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[ox] W3C Working Groups als Modell fuer die GPL-Gesellschaft?



Liebe FreundInnen von Oekonux,

vor ein paar Wochen hatte ich Gelegenheit mit jemanden zu sprechen,
der in einer W3C Working Group mitarbeitet. Das W3C ist das `World
Wide Web Consortium' und hütet zahlreiche Web-bezogene
Internet-Standards (z.B. HTML), entwickelt sie weiter und entwickelt
neue (z.B. XML). Ihr findet die Homepage unter

	http://www.w3.org/

BTW: Die Intensität der Verlinkung der W3C-Seiten gepaart mit einer
funktionalen Schlichtheit ist m.E. übrigens vorbildlich für sachliches
Web-Design.

Es dürfte klar sein, daß die Arbeit die vom W3C gemacht wird ganz
entscheidend wichtig für das Internet ist. Der Slogan des W3C ist
dementsprechend `Leading the Web to its Full Potential...'. Eine
kurze, aber recht informative Beschreibung des W3C findet ihr unter

	http://www.w3.org/Consortium/

Wer's lang, eingehend und detailliert mag, ist wahrscheinlich bei

	http://www.w3.org/Consortium/Process/Process-19991111/

richtig aufgehoben.

Die wichtigste Leistung des W3C für die einfache
Otto-Normal-Web-BenutzerIn ist das Veröffentlichen der Standards -
kostenfrei natürlich. Das W3C gibt auch Open Source Software (ihre
Bezeichnung) raus, aber das ist nicht sein Schwerpunkt. Gewöhnlich
kommen solche Referenzimplementierungen nicht aus dem W3C selbst.

Einer der in unserem Zusammenhang wichtigsten Abschnitte aus der o.g.
Beschreibung ist der, der die wesentlichen Prinzipien des W3C
zusammenfaßt:

	W3C Organization

	To meet its goals (universal access, semantic Web, Web of
	trust) while exercising its role (vision, design,
	standardization) and applying its design principles
	(interoperability, evolution, and decentralization), W3C
	process is organized according to three principles:

	   1.Vendor neutrality: The W3C hosts (MIT, KEIO, INRIA) are
	     vendor and market neutral, as is the Team. W3C promotes
	     neutrality by encouraging public comment on
	     specifications during their entire life cycle.

	   2.Coordination: The Web has become phenomenon so important
	     (in scope and investment), that no single organization
	     can or should have control over its future. W3C
	     coordinates its efforts with other standards bodies and
	     consortia such as the IETF (Internet Engineering Task
	     Force), the WAP Forum (Wireless Application Protocols
	     Forum), the Unicode Consortium, the Web3D Consortium, and
	     several ISO committees.

	   3.Consensus: Consensus is one of the most important
	     principles by which W3C operates. When resolving issues
	     and making decisions, W3C strives to achieve unanimity of
	     opinion. Where unanimity is not possible, W3C reaches
	     decisions by considering the ideas and viewpoints of all
	     participants, whether W3C Members, invited experts, or
	     the general public.

Auch nicht uninteressant scheint mir dieser Abschnitt aus dem längeren
`Process'-Dokument:

	1.2 W3C's mission

	W3C's mission is to lead the evolution of the Web -- the
	universe of information accessible through networked
	computers.

	W3C's long term goals are:

	   * Superior Web Technology. By promoting interoperability
	     and encouraging an open forum for discussion, W3C commits
	     to leading the technical evolution of the Web. W3C must
	     ensure that the Web remains a robust, scalable, and
	     adaptive infrastructure.

	   * Universal Web Accessibility. W3C strives to make the Web
	     accessible to as many users as possible and to promote
	     technologies that take into account the vast differences
	     in culture, education, ability, material resources, and
	     physical limitations of users on all continents.

	   * Responsible Web Application. However vast the Web
	     becomes, it remains essentially a medium for human
	     communication. As such, the Web's impact on society
	     cannot be dissociated from decisions that guide its
	     development. W3C must guide the Web's development with
	     careful consideration for the novel legal, commercial,
	     and social issues raised by this technology.

Ansonsten finde ich noch

	http://www.w3.org/Consortium/Process/Process-19991111/activities.html

ganz interessant, da dort Details beschrieben werden, wie die Gruppen
- z.B. Working Groups - organisiert sind und wie die internen Abläufe
aussehen müssen (vor allem 3.3).

Ich will nun ein bißchen berichten, was ich in dem oben erwähnten
Gespräch erfahren habe. Mein Gesprächspartner ist Mitglied der Voice
Browser Group - ein wenig irreführend die Bezeichnung heute, da sich
das Thema der Working Group (WG) mittlerweile stark erweitert hat.
Referenzen, die auf der `Consortium'-Seite erläutert werden, werde ich
nicht näher erläutern. Ebenso wiederhole ich nicht, was auf der o.g.
Seite schon erwähnt wird.



Die Konsensorientierung hat mein Gesprächspartner selbst erwähnt. Sie
findet also auch praktisch statt. Der Konflikt zwischen pragmatischen,
einfachen Lösungen und einer größeren Allgemeinheit, die auch
zukünftigen Entwicklungen Raum läßt, ist in Dabei passiert nur etwas,
wenn jemensch genug Interesse hat, es auch zu tun. Es gibt keine
Direktiven "von oben" was in einer WG zu geschehen hat.

Nirgends wird der Anspruch erhoben, daß die erzielten Ergebnisse der
Weisheit letzter Schluß sind. Alles ist eigentlich permanent
Work-In-Progress. Letzte Instanz ist die Praxis, in der sich die
gefundenen Ergebnisse bewähren müssen. Das liegt auch im Interesse
aller TeilnehmerInnen einer WG, da sie schlicht Software haben wollen,
die mit den Standards gut zusammenarbeitet.

Die Grundlage für Entscheidungen sind dementsprechend Sachfragen und
nicht Firmeninteressen - was bei der Besetzung mit Firmen durchaus
nicht ohne weiteres klar ist. Klar haben die Firmen Interessen, die
aber im Interesse des Allgemeinwohls wohl ganz konkret zurückgestellt
werden. Und wem es noch nicht klar geworden ist: In so einer WG ist es
völlig naheliegend, daß unmittelbare Marktkonkurrenten zusammensitzen.

Die WG, die wohl aus nicht allzu vielen Leuten besteht, arbeitet so,
daß zunächst eine Zeitlang interne, nicht-öffentliche Diskussionen
geführt werden und deren Ergebnisse dann weltweit veröffentlicht
werden. Neben internen Mailing-Listen gibt es für diese Diskussion
wöchentlich eine Telefonkonferenz der WG und vierteljährlich ein
Face-To-Face-Meeting. Zu letzteren werden gelegentlich auch Leute aus
anderen WGs eingeladen. Er berichtete auch, daß die wöchentlichen
Telefonkonferenzen einen Druck schaffen, sich auch tatsächlich mit den
Dingen zu beschäftigen.

Neben den WGs gibt es vor allem das W3C Team, das aus gut 50 Personen
besteht. Diese werden wohl vom W3C bezahlt. In jeder WG sitzt ein
Team-Mitglied, das auch Sekretariatsaufgaben übernimmt - z.B.
Protokolle der Telefonkonferenzen schreibt. Die Team-Mitglieder helfen
aber auch bei der Kommunikation zwischen den einzelnen WGs und machen
z.B. auf parallele Entwicklungen in verschiedenen WGs aufmerksam. So
geschehen z.B. in der XForms WG, die nach einem Hinweis auf die
Aktivitäten der Schema WG einen großen Teil ihrer Bemühungen
cancellte. Keine Konkurrenz also.

Jede WG hat auch einen Chairman, der aber kein Team-Mitglied sein muß.
Zu den Leuten aus Mitgliedsorganisationen können Invited Experts
hinzugenommen werden, die nicht in einer Mitgliedsorganisation sein
müssen und sich durch einschlägige fachliche Qualifikation auszeichnen
müssen.

Ich will auch erwähnen, daß meinem Gesprächspartner die Begeisterung
deutlich anzumerken war, die er für diese Art der Arbeit - er ist von
seiner Firma dazu abgestellt - aufbringt. Da war deutlich vieles von
dem zu spüren, was wir hier als Selbstentfaltung diskutieren. Z.B. die
Freude daran, *gute* Lösungen für allgemeine Probleme zu finden -
mithin der Welt etwas zu geben.



Warum erzähle ich euch das alles? Nun, zunächst ist die Art und Weise
wie das W3C organisiert ist natürlich strukturell eng mit der
Produktionsweise Freier Software verwandt und schon von daher
interessant.

Was ich aber noch spannender finde, ist, daß das W3C eine Organisation
ist, die mit eben diesen Methoden einen bestimmten Typ globaler
Probleme angeht und löst. Zu diesen Problemen gehören auch massive
Innovationen wie z.B. die Einführung von XML und ich denke, daß
Innovationen zu den schwierigsten Problemen überhaupt gehören dürften.
Dabei führt das W3C vor, wie eine Beteiligung der Massen / der
Öffentlichkeit an solchen Problemlösungs- /
Entscheidungsfindungsprozessen praktisch aussehen kann.

Klar, ohne das Internet wäre das alles nicht möglich - und BTW auch
nicht nötig ;-) -, aber es zeigt m.E., wie wir uns Strukturen einer
GPL-Gesellschaft vorstellen können, die auf einem globalen Maßstab
Probleme in global konsensueller Art und Weise lösen. Dieses global
konsensuell geht dabei noch erheblich über (parlamentarisch)
demokratisch hinaus.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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