Re: [ox] Glasperlenspiel
- From: f.nahrada magnet.at (Franz J. Nahrada)
- Date: Sun, 01 Sep 2002 20:17:35 +0200
Hallo Uli,
mir erschien es wichtig hinzuweisen daß in Hesses Utopie ein ziemlich
ambivalentes Problem eine zentrale Rolle spielt:
Ursprünglich entsteht Kastalien (so etwas in naher Zukunft von uns) als
Gegensatz und gesellschaftliche Reaktion auf den "Feuilletonismus", einer
Entwicklung, die gewisse Analogien mit dem was wir heute unter
proprietären Medien, "Content Industrie" und "Exformation" kennen.
Hesse sieht diese Entwicklung sich verstärken, bis eine nicht näher
bestimmte Situation die Gesellschaft zur Einsicht bringt, daß man die
Entwicklung der Kultur auf einer institutionellen Basis aufbauen muß, die
die Freiheit der Wissenschaft (auch von kommerziellen und
Verwertungsinteressen) garantiert. Dazu kommt eine neue Technik Wissen zu
verknüpfen: das Glasperlenspiel ist sowas wie das Internet im Kopf, mit
dem sich relevante Zusammenhänge vertiefen lassen.
So kommt Kastalien in die Welt, für uns noch erträumbare Zukunft, für den
Protagonisten, den Magister Ludi Josef Knecht, eine ziemlich reale
Gegenwart mit der er zunehmend seine Probleme kriegt. Er nimmt wahr daß
sich die "freie" Entwicklung des Geistes ziemlich von den Lebensproblemen
der Menschen entfernt und einen durchaus elitären Charakter annimmt. Also
auch Scheiße.
Er kriegt also gerade mit der kastalischen Variante der Selbstentfaltung
ein Problem, die er als einer der führenden Repräsentanten des Ordens
garantieren soll. Zeitweise nimmt ihn die Vitalität eines vergleichsweise
dumpf - hierarchischen Ordens, der Benediktiner (die es dann auch noch
gibt) ziemlich her. Und am Schluß begeht er eine ausgesprochene
Kurzschlußreaktion, die ihn ziemlich menschlich erscheinen läßt: er möchte
zurück in die Situation des Erziehers, verdingt sich außerhalb von
Kastalien als Privatlehrer und ersäuft in einem See, bevor noch der
Unterricht begonnen hat.
Ich finde gerade diese Auseinandersetzung mit dem Problem der
Selbstentfaltung und ihrer Bedingungen den spannendsten Kern in Hesses
Utopie....
Franz
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