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Re: [ox] Freie materielle Gueter (was: Re: [pox] LinuxTag und Oekonux)




Hi Benni, Stefan, alle!

N.B. Ich gehöre z.Zt. leider zu den Kaum-Zeit-für-[ox]-lerInnen.

Benni Baermann schrieb:
On Tue, Feb 26, 2002 at 09:25:56PM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Merten wrote:
Wenn wir uns Software anschauen, dann sind die Quellen das Analogon zu
Bauplänen. Die Quellen werden von Menschen gemacht und stimmen nicht
mit dem später nützlichen Produkt überein.

Ja, eine Analogie mag es sein, mehr aber eben auch nicht.

Bei Software ist es nun so, daß du sehr stark automatisierte Prozesse
hast, die aus den Quellen das ausführbare Programm, mithin das
eigentlich nützliche Produkt herstellen - Compiler oder auch
Interpreter. Die Ressourcen für den Produktionsprozeß / das
Nützlichmachen sind unter Freien Bedingungen vernachlässigbar. Bei
Windows mußt du dir dagegen schon einen (teuren) Compiler anschaffen.
---snip---
Bei materiellen Gütern hast du das noch nicht so stark automatisiert,
aber bestimmte Teilbereiche sind da schon heute durchaus stark
automatisiert / computerisiert. An vielen Stellen fehlt es aber noch
an Standard-Austauschformaten, die den Automationsgrad vermutlich
heftig in die Höhe treiben würden. Auch sind in vielen Fällen die
Ressourcen nicht so unerheblich wie bei der Programmproduktion - im
Wesentlichen Vorprodukte und spezifische Produktionsmittel.

Das wäre aber alles anders, wenn viele Leute analog zur Software die
Ressourcen verfügbar hätten, aus den Bauplänen auch konkret nützliche
Dinge herzustellen. Fabber wäre ein Stichwort, das hier schon häufiger
gekommen ist.

Nein, Fabber sind zur Zeit nur eine nette Spielerei. Das Stichwort
sind hier eher "Ressourcen". Zur Herstellung von Software braucht es
nämlich eben keine weiteren Ressourcen ausser ein bisschen Strom und
eben die Werkzeuge (Compiler).

Zur Herstellung materieller Güter braucht es eben auch noch andere
Ressourcen, die verbraucht werden. Ein Materiecompiler ist Science
Fiction und bleibt es auch für die nächsten hundert Jahre. Wenn das
allerdings der Zeitrahmen ist in dem sich Deine Utopie bewegt, dann
solltest Du das dazusagen.

Das finde ich auch.

Ich würde glauben, wir können uns einigen, dass:
- wir eine Vision möchten, die nicht auf nicht absehbaren technischen 
  Entwicklungen basiert;
- diese Vision über Informationsprodukte hinausgehen soll;
- wir trotzdem die "Prinzipien freier Software" (mindestens
  Selbstentfaltung, evtl. aber noch mehr) übernehmen wollen;
- uns aber (hoffentlich: noch) nicht klar ist, wie das gehen kann
  (d.h., es gibt verschiedene Entwürfe, aber keiner ist so richtig
  zufriedenstellend).

Was ich in dieser mail gerne machen möchte, ist ein Vorschlag zu den
Grundzügen einer Freien Lizenz für Nicht-Informationsprodukte-- ein
Vorschlag, wie eine 'Oekonux General Public License' (die GPL in
GPL-Gesellschaft;-) aussehen könnte. -- Ok, im Ernst: er ist erst heute
abend entstanden und nicht besonders durchdacht. Aber er verspricht, ein
Problem zu lösen, das mir schon die ganzen letzten Wochen im Kopf 'rumspukt.

These: Was wir neben 'Selbstentfaltung' von der freien Software
brauchen, ist die 'Keimform', also dass die FS mittelfristig im
Kapitalismus funktioniert und *gleichzeitig* das Potential zur
Überwindung desselben innehat. Beide Seiten sind wichtig; wenn die FS
nicht im Kapitalismus funktionieren würde, hätte sie nie eine Chance
gehabt, sich zu entwickeln. Wie Benni letztens mehrmals unterstrichen
hat, entstehen wichtige Teile von FS in Lohnarbeit-- wie ich ergänzen
möchte, trägt das wesentlich dazu bei, dass andere FS in
Selbstentfaltung entstehen kann (weil wichtige Komponenten, die ich für
mein Stück Software brauche, dadurch verfügbar werden).

Eine weitere wichtige Komponente des im-Kapitalismus-funktionieren ist,
dass auf diese Weise FS-ProgrammiererInnen nicht gezwungen sind,
proprietäre Software zu schreiben, um sich ihren Lebensunterhalt zu
verdienen-- d.h., den bezahlten Linux-Kernel-EntwicklerInnen ist es
möglich, FS zu entwickeln und sich dadurch ihre Brötchen zu verdienen.
Das sind dann keine echten Selbstentfaltungsbedingungen mehr, aber es
ermöglicht es ihnen, in ihrer Lohnarbeitszeit zum Pool der FS
beizutragen, der die Voraussetzung dafür ist, unter
Selbstentfaltungsbedingungen hochentwickelte FS zu schreiben.

Noch eine wichtige Komponente ist, dass FS auch auf proprietären
Systemen nutzbar ist und Vorteile bietet. Das war absolut notwendig, als
es noch kein komplett freies Betriebssystem gab. Diese Voraussetzung ist
bei freien Nicht-Informationsprodukten noch mehr gegeben, denn eine
völlig freie industrielle Produktion von *irgendwas* ist noch ziemlich
weit weg.

Auch die anderen genannten Punkte sind m.E. für den Erfolg von freien
matriellen Gütern essentiell. IMHO *muss* es möglich sein, damit Geld zu
verdienen, damit Leute, die das wollen, in Lohnarbeit zum Pool frei
verfügbarer Güter beitragen können. Mittelfristig müssen die meisten von
uns lohnarbeiten, um zu überleben-- es muss uns dabei IMHO möglich sein,
freie Güter (materiell oder immateriell) zu fördern, auch wenn das nicht
unter vollen Selbstentfaltungsbedingungen geschieht. (Gleichzeitig soll
natürlich auch Mitarbeit unter vollen Selbstentfaltungsbedingungen
möglich sein-- dann halt kostenlos.) Und auch die Förderung durch
Firmen, die sich für freie materielle Güter engagieren, halte ich für
wichtig, gerade weil die Produktionskosten für freie materielle Güter
jetzt so viel höher sind als für freie Software. (Das war zu
Mainframe-Zeiten ja auch noch ein bisschen anders.)

Meiner Meinung nach sind diese Punkte der Grund dafür, warum die GPL
besser ist als eine "Any use and modification is permitted for
NON-COMMERCIAL use"-Lizenz. Diese Art von Lizenz führt nicht zur
Entwicklung einer breiten codebase-- u.a. weil ich bei so einer Lizenz
weiß, dass ich mit Arbeit daran nie meine Brötchen verdienen kann, auch
wenn mir das vielleicht unter allen Arbeitsverhältnissen noch das
angenehmste und sinnvollste erscheint. So eine Lizenz funktioniert
erwiesenermaßen nicht (siehe FS), obwohl sie doch bei allgemeiner
Akzeptanz am besten für den Weg in eine reine
Selbstentfaltungsgesellschaft wäre! Das könnte man das
"Keimform-Paradox" nennen.

Also, drei Punkte soll die Lizenz erfüllen:
- Produktion unter Selbstentfaltungsbedingungen 
  möglich und geschützt (wie GPL);
- Potential für eine auf Selbstentfaltung beruhende
  Gesellschaft (Keimform-Aspekt I)
- Funktionieren im Kapitalismus (Keimform-Aspekt II)

Freie Baupläne sind sicherlich ein wichtiger Aspekt (darin sind wir uns
einig?), aber wie Benni sagt, reichen sie nicht: solange die zur
Herstellung nötigen Ressourcen und Gerätschaften nicht frei verfügbar
sind, kann ich mit dem Bauplan noch lange nichts anfangen. Der Punkt
hier ist, dass Freie Software ihren Tauschwert verliert, indem sie
beliebig weiterkopierbar ist-- sie hat nicht einmal dann Tauschwert,
wenn sie 'verkauft' (gegen Gebühr weitergegeben) wird, weil sie dann
beliebig oft vervielfältigt werden kann. Materielle Güter, die mit
Bauplan ausgeliefert werden, *behalten* (in absehbarer Zukunft) ihren
Tauschwert! Sie können nämlich nur mit dem Bauplan nicht beliebig
vervielfältigt werden.

Ok, das hatte ich noch nicht so klar. Was wir wollen, ist eine Lizenz,
die freie materielle Güter *tauschwertlos* macht wie freie Software. Das
ist vielleicht die eigentlich richtige Formulierung für die erste
Anforderung an die Lizenz (s.o.). (Das eigentliche Ziel ist es, sie
wert-los zu machen, aber dazu müssten sie nicht-knapp gemacht werden,
und das kann bei materiellen Gütern eine Lizenz nicht schaffen.)

Benni hat im Umsonstladen-Thread eine Lizenz vorgeschlagen, die genau
das schafft. Sie schreibt vor, dass ein freies materielles Gut nicht
weiterverkauft werden darf (juristisch evtl. durch das Konstrukt einer
Leihgabe erreichbar). Ein freies Produkt darf beliebig weitergegeben
werden, *solange es nicht verkauft (getauscht) wird*. Damit verliert es
offensichtlich seinen Tauschwert.

Diese Lizenz hat aber erstmal auch ein dickes Problem: Sie ist
(zumindest im Geiste) eine Lizenz nach dem "no commercial use"-Motto.
Ich habe Benni ja mal darauf angesprochen und angemerkt, dass freie
Software ja das Verkaufen explizit erlaubt, worauf er richtigerweise
antwortete, dass sei ja auch was anderes (so sinngemäß). Warum es was
anderes ist, habe ich oben ja auch gesagt: weil freie materielle Güter
ihren Tauschwert behalten, solange sie verkauft werden dürfen. Das muss
also verboten sein. Aber wir brauchen (immer IMHO) trotzdem das
Funktionieren im Kapitalismus-- wie bei freier Software muss man Geld
damit machen können. Aber wie bei freier Software soll das
Geschäftsmodell auf etwas wackeligen Beinen stehen ;-)

Hier kommt also meine Lizenzidee, in Erweiterung von Bennis Vorschlag
(jetzt kommen wir endlich zum eigentlichen Vorschlag dieser mail):

Ein Freies Gut darf nicht verkauft werden. Wer ein Freies Gut
weitergibt, darf dafür keine Gegenleistung verlangen. Es ist aber
explizit erlaubt, Dienstleistungen für ein Freies Gut anzubieten (mit
ähnlichen Formulierungen wie in der GPL verschiedene Geschäftsmodelle
"explizit erlaubt" werden). Das schließt Distribution ein. Es ist aber
nur erlaubt, noch nicht geleistete Dienstleistungen zu verkaufen. Wenn
ein LizenznehmerIn sich ein Freies Gut besorgt und daran Veränderungen
vornimmt, bleibt das Gut frei-- es darf nicht verkauft werden. Es darf
allerdings angeboten werden, eine kostenpflichtige Veränderung an einem
Gut vorzunehmen (Dienstleistung); das Ergebnis dieses Vorgangs ist dann
aber wieder ein freies Produkt, das nicht veräußert werden darf.

Damit ist eigentlich alles gesagt, außer dass ich jetzt noch
verständlich machen muss, was ich damit meine. ;-) Ein paar Beispiele.

Nehmen wir an, es gibt da eine Fabrik, die freie Computer produziert.
Diese Fabrik wird im Großen und Ganzen unter
Selbstentfaltungsbedingungen betrieben. Sie ist aber angewiesen auf
Ressourcen aus dem Kapitalismus.

Jetzt gibt es eine Firma, die BenutzerInnen unschlagbar günstige
Computer anbietet, die in dieser Fabrik hergestellt werden. Diese Firma
besorgt die notwendigen Ressourcen (Bauteile, Strom), lässt die Fabrik
die Computer bauen, und liefert das Ergebnis an ihre Kunden aus. Das
Ganze ist eine Dienstleistung. Weil die Computer in der besagten Fabrik
hergestellt sind, sind sie freie Produkte. Das bedeutet: unsere Firma
darf sie nicht verkaufen. Das impliziert: sie darf nicht die Computer im
Voraus produzieren lassen und dann lagern und schließlich an ihre Kunden
verkaufen. Dann würde sie nämlich Lizenznehmerin für die Computer-- was
bedeuten würde, sie dürfte sie nicht gegen Geld weitergeben.

Sie dürfte durchaus Computer auf Halde produzieren. Dann müsste sie
diese aber zur Verfügung stellen, ohne ein Äquivalent dafür zu
verlangen. Sie könnte immer noch Geld dafür verlangen, die Computer
schön einzupacken und auszuliefern, müsste sie aber kostenlos allen zur
Verfügung stellen, die zum Selbstabholen kämen-- solange sie offerieren,
die Computer gegen Geld zu verpacken und zu versenden. Denn was dann
essentiell passiert, ist, dass sie den Computer kostenlos einem
BenutzerIn "überschreiben", und dann kostenpflichtig als Dienstleistung
ausliefern. Das kann nur dann ein sinnvolles Geschäftsmodell sein, wenn
die zur Produktion nötigen Ressourcen selbst Frei verfügbar sind und
lediglich das, was *nach* der Produktion kommt-- Verpackung,
Distribution, Marketing-- noch Geld kostet.

Wenn die Fabrik Bausätze produziert, könnte unsere Firma auch die
Dienstleistung anbieten, diese Bausätze zusammenzusetzen. Dann würde das
BenutzerIn von der Fabrik einen kostenlosen Bausatz bekommen, die Firma
diesen aber kostenpflichtig zusammensetzen; nachdem das aber geschehen
ist, ist das Ergebnis ein freies Gut, das nur kostenlos weitergegeben
werden darf. Die Firma kann also wieder nicht Bausätze "auf Halde"
zusammensetzen und dann verkaufen (wenn sie die zusammengesetzten
Computer weitergeben wollten, müssten sie das kostenlos tun).

Die Fabrik wäre so etwas ähnliches wie die MüllerInnen früher, nur
kostenlos. Modell: In einem Dorf gibt es ein MüllerIn. Jedes BäuerIn
kann kommen und sein Korn mahlen bzw. mahlen lassen. Für das Korn muss
es selber sorgen, als Ergebnis bekommt es das gemahlene Mehl. Die
MüllerInnen haben dann einen Teil des Mehls für sich behalten; bei der
freien Fabrik wäre die einzige Voraussetzung, dass das Ergebnis des
Produktionsprozesses ein freies Produkt unter besagter Lizenz ist. Das
heißt, ich kann mir die Ressoucen besorgen, zu der Fabrik gehen, und
dort meinen Computer bauen bzw. gebaut kriegen (je nachdem, wie die
Fabrik funktioniert). Der Computer 'gehört' dann danach mir, und ich
kann damit machen, was ich will-- solange ich ihn nicht verkaufe (bzw.
eintausche), was die Lizenz mir nicht erlaubt.

Firmen könnten unter diesem Modell alle möglichen Dienstleistungen
anbieten, z.B. auch Service für ein Produkt. Sie müssen nur den Vertrag
mit ihrem KundIn abschließen, bevor sie die Dienstleistung vornehmen.
Die Philosophie dieser Lizenz könnte man so zusammenfassen: Wenn jemand
etwas Frei tuen möchte, soll es das tun können. Das Ergebnis davon soll
keinen Tauschwert mehr besitzen, was erreicht wird, indem es nicht
veräußert werden darf. In allen Bereichen, die nicht oder nicht in
ausreichender Qualität Frei angeboten werden, dürfen sich die
kapitalistischen Firmen um die Kunden kloppen. ;-)

(Übrigens macht das mit den kostenpflichtigen Dienstleistungen IMO
gerade bei der Distribution Sinn: dann kann man sich z.B. die
Portokosten erstatten lassen, wenn man jemand ein Freies Gut per Paket
schickt, aber wenn dasjenige das Gut selbst abholt bzw. abholen lässt,
kann man wieder nichts verlangen, man kann also so nicht versteckt einen
Kaufpreis einführen.)

Puh, das ist 'ne ziemliche Monstermail geworden. Was meint ihr?
- Benja
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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