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Re: [ox] Freie materielle Gueter



Hi Benja und alle!

2 weeks (17 days) ago B Fallenstein wrote:
N.B. Ich gehöre z.Zt. leider zu den Kaum-Zeit-für-[ox]-lerInnen.

So *fühle* ich mich auch dauernd...

Ich würde glauben, wir können uns einigen, dass:
- wir eine Vision möchten, die nicht auf nicht absehbaren technischen
  Entwicklungen basiert;

Ack. Auf einem Antigrav aufzubauen wäre (Techno-)Esoterik.

- diese Vision über Informationsprodukte hinausgehen soll;

Definitiv. Nicht zu vergessen ist aber das Modell, wie der
Kapitalismus über die feudale Nutzung des Bodens hinausgegangen ist:
Existiert noch ist aber nebensächlich geworden.

- wir trotzdem die "Prinzipien freier Software" (mindestens
  Selbstentfaltung, evtl. aber noch mehr) übernehmen wollen;

Ja.

- uns aber (hoffentlich: noch) nicht klar ist, wie das gehen kann
  (d.h., es gibt verschiedene Entwürfe, aber keiner ist so richtig
  zufriedenstellend).

Ich persönlich glaube ja, daß das bestenfalls in der Rückschau klar
wird, wie es denn dann konkret gelaufen ist. Bifurkationspunkte haben
nun mal die Eigenschaft, schwer vorhersagbare Folgen zu haben.

Was ich in dieser mail gerne machen möchte, ist ein Vorschlag zu den
Grundzügen einer Freien Lizenz für Nicht-Informationsprodukte-- ein
Vorschlag, wie eine 'Oekonux General Public License' (die GPL in
GPL-Gesellschaft;-) aussehen könnte. -- Ok, im Ernst: er ist erst heute
abend entstanden und nicht besonders durchdacht. Aber er verspricht, ein
Problem zu lösen, das mir schon die ganzen letzten Wochen im Kopf 'rumspukt.

Getreu "Release often, release early" :-) . Vielleicht überhaupt so
ein Grundprinzip der Liste :-) .

These: Was wir neben 'Selbstentfaltung' von der freien Software
brauchen, ist die 'Keimform', also dass die FS mittelfristig im
Kapitalismus funktioniert und *gleichzeitig* das Potential zur
Überwindung desselben innehat. Beide Seiten sind wichtig; wenn die FS
nicht im Kapitalismus funktionieren würde, hätte sie nie eine Chance
gehabt, sich zu entwickeln.

Ich denke, daß es nicht um's reine Funktionieren geht. Das keimförmige
an der Keimform ist ja doch auch, daß sie *besser* funktioniert als
das Vorhandene. Deswegen sind selbstverwaltete Betriebe eben keine
Keimform, weil sie eben nicht (nachvollziehbar) breit attraktiver sind
als Chef-Betriebe. Ebensowenig die Landkommune.

Eine weitere wichtige Komponente des im-Kapitalismus-funktionieren ist,
dass auf diese Weise FS-ProgrammiererInnen nicht gezwungen sind,
proprietäre Software zu schreiben, um sich ihren Lebensunterhalt zu
verdienen-- d.h., den bezahlten Linux-Kernel-EntwicklerInnen ist es
möglich, FS zu entwickeln und sich dadurch ihre Brötchen zu verdienen.
Das sind dann keine echten Selbstentfaltungsbedingungen mehr, aber es
ermöglicht es ihnen, in ihrer Lohnarbeitszeit zum Pool der FS
beizutragen, der die Voraussetzung dafür ist, unter
Selbstentfaltungsbedingungen hochentwickelte FS zu schreiben.

Das ist nett, aber das würde ich nicht als fundamental betrachten.
Letztlich heißt diese Forderung ja nur, daß der Kapitalismus jede
Keimform alimentieren können muß. Das halte ich nicht für zwingend.

Noch eine wichtige Komponente ist, dass FS auch auf proprietären
Systemen nutzbar ist und Vorteile bietet. Das war absolut notwendig, als
es noch kein komplett freies Betriebssystem gab.

Vielleicht geht das in Richtung besser funktionieren.

Diese Voraussetzung ist
bei freien Nicht-Informationsprodukten noch mehr gegeben, denn eine
völlig freie industrielle Produktion von *irgendwas* ist noch ziemlich
weit weg.

Der Gebrauchswert muß stimmen - würde ich formulieren.

Auch die anderen genannten Punkte sind m.E. für den Erfolg von freien
matriellen Gütern essentiell. IMHO *muss* es möglich sein, damit Geld zu
verdienen, damit Leute, die das wollen, in Lohnarbeit zum Pool frei
verfügbarer Güter beitragen können.

Wie gesagt: Nett, aber m.E. kein Muß.

Meiner Meinung nach sind diese Punkte der Grund dafür, warum die GPL
besser ist als eine "Any use and modification is permitted for
NON-COMMERCIAL use"-Lizenz. Diese Art von Lizenz führt nicht zur
Entwicklung einer breiten codebase-- u.a. weil ich bei so einer Lizenz
weiß, dass ich mit Arbeit daran nie meine Brötchen verdienen kann, auch
wenn mir das vielleicht unter allen Arbeitsverhältnissen noch das
angenehmste und sinnvollste erscheint.

Zumindest für die Freien-Software-EntwicklerInnen ist das aber ein
untergeordnetes Thema:

	http://floss1.infonomics.nl/stats.php?id=23_1

und

	http://floss1.infonomics.nl/stats.php?id=7_2

Also, drei Punkte soll die Lizenz erfüllen:
- Produktion unter Selbstentfaltungsbedingungen
  möglich und geschützt (wie GPL);
- Potential für eine auf Selbstentfaltung beruhende
  Gesellschaft (Keimform-Aspekt I)
- Funktionieren im Kapitalismus (Keimform-Aspekt II)

Freie Baupläne sind sicherlich ein wichtiger Aspekt (darin sind wir uns
einig?), aber wie Benni sagt, reichen sie nicht: solange die zur
Herstellung nötigen Ressourcen und Gerätschaften nicht frei verfügbar
sind, kann ich mit dem Bauplan noch lange nichts anfangen.

Das gilt aber ganz exakt auch für Freie Software: Wenn ich keinen
(proprietären) Computer habe, der mir mein Freies Programm ausführt,
habe ich höchstens noch einen ästhetischen Genuß vom Ausdruck oder der
CD.

An dem Punkt klemmt's bei dieser Betrachtungsweise.

Der Punkt
hier ist, dass Freie Software ihren Tauschwert verliert, indem sie
beliebig weiterkopierbar ist-- sie hat nicht einmal dann Tauschwert,
wenn sie 'verkauft' (gegen Gebühr weitergegeben) wird, weil sie dann
beliebig oft vervielfältigt werden kann.

Hier irrst du. Die beliebige Vervielfältigbarkeit gilt schließlich
auch für proprietäre Software - und die ist nicht wertlos. Nein, nein,
der Kern der Wertlosigkeit ist der, daß Leute - für Liberale
unvorstellbar - einfach zur Verfügung stellen was sie (gemacht) haben.
Daß sie nicht (künstlich) verknappen, um durch Tausch einen
(entfremdeten) Vorteil zu erzielen.

Materielle Güter, die mit
Bauplan ausgeliefert werden, *behalten* (in absehbarer Zukunft) ihren
Tauschwert! Sie können nämlich nur mit dem Bauplan nicht beliebig
vervielfältigt werden.

D.h. hier steckt menschliche Arbeitskraft drin, die nur unter
Entfremdungsbedingungen zustande kommt.

Ok, das hatte ich noch nicht so klar. Was wir wollen, ist eine Lizenz,
die freie materielle Güter *tauschwertlos* macht wie freie Software. Das
ist vielleicht die eigentlich richtige Formulierung für die erste
Anforderung an die Lizenz (s.o.). (Das eigentliche Ziel ist es, sie
wert-los zu machen, aber dazu müssten sie nicht-knapp gemacht werden,
und das kann bei materiellen Gütern eine Lizenz nicht schaffen.)

Benni hat im Umsonstladen-Thread eine Lizenz vorgeschlagen, die genau
das schafft. Sie schreibt vor, dass ein freies materielles Gut nicht
weiterverkauft werden darf (juristisch evtl. durch das Konstrukt einer
Leihgabe erreichbar). Ein freies Produkt darf beliebig weitergegeben
werden, *solange es nicht verkauft (getauscht) wird*. Damit verliert es
offensichtlich seinen Tauschwert.

Jenseits der dem positiven Recht entstammenden Einwände von Petra
würde ich das auch theoretisch nicht so sehen.

Und das deckt sich nicht mit der Freien Software - was natürlich nicht
endgültig was heißen muß.

Puh, das ist 'ne ziemliche Monstermail geworden. Was meint ihr?

Mein Cent. Ich habe mir mal ein ausführliches Eingehen auf Vorschlag
und Illustration gespart, da mir einige Prämissen noch ein wenig
Klärungsbedarf zu haben scheinen.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan
___________________________
Unread: 45 [ox], 44 [ox-en]

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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