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Re: [ox] Zum Begriff der Herrschaft



Hi Benni und Liste!

Ich kürze mal ein bisschen die Stellen, wo ich denke, dass ich schon
etwas dazu gesagt habe.

2 days ago Benni Baermann wrote:
Was ich
sagen wollte, ist das für mich die Hintergründe einiger Positionen von
Dir klarer werden, ähnliches schreibst Du ja auch unten umgekehrt.

In der Tat spiegeln sich hier ein paar meiner Erfahrungen wieder, die
ich im Laufe vieler Jahre so gesammelt habe. Ob bzw. inwieweit es ein
Zerrspiegel ist und wie der ggf. entzerrt werden kann, würde ich gerne
mit euch klären :-) . Zumindest für mich halte ich es aber für
notwendig, diese Spiegelungen mal theoretisch zu fassen und nicht
einfach zu ignorieren. Warum ich das insgesamt für die hiesige
Theoriebildung für wesentlich halte, hatte ich ausführlich in meiner
gestrigen Antwort an StefanMz dargestellt.

Das
hat wohl wirklich ziemlich viel mit der Diskussion um Freie
Kooperation zu tun. Die wirkt immer noch nach.

Ich denke nicht, dass da etwas nachwirkt, sondern dass es hier einfach
einen Fragenkomplex gibt, auf den zumindest ich noch keine
befriedigende Antwort habe. Es ist schon spannend und wohl auch der
Grund dafür, warum mich das so elektrisiert: Seitdem ich über diesen
Komplex mal mit dieser Brille nachdenke, verstehe ich plötzlich viele
Dinge besser - und eben nicht nur solche, die voll und ganz der
bürgerlichen Gesellschaft entspringen - siehe Liebespaarbeispiel. Die
Freie Kooperation hilft mir überhaupt nicht zu verstehen, wie die
beiden Liebenden mit ihrer Beziehung umgehen - wenn ich die
Liebesbeziehung nicht als platten Deal betrachten will.

Ansonsten siehe die Spiegelmetapher.

On Thu, Sep 05, 2002 at 09:10:53PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Ich dachte, dass du deswegen
genauso auf der Liste bist wie ich und viele andere? Ich kenne meine
Position am Ende einer solchen Diskussion jedenfalls nicht. Du
scheinst dir da hingegen schon sehr sicher zu sein.

Hm, naja schon. Aber manchmal werden halt Schmerzgrenzen überschritten
und dann ist einfach klar, dass ich das nicht teilen kann.
Erkenntnisgewinn ist natürlich trotzdem für keine Seite
ausgeschlossen. Ich wollte das Überschreiten dieser Schmerzgrenze
schon deutlich machen, damit Du weisst woran Du bist.

Nun, wenn mir eins klar war, dann das: Dass hier Schmerzgrenzen
überschritten werden. Offen gestanden hatte ich sogar Sorge, dass
Leute gehen, die (mir) wichtig sind - hoffen wir, dass das nicht noch
passiert.

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, dass das nicht Mutwilligkeit
war, sondern warum ich es für wichtig halte, diesen schmerzenden Teil
zumindest mal genauer anzuschauen. Hätte ich die Theorie schon gehabt,
die ich mir erhoffe, dann hätte es bestimmt auch nicht so weh getan.

Grundsätzlich zu
kritisieren ist der "Aussenstandpunkt" den Du sehr oft einnimmst und
als "Standpunkt des Sozialsystems" oder gar der "Sozialeinheit" (ein
besonders gruseliges Wort) bezeichnest.

Nun, der Außenstandpunkt ist nochmal etwas ganz anderes als der
systematische Standpunkt der Gruppe. Ein Außenstandpunkt ist eben ein
Standpunkt, der von außen an die Gruppe herangetragen wird - würde ich
jetzt mal so verstehen.

Falsch verstanden. Stefan Mz. hat das ja nochmal ausführlich
geschrieben, was ich meinte.

Siehe meine Antwort von gestern.

Aber das gibt mir Gelegenheit nochmal etwas Wichtiges in genau dieser
Debatte um Gruppenstandpunkt vs. Außenstandpunkt zu betonen: Vor allem
StefanMz spricht vor allem von Staat, Gottesreich, Kapitalismus, etc.
Und ich kann ihm da ja auch ganz überwiegend nur zustimmen - siehe
gestrige Mail. Hier gibt es auf der Ebene der Bewertung also im Grunde
überhaupt keinen Widerspruch. Deswegen bringt es auch nichts, da
ständig drauf zu insistieren.

Meine Beispiele sprechen dagegen erstmal oft von relativ kleinen
Sozialsystemen - Freie-Software-Projekte, Liebespaar, Oekonux. Davon
habe ich bisher insbesondere von StefanMz bisher leider nichts gehört
und mich würde *brennend* interessieren, was er dazu meint.

Ich hatte schon angedeutet, dass ich das für keinen Zufall halte: Die
Größe eines Sozialsystems - also mal platt die Zahl der Mitglieder -
hat Einfluss darauf, wie abstrakt das Sozialsystem ist - d.h. wie weit
die Institutionen eines Sozialsystems von seinen Mitgliedern entfernt
sind. Ein hoher Abstraktionsgrad birgt aber mehr Entfremdungspotential
als ein niedriger. Auch das stützt meine vorläufige These, dass vor
allem der Entfremdungsfaktor aus Herrschaft ein Problem macht.

Nun könnte mensch sich auf den Standpunkt stellen, dass alle
Sozialsysteme hinsichtlich der Herrschaft gleich sind und dann locker
schließen, dass was im Staat (aufgrund der Entfremdung) schief geht,
auch beim Liebespaar schief gehen muss. Das wäre dann wieder die
Argumentation der Freien Kooperation, dass alle Kooperationen /
Sozialsysteme gleich sind - nur von der anderen Perspektive her
gesehen. StefanMz hat aber m.E. sehr schlüssig gezeigt, dass das
zumindest für die Gesamtgesellschaft nicht gilt. Ich würde
mittlerweile meinen, dass es hier ein Kontinuum gibt, in dem sich die
Punkte durch den Entfremdungsgrad unterscheiden und dieser seinerseits
erheblich durch den Abstraktionsgrad bestimmt ist.

Mein Plädoyer wäre also, unterschiedliche Sozialsysteme differenziert
zu betrachten und nicht alles über einen Kamm zu scheren.

Mal nebenbei: Das ist so eine rhetorische Figur die Du oft bringst:
"Lies nur noch mal deutlich, dann wirst Du meine weisen Worte
einsehen." Sorry, aber so funktioniert das nicht mit Diskussionen.

Na, ich hoffe, dass ich das nicht so oft bringe ;-) . Was hier gemeint
ist: Versuche es nochmal mit einer anderen Lesart zu lesen.

Warum z.B. Herrschaft begrüßt werden kann, wird mir mit diesem Konzept
plötzlich schlüssig.

So macht das natürlich Sinn. Nur hilft mir das nur weiter, wenn ich
das Konzept dann auch kritisiere - und zwar in diesem Fall radikal.

Tue ich ja. Ich komme eben nicht beim Staat an :-) .

Die Frage ist hier, was radikal ist. "Von und zu den Wurzeln" hatten
wir mal in der LGK irgendwann definiert. Und wenn ich mit der
emanzipatorischen Hacke an die Wurzeln des Siebelschen Konzeptes gehe,
dann kann ich die Weiterungen Richtung Staat (z.B.) sehr gut
kritisieren.

Der W3C setzt Normen und diese Normen sind nicht nur ausdrücklich *im
Interesse* des Sozialsystems Internet, sondern auch nach meiner
Wahrnehmung ist das so. Der W3C nimmt damit als Institution den
Standpunkt des Sozialsystems ein und das wird auch von den
allermeisten so anerkannt. Du hast selbst schon betont, wie wichtig
Freie Standards sind. Nun ist eine der interessanten Dinge am W3C,
dass er - ähnlich wie bei Freie-Software-Projekten - über praktisch
keine Macht im Sinne von Zwangsmitteln verfügt, sich seine Normen aber
dennoch tendenziell durchsetzen.

Also das W3C hat sich ziemlich an den Interessen der grossen Konzerne
orientiert. Zu Zeiten des Browserkriegs bestand die Standardisierung
vor allem in einem Wettrennen wer welche proprietären Standards im W3C
durchsetzt.

Ach Benni, manchmal bist du zum Knutschen :-) . Du bringst genau das
Beispiel, wo eben diese Herrschaftsausgabe des Wirkens für das
Sozialsystem durch das W3C in Frage gestellt war - und zwar aufgrund
von partikularen, also gegenüber dem Sozialsystem entfremdeten
Interessen.

Die Partikularinteressen von M$ und N$ - ähm, Microsoft und Netscape
;-) - hatten hier (plötzlich) kein Interesse mehr an einer
übergreifenden Standardisierung, sondern brauchten
Alleinstellungsmerkmale für ihre Produkte, um ihre gegenüber dem
Nutzen der Produkte entfremdeten Geldinteressen durchzusetzen. Das
haben sie natürlich auch im W3C versucht. Vor einiger Zeit hatte ich
hier mal was zum W3C geschrieben
[http://www.oekonux.de/liste/archive/msg01016.html]. In den Gremien
des W3C sitzen die VerterterInnen von Partikularinteressen - nämlich
die Firmen. Diese haben hier versucht, den Standard in ihre Richtung
zu lenken.

Das W3C hat in dieser Situation dagegen geradezu vorbildlich versucht,
die Interessen des Sozialsystems Internet an einem einheitlichen und
nicht mit willkürlichen Gimmicks erweiterten Standard zu wahren. Und
sie haben es m.E. im Wesentlichen auch geschafft - auch mit
Unterstützung der Freien-Software-Szene übrigens, die dieses
übergreifende Interesse eben genauso vertritt wie das W3C. Ein
Paradebeispiel also dafür, wie Herrschaft, hier verstanden als
Durchsetzung der Interessen des Sozialsystems gegenüber
Partikularinteressen, wie Herrschaft ohne Domination auskommt. Das W3C
konnte nämlich weder M$ noch N$ zu einem anderen Verhalten zwingen -
sie hatten dafür schlicht keine Machtmittel. Und wir alle als
Mitglieder des Sozialsystems Internet hatten ja wohl gehofft, dass M$
und N$ mit ihren Partikularinteressen nicht durchkommen.

Ich behaupte mal: Wenn "wir" ein tiefes theoretisches Verständnis
(z.B.) dieses Vorgangs entwickeln, dann haben wir etwas (zumindest für
mich) Neues entdeckt, das nicht nur voll in die bisherige
Oekonux-Theoriebildung passt, sondern sie um ein ganz entscheidendes
Stück erweitert.

Das Ergebnis sind völlig zerstörte Standards im
Web-bereich. Das beruhigt sich erst so langsam wieder. Der Schaden der
da angerichtet wurde braucht wahrscheinlich Jahrzehnte um wieder zu
heilen.

Ich würde heute die Situation nicht ganz so dramatisch einschätzen wie
du. Dass eine Web-Seite auf jedem Brauser anders aussieht - falls du
das meinst - liegt erstens in der Logik von HTML, das eben als
inhaltliche Auszeichnungssprache konzipiert ist und eben nicht die
Darstellung regelt. Und zweitens liegt das an den zahllosen Bugs in
den Brausern, die sich nicht mal an die einfachsten Standards halten
:-( .

Warum schreibst Du eigentlich immer "Domination" anstatt
"Beherrschung"?

Beherrschung hat für mich zu viele Konnotationen, die ich noch nicht
alle überlegt habe. Domination scheint mir daher angemessener. Aber
darum will ich mich nicht streiten.

	s/Domination/Beherrschung/g if $youLike;

Ich nehme mal zur Kenntnis, dass mein sehr ernstes Bemühen um einen
Erkenntnisgewinn bei dir nicht angekommen ist :-( .

Dochdoch ist schon angekommen,

:-) :-)

3) "Repräsentation" ist etwas extrem problematisches. Ich finde es
gibt kaum eine größere Anmaßung als die der Repräsentation. "Wer wagt
es für mich zu sprechen?" antworte ich allen Repräsentanten dieser
Welt.

Nun, die RepräsentantInnen, denen du es explizit zubilligst, können
doch wohl für deinen Anteil an einem Sozialsystem sprechen - oder?

Wie soll das gehen "für meinen Anteil am Sozialsystem sprechen"?

Ist es eine Denkunmöglichkeit? Es kann doch sein, dass jemensch deinen
Anteil an einem Sozialsystem gut verstanden hat und dann dafür spricht
- oder? Bei (entfremdeten) Sozialsystemen, wo es um sehr einfache
Sachen wie z.B. Profitmaximierung geht, ist das ja im Zweifelsfall
super-simpel.

In komplizierteren Fällen ist es natürlich komplizierter - klar.
Asymptotisch könnte es aber auch dann möglich sein - oder? Die
Bedingungen dafür rauszukriegen fände ich spannend.

So
wie bei der Bundestagswahl? Dann in die Tonne damit.

Wieder das Problem mit den Beispielen, denen ich gar nicht
widersprechen würde.

Wenn ein
FS-Maintainer spricht, spricht er meist für sich. Ausnahmen gibt es
auch, aber das sind dann eher Projekte, die andere als das
Maintainerprinzip anwenden - und die sind btw. eher im wachsen
gegenüber dem klassischen Maintainerprinzip (Apache, Debian, ...).

Das wäre eben noch genauer zu untersuchen.

Für
dich als Person als Ganzes kannst sowieso bestenfalls du selbst
sprechen.

Sag ich ja. Ich möchte aber auch nicht, dass jemand über Teile von mir
spricht. Auch über z.B. meinen rechten Arm hab ich gerne volle
Kontrolle ;-)
                                 ^^^^^^^^^^^

Gerade in Deutschland eine sehr wichtige Sache ;-) .

Aus praktischen Erwägungen heraus kann man das Prinzip der
Nicht-Repräsentation sicherlich für sehr eng umrissene Aufgaben
aufheben, aber dann muss man immer sehr genau aufpassen, was da
passiert und es muss immer möglich sein, die Verfahren und
Institutionen zu ändern.

Meine Rede. Genau das zu untersuchen gehört zu meinem Anliegen.

Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Du erkennst prinzipiell "Herrschaft"
an um sie dann einzuschränken. Ich lehne sie prinzipiell ab um sie in
möglichst wenigen Fällen zuzulassen und vor allem: perspektivisch
abzuschaffen.

Dann bewegen wir uns ja immerhin aufeinander zu :-) .

4) Herrschaft bedeutet immer zeitlich dauerhaft gemachte Macht, sonst
ist sie keine.

Da bin ich unsicher, ob es Sinn macht das so bruchlos zu behaupten.
Auch Teil meines Anliegens, das genauer zu diskutieren.

Dazu hat Deine Mail aber nix beigetragen, weil Du den Zeitaspekt
komplett ignoriert hast.

Ich habe spätestens mittlerweile an verschiedenen Stellen auf den
Prozesscharakter des Gruppenstandpunkts hingewiesen.

Zum Schluss noch ein Plädoyer aus StefanMz' Mund: Auf der
Endbesprechung der letzten Konferenz hat StefanMz darauf hingewiesen,
wie wichtig es für Oekonux ist, die Irritationsfähigkeit zu erhalten.
D.h. für mich die Möglichkeit, auch mit unerwarteten Einwürfen
inhaltlich umzugehen und sie nicht einfach abzukanzeln, wie es in der
Linken ach so üblich (und ach so einfach!) ist. Die Offenheit, die
immer als wesentliche Qualität von Oekonux hervorgehoben wurde, steht
und fällt letztlich genau damit. Diese geistige Offenheit ist
letztlich der Garant dafür, dass "wir" nicht anfangen nur noch im
eigenen Saft zu schmoren - wie so viele der linken Sekten. Nun, ich
kann mich StefanMz' Plädoyer nur anschließen.

Ich bin auch sehr für Offenheit. Offenheit heisst aber nicht
Beliebigkeit sondern im Gegenteil auch gerade Schmerzgrenzen
aufzuzeigen.

Sure. Tue ich ja z.B. Hartmut gegenüber auch ;-) .

Im übrigen habe ich Deinen Beitrag gelesen und inhaltlich kritisiert
und nicht "abgekanzelt".

Sorry, wenn es so angekommen ist. Das richtete sich nicht an dich,
sondern war allgemein gehalten.

Was mich allerdings schon noch interessieren würde, wieso Du bei
meiner "Kooperenz"-Mail an Dein Herrschaftszeugs gedacht hast? Das ist
in meinem Kopf nämlich ziemlich abwegig ;-) Vielleicht ist das ja ein
Weg wie wir diese Diskussion produktiv machen können.

Kannst du mir mal einen Link ins Archiv geben? Auch wenn ich mich
momentan in diesem Thread hier ziemlich einbringe, so kann ich mir
(leider) keine Zeit mehr nehmen, die anderen Threads zu lesen :-( .
Die Konferenz braucht halt auch so langsam mehr Zeit.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
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