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Re: [ox] Notizen zur Selbstentfaltung



Hi Benni und Liste!

2 weeks (14 days) ago Benni Baermann wrote:
On Sun, Mar 03, 2002 at 05:24:37PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Aufklärung wurde von Kant bezeichnet als ``die Befreiung des Menschen
aus selbstverschuldeter Unmündigkeit''. Das liesse sich durchaus auch
auf Selbstentfaltung anwenden.

Hmm... Die Mündigkeit klingt für mich erstmal nach einer Befreiung von
Herrschaft und evt. auch (Natur-)Notwendigkeit. Dabei bleibt's dann
aber auch stehen und der nackte Mensch mit seiner Freiheit im Regen.

Selbstentfaltung beschreibt für mich in diesem Raster mehr das, was
aus emanzipatorischem Denken der nächste Schritt sein müßte, nachdem
die Mündigkeit erreicht ist. Und das finde ich durchaus nicht a priori
klar.

Also für mich ist es auch eine Form von Unmündigkeit, die anderen zu
ignorieren, weil es bedeutet meine eigene Gesellschaftlichkeit zu
negieren.

Schön formuliert :-) .

Bei Dir klingt das jetzt so, als sei da erst der Mensch, dann wird er
mündig und erst dann kommt die Gesellschaftlichkeit dazu. So meinst Du
das aber wohl nicht, oder?

Nee, so meine ich das nicht. Die Gesellschaftlichkeit kann ja nicht
weg sein - sie ist dem Menschen ja wesenseigen. Es gibt aber natürlich
unterschiedlich geformte Gesellschaftlichkeiten und sowohl religiöse
Systeme wie auch Geld bilden - so könnte ich formulieren - entfremdete
welche. Selbstentfaltung würde die Gesellschaftlichkeit selbst aber
auch aus der Entfremdung holen.

Außerdem braucht man für eine
Gesellschaft, die auf Selbstentfaltung basiert, auch keinen Rückgriff
auf Götter, die natürlichen Feinde jeden Aufklärers, ja noch nicht mal
auf Moral, da es - ganz ähnlich wie im Liberalismus - jedes Menschen
Eigennutz ist, seiner Selbstentfaltung zu folgen.

Bingo! Die Moral brauchst du nämlich genau dann, wenn die Leute nackt
im Regen stehen!

Wollte sagen: Dann brauchst du nämlich eine den Menschen äußerliche
Instanz, die die nackten, armen Menschlein zusammenhält - z.B. Staat.
Unter Selbstentfaltungsbedingungen würde ich mir vorstellen, daß eine
solche, äußerliche Instanz obsolet wird, weil eine direkte, also nicht
von außen vermittelte Gesellschaftlichkeit erstes Lebensbedürfnis der
Menschen selbst ist.

Anders als im
Liberalismus wird jedoch die Selbstentfaltung der Anderen für mich
unmittelbar bedeutsam.

Und zwar - und das unterscheidet wirklich vom Liberalismus - in einer
*positiven* Rückkopplung.

Hier unterscheiden wir uns wohl. Für mich ist nur die Unmittelbarkeit
wichtig, Selbstentfaltung kann durchaus auch in negativer Rückkopplung
entstehen.

Nein, kann es nicht. Damit kippst du nämlich das Interesse an der
ganzheitlichen Selbstentfaltung der anderen wie ich heute andernmails
angedeutet habe. Oder wie könntest du dir eine negative Rückkopplung
bei unhintergehbarem Interesse an anderer Leute Selbstentfaltung
vorstellen?

Dann verwundert es auch nicht, daß eine aufgeklärte
Gesellschaft eine ist, die auf dem Individuum und seinem Eigennutz
basiert.

Ich finde das nicht naheliegend. Wie geht der Schluß?

Hm. Ja, vielleicht etwas hoppladihopp. Ungefähr so: Durch zunehmende
Distanz, entfernen sich die Menschen immer weiter voneinander, so dass
am Ende nur noch ihr Eigennutz bleibt.

Das hat aber nichts mit der Entfernung voneinander zu tun, sondern ist
unmittelbare Folge der Mündigkeit - unter Aufklärungsbedingungen
jedenfalls soweit ich das verstanden habe.

Leibniz, Selber Früh- und
Oberaufklärer, hat das dann zugespitzt in seinem monadischen Weltbild.
Gott als Obermonade ist da dann das "System, aus dem alles und jedes
folgt,"

Jetzt klarer? Vielleicht muss ich das noch etwas explizieren im Text.

Dem gegenüber steht der Mythos und die Zauberei., die mit
Nachahmung (Mimesis) sich versucht in das Objekt - ob Mensch, Tier,
Pflanze oder Ding - hineinzuversetzen um so die eigene
Handlungsfähigkeit zu verbessern.

Na ja, Anwendung von Naturgesetzen (vulgo: Technik) ist aber auch
nicht wesentlich vom Hineinversetzen unterschieden - eben in andere
Kategorien als bei vorherigen Wissenschaftssystemen.

IMHO falsch. Ein Verstehen von Natur auf dem Umweg über Naturgesetze
setzt ein Distanz des Beobachters zum Experiment voraus. Das gilt auch
noch für die Quantentheorie, nur dort muss man halt auf statistische
Aussagen ausweichen.

Na, ich glaube da sind die Unterschiede wirklich gar nicht so groß.
Nun bin ich zwar kein Naturwissenschaftler, aber ich denke, daß auch
diese sich in den Gegenstand ihrer Betrachtung versetzen müssen -
ähnlich wie die SchamanIn in das je betrachtete Tier. Gleichzeitig muß
natürlich die Distanz erhalten bleiben - weder ist sie ein Tier noch
bin ich ein Elektron. Reflexion über das Hineinversetzen fällt mir
noch dazu ein.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Organisation: projekt oekonux.de


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