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Re: [ox] Zum Begriff der Herrschaft



Hi Stefan,

On Thu, Sep 05, 2002 at 09:10:53PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Gut das die endlich
ans Licht kommen.

Hier kommt nichts "endlich ans Licht". Ich habe ein Konzept zur
Diskussion gestellt - sonst nichts. 

Äh ja sorry, die Formulierung war etwas albern pathetisch. Was ich
sagen wollte, ist das für mich die Hintergründe einiger Positionen von
Dir klarer werden, ähnliches schreibst Du ja auch unten umgekehrt. Das
hat wohl wirklich ziemlich viel mit der Diskussion um Freie
Kooperation zu tun. Die wirkt immer noch nach.

Ich dachte, dass du deswegen
genauso auf der Liste bist wie ich und viele andere? Ich kenne meine
Position am Ende einer solchen Diskussion jedenfalls nicht. Du
scheinst dir da hingegen schon sehr sicher zu sein.

Hm, naja schon. Aber manchmal werden halt Schmerzgrenzen überschritten
und dann ist einfach klar, dass ich das nicht teilen kann.
Erkenntnisgewinn ist natürlich trotzdem für keine Seite
ausgeschlossen. Ich wollte das Überschreiten dieser Schmerzgrenze
schon deutlich machen, damit Du weisst woran Du bist.

Natürlich ist eine Herrschaft, die nur die
Interessen jedes Einzelnen vertritt kein Problem,

Schön, dass wir uns grundsätzlich einig sind, dass Herrschaft so
verstanden kein Problem ist. Da scheint mir eine gemeinsame Grundlage.

Ne, das ist keine gemeinsame Grundlage, weil ohne den nächsten
Halbsatz sinnverdreht:

nur wird es eine
solche eben nicht geben.

Entschuldigung, aber das erinnert mich fatal an: "Der Mensch ist
nunmal des Menschen Wolf und deswegen wird es eine emanzipierte
Gesellschaftsformation eben nicht geben." Hat m.E. auch genau den
gleichen Gehalt.

Jetzt verdrehst Du alles. Du sagst doch, dass es "Herrschaft nunmal
gibt", oder?

Grundsätzlich zu
kritisieren ist der "Aussenstandpunkt" den Du sehr oft einnimmst und
als "Standpunkt des Sozialsystems" oder gar der "Sozialeinheit" (ein
besonders gruseliges Wort) bezeichnest.

Nun, der Außenstandpunkt ist nochmal etwas ganz anderes als der
systematische Standpunkt der Gruppe. Ein Außenstandpunkt ist eben ein
Standpunkt, der von außen an die Gruppe herangetragen wird - würde ich
jetzt mal so verstehen. 

Falsch verstanden. Stefan Mz. hat das ja nochmal ausführlich
geschrieben, was ich meinte.

Der Standpunkt der Gruppe *kann* m.E. nur als
Innenstandpunkt gedacht werden. Ich glaube, dass das sehr leicht klar
wird, wenn du den Text nochmal ausführlich liest.

Mal nebenbei: Das ist so eine rhetorische Figur die Du oft bringst:
"Lies nur noch mal deutlich, dann wirst Du meine weisen Worte
einsehen." Sorry, aber so funktioniert das nicht mit Diskussionen. Es
ist nunmal so, dass man immer etwas anderes versteht, als der
Schreiber meint, darin liegt ebenso das Elend wie auch die Chance
jeglicher Kommunikation.

Ach so: s/Sozialeinheit/Gruppe/g und das Gruseln sollte verschwinden.

"Sozialeinheit" ist aber tatsächlich in dem Fall die ehrlichere
Variante, weil es ja genau darum geht diese Einheit herzustellen. Und
davor gruselt mir.

Warum z.B. Herrschaft begrüßt werden kann, wird mir mit diesem Konzept
plötzlich schlüssig. 

So macht das natürlich Sinn. Nur hilft mir das nur weiter, wenn ich
das Konzept dann auch kritisiere - und zwar in diesem Fall radikal.

Sklavenmentalität, die du hier wohl in Anschlag
bringen würdest, halte ich für ein bisschen dünn als Erklärung. Ganz
abgesehen davon, dass eine solche Sichtweise ein Menschenbild
konstituiert, mit dem ich mir eine emanzipierte Gesellschaftsformation
schlicht nicht mehr vorstellen kann.

Mit Sklavenmentalität meine ich eine Mentalität von Sklaven, die sich
nur vorstellen kann Herr anstatt des Herren zu werden und nicht die
Herrschaft ganz abzuschütteln. Das ist btw. auch historisch aus der
Antike bekannt, wo es jede Menge erfolgreiche Sklavenaufstände gab,
die jedoch niemals die Sklaverei abgeschafft haben. Von dieser
Mentalität entdecke ich tatsächlich einiges in Deinen Rechtfertigungen
von Herrschaft.

und seine
einzige Funktion ist und war in der gesammten Geschichte (insbesondere
der Moderne) die Legitimation von Herrschaft.

Wenn es ihn nicht gibt, dann kann er auch keine Funktion haben. Du
meinst vermutlich, seine ideologische Behauptung hat eine Funktion.

Ja, unsauber formuliert. Sorry.

Auch hier: Wenn du wirklich vertrittst, dass die Menschen *völlig*
eine Ideologie fressen, ohne dass die Ideologie auch nur irgendeinen
für die Menschen rationalen Kern hat, dann konstituiert auch das ein
Menschenbild, in dem ich Emanzipation prinzipiell nicht mehr für
möglich halte. Ich halte die Menschen nicht für so vollkommen
bescheuert. Jede Ideologie muss m.E. an etwas anknüpfen, was vor der
Ideologie da ist. Und genau darum geht's mir, das genauer raus zu
kristallisieren und Bedingungen zu finden, unter denen (z.B.) mit dem
Phänomen Herrschaft Emanzipation befördert werden kann.

Deine allgemeinen Ausführungen hier sind schon richtig. Nur
ausgerechnet das Beispiel "Herrschaft" ist nun wirklich nix woran man
anknüpfen könnte. 

In der Tat ist der Standpunkt des Sozialsystems eine wichtige
Grundlage für Herrschaft. Es kommt halt darauf an, was mensch unter
Herrschaft versteht. Meinetwegen können wir das übrigens auch
Hutzliputzli nennen. Mir geht es nicht um Worte sondern um Inhalte.

"Herrschaft" passt schon ganz gut, dass ist ja das erschreckende :-(

Mir sind noch weitere Beispiele eingefallen, die m.E. Herrschaft im
dargestellten Sinne konstituieren, mit der ich auch aus
emanzipatorischer Sicht kein Problem habe: W3C (World Wide Web
Consortium), FSF (Free Software Foundation), RFCs (Request for
Comments).

Der W3C setzt Normen und diese Normen sind nicht nur ausdrücklich *im
Interesse* des Sozialsystems Internet, sondern auch nach meiner
Wahrnehmung ist das so. Der W3C nimmt damit als Institution den
Standpunkt des Sozialsystems ein und das wird auch von den
allermeisten so anerkannt. Du hast selbst schon betont, wie wichtig
Freie Standards sind. Nun ist eine der interessanten Dinge am W3C,
dass er - ähnlich wie bei Freie-Software-Projekten - über praktisch
keine Macht im Sinne von Zwangsmitteln verfügt, sich seine Normen aber
dennoch tendenziell durchsetzen.

Also das W3C hat sich ziemlich an den Interessen der grossen Konzerne
orientiert. Zu Zeiten des Browserkriegs bestand die Standardisierung
vor allem in einem Wettrennen wer welche proprietären Standards im W3C
durchsetzt. Das Ergebnis sind völlig zerstörte Standards im
Web-bereich. Das beruhigt sich erst so langsam wieder. Der Schaden der
da angerichtet wurde braucht wahrscheinlich Jahrzehnte um wieder zu
heilen. 

Ähnliches gilt für die FSF in Bezug auf die Freie-Software-Gemeinde.
Wenn die FSF die GPL vor Gericht einklagt, dann setzt sie sogar über
den Staat vermittelt Dominationsmittel ein - das hat ThomasB ja
bereits hervorgehoben. Damit nimmt die FSF - und auch das formuliert
sie ziemlich explizit so - den Standpunkt des Sozialsystems
Freie-Software-Community (wofür sie ja im übrigen auch kritisiert wird
BTW).

Die FSF ist ein ganz anderer Fall, da die GPL kein technischer
Standard ist an den ich mich unter Strafe des Untergangs halten muss.

In beiden Fällen gibt es übrigens auch einen nicht unerheblichen
repräsentativen Anteil bzgl. der jeweiligen Sozialsysteme.

Die RFCs, die bekanntlich wesentlich die Standards des Internet
bilden, spielen in der gleichen Liga. Auch hier handelt es sich um
Normen, die im Interesse des Sozialsystems Internet definiert werden.
Auch hier gibt es wenig oder gar keine Dominationsmöglichkeiten.
Dennoch handelt es sich m.E. in vielerlei Hinsicht um ein
Herrschaftsphänomen. Zumindest spielt hier der Standpunkt des
Sozialsystems eine wesentliche Rolle.

Die RFCs liegen irgendwo in der Mitte zwischen den beiden anderen
Beispielen, denke ich.

Mein Anliegen wäre, sich *exakt* diese Phänomene eingehend anzuschauen
und genauer zu kristallisieren, wie diese Dinge funktionieren.
Insbesondere: Wie schaffen es diese Systeme, sich ohne Domination
durchzusetzen und warum funktioniert das so?

Warum schreibst Du eigentlich immer "Domination" anstatt
"Beherrschung"? 

Das betreibst Du jetzt
mit etwas postmodernem Flitter weiter.

Ich nehme mal zur Kenntnis, dass mein sehr ernstes Bemühen um einen
Erkenntnisgewinn bei dir nicht angekommen ist :-( .

Dochdoch ist schon angekommen, die Bemerkung war auch schlicht blöd.

In "Empire" von Hardt/Negri ist
die Kritisierung dieses Aussenstandpunktes als "Transzendenz" vs. die
"Immanenz" der Multitude ein zentraler Punkt.

Zu Außenstandpunkt hatte ich schon was gesagt. Wichtig wäre zu
klären, wann was vorliegt. Auch das Teil meines Anliegens.

Mein Verdacht ist, dass der Außenstandpunkt aus der Entfremdung eines
Innenstandpunkts herrührt. Die Entfremdungsphänomene an dieser Stelle
genauer zu analysieren wäre dann super-wichtig. Wann treten die auf
z.B.?

Siehe dazu die Mail von Stefan Mz. bzw. Empire. Es ist schon etwas
mehr als "nur" Entfremdung im Spiel.

3) "Repräsentation" ist etwas extrem problematisches. Ich finde es
gibt kaum eine größere Anmaßung als die der Repräsentation. "Wer wagt
es für mich zu sprechen?" antworte ich allen Repräsentanten dieser
Welt.

Nun, die RepräsentantInnen, denen du es explizit zubilligst, können
doch wohl für deinen Anteil an einem Sozialsystem sprechen - oder? 

Wie soll das gehen "für meinen Anteil am Sozialsystem sprechen"? So
wie bei der Bundestagswahl? Dann in die Tonne damit. Wenn ein
FS-Maintainer spricht, spricht er meist für sich. Ausnahmen gibt es
auch, aber das sind dann eher Projekte, die andere als das
Maintainerprinzip anwenden - und die sind btw. eher im wachsen
gegenüber dem klassischen Maintainerprinzip (Apache, Debian, ...).

Für
dich als Person als Ganzes kannst sowieso bestenfalls du selbst
sprechen.

Sag ich ja. Ich möchte aber auch nicht, dass jemand über Teile von mir
spricht. Auch über z.B. meinen rechten Arm hab ich gerne volle
Kontrolle ;-)

Aus praktischen Erwägungen heraus kann man das Prinzip der
Nicht-Repräsentation sicherlich für sehr eng umrissene Aufgaben
aufheben, aber dann muss man immer sehr genau aufpassen, was da
passiert und es muss immer möglich sein, die Verfahren und
Institutionen zu ändern. 

Meine Rede. Genau das zu untersuchen gehört zu meinem Anliegen.

Nur mit umgekehrten Vorzeichen. Du erkennst prinzipiell "Herrschaft"
an um sie dann einzuschränken. Ich lehne sie prinzipiell ab um sie in
möglichst wenigen Fällen zuzulassen und vor allem: perspektivisch
abzuschaffen.

4) Herrschaft bedeutet immer zeitlich dauerhaft gemachte Macht, sonst
ist sie keine.

Da bin ich unsicher, ob es Sinn macht das so bruchlos zu behaupten.
Auch Teil meines Anliegens, das genauer zu diskutieren.

Dazu hat Deine Mail aber nix beigetragen, weil Du den Zeitaspekt
komplett ignoriert hast.

Vielleicht sehen wir mit dem Herrschaftsphänomenen bei Freier
Software, W3C, RFCs die emanzipative Variante den Systemstandpunkt
einzunehmen? Die aufgrund irgendwelcher, eben zu analysierender
Tatsachen (weitgehend) ohne Domination auskommt und damit eben dem
Ideal von Herrschaft entspricht? Wie geht das?

Die Rolle der in Technik gegossenen Domination, ist übrigens einer der
Punkte, die ich bei Lessig so spannend finde. Bei Software ist das
nämlich alle Nas' lang so.

Hab ich glaub ich nich gelesen.


Herrschaft ist zementierte Macht und somit das
Gegenteil von Freier Kooperation und damit auch von Selbstentfaltung.

Ich mag jetzt nicht schon wieder über Freie Kooperation diskutieren.
Für mich ist Freie Kooperation Faustrecht, bei dem die Stärkere sich
durchsetzt und dies hat m.E. nichts mit Herrschaftsfreiheit zu tun -
sondern ist bereits alltägliche Praxis.

Aber interessant: Genau das, was ich am dargestellten Konzept von
Herrschaft spannend finde, fehlt tatsächlich in der Freien Kooperation
vollständig - insofern ist deine Position konsistent. Erst die Gruppe,
die über den Standpunkt des Sozialsystems mitkonstituiert wird,
schafft eine Verbindung zwischen den isolierten Monadensubjekten, die
die Freie Kooperation eben unverbunden nebeneinander her laufen lässt.
Wenn du diese Unverbundenheit nicht irgendwie emanzipativ knackst,
dann bleibst du bei dem, was wir haben.

Tja, Du kannst nicht beides haben. Mit mir über Herrschaft diskutieren
wollen aber "nicht schon wieder über FK". Meine Meinung kennst Du ja,
dass FK eben genau diese Verbundenheit der Subjekte ausdrückt,
zumindestens zum Teil. 

Zum Schluss noch ein Plädoyer aus StefanMz' Mund: Auf der
Endbesprechung der letzten Konferenz hat StefanMz darauf hingewiesen,
wie wichtig es für Oekonux ist, die Irritationsfähigkeit zu erhalten.
D.h. für mich die Möglichkeit, auch mit unerwarteten Einwürfen
inhaltlich umzugehen und sie nicht einfach abzukanzeln, wie es in der
Linken ach so üblich (und ach so einfach!) ist. Die Offenheit, die
immer als wesentliche Qualität von Oekonux hervorgehoben wurde, steht
und fällt letztlich genau damit. Diese geistige Offenheit ist
letztlich der Garant dafür, dass "wir" nicht anfangen nur noch im
eigenen Saft zu schmoren - wie so viele der linken Sekten. Nun, ich
kann mich StefanMz' Plädoyer nur anschließen.

Ich bin auch sehr für Offenheit. Offenheit heisst aber nicht
Beliebigkeit sondern im Gegenteil auch gerade Schmerzgrenzen
aufzuzeigen. 

Im übrigen habe ich Deinen Beitrag gelesen und inhaltlich kritisiert
und nicht "abgekanzelt". Ausser natürlich jeder, der Dir nicht
zustimmt, kanzelt Dich ab. Ich hab mir die Mühe gemacht obwohl mich
persönlich diese Diskussion nicht so riesig weiterbringt zur Zeit -
eben gerade weil ich mir bewusst bin, dass die Liste hier auch davon
lebt, dass man mal was schreibt, was einem selbst nicht so
superwichtig ist. Selbstentfaltung eben.

Was mich allerdings schon noch interessieren würde, wieso Du bei
meiner "Kooperenz"-Mail an Dein Herrschaftszeugs gedacht hast? Das ist
in meinem Kopf nämlich ziemlich abwegig ;-) Vielleicht ist das ja ein
Weg wie wir diese Diskussion produktiv machen können.

Grüße, Benni

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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