitergeben
und verlässt den Elfenbeinturm.
Das lehnt sich m. E. an Platons Idee des Pädagogen an.

  Indem ich mich in der Welt umschaue, erlebe ich
  eigentlich eine gewisse Resignation, was Veränderungen angeht. Man
  scheint das Ziel erreicht zu haben, wo es den Menschen am besten
  geht. Die Demokratie ist erreicht, man hat (jedenfalls in Europa)
  eine gewisse Synthese zwischen Sozialismus und Kapitalismus erreicht
  und der Konsum erreicht ungeahnte Höhen.

SM> Verstehe ich dich richtig, wenn du so etwas wie eine Aufbruchstimmung,
SM> eine Vision vermisst? Da könnte ich dich ggf. nur bestätigen. Manchmal
SM> habe ich den Eindruck, dass es wohl kaum visionslosere Zeiten gegeben
SM> kann als unsere - zumindest seit dem Beginn der Aufklärung und
SM> zumindest in den positiven Varianten. M.E. auch eine Erklärung dafür,
SM> warum die hauptamtlichen Visionisten von Seiten Sekten / Eso / etc.
SM> solchen Zulauf bekommen.

'Wenn der Mensch keine Vision hat, lohnt es sich auch nicht sich
anzustrengen', fällt mir da spontan ein.
Bisweilen habe ich das Gefühl, dass der Mensch grundsätzlich
unzufrieden ist, egal wie gut es ihm auch geht.
Schamanismus hatte eine sehr wichtige Funktion in alten Gesellschaften
und ich bin überzeugt, daß die Theologie diesen nicht ersetzen konnte,
weil diese vergaß, daß es auch einen Volksglauben gab, der etwas
anderst gestrickt war als ihrer.
Irgendwo geht man mittlerweile davon aus, daß die Wissenschaft auf alles
eine Antwort hat, aber bei jedem Problem tun sich 10 Neue auf.
Da gibt es eben eine verborgene Variable, schreib ich mal so.
Eine allumfassende Vision, wie das Land, wo Milch und Honig fließen,
halte ich für überzogen, aber es fehlen die Momente, die irgendwelche
neuen Ideen ankündigen.
Ich weiß noch, wie früher jeden Samstag irgendeine Demo war, für was
oder gegen wen auch immer. In der Schule hieß es dann immer, kommst du
mit zur Demo und man ging halt mit. War ne lustige Sache und es
förderte den Gemeinschaftssinn. An der Autobahn steht auch niemand
mehr mit einem Schild und trampt, ich halte es heutzutage eher für
gefährlich.
Ich denke, daß es heute viel leichter ist, die Leute auf Kommerz
einzuschießen, und das ist dann tatsächlich eine phantasielose Zeit.

SM> Auf welchem LinuxTag warst du denn? Nach meiner Wahrnehmung hat sich
SM> der Euphorieanteil auch dort mittlerweile gelegt. Aber als einer, der
SM> die LinuxTage schon lange verfolgt - ich wohne ja im Geburtsort des
SM> LinuxTags :-) - kann ich bestätigen, dass am Anfang die Euphorie bei
SM> allen ziemlich groß war.

Das war in Stuttgart 2001.
Tja, die Euphorie lässt immer nach, weil irgendjemand merkt, daß da
was zu holen ist und das Marketing anläuft.
Für mich viel interessanter waren die freien Vorträge auf hohem
Niveau, die der Allgemeinheit zu Verfügung gestellt wurden, und das ohne
horrende Summen oder Firmenschild. Das entspricht irgendwo Platons
oder Hesses Idee. Die Sichtweise kann aber auch an meiner romantischen Ader
liegen ;-)

  Das ganze gibt einem das Gefühl an etwas beizutragen, wobei ich
  nicht zu den begnadeten Kodierern gehöre, und eine gewisse Hoffnung
  an ein System, das nicht sofort in geschäftliche oder militärische
  Ideen einzubinden ist, sondern vielleicht einen gewissen 'magischen
  Moment' verspricht.

SM> Ich höre hier auch das Bedürfnis heraus, zu etwas Größerem zu gehören,
SM> dass das eigene kleine Ich übersteigt. Ja, ich glaube, dass das ein
SM> wichtiges menschliches Bedürfnis ist - kenne ich zumindest auch für
SM> mich. Leider ist dieses Bedürfnis von üblen Systemen oft ausgenutzt
SM> worden :-( .

 Nun, die westliche Idee geht vom Individuum aus, die östliche (die
 sich m.E. als einzige ihre Ursprünglichkeit bewahrt hat) von der
 Gruppenstandpunktswolke, was für die Leute dort, so scheint es, im
 Denken kein größeres Problem darstellt. Ich nehme mal als Beispiel
 einen Ameisenhaufen, von dem wir uns, laufe ich durch einen Bahnhof,
 nicht allzuweit entfernt haben ;-)
 Auch hier währe eine Synthese nicht unbedingt verkehrt, welche
 Emanzipation nicht ausschließt.
 Das verwundert mich übrigens immer noch an der Bezeichnung von
 Raymonds 'Kathedrale und Basar'. Ich sehe eine Kathedrale eher als
 Gemeinschaftsprojekt, in der jeder emanzipiert sein Bestes gibt,
 während ein Basar eher eine Anhäufung von Kaufleuten ist, mit
 zunehmender Konkurrenz.
 Wenn die Leute in einem Unternehmen nicht von einem Produkt, das
 nicht alleine hergestellt werden kann, überzeugt sind, wird die
 Motivation auch dementsprechend sein. Irgendetwas tolles
 zusammenzubauen und sei es ein Windrad, das das Dorf mit Strom
 versorgt, macht eben viel mehr Spaß.
-- 
Grüße
Uli Holz                            

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05336 Message: 4/9 L2 [In index]
Message 05682 [Homepage] [Navigation]